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Was können wir wissen?

Zentrum für Wissenschaftstheorie gegründet

Jede Disziplin hat ihre eigenen Wege zu wissenschaftlicher Erkenntnis. Der Biologe arbeitet mit anderen Modellen als der Physiker, der Theologe verwendet andere Kategorien als der Historiker. Ob sich mit ihnen die Realität erfassen lässt, muss ebenso überprüft werden wie die Frage, welche Grundlagen allen gemeinsam sind und was die einzelnen Fächer voneinander lernen können. Am neu gegründeten Zentrum für Wissenschaftstheorie (ZfW) beteiligen sich bisher sieben Fachbereiche, von den Theologien und der Philosophie bis zur Physik. Rund 15 Wissenschaftler haben sich der Einrichtung angeschlossen, mit dabei sind auch Psychologen, Biologen und Mediziner. Zum Vorstandssprecher des Zentrums wurde der Philosoph Prof. Andreas Hüttemann gewählt, die Geschäftsführung liegt in den Händen von Dr. Christian Suhm und Andreas Berg-Hildebrand, beide ebenfalls aus der Philosophie.

"Wir wollen die theoretische Reflexion über Grundsatzfragen anstoßen", so Suhm. "Bisher arbeiten die philosophischen und die naturwissenschaftlichen Institute nicht sehr eng miteinander, das wird sich durch die Gründung des Zentrums hoffentlich ändern." In Deutschland sei die Tradition der Wissenschaftstheorie, eines Teilbereichs der Erkenntnistheorie, anders als in den angelsächsischen Ländern an den Universitäten nicht tief verankert. Dabei reichen die Wurzeln weit zurück. Schon Aristoteles dachte über wissenschaftliche Erkenntnis nach und darüber, welche Reichweite und Grenzen sie hat. Vorläufer der modernen Wissenschaftstheorie war 1620 Francis Bacon mit seinem "Novum organon scientiarum". Mit dem weiteren Erstarken der Naturwissenschaften zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde auch die Frage, wie die Ergebnisse von wissenschaftlichem Nachdenken einzuordnen seien und wie mit ihnen umzugehen sei, immer wichtiger.

Fragen der angewandten Ethik liegen ausdrücklich nicht im Interesse des ZfW. "Das überlassen wir dem Zentrum für Bioethik", so Suhm. Er promovierte bei dem Philosophen Prof. Peter Rohs zur Realismusdebatte, dem derzeit zentralen Thema der Wissenschaftstheorie. In wie weit gibt es eine für alle objektiv erfahrbare Realität? Sind die scheinbar so sicheren Parameter, die unsere äußere Welt ausmachen, nicht nur Hilfskonstruktionen? Nimmt nicht jeder die gleiche Situation vollkommen unterschiedlich wahr? In wie weit lassen sich objektive Kriterien wissenschaftlicher Erkenntnis bestimmen, und welche Rolle spielen die Erfahrung und methodisch geleitete Experimente? Fragen, die je nach Fach anders beantwortet werden.

Nur wenige Disziplinen haben wie die Katholische Theologie, die Medizin oder die Philosophie eigene Institute oder Professuren eingerichtet, um über die Grundlagen ihres eigenen Faches nachzudenken. In der Wirtschaftsinformatik gehört die Wissenschaftstheorie indes zur Doktorandenausbildung. Die Graduiertenförderung wird auch einer der Schwerpunkte des ZfW sein, interdisziplinäre Doktorarbeiten und eine Diplom- beziehungsweise Masterbörse sind bereits angedacht.

Zur Eröffnung des ZfW wird eine interdisziplinäre Vorlesungsreihe zum Thema "Was können wir wissen?" stattfinden. Sie startet am 25. April um 18 Uhr im Audimax mit Prof. Oliver Scholz zum Thema "Erkenntnistheorie und Wissenschaftstheorie – Thesen zu einem ungeklärten Verhältnis". Bis zum 11. Juli geht es unter anderem um die Themen Unendlichkeit, rationale Theologie und Freiheit und Neurowissenschaften. Für den Oktober ist ein Kolloquium unter Leitung von Prof. Peter Hucklenbroich vom Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin geplant. Drei Philosophen und drei Mediziner werden über den Krankheitsbegriff nachdenken. Obwohl das Zentrum bislang ohne eigene finanzielle Mittel auskommen muss, sollen weitere Vorlesungsreihen folgen. Auch das Kolloquium soll jährlich stattfinden.