Im Regenwald verschollen

Jeder Stuhl wird geprüft. Hat er eine Inventarnummer, muss Sabine Gergs ihn aufnehmen, auch wenn er keine 410 Euro gekostet hat.
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Hier steht die Vakuumpumpe, drüben liegt eine Eppendorf-Pipette. "Ob die aufgenommen werden muss?" fragt Sabine Huber. "Ja, ich denke schon", antwortet ihr Kollegin Sabine Gergs. Szenen wie diese im Institut für Botanik spielen sich zur Zeit in vielen Einrichtungen der Universität ab. Im Visier der Mitarbeiter ist alles, was im Besitz der Uni ist und die vom Rektorat festgelegten Wertgrenzen für Gegenstände des Anlagevermögens erreicht.
Das ist nötig, weil die WWU 2010 auf ein neues Rechnungssystem umstellt: Statt wie bisher nach den Grundsätzen der so genannten Kameralistik zu wirtschaften, führt die Verwaltung die moderne doppelte kaufmännische Buchführung (Doppik) ein. Dieter Nienhaus leitet gemeinsam mit Dr. Ekkehard Spilling von der EDV-Abteilung der Verwaltung das Mammut-Projekt zur "Einführung der Integrierten Verbundrechnung" (EIVeR). Organisatorisch unterstützt werden sie durch Jutta Kemming vom Dezernat 5. Neuanschaffungen ab 2008 sind ab 1000 Euro, ältere Gegenstände ab 410 Euro zu inventarisieren, sofern sie noch wie vorgesehen benutzt werden.
Grundlage für das Gesamtprojekt ist das Hochschulfreiheitsgesetz aus dem Jahr 2006, das den Hochschulen die Eigenverantwortung für die strategische Ausrichtung, das Personal und eben auch die Finanzen übertragen hat. Zulässig ist auch die Aufnahme von Krediten, jedoch nur, "wenn die Hochschule in Wirtschaftsführung und Rechnungswesen kaufmännischen Grundsätzen folgt und ein testierter Jahresabschluss vorliegt", so Paragraph 5 des Gesetzes. Damit die WWU auf die Doppik umsteigen kann, muss sie eine so genannte Eröffnungsbilanz erstellen. Dafür müssen nicht nur teure Geräte in den Naturwissenschaften, sondern auch antike Vasen aus dem Archäologischen Museum oder der Gingko-Baum im Botanischen Garten erfasst werden. Deshalb sind überall an der Uni Inventur-Teams zusammengestellt worden, die Gegenstände in ihren Instituten, Dekanaten oder der Verwaltung auflisten oder mit Inventaraufklebern versehen, damit Folge-Inventuren einfacher werden.
Alle nahmen ihre Arbeit mit einer Mischung aus Humor und Fatalismus.
Als Inventurbereichsleitung für den Fachbereich Geschichte und Philosophie haben Nina Nolte und Robin Schneegaß Verantwortung für die Inventarisierung übernommen. Sie kümmern sich um die Logistik, Schulungen organisiert und festgelegt, wer wo Gegenstände listet. "Von der Hoffnung, es kurz und schmerzlos hinter sich zu bringen über Skepsis bis hin zu Ablehnung war alles dabei", beschreibt Nolte die Reaktionen aus den verschiedenen Instituten und Seminaren. Egal, mit wem man spricht: Alle Aufnahmeleiter und Aufnahmeteams haben ihre mühevolle Arbeit mit einer Mischung aus Humor und Fatalismus genommen: "Was wir alles fanden!" Da waren nicht nur die Funkmäuse – mit 34 Euro das Stück weit unter der Inventarisierungsgrenze von 410 Euro –, die eine Sekretärin feinsäuberlich mit Inventuraufklebern versehen hatte. Nicht immer waren die mobilen Geräte zum angesetzten Termin in den Instituten. Als absoluter Höhepunkt auf der Inventur-Odyssee entpuppte sich die Suche nach einer verschwundenen Kofferdrucker-Kombination in der Ethnologie. Intensive Recherchen von Nolte und Schneegaß ergaben: Sie war im Regenwald von Sumatra kaputt gegangen und verschollen.
Auch die Assistentinnen am Institut für Botanik haben Entdeckungen gemacht, mit denen sie nicht gerechnet hätten. So finden sie etwa an diesem Morgen ein Mikroskop im Labor, das den münsterschen Biologen 1983 als Leihgabe überlassen wurde. "Das wollte scheinbar niemand wiederhaben", bemerkt Huber trocken. Und ihre Kollegin berichtet von einem Gerät, dass sie gar nicht zuordnen konnte. "Das war mindestens aus den frühen Siebzigern!"
Während die biologisch-technischen Assistentinnen noch durch das Institut für Botanik geistern, freuen sich Nolte und Schneegaß, dass sie ihre aufreibende Arbeit erfolgreich abgeschlossen haben. Sie loben die schnellen und pragmatischen Lösungen, die Projektleiter Nienhaus und Kemming fanden, sobald Probleme auftraten. "Die Unterstützung war wirklich super!"
Die wird auch weiter gebraucht, denn abgeschlossen ist das Projekt "EIVeR" nicht. Denn nur wenn die Inventurlisten regelmäßig aktualisiert und gepflegt werden, müssen sie nicht jährlich neu erstellt werden. Im Intranet werden die Neuregelungen erläutert.
jri