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Vorrang der Vernunft

Der Dalai Lama diskutierte über wissenschaftliche Erkenntnis und scherzte

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Dalai Lama forever: Diese Büste von Yrsa von Leistner wird in den Chemischen Instituten aufgestellt.

Foto: Peter Grewer

Tief beeindruckt zeigten sich fast alle, die in jenen zwei Tagen mit dem Dalai Lama zusammentrafen – die Doktoranden der sieben nordrhein-westfälischen "Graduate Schools", die ihn eingeladen hatten, die Vertreter des Fachbereiches Chemie und Pharmazie, die ihm die Ehrendoktorwürde verliehen und die zahlreichen Anhänger und Fans, die ihn beim abschließenden Vortrag in der Halle Münsterland erlebten. "Die Verleihung des Ehrendoktors ist nicht nur eine Ehrung für den Dalai Lama, sondern eine noch größere Ehre für unsere Universität", so Rektorin Prof. Ursula Nelles.

Der 20. und 21. September waren außergewöhnliche Tage an der Universität Münster, schließlich kommt nicht jeden Tag ein Nobelpreisträger vorbei. Und auch für den 72-Jährigen brachte der Besuch eine Premiere: den ersten deutschen Ehrendoktor, den er seiner Sammlung internationaler Ehrungen hinzufügen konnte, und der erste überhaupt in den Naturwissenschaften. Der Kirchenhistoriker Prof. Hubert Wolf begründete die Entscheidung damit, dass der Dalai Lama als bedeutender Religionsführer die Autonomie naturwissenschaftlicher Erkenntnisse in geradezu einmaliger Weise anerkannt habe: "Er steht für Dialog, für Humanität, für Toleranz, für Frieden und Versöhnung – nicht zuletzt, weil er eine tiefe religiöse Überzeugung und spirituell-meditative Versicherung mit naturwissenschaftlichen Einsichten verbindet – und damit die Zerrissenheit einer ganzen Generation zwischen Glauben und Wissen, zwischen Religion und Wissenschaft in seiner Person aufhebt und so zu einem Hoffnungszeichen in einer Welt wird, die diese Einsicht in allen Bereichen dringend braucht." In seiner Laudatio hob der Biochemiker Prof. Hans-Jürgen Galla das große Engagement des buddhistischen Führers für die Natur- und Lebenswissenschaften hervor. So organisiert der Dalai Lama am Sitz seiner Exil-Regierung im indischen Dharamsala nicht nur alle zwei Jahre wissenschaftliche Konferenzen, sondern hat auch in die Ausbildung an buddhistischen Klöstern naturwissenschaftliche Inhalte eingebracht. So wie der Dalai Lama religiöse Inhalte auf den Prüfstand stelle, wenn sie durch wissenschaftliche Erkenntnisse widerlegt werden, so kritisch sollten auch die jungen Doktoranden der "Graduate Schools", wissenschaftliche Erkenntnisse betrachten und hinterfragen.

In seiner Dankesrede erinnerte der Dalai Lama sich, dass sein wissenschaftliches Interesse schon früh geweckt worden sei, als er versucht habe herauszufinden, wie seine Spielzeugeisenbahn funktionierte. Das habe ihn mehr interessiert als das Studium theologischer Texte. Aber er schlug auch ernste Töne an, indem er die Lage in seinem Heimatland Tibet ansprach und Respekt für die tibetische Kultur und Autonomie von der chinesischen Regierung einforderte. Er habe stets die Hand nach China ausgestreckt, doch die sei nicht genommen worden. Europa aber gebe ihm Rückhalt beim Versuch, die Lage seines Landes zu verbessern.

Verantwortung für die Gesellschaft, aber auch verantwortlicher Umgang mit wissenschaftlicher Erkenntnis waren die Hauptthemen der 30 jungen Wissenschaftler, die am folgenden Tag live mit dem geistlichen und weltlichen Oberhaupt der Tibeter diskutieren durften. Sie kamen aus den sieben nordrhein-westfälischen "Graduate Schools", die den Dalai Lama unter Federführung der münsterschen "Graduate School of Chemistry" eingeladen hatten. "Wir müssen erst die lokalen Ökonomien stärken", sagte der 72-Jährige über den Prozess der Globalisierung und forderte: "Die Unterschiede zwischen Arm und Reich sind nicht durch Kharma festgelegt. Wir müssen etwas dagegen tun." Deshalb sollten beispielsweise die Erkenntnisse der Wissenschaft an die armen Länder weiter gegeben werden, damit diese ihre eigenen Industrien aufbauen könnten. "Armut führt zu Frustration und Neid und die zu Gewalt. Demokratisierung und wissenschaftliches Knowhow können dagegen helfen. Diese Länder brauchen kein Geld, sondern fundierte Ausbildung."

Getreu dem Prinzip, der Vernunft zu folgen, lehnte der Dalai Lama die Forschung an embryonalen Stammzellen nicht grundsätzlich ab, betonte aber zugleich die Unverletzlichkeit allen, nicht nur des menschlichen Lebens. "Wenn es wirklich keinen anderen Weg gibt und der Nutzen für die Menschheit groß ist, dann sollte auch die Forschung an Embryonen erlaubt sein", so der Dalai Lama. Hier wie auch in der Frage von Tierversuchen dürfe nicht pauschal geurteilt werden: "Wir müssen immer von Fall zu Fall entscheiden." Wenn aber Tiere schon für die Wissenschaft sterben müssten, dann sei es wichtig, sie schnell zu töten und nicht leiden zu lassen.  

"Wir können nicht alles verstehen, aber es ist auch nicht notwendig, alles zu verstehen."

Auch wenn die Themen ernst waren, der Dalai Lama verlor nie seinen Humor und scherzte mit den Doktoranden. "Es ist unmöglich, alles zu verstehen, aber es ist auch nicht notwendig, alles zu verstehen", skizzierte der Dalai Lama die Grenzen der Wissenschaft. Aber er ermunterte die jungen Wissenschaftler auch: "Wir leben am Anfang des digitalen Jahrhunderts und das gehört Ihnen und nicht mir. Ich bin bereit, bye-bye zu sagen. Von Ihnen erhoffe ich mir neue Ideen."

Geboren wurde Tenzin Gyatso, so sein Mönchsname, 1935 im Nordosten Tibets als Sohn eines Bauern. Im Alter von zwei Jahren wurde er als Reinkarnation des 13. Dalai Lama erkannt und in Lhasa aufgezogen. 1950 übernahm der Dalai Lama im Alter von 15 Jahren die Regierungsverantwortung, nachdem chinesische Truppen in Tibet einmarschiert waren. Bald begannen die Besatzer aus dem Nachbarland, Klöster zu zerstören und Mönche einzusperren. Anfangs versuchte der Dalai Lama in dem Konflikt mit China zu vermitteln. Als 1959 ein Aufstand ausbrach, floh der Dalai Lama nach Indien, wo er seitdem in Dharamsala eine Exilregierung führt.  Rund 450 Millionen Menschen weltweit bekennen sich zu einer der zahlreichen buddhistischen Schulen, in Deutschland sind es etwa 250.000, die Hälfte davon Asiaten.

bn