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Mehr Bildung, mehr Kinder

Akademikerinnen sorgen verstärkt für Nachwuchs

 Der Storch hat auch bei Akademikerinnen Arbeit

"Wie schätzen Sie die Zukunft Ihrer Kinder ein, wenn Sie sie mit der Situation von Ihnen heute vergleichen?" fragte die Stuttgarter Zeitung Anfang Juni in einer Umfrage, die das Forschungsinstitut Infratest durchführte. Nur knapp zehn Prozent glaubten, dass es ihrem Nachwuchs einmal besser gehen würde. Zwei Drittel waren dagegen davon überzeugt, dass es ihm schlechter gehen würde. Lediglich Haushalte mit monatlichen Einkommen über 3000 Euro gaben zu einem Drittel an, dass die Zukunft ihrer Kinder ähnlich aussieht wie die eigene.

PD Dr. Rainer Hufnagel erstaunt die Umfrage kaum: "Die Kinderzahl geht zurück, weil Menschen um ihre Einkommen fürchten", kommentiert er das Ergebnis. Gleichzeitig kann er  mit dem gängigen Vorurteil aufräumen, dass in Deutschland gut ausgebildete Frauen weniger Kinder bekommen. In den Jahren 1996 bis 2002 habe sich hier sogar eine Wende vollzogen: Während zuvor mehr Kinder in den einkommensschwächeren, weil schlechter ausgebildeten Schichten geboren wurden, sind es nun vor allem gut ausgebildete Frauen, die eine Familie gründen. "Der Einkommenseffekt hat den Preis der Kinder überkompensiert", sagt Hufnagel.

Vor dem Hintergrund verschiedener Erklärungsmodelle zur Bevölkerungsentwicklung wertete Hufnagel Statistiken aus den Jahren 1996 bis 2002 aus. Dafür griff er auf den Mikrozensus zurück, in dem das statistische Bundesamt und die Landesämter jedes Jahr Daten zur wirtschaftlichen und sozialen Lage von mehr als 400.000 Menschen erfassen. Seine Studie zeigt: Bis Mitte der neunziger Jahre bekamen vor allem Frauen mit niedrigem Bildungsabschluss Kinder – in der Studie bezeichnet Hufnagel sie als Frauen mit "geringem Humanvermögen". Dann kehrte sich dies um und für den Nachwuchs sorgten insbesondere Frauen, die über eine gute formale Bildung, ein so genanntes "hohes Humanvermögen", verfügten.

"Kind und Karriere müssen sich nicht mehr ausschließen."

Hufnagels Ergebnissen liegen verschiedene Erklärungsmodelle zugrunde. Der britische Ökonom Thomas Robert Malthus ging davon aus, dass in Zeiten wirtschaftlicher Prosperität mehr Kinder geboren werden als in der Rezession. Mit diesem Modell lassen sich etwa die Geburteneinbrüche nach den beiden Weltkriegen und in den dreißiger Jahren erklären. Unklar bleibt mit Malthus’ Ansatz allerdings, warum die Geburtenraten in den vergangenen Jahrzehnten so stark zurückgegangen sind, obwohl Menschen heute viel wohlhabende sind als zu Beginn des 20. Jahrhundert.

Der Ökonom und Nobelpreisträger Gary Becker erklärte diesen Geburtenrückgang mit den höheren Bildungsabschlüssen und besseren Verdienstmöglichkeiten von Frauen. Kinder seien in der Folge teurer geworden. Nicht nur Kleidung und Nahrung kosteten Geld. Einberechnet werden müssten auch die Opportunitätskosten – das Geld, das Familien in der Zeit fehlt, wenn ein Elternteil nicht arbeiten geht, sondern Kinder betreut. Nachwuchs sei also teurer geworden. Und was teurer sei, werde weniger nachgefragt, so Beckers Schluss. Dessen Modell erkläre etwa, warum seit den sechziger Jahren weniger Kinder geboren werden, so Hufnagel.

Der Haushaltswissenschaftler zog zur Erklärung seiner Ergebnisse eine weitere Theorie heran, aufgestellt vom Sozialwissenschaftler Richard Easterlin. Er geht davon aus, dass Menschen Wohlstand sehr unterschiedlich wahrnehmen. Der empfundene Wohlstand hänge nicht nur von der objektiven materiellen Güterversorgung ab, sondern auch vom Anspruch, den man habe. Mit Easterlins Ansatz ließe sich nachvollziehen, warum die Geburtenrate in Ostdeutschland nach der Wende gesunken sei, sagt Dr. Hufnagel. Der ostdeutsche Facharbeiter etwa verglich sein Einkommen nicht mehr nur mit dem von anderen ostdeutschen Facharbeitern, sondern auch mit denen aus dem Westen, die mehr verdienten.

Dass sich nun der Zusammenhang zwischen den formalen Bildungsabschlüssen von Frauen und dem Nachwuchs verkehrt hat, erklärt Dr. Hufnagel mit dem Ansatz Easterlins. Dieser geht davon aus, dass die Erwartungshaltung der Deutschen gestiegen ist, während die Einkommen gleichzeitig stagnierten. Den Gehaltsausfall während Kindererziehungszeiten wegstecken könnten am ehesten Familien, in den Frauen auch gut verdienten. "Die Wahrscheinlichkeit, dass Akademikerinnen Kinder bekommen, ist gestiegen", sagt Hufnagel. "Es herrscht offensichtlich ein neues Selbstverständnis: Kind und Karriere müssen sich nicht mehr ausschließen." Das Elterngeld dürfte diese Entwicklung verstärken, mutmaßt der Ökonom.

jri