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Das andere Geschlecht

Pioniere in Männer- und Frauendomänen an der WWU
Andrea Malsbender Studentin der Wirtschaftsinformatik

"Im IT-Bereich freuen sich alle über ein paar Frauen"  – Andrea Malsbender hat in der Wirtschaftsinformatik nur wenige Kommilitoninnen.

Fotos (3): jri

Verwunderte Blicke verfolgen Andrea Malsbender, als sie die Treppe im Hörsaal herunter schreitet. Als sie sich setzt, verstummen hinter ihr die Gespräche. Schüchtern schauen die Studenten zu ihr. "Ey, hörst Du die Vorlesung überhaupt?" fragt schließlich einer ungläubig. "Ja", sagt die 24-Jährige und lacht. Unter rund 150 Hörern ist die Wirtschaftsinformatik-Studentin eine von zehn Frauen. "Softwareengineering" heißt die Veranstaltung, die die angehenden IT-Unternehmer auf ihren Beruf vorbereiten soll.

Das Verhältnis zwischen Männern und Frauen in der Vorlesung ist fast repräsentativ für den gesamten Diplomstudiengang Wirtschaftsinformatik: Von 203 Studierenden sind 19 weiblich. Das entspricht einem Anteil von 9,4 Prozent. Wenn Malsbender erzählt, was sie studiert, bekommt sie wahlweise drei Antworten: "Oh!", "Oha!" oder ein ungläubiges "Was?". Dass sie anders ist als ihre Kommilitonen, hat sie jedoch nie als Nachteil empfunden. Machtgerangel oder männliches Platzhirschgehabe seien ihr bisher weder im Studium noch in Praktika untergekommen. "Im IT-Bereich sind alle froh über ein paar Frauen", stellt sie fest.

Sebastian Otto will Grundschullehrer werden

Das Image von Grundschullehrern verbessern will Sebastian M. Otto. 15 Prozent in seinem Studiengang sind männlich.

Das, was Malsbender als Frau unter Männern erlebt, erlebt Sebastian M. Otto unter Frauen. Der gemütliche 21-Jährige will Grundschullehrer werden – ein typischer "Frauenberuf". Er ist im fünften Semester, von den insgesamt 868 Bachelor-Studierenden sind 128 männlich, das entspricht 14,7 Prozent. Dabei würden die Männer eigentlich dringend in den Klassenzimmern gebraucht. "Gemeinsam mit dem Hausmeister war ich bei meinen Praktika der einzige Mann an der Schule", erinnert sich der Student. Die Kolleginnen seien heilfroh gewesen über männliche Verstärkung.

Dass es nur so wenig männliche Grundschullehrer gibt, hat Otto zufolge vor allem finanzielle Gründe. Dafür, dass sie hochqualifiziert seien, verdienten sie zuwenig. In der freien Wirtschaft lasse sich einfach mehr rausholen. Zudem seien die Aufstiegschancen denkbar schlecht. Man ahnt, dass gesellschaftlicher Status für die meisten Männer in Ottos Generation mit Geld und beruflichem Erfolg verbunden ist. "Es müssten Anreize geschaffen, die Besoldung erhöht und das Image des Lehrerberufs verbessert werden", fordert Otto. Denn häufig sähen Schüler das erste Mal auf dem Gymnasium einen männlichen Lehrer. Zu spät, echauffiert sich der Student.

Wirtschaftsinformatiker kommen dafür in ihren Vorlesungen wenig mit Frauen in Kontakt. Anfangs wunderte sich Malsbender noch, dass ihr ein Kommilitone im Gespräch nicht in die Augen, sondern schräg nach unten blickte. "Okay", dachte sie irritiert, "der schaut mir ins Dekolleté." Irgendwann kam sie dahinter, dass er einfach Blickkontakt vermied – aus Unsicherheit. Gestört haben sie solche Dinge nie, im Gegenteil: Wenn sie, besonders bei technischen Fragen Hilfe brauche, seien immer ein paar Kommilitonen zur Stelle, die ihr zur Seite stehen. Außerdem: "Männer sind nicht so anstrengend!" Vor Vorlesungen müsse sie sich keine Gespräche über Schuhe oder den neuesten Tratsch anhören.

"Aber man muss immer ein bisschen besser sein als die männlichen Kollegen."


Manchmal, erzählt dagegen der angehende Grundschullehrer Otto, fielen ihm die Frauen um ihn herum schon etwas auf die Nerven. "Mädchen reagieren schneller hysterisch und panisch, zum Beispiel, wenn Klausuren verschoben werden. Jungs sind da lockerer." Dabei seien sie alle schon sehr unterschiedlich – die typische männliche "Primi-Maus" gebe es nicht. Die einen seien total kinderlieb, die anderen chillten gern. Nur eines sei bei vielen Männern in seinem Studiengang ähnlich: das Ziel, Schulleiter zu werden.

 Hausmeisterin Zwanette Wüppen

Alles unter Kontrolle hat Hausmeisterin Zwanette Wüppen in der Fliednerstraße.

Wo Malsbender und Otto beruflich schon mit offenen Armen empfangen werden, da musste sich Zwanette Wüppen noch durchboxen. Sie ist eine von drei Hausmeisterinnen an der WWU. Bei ihren Bewerbungen hatte sie vor allem mit einem Vorurteil zu kämpfen: Die Arbeit sei körperlich zu schwer für eine Frau. "Bei Altenpflegerinnen sagt das niemand", wundert sich Wüppen. Auch heute noch sei in vielen Köpfen der männliche Hausmeister drin. Bei ihrem Vorgesetzten an der Uni musste sie sich erst beweisen. Wenn Handwerker kommen und Wüppen mit Männern zusammen steht, werden die zuerst angesprochen. Und auch Studierende sind hier und da zumindest noch irritiert, wenn Hausmeisterin Wüppen aufkreuzt.

Andrologin Prof. Sabine Kliesch

Allein unter Männern ist Prof. Sabine Kliesch schon lange nicht mehr. Sie leitet die Abteilung für Männerheilkunde im Centrum für Reproduktionsmedizin, dessen Direktor Prof. Stefan Schlatt ist.

Foto: fmz

Eine, die sowohl auf "Kunden"- als auch auf Kollegenseite mit Männern zu tun hat, ist Prof. Sabine Kliesch. Die resolute Männerheilkundlerin leitet die Klinische Andrologie des Centrums für Reproduktionsmedizin und Andrologie des Universitätsklinikums Münster. "Die Reaktionen reichen von verdutztem Schweigen bis zu neugierigen Fragen, wenn ich Bekannten von meinem Beruf erzähle", erzählt Kliesch. In ihrer Disziplin ist sie fast allein unter Männern – nur zehn Prozent ihrer Berufsgruppe sind weiblich.

Missgunst, Neid oder belächelndes Herunterspielen ihrer Leistung hat sie ihren eigenen Angaben zufolge nie erfahren auf dem Weg dorthin. "Aber man muss immer ein bisschen besser sein als die männlichen Kollegen", gibt sie zu. Und ein Erlebnis aus ihrer Assistentenzeit in der Urologie ist ihr ebenfalls im Gedächtnis geblieben. Damals nahm sie ein Ordinarius zur Seite und legte ihr die Kinderurologie ans Herz – die sei doch eher für Frauen geeignet. Kliesch schmunzelt noch heute, wenn sie daran denkt: "Er meinte das einfach väterlich gut." Zwar habe sich einiges geändert. Vorsorglich hat Kliesch in den vergangenen Jahren trotzdem ihr eigenes (Frauen-)Netzwerk geknüpft.

Hausmeisterin Wüppen hockt an diesem dunklen verregneten Novemberabend allein in ihrem Büro des Psychologie-Gebäudes Fliednerstraße. Hat sie Angst? Sie schüttelt den Kopf. "Entweder man hat Angst oder man hat keine." Und erinnert sich lächelnd an einen männlichen Hausmeisteraspiranten, der sich im Dunkeln fürchtete. Abends Licht in den Gebäuden ausmachen, Türen an dunklen Treppenaufgängen kontrollieren, im Keller Glühbirnen austauschen? "Das wird dann schwierig."

"Kompetenz geht bei der Beratung vor Geschlecht", ist sich die Andrologin sicher.
Als gelernte Tischlerin kann sie viele Mängel im Gebäude selbst beheben. Mit einem offenen Lächeln begrüßt sie Studierende, die an dem Abend immer wieder am Büro stehen bleiben und nach Turnhalle oder Schwimmbad fragen. Wenig später kommen Fachschaftler rein und fachsimpeln mit ihr über die anstehende Psycho-Party. Beim Gebäude-Rundgang schaut sie hier und dort in noch beleuchtete Büros und hält einen kurzen Schwatz mit den Wissenschaftlern, die bis in den späten Abend über ihren Büchern brüten. Auf den langen einsamen Fluren löscht sie das Licht. Im Dunkeln hat sie keine Angst. "Das sind noch so althergebrachte Ansichten mit dem männlichen Hausmeister", sagt sie kopfschüttelnd.

"Kompetenz gehe bei der Beratung vor Geschlecht", ist sich Andrologin Kliesch sicher.

Zu ihrer Stammklientel gehören naturgemäß männliche Patienten. Ob Impotenz, Penisverkrümmungen oder unerfüllter Kinderwunsch – Kliesch dringt in Patientengesprächen in sensible Bereiche der Männerseele vor. "Als frisch gebackene Approbierte musste ich das auch erst mal lernen", erinnert sie sich. Es sei wichtig gewesen, einen guten Mentor zu haben, der sie anleitete. Mittlerweile bereitet ihr der richtige Ton keine Probleme mehr. Vielen sei es sogar ganz lieb, dass vor ihnen eine Ärztin und nicht der 20 Jahre jüngere und potente Kollege sitze, hat Kliesch beobachtet.

Ihr Fachgebiet ist jung. Ursprünglich war es in verschiedenen Teilgebieten wie der Urologie, der Dermatologie oder der Endokrinologie beheimatet. Als Kliesch ihre Laufbahn als Urologin begann, war sie eine unter wenigen. Im Centrum arbeiten mittlerweile sieben Ärzte, darunter fünf Frauen. "Bei den Famulantinnen und PJ-Studentinnen haben wir einen Frauenanteil von 50 Prozent", zählt Kliesch auf. Wie sie sich den Wandel erklärt? Frauen seien in ihrer Disziplin sichtbar geworden. "Wenn ich Vorlesungen zur Männerheilkunde halte, sehen mich Studentinnen und denken sich: 'Da geh’ ich doch auch mal hin.'"

jri