Literarische Träume machen das Treppenhaus zur Bühne

Gruppe "Klangwelten" produziert in Eigenregie Vortragsabende

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Die Chemie stimmt in der Gruppe "Klangwelten", die im Treppenhaus des Romanischen Seminars literarische Abende inszeniert.

Foto: ps

 

Das weiße liebevoll verschnörkelte Geländer des denkmalgeschützten Treppenhauses fällt sofort ins Auge der Besucher des Romanischen Seminars am Bispinghof 3a, die hier tagtäglich treppauf, treppab ihrer Wege gehen. Doch jeweils zum Ende des Semesters spricht das Treppenhaus mehr noch die Ohren seiner Besucher an.

"Hallo? Ist da jemand?", schallt es durch das Gebälk. Dazu schwebt Beethovens "Mondscheinsonate" durch die Luft. Nein, hier hat keiner einen MP-3-Player mit Verstärker aufgestellt, sondern das ganze passiert live und mit viel Herz und Gefühl. Denn die Gruppe "Klangwelten" macht das Treppenhaus zur Bühne, trägt Texte und Musik vor: von Eichendorffs "Mondnacht" über Shakespeares "Midsummernight dream" bis zu "Eponie" aus "Les Miserables".

Der ehemalige Geheimtipp hat sich mittlerweile zum Event gemausert. Bei der Aufführung im Februar kamen rund 120 begeisterte Zuhörer  – trotz zeitgleichem Fußballspiel im Fernsehen. Das hätte sich Ralf Nauen vor drei Semestern selbst in seinen kühnsten Träumen nicht ausmalen können. Der Romanistikstudent hatte "Klangwelten" im Wintersemester 2005/06 ins Leben gerufen: "Wir saßen mal wieder zusammen in einer Vorlesung und dachten, was wäre das schön, Gedichte nicht nur einfach so zu analysieren, sondern richtig zum Klingen zu bringen." Gesagt, getan. Aber nicht einfach so auf der Bühne, sondern im Treppenhaus des Romanischen Seminars am Bispinghof 3a.

Ingeborg Harmes, Dozentin für niederländische Philologie, erinnert sich: "In diesem bislang unterschätzten Ort der Begegnung schallt es so herrlich schön. Da muss ich nicht so laut sprechen." Dabei lassen sich die Freizeitkünstler vom Klang der verschiedenen Sprachen leiten und präsentieren die Texte und Lieder immer in der Originalsprache.

Das "Klangwelten"-Ensemble besteht mittlerweile aus 25 Mitgliedern, je zur Hälfte Studierende und Lehrende der WWU. "Dabei gibt es keine Hierarchien, da sich alle duzen", erläutert Prof. Hermann J. Real. Der 69-jährige emeritierte Anglistikprofessor empfindet die Arbeit mit dem homogenen Ensemble als "wahren Jungbrunnen für Körper, Geist und Seele." Die Chemie stimmt, gerade auch, weil es kein Casting oder sonstige Hürden gibt und alle einfach mit viel Spaß dabei sind. Auch wenn es am Anfang immer ein Riesenwust an Texten ist, die zur Auswahl stehen, gelingt die Programmgestaltung bemerkenswert locker. "Wir trainieren uns alle gegenseitig – jeder ist ein wichtiger Baustein", erklärt Ralf das Geheimnis des Erfolgs, "auch wenn manchmal die Köpfe qualmen."

Bislang wurden die ausgewählten Texte in Niederländisch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Deutsch, Portugiesisch und Russisch vorgetragen. Neben großen Namen tauchen auch Eigenproduktionen auf, etwa von Sprach- und Kommunikationswissenschafts-Studentin Julia Romazanova. Dabei geht es den Ensemblemitgliedern so wie dem Publikum. Nicht alle Sprachen werden von jedem verstanden. "Das ist auch nicht schlimm", erklärt die portugiesische Lektorin Elisabeth Goncalves von Strasser, "denn viele Texte wirken nur durch die Rhythmik der Worte." So entstehen im besten Falle Filme im Kopf, die es keine Übersetzung brauchen.

Spanisch-Studentin Sonja Mettjes gelingt dies nicht nur als Zuhörerin: "Wann kann man das schon mal machen: Einfach so schön in der Gegend herumbrüllen – etwa als Don Quichotte?" Ob laut oder leise, die "Klangwelten" kommen an. Die Aufführungen sind oft so gut besucht, dass sich etwa Florence Beton-Kefenbaum, Mitarbeiterin des Sprachenzentrums Münster, um die Stabilität des Treppenhauses sorgt. Doch auch nach 102 Jahren beweist dieses solide Robustheit oder freut sich einfach nur ob der musischen Ergüsse. Dabei gibt es immer ein Zentralthema. Nach "Liebe", "Reisen" und "Träumen" steht im Juni das Leitmotiv "Meer“ auf dem Programm. Übrigens: Wer sich an den literarischen Träumen der Gruppe "Klangwelten" beteiligen möchte: Neue Mitglieder sind stets gerne willkommen.

ps

Kontakt: an der Aufsicht des Romanisches Seminars, Bispinghof 3a (nach Ralf Nauen fragen)