Biergenuss und Cholera

Vor einhundert Jahren erschien die erste münstersche Universitätszeitung von 1907 bis 1914

Am 26. Oktober 1907 erschien erstmals die "Münstersche Universitäts-Zeitung, Organ für die Westfälische Wilhelms-Universität". Sie war eine der ersten Zeitungen, die von einer Universität für ihre Angehörigen herausgegeben wurde. Lediglich die Universitäten Heidelberg und Leipzig hatten schon früher ein vergleichbares Angebot. Andere Universitäten zogen erst nach dem Ersten Weltkrieg nach, zu einem Zeitpunkt, als es die Münstersche Universitäts-Zeitung bereits nicht mehr gab.

Die während der Vorlesungszeit wöchentlich erscheinenden Ausgaben wurden den Studierenden kostenlos zugestellt. Sie enthielten zunächst einmal Bekanntmachungen der Universität wie Einschreibefristen, Preisaufgaben, Nachrichten aus den Museen und der Bibliothek, Neuigkeiten von anderen Hochschulen, aber auch Listen der neuimmatrikulierten und der frisch promovierten Studierenden. Im so genannten "Sprechsaal" bot sich den Lesern die Möglichkeit, zu einzelnen Themen Stellung zu nehmen oder Äußerungen anderer zu kommentieren, eine Rubrik, die man heute mit "Leserbriefe" titulieren würde. Die Literarische Gesellschaft veröffentlichte ihre Vortragsfolge, das Stadttheater sein Programm. Dabei richtete sich die Münstersche Universitäts-Zeitung nicht ausschließlich an Professoren und Studierende, denn sie war in erster Linie dazu bestimmt, eine intimere Verbindung zwischen den Angehörigen der Hochschule und der Bürgerschaft herbeizuführen, wie es ein an die Vermieter möblierter Herrenwohnungen gerichteter Brief ausführte, der in der Ausgabe vom 2. Mai 1908 abgedruckt wurde.

Einen recht großen Umfang hatte der Anzeigenteil, in dem die Inserenten von Bekleidung über Büromaterial bis hin zu Tanzunterricht, Blumen, Zigarren, Büchern, Möbeln und Unterricht gegen Stottern alles anboten, was das studentische Herz begehrte. Das Zahnatelier J. Klugmann in der Ludgeristraße widmete sich insbesondere nervösen Zahnleidenden, die auf eine fast schmerzlose, schonende und billige Behandlung hoffen durften. Auch wenn seit dem Wintersemester 1908/09 Frauen offiziell als Studierende zugelassen waren, gingen die Anzeigen doch zumeist gezielt auf eher männliche Bedürfnisse ein.

Das Frauenstudium war ein Thema, das in der Münsterschen Universitäts-Zeitung großen Raum einnahm. Die Rede des Rektors Prof. Erman an die Erstimmatrikulierten vom 20. Oktober 1908 wurde denn auch abgedruckt, beginnend mit den Worten "Geehrte Kommilitonen beiderlei Geschlechts!“ Kernpunkt der Ansprache war die Frage: "Wie aber denken Sie, geehrte männliche Kommilitonen, über den heutigen Wendepunkt?", ein Problem, das in späteren Ausgaben im "Sprechsaal" ausführlich diskutiert wurde. Ein Befürworter konnte die Befürchtung eines besorgten Kommilitonen, dass die intelligenten Frauen nun studieren und nur die weniger intelligenten zum Heiraten übrig blieben, damit entkräften, dass insgesamt weniger als 0,0009 Prozent der Frauen überhaupt ein Studium aufnahmen und wohl kaum die restlichen 28,5 Millionen Frauen in Deutschland allesamt dumm seien. Auftreten, Kleidung und Betragen der ersten Studentinnen wurde breit kommentiert, das teilweise rüpelhafte Verhalten der Studenten ihnen gegenüber allerdings auch. Die betroffenen Frauen meldeten sich mit einer Ausnahme nicht zu Wort, vielleicht um die gewonnene Freiheit nicht zu gefährden. Die Zuschriften ebbten nach einiger Zeit langsam ab und hörten Ende 1912 ganz auf. Man(n) hatte sich offensichtlich ein wenig an studierende Frauen gewöhnt.

Eine Thematik, der sich die Zeitung immer wieder annahm, war die Gesundheit der Studierenden. Im Oktober 1910 erschien ein Artikel unter dem Titel "Bier und Cholera", der folgende, bemerkenswerte Ausführungen machte: "Die Erfahrungen aus der Hamburger Cholera-Epidemie im Jahre 1892 zeigen, daß der Biergenuß gegen Cholera immunisiert. Bei 18 Brauereien in Hamburg mit Wandsbek und Altona mit 1837 kamen bis zum 25. September 1892 nur 2 Cholerafälle vor, während in anderen Berufen Hunderte dahingerafft wurden ..." Diese Äußerungen mussten jedoch zwei Wochen später zurückgenommen werden, beziehungsweise bedurften dringend einer Erläuterung, wie ein neuerlicher Artikel darlegte. Nachdem zunächst ein Brief des Hamburger Medizinalamtes abgedruckt wurde, zog der  Autor folgenden Schluss: "Man ist also in Fachkreisen sich völlig darüber im klaren, daß nicht in dem Gebrauch des Bieres, sondern in der Meidung des infizierten Wassers ein Schutzmittel gegen die Cholera zu erblicken ist. Im übrigen mag noch darauf hingewiesen werden, daß nur ein geringer Teil der Hamburgischen Brauereien sich in dem eigentlichen Choleragebiet befanden." Sicherlich gab es mehr als einen Studenten, der diese Klarstellung mit Bedauern zur Kenntnis nahm.

Am 25. Juli 1914 erschien die Münstersche Universitäts-Zeitung zum letzten Mal. Ein Hinweis zu den Gründen wurde nicht gegeben. Allein in dieser letzten Ausgabe für das Sommersemester 1914 fehlte wie sonst üblich der Hinweis auf den ersten Erscheinungstermin für das folgende Wintersemester. Ob ein Zusammenhang zu den ersten Kriegshandlungen des Ersten Weltkrieges, die wenige Tage später erfolgten, bestand, erscheint eher unwahrscheinlich.

Sabine Happ,
Universitätsarchivarin

Siehe auch Artikel Jede Menge Fehler