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Reise durch die Jahrhunderte

Studierende jobben bei der Stadtarchäologie
 Mitarbeiter der Stadtarchäologie bei der Arbeit

Bei Wind und Wetter müssen die Mitarbeiter der Stadtarchäologie ran. Derzeit graben sie zwischen Asche und Altem Steinweg und am Domplatz.

Fotos (7): Peter Grewer

Es ist warm an diesem Nachmittag. Nebenan rauscht der Verkehr in Richtung Warendorfer Straße. Zwar sticht die Sonne nicht vom Himmel, doch scheint sie hell und der Wind treibt den getrockneten Staub über das Gelände. Kein Wetter, wie es Archäologen freut, sind doch im hellen Licht die einzelnen Erdschichten nur schwer zu erkennen. Immer wieder müssen sie gewässert werden, damit die Übergänge zwischen den einzelnen Zeitaltern deutlicher zu erkennen sind. Direkt neben dem Pavillon von "Karstadt Sport", zwischen Asche und Altem Steinweg, steht man im 15. Jahrhundert, kann noch die Grundmauern und die Kellerböden von drei Häusern des alten münsterschen Stadtadels erkennen. Der Archäologie-Student Philipp Quack arbeitet im  Fürstenberg-Herdringenschem Hof Hof, so benannt nach seinem letzten bekannten Besitzer, die Geschichts-Studentin Sonja Scheferling in dem des Freiherren von Wendt-Papenhausen. Zerstört wurden sie ebenso wie der in der Mitte liegende Steinfurter Hof im Zweiten Weltkrieg, nun versucht die Stadtarchäologie zu ergründen, wie die Menschen vor 600 Jahren lebten, bevor ein Parkplatz auf dem Gelände gebaut wird.

"Wir betreiben Ad-hoc-Archäologie", gibt Dr. Aurelia Dickers, die Chefin der Stadtarchäologie, zu. Werden große Bauten in der Innenstadt geplant, rücken zuerst ihre Mitarbeiter an, um zu schauen, was an historisch wertvollem Material im Boden steckt. Das hat den Nachteil, dass man nicht systematisch graben kann. Aber auch den Vorteil, dass Stellen untersucht werden, die man auf den ersten Blick nicht für historisch wichtig gehalten hätte. Daraus ergibt sich oft Überraschendes für die Stadtgeschichte.

Zerbrochene Bulle aus dem 14. Jahrhundert

Ein rätselhafter Fund ist die zerbrochene Bulle von Johannes XXII aus dem 14. Jahrhundert.

Würfel aus Knochen geschnitzt

Aus Knochen geschnitzt wurde dieser Würfel, der wahrscheinlich aus dem 13. Jahrhundert stammt.

Die Funde werden gesichert, die Mauern und Grundrisse genauestens auf Zeichnungen dokumentiert, dann steht das Gelände für die moderne Bebauung zur Verfügung. "Die baulichen Reste sind nicht so wesentlich, deren Erhaltung wäre im Regelfall zu teuer", erklärt Dickers. Wichtig sei es, herauszufinden, wie die Stadt wie die Stadt einst aufgesiedelt worden ist und sich weiter entwickelt hat – und die Gelegenheit ergibt sich nun mal nur, wenn der Boden für Bauarbeiten geöffnet wird. Eine systematische Untersuchung der Stadt ist so nicht möglich, aber Dickers kann mit ihren Mitarbeitern viele kleine Puzzleteilchen zusammen tragen.

Der Alte Steinweg, früher die Haupthandelsstraße nach Osnabrück, bot sich an, als die Parzellen am Prinzipalmarkt zu eng wurden. Bis ins 14. Jahrhundert lassen sich Keramikfunde und eine offene Feuerstelle an der aktuellen Grabungsstelle sicher datieren. Das heute noch in Ansätzen erhaltene klassische, giebelständische Haus hatte sicher einen noch früheren Vorgänger aus dem 13. Jahrhundert mit einer ähnlichen Baustruktur, doch die Keller wurden immer wieder abgetragen und neu aufgefüllt, so dass deren Alter nicht mehr geklärt werden kann.

Philipp Quack bei der Arbeit

Nicht nur schaufeln, auch pinseln muss Phlipp Quack bei seiner Arbeit.

"Ich möchte mit Quellen arbeiten, die ich selbst gefunden habe."

Philipp Quack arbeitet seit gut einem Jahr bei der Stadtarchäologie. Dass er Archäologie studiert, ist Zufall, Dickers beschäftigt auch Sportler, Geographen und Juristen. 40 bis 50 Mitarbeiter sind für sie aktiv, viele davon Studierende, die sich ihr Studium dadurch finanzieren. Quack schippt die lose, trockene Erde, die alles in der Umgebung in kurzer Zeit sandbraun färbt, aus dem Grund des Fürstenberg-Herdingschen Hofes. Das sieht nach harter Arbeit aus und ist es auch, zumal er vorsichtig arbeiten muss, um nicht etwaige Funde zu zerstören. "Die Erfahrung schult das Auge, wo etwas liegen könnte. Außerdem hört man es am Klang, wenn die Schaufel auf etwas stößt", erklärt er. Aufgeregt war er, als er mal nicht Keramikteilchen oder Knochen gefunden hat, sondern ein ganzes Schwert: "Das war ein russischer Infanteriesäbel aus dem 19. Jahrhundert, den wir in einem Keller, der im zweiten Weltkrieg verschüttet wurde, gefunden haben."

Sonja Scheferling findet häufig Knochen

Knochen gehören zu den häufigsten Funden von Sonja Scheferling.

Acht Stunden dauert eine Schicht, die Studierenden müssen bei jedem Wetter ran. Aber sie müssen nicht nur Erde schaufeln, sondern auch die Funde vermessen und zeichnen. Die Zeichnungen sind nach wie vor wichtig, auch wenn die Funde inzwischen fotografisch dokumentiert werden. Die 29jährige Sonja Scheferling ist im Vergleich mit Quack eine alte Häsin. Bereits seit 2001 jobbt sie zwei- bis dreimal in der Woche bei der Stadtarchäologie. "Das wollte ich schon machen, als ich noch auf der Schule war. Mir macht es einfach Spaß, draußen zu sein und ich möchte auch mal mit anderen Quellen als nur den schriftlichen arbeiten – mit Quellen, die ich selbst gefunden habe." Aber ist es nicht gerade für eine Frau harte Arbeit? "Ach, ich kann vielleicht nicht so viele Eimer Erde wie ein Mann schleppen, aber im Grunde ist es einfach nur Übungssache und für Männer und Frauen gleich anstrengend."

"Am schönsten war die Grabung auf dem Friedhof der Überwasserkirche."

Neben der drahtigen Studentin steht ein großer Eimer mit tierischen Knochen, die sich leicht aus der Erde schaben lassen. Sie geben Aufschluss darüber, wie sich die Menschen im Mittelalter ernährten. Ein kleiner Kübel ist zur Hälfte mit Keramiken und anderen Artefakten gefüllt. Münzen, Spielzeug, Murmeln, sogar eine halbe Papstbulle wurden schon auf dem Gelände gefunden. Aber das ist es nicht nur, was sie an der Arbeit reizt. Ihre schönste Ausgrabung erlebte sie auf dem alten Friedhof der Überwasserkirche, als sie half, Skelette zu bergen: "Das war eine richtig schöne Atmosphäre, nicht so laut und sehr friedlich."

Heiligenfigürchen aus Pfeifenton

Massenware war das Heiligenfigürchen aus Pfeifenton vom Ende des 15. Jahrhunderts.

Ein Heller der Stadt Münster

Ein Heller der Stadt Münster, der wohl im 16. Jahrhundert als Zahlungsmittel diente.

Jeden Montag müssen die Helfer erst einmal die Schnaps- und Bierflaschen einsammeln, die am Wochenende auf das Gelände geworfen worden sind. Doch wenn unter der Woche gearbeitet wird, dann finden sich auch immer wieder Zaungäste, die gespannt die Arbeit verfolgen. Ein junger Mann, 18 oder 19 Jahre alt, bleibt mit seinem Rad am Bauzaun stehen. Was denn hier passiere? Und das hier Adelshöfe gestanden hätten und von hier aus die Besiedelung der Stadt vorangetrieben sei, das sei interessant und gut zu wissen, meint er und fährt beschwingt weiter.

bn