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Die Reifeprüfung

Sportler und Musiker müssen sich schon vor dem Studium bewähren
Muz705 Sport-eignungstest

Der Schweiß fließt, doch die Mühen sind vergebens: Silja Nehez (2. v. l.) besteht zwar den sportlichen Test, scheitert aber am NC.

Foto: Peter Grewer

Es geht um alles oder nichts, das hat Sportdozent Wolfgang Becker durchschaut: "Das ist wie bei der Führerscheinprüfung. Wenn du da ein falsches Kreuz machst, bist Du schließlich auch raus." Der kernige Abiturient, der von Becker wissen wollte, ob er für eine Übung auch zwei Versuche hat, trottet mit hängenden Schultern davon. Becker zwinkert gutmütig und raunt: "Natürlich haben die einen zweiten Versuch. Muss man denen aber nicht unbedingt vorher sagen."
Auf dem Sportfeld am Horstmarer Landweg läuft der erste Angstschweiß. Anspannung liegt auf den Gesichtern der rund 400 Bewerber, die sich der Eignungsprüfung des Instituts für Sportwissenschaft stellen – so viele wie noch nie zuvor. Turnerinnen sollen Basketball spielen, Fußballer elegant am Reck hin- und herschwingen, Schwimmer laufen und Leichtathleten tauchen: In vier Sportarten muss jeder Bewerber die Anforderungen erfüllen, um einen der begehrten 240 Studienplätze für Sport zu ergattern. Fachsimpelnd sitzen zwischen aufgeregten Eltern und Freunden der Prüflinge Studierende des Fachbereichs Sportwissenschaft. Sie haben die alles entscheidende Prüfung längst hinter sich und sind gekommen, um die Bewerber anzufeuern.

Daniel Meinhardt steht am Rand der Turnhalle und beobachtet das Gewusel, Gehüpfe und Gepurzel der Gruppe, in die er eingeteilt wurde. "Ein bisschen nervös bin ich schon", gibt der drahtige 20-Jährige zu und schluckt. Zwar ist er sportlich, spielt Badminton und macht Kung-Fu, aber: "Ich hab’ in der Schule das letzte Mal geturnt." Fehltritte sind nicht erlaubt. Wer in einer Disziplin versagt, ist draußen. Bewerber Dominic Mecke redet sich selbst Mut zu. An Klettergerüsten habe er die vergangenen Wochen Um- und Aufschwünge auf Spielplätzen geübt. Erfolglos: Der Barren wird ihm ein paar Minuten später zum Verhängnis, als er nach zwei unsauberen Absprüngen endgültig ausscheidet. Mitfühlend blicken ihm die Fachschaftsvertreter hinterher, die den Bewerbern auf Turnmatten und am Reck Hilfe gestellt haben.

"Sport und Musik haben ja eine Menge gemeinsam", erklärt Prof. Reinbert Evers, Dekan der Musikhochschule und Professor für Gitarre, im Brustton der Überzeugung. Vielleicht heißt der Vorbereitungskurs für die musikalische Aufnahmeprüfung hier deshalb "Fitness-Check zur Eignungsprüfung". Es ist früh am Morgen, ein Becher Kaffee, den er sich schon früh gekocht hat, dampft auf dem Tisch: "Ohne den geht nix!" Seit zwei Tagen läuft auch hier der Aufnahmetest. Doch statt körperliche Fitness und Teamgeist zu beweisen, müssen die Bewerber singen, geigen, trommeln und Töne erraten. Leicht ist was anderes. "Manchmal klaffen Anspruch und Wirklichkeit schon sehr weit auseinander", sagt Evers. Sogar eingeklagt habe sich ein Bewerber vor einigen Jahren für eine Prüfung. Der hätte keine musikalische Vorbildung gehabt und wollte den Chor aus Nabucco singen. "Das müssen Sie sich mal vorstellen!", poltert er und fügt erklärend hinzu: "Na, allein einen Chor singen – das geht doch gar nicht!" Der Bewerber scheiterte erwartungsgemäß.

In Raum 305 haben Streicher ihren großen Auftritt. Als Jungstudentin bewirbt sich hier die 17-jährige Schülerin Magdalena Wolf. Falls es klappt, kann sie einmal pro Woche bei einem Dozenten der Musikhochschule studieren. Seit zehn Jahren wird sie von Claus Hütterott an der Städtischen Musikschule Paderborn unterrichtet. "Es wird Zeit für einen Wechsel", sagt sie sehr erwachsen und ihre Begleitung, Kirstin Hütterott, die Frau des Cellolehrers, nickt.

Muz705 Musik-eignungstestDie Finger sind vom vielen Üben verhornt, doch für Magdalena Wolf nimmt die Prüfung ein gutes Ende: Sie darf sich nun "Jungstudentin" nennen.

Foto: Juliette Ritz

Aufgeregt wirkt Magdalena nicht. Die Jury sitzt in einer Reihe an zwei Tischen. In der Mitte des Raumes stehen ein Flügel, der Notenständer und ein Klavierhocker – ein eher karger Raum, der nichts gemein hat mit den Konzertsälen, die jeder Absolvent später einmal füllen möchte. Selbstbewusst tritt Magdalena hinein. "Dann fangen Sie mal an", fordert sie Prof. Matias de Oliveira Pinto auf und mustert interessiert Magdalena, die gegenüber mit ihrem Cello Platz genommen hat. Die Begleitung setzt auf dem Klavier an, Magdalena beginnt routiniert zu spielen. Erst hinterher gesteht sie: "Die Eignungsprüfung war sehr wichtig für mich!" Zeit, ihre Stücke wie in einem Konzert aufzubauen, hatte sie in der Viertelstunde Vorspielen nicht.

Sie kam als Dreijährige in die musikalische Früherziehung, mit vier ans Klavier, mit sieben begann sie mit dem Cello, das schnell zum Hauptinstrument wurde. Sie übersprang eine Klasse, bestritt mehrere Jugendmusikwettbewerbe auf Landesebene und gewann im Mai mit einem Ensemble den Bundeswettbewerb von "Jugend musiziert". "Ich bin Celloholic", sagt sie über sich selbst. Ihre gesamte Freizeit verbringt sie mit ihrem Cello. In der Woche  hat sie drei bis vier Stunden geübt und am Wochenende noch mehr. Jetzt stellt sie lapidar fest: "Meine Fingerkuppen sind total verhornt!" Der Lohn: Sie darf sich nach bestandener Prüfung "Jungstudentin" nennen.

"Das hätte es in Köln nicht gegeben – einer kämpft noch und die anderen gehen einfach zur nächsten Prüfung!"

Auch bei den Sportlern kommt die Leidensfähigkeit ans Licht – im Schwimmbad. Barren, Pferd und Reckstangen haben an Oberschenkeln und Armen der Bewerber handtellergroße Spuren hinterlassen. Daniel hat die Turnprüfung bestanden und Sportdress gegen Badehose getauscht. Erbost blickt er auf den Mini-Pool vor sich. "Pah! 16 Meter!" Ein Kneipp-Becken könnte kaum größer sein. 100 Meter in zwei Minuten soll er schwimmen und 25 Meter tauchen. Am Beckenrand entbrennen wilde Diskussionen. Hat das kurze Bassin nun Vor- oder Nachteile? "Sehr bewerberfreundlich", meint Maike Elbracht, die die Prüfung als Dozentin beaufsichtigt. Daniel lüpft eine Augenbraue.

Draußen laufen die letzten Leichtathletikprüfungen von Daniels Gruppe. Die 20-jährige Silja Nehez wartet auf ihren Einsatz beim 2000-Meter-Lauf: "Es wär’ schon traurig, wenn es hier nicht klappt." Donnergrollen ertönt in der Ferne. "Was ist, wenn es anfängt zu blitzen und zu donnern? Sollen wir dann weiterlaufen?" fragt eine Bewerberin aufgeregt. "Am besten einfach den Blitzen ausweichen", blödelt ein Helfer und lacht.

Sogar der Eignungsprüfung an der Deutschen Sporthochschule in Köln hat sich Silja vor ein paar Wochen gestellt – ohne Erfolg. Von der großartigen Atmosphäre dort schwärmt die Pädagogik-Studentin immer noch: "Da!" Sie zeigt zum Weitsprung, wo sich der letzte Bewerber abmüht. Die anderen Jungs haben ihm schon den Rücken gekehrt und bummeln lässig Richtung Schwimmbad Fliednerstraße. "Das wär’ in Köln nicht denkbar gewesen – einer kämpft noch und die anderen gehen einfach zur nächsten Prüfung!"

Im Schwimmbad fließen erste wütende Tränen: Hinterteil, Schädel oder Fuß haben alles vermasselt. Studierende höherer Semester erklären und trösten, doch das hilft nichts: Körperteile über Wasser sind beim Tauchen nicht erlaubt. "1:38!" strahlt Daniel, als er sich nach der Prüfung am Beckenrand hochstemmt. "So gut war ich noch nie!" Er hat es geschafft: Im Oktober beginnt für ihn ein neuer Lebensabschnitt – mit neuen Prüfungen.

jri