|
muz

"Wissenschaftliches Gutachten" oder Betrug?

Das akademische Ghostwriting boomt

 Ghostwriting 

Alles schläft, einer schreibt ... Wer seine Arbeit von anderen schreiben lässt, muss mit harten akademischen Konsequenzen rechnen.

Foto: Angelika Klauser

 
"Hilfestellungen zum Anfertigen von Hausarbeiten, Diplom- und Magisterarbeiten sowie Dissertationen" bietet die Firma aus Sachsen-Anhalt freundlich auf ihrer Homepage an. Sie richte sich dabei nach den "spezifischen Wünschen" der Kunden und arbeite selbstverständlich nur "in einem zulässigen Rahmen". Klingt verlockend, vielleicht sind sie bei Interviewfragen zum Thema Ghostwriting ähnlich auskunftsfreudig.

Der Anruf bei der Firma ist allerdings ernüchternd. Was denn genau bei dem Artikel herauskommen solle, will der Mitarbeiter – der namentlich nicht genannt werden möchte – zunächst einmal gereizt wissen. Auskünfte zur Anzahl der bei ihnen beschäftigten Ghostwriter gebe er nicht. Und was der Kunde (sprich: der Student) mit einer von ihnen verfassten Arbeit letztendlich macht, wisse er nicht. Schließlich könne man das nicht überprüfen. Nächster Versuch: eine konkrete Beschreibung der so genannten Hilfestellungen. Immerhin verrät der Mitarbeiter, dass es sich dabei um "komplette wissenschaftliche Texte zu einem bestimmten Thema" handelt. Damit ist seine Geduld aber auch zu Ende. Alle anderen Informationen möge man bitte auf der Homepage nachlesen; er würde sich von Journalistenfragen nirgendwo hinführen lassen.

Rund 16.100 Seiten hält die Suchmaschine Google zum Anklicken bereit, wenn man die Wörter "Akademisches Ghostwriting" eintippt. Unzählige Anbieter versprechen eine fix und fertige Arbeit; je nach Aufwand für etwa 30 Euro pro Seite. Wer die Arbeit in weniger als einer Woche benötigt, zahlt drauf. Ein lukratives Geschäft: Spezialisten aller Fachgebiete werden eigens zum Verfassen von Seminar- und Abschlussarbeiten eingestellt. Die Arbeitsweise – so betonen fast alle Anbieter auf ihren Internetseiten – sei rechtlich zulässig. "Unsere Dienstleistungen basieren auf juristisch abgeklärtem Boden", steht zum Beispiel auf der Homepage der "Denkfabrik Gantert & Partner" aus Berlin. Der Auftraggeber dürfe die schriftlichen Ausarbeitungen also nicht textgleich verwenden, wenn er diese später mit einer eidesstattlichen Versicherung versehen müsse. Auf Nachfragen erweist sich Otto Gantert als wesentlich kommunikativer als der erste Gesprächspartner. "Wir sagen ausdrücklich nicht, dass wir eine Haus- oder Diplomarbeit schreiben", erklärt er. Vielmehr erstelle sein Unternehmen ein "wissenschaftliches Gutachten zum Thema X". Dieses Gutachten sei "komplett" und theoretisch "vorlagefähig". "Wir weisen die Kunden aber darauf hin, dass sie es so nicht vorlegen dürfen," betont Gantert. "Aber natürlich können wir das nicht kontrollieren." Mit Abschluss des Auftrags geht das Copyright auf den Kunden über; bei der "Denkfabrik" werden alle Dateien nach etwa einer Woche gelöscht. Die oberste Regel in dieser Branche lautet Diskretion und verräterische Spuren werden immer beseitigt.

Die etwa 50 Mitarbeiter von "Gantert & Partner" decken alle Fachbereiche ab. Gantert hat bisher nicht die Erfahrung gemacht, dass bestimmte Fachbereiche besonders gefragt sind. "Außer Chemie und Physik steht im Moment alles hoch im Kurs", meint er. An den großen Fakultäten der Universität Münster scheint Ghostwriting trotzdem noch kein gravierendes Problem zu sein. Das Prüfungsamt der Philosophischen Fakultät erklärt, dass so etwas "noch nicht aufgetreten" sei.

Und Hans-Joachim von Olberg, Studiendekan des Fachbereichs Erziehungswissenschaft und Sozialwissenschaften, bestätigt ebenfalls, dass im Institut "noch keine Person aktenkundig" sei, die eine gefälschte Arbeit eingereicht habe. "Aber natürlich findet man die Leute auch nicht; man kriegt sie nicht zu packen." Sein Eindruck ist aber, dass Ghostwriting vor allem in zwei Fächern verbreitet ist: BWL und Jura: "Die Arbeiten sind dort typisiert."

Nachfragen bei Prof. Wolfgang Berens, Dekan der Wirtschaftswissenschaften, ergeben allerdings, dass auch dort "solche Fälle nicht bekannt" sind. Wie hoch die Dunkelziffer tatsächlich ist, weiß wohl keiner so genau. Fest steht lediglich, dass die Branche boomt – und die diversen Anbieter im Internet keine Probleme haben, zahlungswillige Studenten zu finden.

Julia Schay