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Kommentar

Als die Universität Münster im vergangenen Jahr eine Vorlesung zum Thema "Jugend im Nationalsozialismus" mit Prof. Hans-Ulrich Thamer bei der Kinder-Uni ankündigte, hagelte es Proteste. Das könne man den Kindern nicht zumuten, beschwerten sich empörte Eltern und überhaupt interessiere das ja wohl niemanden mehr. Die Kinder interessierte es sehr wohl, mucksmäuschenstill saßen sie im Hörsaal und ließen sich erzählen, wie ihre Großeltern unter Hitler gelebt hatten.

Jetzt ist Karl Wilhelm Jötten ins Visier der Medien geraten, ein Mediziner, der sich mit Rassehygiene beschäftigte und Zwangssterilisationen befürwortete. Laut werden Reue und Bekenntnis zur Schuld und Verantwortung eingefordert. Die hat der Senat der WWU bereits 2000 abgegeben, spät, aber hoffentlich nicht zu spät.

Die Mischung aus "Verführung und Gewalt", so der Titel eines Buches von Thamer, beeindruckt nicht nur die Kinder. Überraschend für viele ist die schlichte Wahrheit, dass es natürlich auch an der WWU nicht nur Opfer, sondern auch Täter gegeben hat. Überraschend, weil viele glauben, im Wissenschaftsbetrieb gefeit gegen ideologische Verlockungen zu sein. Doch auch Wissenschaftler haben Ängste, möchten ihre Karriere voranbringen, sehen eine Chance, Konkurrenten auszubooten. Forscher der Universität Münster haben in der NS-Zeit Menschen unter Zwang sterilisiert, beantragten Fördergelder für rassehygienische Forschungen, haben nicht protestiert, als jüdische Kollegen entlassen wurden.

Eine Universität, die stolz ist auf ihre über 200-jährige Geschichte, darf auch jene zwölf Jahre nicht ausklammern, die wahrlich kein Grund sind, stolz zu sein. So wie die Kinder der Kinder-Uni, die wissen wollten, was ihre Großeltern an Hitler fasziniert hat, so sollten auch die Wissenschaftler wissen, warum die Doktorväter ihrer Doktorväter und -mütter für Hitler forschten und dabei alle wissenschaftliche Reputation und Moral über Bord warfen.

Drei Fragen gilt es jetzt grundlegend zu beantworten: Was ist in den Jahren zwischen 1933 und 1945 passiert, wie haben sich einzelne Wissenschaftler verhalten? Wie ist die Uni nach 1945 damit umgegangen? Und wie steht sie 60 Jahre danach zu ihrer Geschichte?

Die Expertenkommissionen von Medizinischer Fakultät und Rektorat haben keine leichte Aufgabe – aber die ist dafür umso wichtiger.