Leben im Zeitfenster
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Engagierter Läufer: Prof. Hartmut Schmidt lief seinen dritten Marathon. |
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Erfahrener Läufer: Andreas Weiß ging auch schon über die volle Distanz. |
Die Gründe für die mangelnde Spendebereitschaft sind vielfältig. Zur häufigen Unwissenheit vieler Angehörigen, ob der Verstorbene überhaupt zu einer Spende bereit war, gesellen sich unbegründete Missbrauchsängste und die Furcht vor einer voreiligen Organentnahme. Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) kümmert sich als übergeordnete Organisation um die Koordinierung der Organspende und ist für die Organentnahme in den Kliniken zuständig. Allerdings können es sich viele Krankenhäuser aufgrund des Personalmangels häufig nicht leisten, sich um Organspende zu kümmern. Laut Schmidt müsse im Idealfall jedes Krankenhaus einen eigenen Organspendebetreudienst haben, der fachlich geschult ist, einen Bezug zu den Angehörigen auf der Station hat und den Schicksalsverlauf des Patienten selber kennt. "Daher appelliere ich als Transplantationsbeauftragter des UKM an die Motivation zu spenden, aber auch die Verfahrensabläufe innerhalb der Krankenhäuser zu verbessern." Unsere europäischen Nachbarn wie Frankreich oder Spanien machen es vor. In Spanien erhalten Patienten in der Regel nach wenigen Monaten ein neues Organ, während Leberpatienten in Deutschland bis zu fünf Jahre, Dialysepatienten im Schnitt sogar bis zu sieben Jahre warten müssen.
Um die Situation in Deutschland zu verbessern, geht Schmidt gemeinsam mit Selbsthilfegruppen immer wieder an die Öffentlichkeit, um dort Aufklärung zu leisten und die Bevölkerung für das Thema zu sensibilisieren. "Wir wollen dabei nicht überzeugen, sondern lediglich informieren, mehr Transparenz und ein Bewusstsein schaffen. Organspende und Transplantation darf kein Tabuthema mehr sein", fordert der Transplantationskoordinator.
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Euphorische Läuferin: Simone Bauer war die schnellste von „TransDia“. |
"Ich komme eigentlich vom Hochsprung und laufe zum ersten Mal so eine lange Strecke", hatte sich Eckerth im Vorfeld des Marathons ein wenig besorgt gezeigt. Vor seiner Nierentransplantation im Jahr 1994 wäre solch eine Leistung für den heute 31-Jährigen völlig undenkbar gewesen. "Nur durch eine Organspende konnte ich überhaupt wieder Sport treiben", erzählt er. Die körperliche Aktivität macht Spaß, erzeugt Wohlbefinden und stellt für viele mittlerweile einen wichtigen Lebensinhalt dar. "Durch die sportliche Leistung steigt das Selbstwertgefühl, das beispielsweise aufgrund des krankheitsbedingten Ausscheidens aus dem Beruf gelitten hat", erklärt Wolfgang Ludwig. "Außerdem erfahren die Transplantierten durch die sportliche Betätigung im Verein wieder eine gewisse soziale Reintegration."
Seit 1980 richtet "TransDia" daher jedes Jahr am Himmelfahrtswochenende die Deutschen Meisterschaften der Organtransplantierten aus. "Das ist schon ein besonderes Erlebnis, weil dort nur Leute sind, die in einem gewissen Zeitfenster leben, in dem es ihnen gut geht, von dem sie aber nicht wissen, wie groß es ist", erinnert sich Ludwig, der seit 1997 bei allen Großveranstaltungen dabei war. Das sei auch der Grund, warum man als Transplantierter möglicherweise intensiver lebe. "Letztes Jahr war ich bei den Weltspielen in Kanada und bin dann noch mit meiner Frau und den beiden Kindern vier Wochen mit dem Wohnmobil durch die Wildnis gefahren", erzählt Ludwig. "Das sind so Dinge, die ich vielleicht nicht gemacht hätte, wenn ich gesund gewesen wäre. Aber das nimmt mir keiner mehr weg. Das habe ich erlebt."
An die Zeit vor seiner Transplantation vor 15 Jahren denkt der 46-Jährige nur ungern zurück: "Während der Dialyse ging es mir zeitweise ziemlich dreckig. Da denkt man nur noch vorwärts." Selbst eine kleine Reise sei zu dieser Zeit immer mit viel Aufwand verbunden gewesen, weil man sich am Zielort im Vorfeld immer eine Dialyse suchen musste, was den Aktionsradius erheblich eingeschränkt habe. Hinzu kamen allerlei Einschränkungen bei der Ernährung oder anderen Dingen des alltäglichen Lebens. "Daher erlangt man durch die Transplantation eine große Freiheit wieder. Das ist schon wie eine zweite Geburt", sagt Ludwig heute.
Ähnlich erging es auch Helmut Schrodt. "Ohne die Transplantation säße ich heute sicher nicht mehr hier", meint der 41-jährige Kölner, der 1993 eine neue Niere transplantiert bekam. Er habe die Dialyse nicht gut vertragen und sei froh, dass er "nur" fünf Jahre an der Maschine gehangen habe. "Ich glaube nicht, dass ich das weitere fünf Jahre durchgehalten hätte", so der begeisterte Mittelstreckenläufer. Generell gebe das Leben im Verein den Betroffenen wieder einen Antrieb: "TransDia" motiviert die Leute über den Sport, wieder am normalen Leben teilzunehmen und sich leistungsfähiger zu fühlen. Wir sind wie eine große Familie, weil jeder weiß und nachvollziehen kann, wovon der andere spricht.“
Darin sieht auch Ludwig die Besonderheit des Vereins: "Unsere Mitglieder sind zwischen 15 und 72 Jahre alt und kommen aus den unterschiedlichsten Berufen. Doch wenn sie zusammen sind, existiert kaum ein Unterschied, weil sie alle die gleichen Probleme haben. Wenn sie sich treffen, reden sie aber nicht nur über Krankheiten. Ganz im Gegenteil. Es ist eine große Heiterkeit, viel Spaß, viel Freude." Und natürlich haben alle "TransDia"-Mitglieder denselben Wunsch: weiterhin möglichst lange gesund bleiben, um nicht erneut kostbare Lebenszeit für die Krankheit reservieren zu müssen.
Björn Greif


