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In Frieden investieren und nicht ins Militär

Alumnus der WWU wurde in Afghanistan ermordet

 Afghanistan Sigrist Tanival 

Begegnung in einem kriegerischen Land: 1991 besuchte Prof. Christian Sigrist (2.v.l.) gemeinsam mit Hakim Taniwal (M.) Afghanistan.

 

Im seit 1980 von Kriegen zerrütteten Afghanistan hat in diesem Jahr die Zahl der von den wieder erstarkten Taliban organisierten Selbstmordattentate eine Höchstmarke erreicht. Der erste Gouverneur in Afghanistan, der dieser Strategie zum Opfer fiel, war Hakim Khan Taniwal, der am 10. September vor seinem Dienstsitz in Gardez, der Hauptstadt der an Pakistan grenzenden Provinz Paktia, zusammen mit drei weiteren Menschen von einem Selbstmordattentäter getötet wurde. Auch für Prof. Christian Sigrist, Emeritus am Institut für Soziologie, ist der Tod des beliebten Gouverneurs der schmerzhafte Verlust eines Freundes, denn Taniwal hatte in den 1970er Jahren bei ihm studiert.

Taniwal gehörte zum pashtunischen Stamm der bei der Stadt Khost lebenden Tani. Die Gesellschaft des kriegerischen Pashtunenvolks, das 40 Prozent der knapp 30 Millionen Afghanen ausmacht, ist durch das Stammeswesen mit seinem strengen Ehrenkodex bestimmt. Die islamisch-sunnitischen Fundamentalisten der Taliban rekrutierten sich ausschließlich aus diesem Volksstamm. "Hakim war anders. Er gehörte in seiner Familie zur ersten Generation der Gebildeten und hat sich immer für einen Ausgleich zwischen den ethnischen Gruppen eingesetzt", so Sigrist.

Nach Jahren im australischen Exil waren es Taniwals Pflichtgefühl und der Ratschlag Sigrists, die ihn bewogen, 2002 in seine Heimat zurückzukehren und dort Verantwortung zu übernehmen: zuerst als Gouverneur in Khost, dann vorübergehend als Minister im Kabinett Karzais und schließlich wieder als Gouverneur im südlich von Kabul gelegenen Gardez. "Das war ein Himmelfahrtskommando. Einmal ist es in Khost gut gegangen, aber von Gardez habe ich ihm abgeraten", so Sigrist. Zwar hat ein Sprecher der Taliban die Verantwortung für das Attentat übernommen, doch auch bei weiteren Gruppierungen hatte sich sein Absolvent gefährliche Feinde gemacht. Nach 1979 beim pakistanischen Geheimdienst ISI in Peschawar im Exil, später dann in Afghanistan unter den Warlords der Region. Gegen einen von ihnen hatte er sich in Khost sein Amt mit Waffengewalt erkämpfen müssen.

 Hakim Taniwal 

Als Gouverneur war Taniwal auf Ausgleich bedacht.  

 Foto: B. R. Rubin

 
Geboren im Jahr 1943, wurde Taniwal Mitte der 60er Jahre nach Heidelberg geschickt. "Den afghanischen Studierenden wurde zugeteilt, was sie zu studieren hatten. Bei Hakim war es halt Chemie", erzählt Sigrist. "Doch das war nicht sein Fach". 1967 lernten sich die beiden in Heidelberg im Anschluss an einen Vortrag von Sigrist über seine siebenmonatigen Forschungen in Afghanistan kennen.  Taniwal nahm in Freiburg und Frankfurt das Studium der Soziologie auf, um nach Sigrists Berufung an die WWU zu wechseln. "Von 1971 bis 1974 haben wir dann eine Hausgemeinschaft gebildet. Er war ein sehr angenehmer Hausgenosse, sehr freundlich und humorvoll", erinnert sich Sigrist an seinen toten Freund. Nach dem guten Magisterexamen ermunterte er den Afghanen, in sein Heimatland zurückzukehren. Mit seinem Interesse an Entwicklungssoziologie bemühte sich Taniwal zum einen, in seinem Stammesgebiet zu helfen und arbeitete zum anderen an der Universität in Kabul. Als die Kommunisten ihn aufforderten, sich an ihrer Seite politisch zu engagieren und Taniwal ablehnte, musste er untertauchen. Nach dem Einmarsch der Russen floh er zunächst nach Peshawar, wo er zu den Führern der liberalen afghanischen Oppostion gehörte.

Dort traf ihn 1991 Sigrist wieder, bei einem internationalen Kongress über die Perspektiven für Afghanistan. In all den Jahren standen sie miteinander in Kontakt, besuchte Taniwal Deutschland auf Einladung der Adenauer- und der Böll-Stiftung. Doch als sich die Situation zuspitzte und er auch aus Pakistan fliehen musste, hätte die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit zwar seine Ausreise, aber nicht die seiner Frau und seiner neun Kinder nach Deutschland organisiert. So ging er mit seinAer ganzen Familie nach Australien. Dort verzweifelte er fast, als die Taliban mit Unterstützung der Amerikaner die Macht im Land übernahmen. "Ich blicke hier nicht mehr durch, kannst Du mir helfen?" fragte er 1997 Sigrist.

Nach dem Sieg über die Taliban sah Taniwal wieder eine Perspektive für Afghanistan. "Dort hat er versucht, mit allen Gruppen, auch mit Taliban und Kommunisten, Versöhnungsprozesse einzuleiten", erzählt Sigrist. Dabei stand sein Einstehen für Gesetz und Verfassung außer Frage. Allerdings kritisierte er die massiven Militäroffensiven der Amerikaner und Briten und plädierte dafür, in den Frieden zu investieren und nicht ins Militär. Taniwals Wunsch: "Ich will die Kalaschnikov-Kultur beenden". Doch selbst nach seinem Tod hat der islamistische Terror erstmal die Oberhand behalten: Bei seinem Begräbnis einen Tag nach seiner Ermordung riss ein Selbstmordattentäter weitere fünf Menschen mit in den Tod.

bn