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Gott im Gehirn

Neurotheologie nutzt Erkenntnisse der Naturwissenschaft
Medidation

Eins mit Gott und dem Universum fühlen sich Menschen während der Meditation. Die Neurotheologie versucht zu erklären, warum.

Foto: aridula/pc

Existiert Gott? Ist es notwendig, dass er existiert? Oder reicht nicht der Glaube allein? Je genauer Naturwissenschaftler die Funktionsweise des menschlichen Gehirns entschlüsseln, umso mehr müssen sich Theologen mit der Frage nach der Beziehung zwischen Gott und Gehirn auseinandersetzen. Dr. Tobias Kläden vom Seminar für Pastoraltheologie stellt sich dieser Herausforderung. Das neue Gebiet der so genannten Neurotheologie wird zumeist von Naturwissenschaftlern besetzt, Theologen haben bisher eher wenig Kenntnis genommen.

Zwei Pole gibt es, die im Glauben eine Rolle spielen: der Mensch, der glaubt, und das Objekt, an das geglaubt wird. Doch gibt es jenen zweiten Pol wirklich? Die amerikanischen Neurowissenschaftler Andrew Newberg und Eugene d’Aquili haben untersucht, was passiert, wenn Menschen meditieren. Sie spritzten dafür Buddhisten und Franziskanerinnen eine radioaktive Substanz, mit der bei einer funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) ein dreidimensionales Bild der Hirnaktivität geliefert werden kann. "Sie konnten nachweisen, dass bei der Meditation ein Bereich im Scheitellappen, der dafür sorgt, dass ich mich von der Umwelt als verschieden empfinde, kaum noch aktiviert war", erläutert Kläden. "Die Menschen fühlten sich eins mit Gott und dem Universum." Und das unabhängig davon, ob sie an einen personalen Gott glaubten wie die Christinnen oder an ein namenloses Absolutes wie die Buddhisten.

Das, so die Schlussfolgerung von Newberg und d’Aquili, sei ein Beweis dafür, dass Glaube und religiöse Erfahrung keine Hirngespinste seien. Schließlich gebe es den physiologischen Nachweis, dass etwas im Gehirn im Augenblick der religiösen Erfahrung passiere. Umgekehrt ist es dem Kanadier Michael Persinger gelungen, mithilfe eines leichten Magnetfeldes Menschen die Präsenz des Göttlichen zu suggerieren, indem die Schläfenlappen im Gehirn stimuliert wurden. "Bereits in der Antike wusste man, dass Menschen mit Epilepsie etwas Besonderes sind, eine 'heilige Krankheit' haben", erzählt Kläden. Epileptische Anfälle gingen häufig mit religiösen Empfindungen einher, Epilepsie wiederum könne beispielsweise durch Tumore im Schläfenlappen ausgelöst werden.

Die Interpretationen der empirischen Versuche seien häufig vollmundig, mal werde versucht, Gott als Funktion des Gehirns zu erklären, mal, die Funktion des Gehirns als Beweis für die Existenz Gottes heranzuziehen. "Das hängt immer von der religiösen Voreinstellung ab", meint Kläden. Bei Doubleblind-Experimenten im Magnetfeld von Persinger habe sich gezeigt: Menschen können auch ein religiöses Gefühl spüren, obwohl faktisch nichts passiert ist. "Häufig liefern die Naturwissenschaftler zu ihren Experimenten Interpretationen, die nichts mehr mit Neurowissenschaften zu tun haben, sondern auf bestimmten philosophischen Vorannahmen beruhen", so Kläden.

Und genau das ist für ihn der Grund, dass sich auch die Theologen einmischen müssen. Denn die Daten zu bezweifeln, das kommt ihm nicht in den Sinn. Aber bei der Interpretation der Ergebnisse und der Beantwortung der Frage, ob Gott nur ein neuronales Gewitter im Gehirn sei, da haben die Theologen auch etwas beizutragen. "Tiefe meditative Versenkungen sind nicht die Religion des Alltags. Haben solche religiösen Spitzenerfahrungen überhaupt Relevanz für den Alltag?" Aber noch gebe es auch bei den Theologen keine eindeutige Definition von Religiosität. "Da können die Neurowissenschaften einen wichtigen Beitrag leisten."

"Kommt Religion wirklich nur im Gehirn vor? Gibt es denn keine Wirklichkeit außerhalb des Gehirns? Natürlich müssen religiöse Erfahrungen im Gehirn verankert sein, denn dort haben alle Erfahrungen und Gefühle ihre Basis", sagt Kläden. Er ist sich aber sicher: Gott ist kein Gegenstand der empirisch erfassbaren Welt, daher könne er auch nicht mit naturwissenschaftlichen Mitteln erforscht werden. "Als praktischer Theologe aber will man die Bedingungen erforschen, wie Glaube entsteht und sich entwickelt." Und deswegen wolle er wissen, was im Gehirn passiert, wenn Menschen beten oder sich auf anderem Weg an ihren Gott wenden. Bisher habe man in der psychologischen Anthropologie vor allem zwei Größen ausgemacht, Emotionen und Kognitionen. Für Kläden könnte der Glaube eine dritte, eigenständige Kategorie von psychischen Zuständen hervorbringen, die im seelischen Leben eines Menschen zu berücksichtigen sind.

Kläden hat nicht nur Theologie, sondern auch Psychologie studiert – ein Fach, das eigentlich kaum auf die Theologie eingeht, während die Theologie umgekehrt einiges von der Psychologie gelernt hat. Er hat in seiner Dissertation über das Leib-Seele-Problem gearbeitet, über die Frage, was letztlich den Menschen ausmacht. Und er greift dabei auf Thomas von Aquin zurück, für den – anders als in modernen Vorstellungen wie zum Beispiel der meisten Neurotheologen – Leib und Seele untrennbar zusammen gehören. Und dem stellte sich vor 800 Jahren auch nicht die Frage, ob Gott nur eine Projektion des Gehirns ist oder ob Gott unsere Neuronen so kommunizieren lässt, wie sie kommunizieren ...

bn