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Zeitarbeit und Zukunftsangst

Absolventen der WWU sind überall gut untergekommen

Assistenzaerztin Dr. Astrid Mellmann
Alles unter Kontrolle hat Assistenzärztin Dr. Astrid Mellmann.  Auf ihren Job als Anästhesistin fühlt sie sich gut vorbereitet durchs Studium.

Foto: jri

Rund 290.000 Absolventen verließen 2007 deutsche Hochschulen – so viele wie noch nie. Auch an der WWU absolvierten im Hochschuljahr 2006/2007 5510 Studierende erfolgreich ihre Abschlussprüfungen. Viele gehen ins Referendariat, andere bewerben sich auf Trainee-Stellen, wieder andere sind längst nicht festgelegt.

"Ich wollte mit etwas starten, von dem ich richtig überzeugt war", erzählt Lena Arnold, Pressereferentin bei der Agentur "Scholz & Friends". Sie schloss das Studium der Kommunikationswissenschaft im Februar 2007 ab. "Dann habe ich mir sechs Monate Zeit gegeben, um zu suchen." Während des Studiums hatte sie nicht nur als Tutorin gearbeitet und Gefallen an der Wissenschaft gefunden, sondern auch Praktika und Assistenzen am Theater absolviert. Im Raum standen nun eine Promotion oder ein Volontariat im Bereich der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit – am liebsten bei einer kulturellen Institution.

"Das Suchen nach geeigneten Stellen, Bewerben und Warten, war eine ungewisse und anstrengende Zeit", sagt sie rückblickend. Die meisten von Arnolds Freunden, die mit ihr den Abschluss gemacht hatten, kamen innerhalb von zwei, drei Monaten in Agenturen, Pressestellen oder journalistischen Volontariaten unter. Andere begannen sofort mit der Promotion.

Um sich zu finanzieren, jobbte Arnold bei einer Zeitarbeitsfirma. Auf Englisch beantwortete sie per E-Mail und am Telefon Fragen von Kunden. "Inhaltlich forderte mich das zwar nicht, aber ich fand gut, dass ich intensiv mit einer Fremdsprache zu tun hatte", sagt sie. Nach vier Monaten zermürbender Zukunftsangst und Zeitarbeit war es dann soweit: Arnold bekam vom Hamburger Theater "Kampnagel" die Zusage für ein vierzehnmonatiges PR-Volontariat. Einziger Wermutstropfen: die Bezahlung. Ein blödes Gefühl sei das gewesen, einen Job zu haben und trotzdem nicht von dem Geld leben zu können. "Es ist schon so, dass man dann den Wert von Arbeit in Frage stellt", erinnert sie sich. Allerdings habe sich ihre Frustration nie gegen "Kampnagel" gerichtet. Im kulturellen Bereich sei ohnehin fast jeder unterbezahlt, daher werde aber auch jede Kraft gebracht: "Ich habe von Anfang an viel Verantwortung übernommen und hatte das Privileg, in einem Bereich zu arbeiten, der mich auch privat begeistert."

Im Studium habe sie gelernt, sich zu organisieren, zu recherchieren und sich in neue Sachverhalte hinein zu denken. Außerdem wisse sie, welchen Routinen Journalisten unterworfen seien oder wie sich eine Zeitung finanziere. Aber viele Dinge, auf die es in ihrem Job ankomme, seien in keinem Studium vermittelbar, ist sich Arnold sicher und zählt auf: "Sensibilität für Themen, Kommunikationsfähigkeit, schnelle Auffassungsgabe und nicht zuletzt eine gute Kinderstube."

"Anfangs dachte ich, dass ich das nie lerne. Aber man wächst mit seinen Aufgaben."

Gut vorbereitet fühlt sich dagegen Assistenzärztin Dr. Astrid Mellmann. Natürlich seien nicht alle Patienten wie aus dem Lehrbuch. Aber die Grundlagen für vieles seien im Studium gelegt worden. Anders als bei Arnold stand für sie fest, wie ihr Weg nach dem Studium weitergehen würde. Die heute 30-Jährige machte nach dem Abitur eine Ausbildung als Krankenschwester, studierte dann Medizin und arbeitet heute als Assistenzärztin in der Anästhesie des Uniklinikums. "Anfangs dachte ich, dass ich das nie lerne", erinnert sie sich stöhnend an ihre ersten Tage als junge Assistenzärztin. "Aber man wächst an seinen Aufgaben!"

An diesem Morgen überwacht sie die Narkose eines kleinen Patienten in der Gehirnchirurgie. Die Stimmung im Saal ist trotz des komplizierten Eingriffs entspannt, der OP-Assistent flachst herum, im Hintergrund läuft Musik. Mellmann thront vor einem großen Apparat, auf dem sie Blutdruck, Herzfrequenz und -rhythmus und die Sauerstoffsättigung des Blutes kontrolliert. "Rechnen lernt man hier sehr gut", bemerkt sie mit Blick auf all die Zahlen und Dosen trocken.
Schon im Studium faszinierte sie die Anästhesie. Vielfältig wie kein anderer sei ihr Bereich, erklärt sie. Mellmanns Arbeit ist Teamwork: Die Gehirnchirurgin ist auf die Hilfe der OP-Schwester angewiesen und darauf, dass ein Anästhesist die Narkose überwacht. "Man arbeitet nie allein", schwärmt die Assistenzärztin. Anders als in den meisten anderen Berufen werden Ärzte in ihrem Berufsalltag mit dem Tod konfrontiert. Konnte ein Patient nicht gerettet werden, hilft es Mellmann, mit ihren Kollegen darüber zu sprechen.

Was im Studium die Kommilitonen waren, sind im Arbeitsleben die Kollegen. Doch anders als zu Studienzeiten unterscheiden sie sich in Alter, Ausbildung und Interessen stärker als die Mitstudierenden. Hinzu kommt, dass in den meisten Studiengängen mehrere Dutzend mit einem studieren, man im Berufsleben aber teilweise mit nur zwei anderen Kollegen am Arbeitsplatz sitzt. "Meine Freunde fehlen mir", seufzt etwa der Geoinformatiker Marc Jentsch, wenn er an die Studienzeit zurückdenkt, als er sie kennenlernte.

Vor einem halben Jahr hat er eine Stelle am Bonner Fraunhofer Institut für Angewandte Informationstechnik angenommen, um dort digitale Geräte zu entwickeln, mit denen Lagerarbeiter sich bei der Suche nach der richtigen Ware nicht mehr vergreifen. Vorstellen müsse man sich das etwa so wie im IKEA-Lager, wo es ärgerlich sei, statt eines grauen ein weißes Billy-Regal mitzunehmen, erklärt Jentsch. Damit so etwas nicht passiere, entwickle er ein System, das beim Einpacken mitdenkt und bei falschen Waren Alarm schlägt.

Jentsch schätzt seine Arbeit: "Vielleicht hätte ich bei großen Firmen mehr verdient, aber hier kann ich machen, was mir Spaß macht." Er mag seine Kollegen, die im gleichen Alter sind wie er. Mit ihnen habe er ähnliche Gesprächsthemen – je älter dagegen die Kollegen, desto mehr Themen fielen raus. Trotzdem hätten seine Freunde aus dem Studium natürlich einen ganz anderen Stellenwert, betont er. Münster fehle ihm, sagt der 28-Jährige. "Eigentlich ist in Bonn alles eine Nummer schlechter", findet er und zählt auf: Es gebe weniger Fahrräder und der münstersche Dom sei viel schöner. Wenn man ihn fragt, ob er lieber studiert hat oder arbeitet, ist sein Votum eindeutig: "Studium".

jri