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Wechselspiel zwischen Genen und Verhalten

Neuer SFB/Transregio zu Furcht, Angst, Angsterkrankungen
SFB zu Angsterkrankungen

Angst ist eine notwendige Emotion. Doch Angsterkrankungen zählen zu den häufigsten psychischen Krankheiten.

Foto: marilou/pc

Furcht, Angst, Angsterkrankungen – der neue transregionale Sonderforschungsbereich, der am 7. November feierlich eingeweiht wird, widmet sich einer der grundlegendsten menschlichen Regungen. Furcht und Angst sind wichtige Komponenten des täglichen Verhaltens: Sie schützen vor Einflüssen oder Begegnungen, die unangenehm oder sogar schädlich sind. So lernt jeder durch Sozialisierung oder schmerzvolle Erfahrung, bestimmte Verhaltensweisen zu vermeiden, aus Angst davor, verletzt zu werden. Eine extreme Veränderung oder Störung dieses Verhaltens kann jedoch zu einem unverhältnismäßig starken und verlängerten Zustand führen, der als übersteigerte, anhaltende oder generalisierte Angst empfunden wird. Überzogene Angst oder unangemessene Ängstlichkeit deuten auf einen pathologischen Zustand hin, eine Angsterkrankung.

Nur 26 Prozent schätzen eine Therapie als dauerhaft erfolgreich ein.

Der neue Sonderforschungbereich vereint Wissenschaftler aus Münster, Hamburg, Würzburg und Mainz aus den Gebieten Molekularbiologie, Genetik, Neurophysiologie, Psychologie, Psychiatrie und Bildgebung. Sprecher des neuen SFB/Transregio ist der Neurophysiologe Prof. Hans-Christian Pape vom Institut für Physiologie der Medizinische Fakultät. "Ziel des Sonderforschungsbereichs ist es", so Pape, "die wissenschaftliche Kompetenz zu bündeln, um ein verbessertes Verständnis der neurobiologischen Grundlagen von Furcht und Angst zu erreichen, und daraus Risikoprofile für Angsterkrankungen zu entwickeln, die wiederum den Weg für neue, individuell zugeschnittene Therapieformen bereiten können."

Pape selbst interessiert sich für die Gedächtnisspuren im Gehirn, die eine traumatische Erfahrung hinterlässt. "Zunächst besitzt jeder Mensch eine genetisch bedingte Veranlagung, eine Prädisposition, die quasi das Grundgerüst für Ängstlichkeit bildet. Jedes persönliche Erlebnis, jede Angsterfahrung, setzt darauf eine Gedächtnisspur, ähnlich dem Häuslebauer, der auf dem Fundament die Steine der Wand aufbaut. Diese Gedächtnisspur wird immer wieder abgerufen, entweder beim Wiederleben des auslösenden Ereignisses oder bei der bloßen Erinnerung daran, und dieser Abruf führt zu Angsterleben und -verhalten." Soll heißen: Ist eine Angsterfahrung erst einmal fest im Gehirn gespeichert, kann sie auch wieder aufgerufen werden, wenn die Situation eigentlich nicht mehr bedrohlich ist. "Hier werden vor allem entwicklungsgeschichtlich sehr alte Verbindungen im Gehirn aktiviert", erklärt Pape. "Alle Säugetiere können sehr leicht, sehr schnell und anhaltend Furchtgedächtnisspuren anlegen. Das ist überlebensrelevant. Anders als das Tier besitzt der Mensch allerdings vielfältige kognitive Strategien, um mit diesen Gedächtnisspuren umzugehen."

Ein wichtiger Mechanismus hierbei ist die Neubewertung der gemachten angstvollen Erfahrung, die zur Löschung, zur Extinktion, des Furchtgedächtnisses führen kann. "Genau diese Balance zwischen Furchtgedächtnis, Neubewertung und Extinktion bestimmt unser tägliches Verhalten, und genau diese Balance scheint bei Angsterkrankungen gestört zu sein", so Pape. Seine Arbeitsgruppe hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Prozesse im Gehirn zu identifizieren, die dieser Balance zugrunde liegen. Wichtig dabei ist, dass die Gedächtnisspur zwar überschrieben, nicht aber gelöscht wird. "So kann es nach einer Therapie spontane Flashbacks geben, obwohl die Therapie eigentlich erfolgreich war. Wir wissen nicht genau, was passiert, wenn die traumatischen Erlebnisse wieder belebt werden", so Pape.

20 bis 25 Prozent der Deutschen erleiden in ihrem Leben eine behandlungsbedürftige Angsterkrankung und jeder siebente Deutsche war beziehungsweise ist wegen Angstsymptomen in Behandlung. Und die Zahl nimmt noch zu, denn, so Pape, "in unserer Gesellschaft steigt die Angst, zum Beispiel vor persönlichem Versagen in einer Prüfung, vor Verlust des Arbeitsplatzes oder vor dem finanziellen Ruin."

Deshalb ist es zwingend notwendig, im Sonderforschungsbereich die Grundlagen von Furcht und Angst zu erforschen. Dazu gehört vor allem das Wechselspiel zwischen Genen und dem angstrelvanten Verhalten. In Mäusen können die Wissenschaftler bestimmte Gene, die man im Verdacht hat, Angst hervorzurufen oder zu verstärken, gezielt ein- und ausschalten. Die Verhaltenskonsequenzen und die neurobiologischen Prozesse werden dann im Detail analysiert und daraus konkrete Aussage über die beteiligten Mechanismen gewonnen. In ergänzenden Studien werden dann mit nicht-invasiver Bildgebung die entsprechenden Regionen im menschlichen Gehirn dargestellt und genetische Veränderlichkeiten gesucht. "Wir wollen wissen, was die Genvarianzen im Gehirn bewirken, wie bestimmte Signalstoffe im Gehirn das Furchtgedächtnis bilden oder überschreiben. Erst dann können wir maßgeschneiderte Medikamente entwickeln, die damit gezielt interagieren", erklärt Pape.

"Nach vier Jahren sind noch keine neuen medikamentösen Therapiewege zu erwarten."

Tatsächlich werden immer neue Signalstoffe identifiziert, die zur Furchtgedächtnisbildung beitragen oder diese hemmen. So hat Pape  kürzlich mit seinen Mitarbeitern die Wirksamkeit des Neuropeptids S nachgewiessen, einem neuen Botenstoff, der dabei hilft, Furchtgedächnisspuren gezielt zu überschreiben. "Das Spannende dabei ist", so Pape, "dass hier eine bestimmte Neuronengruppe im Gehirn diese Wirkung vermittelt, und dass bereits erste Ergebnisse zu Auffälligkeiten bei Panikerkrankungen bei Menschen vorliegen."

Genau diese Auffälligkeiten sollen nun im SFB weiter untersucht werden. Allerdings mahnt Pape vor zu voreiligen Hoffnungen: "Nach der ersten Förderperiode von vier Jahren sind noch keine konkreten neuen medikamentösen Therapiewege zu erwarten. Wir müssen zunächst einmal die Hirnbiologie besser verstehen", erklärt Pape. Der neue Sonderforschungsbereich biete dazu die besten Voraussetzungen, denn in dieser Kombination sei die Expertise der beteiligten Wissenschaftler weltweit einzigartig.

bn