Vom lokalen Wettergott zum Reichskult
![]() | |
Heiliger Bezirk: Die Temeonos genannte Einfassung des Heiligtums beweist die frühe Verehrung des Iupiter Dolichenus. |
Charakteristisch für die bildlichen Darstellungen sind die Attribute Blitzbündel und Doppelaxt, die der auf dem Stier stehende Gott in den erhobenen Händen hält. Diese alte, im gesamten vorderasiatischen Raum verbreitete Darstellungsweise ist kennzeichnend bereits für den semitischen Wettergott Hadad und den hethitischen Tesub. Vor allem im römischen Heer beliebt, verbreitete sich der Kult im gesamten Römischen Reich. Insbesondere aus den westlichen Provinzen sind eine Vielzahl zum Teil äußerst qualitätvoller Denkmäler des Gottes bekannt. Unbekannt dagegen war bis vor kurzem der Ort seiner Verehrung in Doliche selbst, der Ausgangspunkt eines der wichtigsten orientalischen Kulte im gesamten Imperium Romanum.
Die Monumentalität wie Qualität des zu Tage getretenen Bauschmucks auf dem Dülük Baba Tepesi aus dem ersten bis dritten Jahrhundert unserer Zeitrechnung – Säulen- und Kapitellfragmente, Geisonblöcke, Teile von Architraven – deuten auf eine aufwendige Ausgestaltung der freigelegten Strukturen. Zudem vermittelt eine bislang auf einer Fläche von rund 60 Quadratmetern freigelegte Pflasterung aus mächtigen Basaltplatten eine Vorstellung des Temenosbereichs, der offensichtlich als großzügige offene Platzanlage gestaltet war. Neben kleineren Skulpturenfragmenten konnte mit einem überlebensgroßen männlichen Kopf aus Kalkstein zudem das erste Zeugnis von Monumentalplastik geborgen werden.
Noch weit spektakulärere Erkenntnisse zeichnen sich nun aber gerade vor dem Hintergrund der jüngsten Grabungsergebnisse ab. Überraschende Funde aus dem sechsten und fünften Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung belegen eine bis in die Eisenzeit zurückreichende Tradition des Kultes. Eine enorme Zahl von Kleinfunden aus dieser Zeit – Schmuckperlen, der Kopf einer Bronzestatuette des ägyptischen Gottes Osiris, Kopfperlen syro-phönikischer Herkunft, Skarabäen levantinischen Ursprungs – weist nicht nur auf die überregionale Bedeutung, sondern auch auf die frühe Nutzung dieses Kultortes. Insbesondere aber ein Fundkomplex von über hundert eisenzeitlichen Stempel- und Rollsiegeln ist in seiner Quantität wie Qualität einzigartig.
![]() | |
Achämenidisches Rollsiegel mit einer Darstellung des Gottes Ahura Mazdas |
Zerstört wurde das Heiligtum vermutlich im Jahre 253 durch die Perser. Damit endete jedoch nicht die Geschichte des Dülük Baba Tepesi. Die bislang im Nordosten des Grabungsareals freigelegten mächtigen römischen Mauern aus Kalksteinquader sind in eine kleinteilige Architektur aus Bruchsteinen und Spolien eingebunden worden. Die gesamte Fläche weist eine dichte spätantike und frühmittelalterliche Bebauung auf. Zudem konnte eine Vielzahl christlicher Zeugnisse geborgen werden, so noch im späten Herbst des Jahres 2005 das Fragment eines christlichen Grabsteins für einen Militärkommandanten, möglicherweise auch einer Weihung für einen christlichen Märtyrer. Die Hinweise auf christliche Aktivitäten im Gebiet des Hauptheiligtums des Iupiter Dolichenus sind ein weiteres Beispiel für die aus vielen Regionen der Mittelmeerwelt bekannte Inbesitznahme prominenter paganer Heiligtümer durch die Christen seit der Konstantinischen Wende in der ersten Hälfte des 4. Jhs. n. Chr.
Die in den vergangenen Jahren insbesondere mit Mitteln der Deutschen
Forschungsgemeinschaft durchgeführten historisch-topographischen und
archäologischen Untersuchungen sollen auch in diesem Jahr fortgesetzt
werden. Aufgrund der Ikonographie des Iupiter Dolichenus ist schon
immer vermutet worden, dass der Gott eine lange Tradition als lokaler
Wettergott hat. "Der Nachweis, dass Kulthandlungen im Heiligtum des
Iupiter Dolichenus mindestens bis in die erste Hälfte des ersten
Jahrtausends unserer Zeitrechnung stattgefunden haben, stellt einen in
seiner Klarheit unerwarteten Befund dar, der hoffen lässt, die
Entwicklung einer lokalen Wettergottgestalt zu einem reichsweit
verehrten "römischen" Gott erforschen zu können", so Winter. Es handele
sich beim Dülük Baba Tepesi um einen der wenigen Orte im
südostanatolischen Raum, an dem sich Kulthandlungen durch die Epochen
hindurch kontinuierlich fassen lassen. "Das ist sicherlich ein
Glücksfall in Hinblick auf Fragen zur Kultkontinuität und
Religionsgeschichte dieser Region", so der Althistoriker.
muz

