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Leben im Zeitfenster

Verein "TransDia" ermuntert Transplantierte und Dialysepatienten zum Sport

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Engagierter Läufer: Prof. Hartmut Schmidt lief seinen dritten Marathon.

 
"Wer heute keine Zeit für Ausgleich und Bewegung findet, wird morgen Zeit für Krankheit reservieren müssen", lautet ein Ausspruch des US-amerikanischen Sportmediziners Kenneth Cooper, den sich der Verein "TransDia" auf seine Fahnen geschrieben hat. Zeit für Krankheit haben die rund 300 Mitglieder von "TransDia" reichlich reservieren müssen. Denn der 1980 gegründete, deutschlandweit agierende Verein widmet sich hauptsächlich Organtransplantierten und Dialysepatienten. "Eins unserer wesentlichen Ziele ist es, Transplantierte wieder an Sport und Bewegung heranzuführen", erklärt der Vereinsvorsitzende Wolfgang Ludwig. Denn sportliche Aktivität trage nicht nur zur Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit, des allgemeinen Wohlbefindens und der Lebensqualität bei, sondern fange auch viele Nebenwirkungen der Immunsuppressiva, die Transplantierte täglich einnehmen müssen, auf. "Zudem wollen wir zeigen, wie munter, fröhlich und leistungsfähig die Leute nach einer Organtransplantation sind", sagt der 46-jährige Elektroingenieur, der im Physikalischen Institut arbeitet und 1991 nach einer chronischen Nierenentzündung selbst transplantiert wurde. "Auf diese Weise wollen wir die Öffentlichkeit für die Situation der Organspende sensibilisieren und dazu beitragen, die Zahl der Organtransplantationen zu erhöhen."

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Erfahrener Läufer: Andreas Weiß ging auch schon über die volle Distanz.

 
Das scheint auch bitter nötig zu sein, denn die derzeitige Organspendebereitschaft in Deutschland ist durchaus noch verbesserungswürdig. Zurzeit sterben in der Bundesrepublik jeden Tag drei Menschen, weil sie kein geeignetes Spenderorgan bekommen. "Das Hauptproblem ist der steigende Bedarf an Organen bei kaum steigender Zahl der Spender", weiß der Transplantationskoordinator des Universitätsklinikums, Prof. Hartmut Schmidt. "Die Patienten müssen immer länger auf ein Organ warten. Viele sterben auf der Warteliste."

Die Gründe für die mangelnde Spendebereitschaft sind vielfältig. Zur häufigen Unwissenheit vieler Angehörigen, ob der Verstorbene überhaupt zu einer Spende bereit war, gesellen sich unbegründete Missbrauchsängste und die Furcht vor einer voreiligen Organentnahme. Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) kümmert sich als übergeordnete Organisation um die Koordinierung der Organspende und ist für die Organentnahme in den Kliniken zuständig. Allerdings können es sich viele Krankenhäuser aufgrund des Personalmangels häufig nicht leisten, sich um Organspende zu kümmern. Laut Schmidt müsse im Idealfall jedes Krankenhaus einen eigenen Organspendebetreudienst haben, der fachlich geschult ist, einen Bezug zu den Angehörigen auf der Station hat und den Schicksalsverlauf des Patienten selber kennt. "Daher appelliere ich als Transplantationsbeauftragter des UKM an die Motivation zu spenden, aber auch die Verfahrensabläufe innerhalb der Krankenhäuser zu verbessern." Unsere europäischen Nachbarn wie Frankreich oder Spanien machen es vor. In Spanien erhalten Patienten in der Regel nach wenigen Monaten ein neues Organ, während Leberpatienten in Deutschland bis zu fünf Jahre, Dialysepatienten im Schnitt sogar bis zu sieben Jahre warten müssen.

Um die Situation in Deutschland zu verbessern, geht Schmidt gemeinsam mit Selbsthilfegruppen immer wieder an die Öffentlichkeit, um dort Aufklärung zu leisten und die Bevölkerung für das Thema zu sensibilisieren. "Wir wollen dabei nicht überzeugen, sondern lediglich informieren, mehr Transparenz und ein Bewusstsein schaffen. Organspende und Transplantation darf kein Tabuthema mehr sein", fordert der Transplantationskoordinator.

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Euphorische Läuferin: Simone Bauer war die schnellste von „TransDia“.

 
So traten beim Staffellauf des fünften Münster-Marathon Mitte September Organtransplantierte des Vereins "TransDia" gegen ein Team von Ärzten, Pflegenden und Wissenschaftlern des Transplantationszentrums des UKM an, um Positiv-PR für das Thema Organspende und Organtransplantation zu machen. Mit Erfolg. Alle Staffelläufer bewältigten ihren Teilabschnitt der insgesamt 42,195 Kilometer langen Strecke. Als erste überquerte die 18-jährige Simone Bauer für die Staffel "TransDia III" mit Nehar Nurlu, Andreas und Sonja Weß unter dem tosenden Applaus der vielen Zuschauer auf dem fahnengeschmückten Prinzipalmarkt nach 3:46:34 Stunden die Ziellinie – immerhin Platz 41 bei 437 gestarteten Staffeln. "TransDia II" belegte mit Vera Raidt, Franz Brecklinghaus, Andreas Eckerth und Fabian Kreutzer den 170. Rang. Knapp 37 Minuten später kam auch "TransDia I" mit Helmut Schrodt, Claudia Korff, Peik und Kathrin Bremer ins Ziel.

"Ich komme eigentlich vom Hochsprung und laufe zum ersten Mal so eine lange Strecke", hatte sich Eckerth im Vorfeld des Marathons ein wenig besorgt gezeigt. Vor seiner Nierentransplantation im Jahr 1994 wäre solch eine Leistung für den heute 31-Jährigen völlig undenkbar gewesen. "Nur durch eine Organspende konnte ich überhaupt wieder Sport treiben", erzählt er. Die körperliche Aktivität macht Spaß, erzeugt Wohlbefinden und stellt für viele mittlerweile einen wichtigen Lebensinhalt dar. "Durch die sportliche Leistung steigt das Selbstwertgefühl, das beispielsweise aufgrund des krankheitsbedingten Ausscheidens aus dem Beruf gelitten hat", erklärt Wolfgang Ludwig. "Außerdem erfahren die Transplantierten durch die sportliche Betätigung im Verein wieder eine gewisse soziale Reintegration."

Seit 1980 richtet "TransDia" daher jedes Jahr am Himmelfahrtswochenende die Deutschen Meisterschaften der Organtransplantierten aus. "Das ist schon ein besonderes Erlebnis, weil dort nur Leute sind, die in einem gewissen Zeitfenster leben, in dem es ihnen gut geht, von dem sie aber nicht wissen, wie groß es ist", erinnert sich Ludwig, der seit 1997 bei allen Großveranstaltungen dabei war. Das sei auch der Grund, warum man als Transplantierter möglicherweise intensiver lebe. "Letztes Jahr war ich bei den Weltspielen in Kanada und bin dann noch mit meiner Frau und den beiden Kindern vier Wochen mit dem Wohnmobil durch die Wildnis gefahren", erzählt Ludwig. "Das sind so Dinge, die ich vielleicht nicht gemacht hätte, wenn ich gesund gewesen wäre. Aber das nimmt mir keiner mehr weg. Das habe ich erlebt."

An die Zeit vor seiner Transplantation vor 15 Jahren denkt der 46-Jährige nur ungern zurück: "Während der Dialyse ging es mir zeitweise ziemlich dreckig. Da denkt man nur noch vorwärts." Selbst eine kleine Reise sei zu dieser Zeit immer mit viel Aufwand verbunden gewesen, weil man sich am Zielort im Vorfeld immer eine Dialyse suchen musste, was den Aktionsradius erheblich eingeschränkt habe. Hinzu kamen allerlei Einschränkungen bei der Ernährung oder anderen Dingen des alltäglichen Lebens. "Daher erlangt man durch die Transplantation eine große Freiheit wieder. Das ist schon wie eine zweite Geburt", sagt Ludwig heute.

Ähnlich erging es auch Helmut Schrodt. "Ohne die Transplantation säße ich heute sicher nicht mehr hier", meint der 41-jährige Kölner, der 1993 eine neue Niere transplantiert bekam. Er habe die Dialyse nicht gut vertragen und sei froh, dass er "nur" fünf Jahre an der Maschine gehangen habe. "Ich glaube nicht, dass ich das weitere fünf Jahre durchgehalten hätte", so der begeisterte Mittelstreckenläufer. Generell gebe das Leben im Verein den Betroffenen wieder einen Antrieb: "TransDia" motiviert die Leute über den Sport, wieder am normalen Leben teilzunehmen und sich leistungsfähiger zu fühlen. Wir sind wie eine große Familie, weil jeder weiß und nachvollziehen kann, wovon der andere spricht.“

Darin sieht auch Ludwig die Besonderheit des Vereins: "Unsere Mitglieder sind zwischen 15 und 72 Jahre alt und kommen aus den unterschiedlichsten Berufen. Doch wenn sie zusammen sind, existiert kaum ein Unterschied, weil sie alle die gleichen Probleme haben. Wenn sie sich treffen, reden sie aber nicht nur über Krankheiten. Ganz im Gegenteil. Es ist eine große Heiterkeit, viel Spaß, viel Freude." Und natürlich haben alle "TransDia"-Mitglieder denselben Wunsch: weiterhin möglichst lange gesund bleiben, um nicht erneut kostbare Lebenszeit für die Krankheit reservieren zu müssen.   

Björn Greif