Die Schreibmaschine und der Hausgeist

Noch immer funktionstüchtig ist die Schreibmaschine, auf der Prof. Guido Sprenger 13 Monate lang 800 Seiten tippte.
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Manche hören nach dem ersten Herzinfarkt auf zu rauchen. Andere treiben mehr Sport, wenn der Arzt sie auf den desolaten Zustand ihres Rückens hinweist. Bei Urte Evert war ein Bandscheibenvorfall der Auslöser dafür, dass sie ihr Hauptfach an der Uni Münster wechselte. Das Röntgenbild aus dieser Zeit steuert sie nun zur Ausstellung "Studieren in Münster" bei, die von Studierenden der Kultur- und Sozialanthropologie in einem Projektseminar organisiert wird. Im Mittelpunkt der Ausstellung, die vom 7. Oktober bis 4. November im Foyer des Fürstenberghauses zu sehen ist, stehen Alltagsgegenstände, die jetzige und ehemalige Studierende untrennbar mit ihrer Studienzeit verbinden.
"Musée Sentimental" nennt sich das Konzept, nach dem Dozent Dr. Martin Wörner und die Studierenden arbeiten. Die zwölf Teilnehmer lernen nicht nur Projektmanagement oder Präsentationstechniken, sondern auch, wie man Ausstellungsobjekte beschafft, spannende Texte dazu schreibt und Pressearbeit betreibt. Aber zunächst suchen die Studierenden noch nach passenden Erinnerungsstücken an die Studienzeit.
Eines davon, nämlich Everts Röntgenbild, ist schon fest eingeplant. Evert haderte schon länger mit ihrem Hauptfach Ur- und Frühgeschichte, das sie an der Uni Münster studierte. "Ich war nicht so gut in dem Fach", sagt die 33-Jährige heute im Rückblick. Im Nebenfach studierte sie Europäische Ethnologie, ein Bereich, der ihr sehr gefiel. Dann kam die Grabung in Borken-Südwest. "Ich saß in einer Grube, auf Knien und halb gebückt. Irgendwann wurden die Schmerzen unerträglich", beschreibt sie die Situation. Ein Nerv hatte sich entzündet, stellte der Arzt später fest. Das Röntgenbild, das daraufhin gemacht wurde, besaß für sie eine besondere Bedeutung. "Ich habe mir das damals als Mahnung an die Balkontür gehängt." Sie schwor sich, mehr Sport zu treiben und besser auf ihren Rücken aufzupassen. Ausgrabungen waren ab sofort passé, sie wechselte das Studienfach. "Volkskunde war viel passender für das, was mich interessierte", sagt sie. Das Röntgenbild – für sie das Sinnbild für einen Neubeginn.
Ein ähnliches Erinnerungsstück stand jahrelang im Keller des Instituts für Ethnologie in der Studtstraße. Fast ehrfürchtig hebt Prof. Guido Sprenger eine angegilbte Schreibmaschine aus dem Regal. Abgeschnitten von Elektrizität tippte er bei einem Forschungsaufenthalt in einem kleinen laotischen Dorf 13 Monate auf dem Gerät. 800 Seiten verfasste der damalige münstersche Promotionsstudent in den Jahren von 2000 bis 2002 damit. Sie dienen ihm auch heute noch als wichtige Grundlage für seine Forschungen. "Sehen Sie, der rote Staub aus dem Dorf ist immer noch drauf", sagt er und wischt liebevoll über ein paar bräunliche Flecken auf dem Gehäuse des Gerätes.
Die Entscheidung für die Schreibmaschine fiel aus pragmatischen Gründen. Sein Kollege habe die "High-Tech-Variante" mit Laptops, Sonnenkollektoren und Datensicherung via Satellit vertreten, erinnert sich Sprenger grinsend. Seiner Meinung nach zwar sicherer, aber viel zu umständlich: Er wusste, dass sein Forschungsdorf zwei bis drei Tagesreisen von der nächsten Stadt entfernt lag. Hinzu kamen die Wetterverhältnisse: mal Regen, mal Hitze, keine guten Voraussetzungen für den Betrieb eines Computers. "Ich musste in Münster lange nach einer Schreibmaschine suchen", sagt Sprenger. Doch die, die er dann für 110 Mark erwarb, leistete ihm gute Dienste – und funktioniert sogar heute noch. "Mein Kollege ruinierte in der Zeit drei von vier Laptops", sagt der Ethnologie-Professor. Einige Marotten hatte sein gutes Stück allerdings: Großbuchstaben standen ein Stück höher über der Zeile als die restlichen Buchstaben. Und in Sprengers Aufzeichnungen finden sich immer wieder doppelt angeschlagene Buchstaben, da der so genannte Wagen bei aufeinanderfolgenden gleichen Buchstaben nicht weiter rutschte.
Rituale, Verwandtschaft und Konzepte der Gesellschaft der Rmeet, eines laotischen Bergvolkes, wollte er in dem kleinen Dorf erforschen – und machte dank seiner Schreibmaschine Bekanntschaft mit einer kulturellen Besonderheit Südostasiens: dem Hausgeist. Der hätte sich nämlich früher an dem lauten Geklacker gestört, bedeutete ihm sein Gastvater. Heute mache ihm das aber nichts mehr aus – ein Zeichen, dass alte Traditionen aufgegeben worden seien. Sprenger indes hielt mit der Schreibmaschine fest an alten Gewohnheiten: "Mit ihr konnte ich eine gewisse Nostalgie pflegen. Das fand ich ganz charmant."
jri
Wer Erinnerungsstücke aus seiner Studienzeit besitzt, die kleine Geschichten erzählen, kann sich unter http://uni-erinnerung.jimdo.com bei der Projektgruppe melden.