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Schöne Bücher in fingerfertigen Händen

In der ULB wird die Kunst des Einbands gepflegt


Aufwändig ist die Fadenheftung von Hand, die deshalb meist von Maschinen übernommen wird.

Die Bücher in der Universitäts- und Landesbibliothek (ULB) kommen im Laufe der Jahre in Tausende Hände. Die meisten Exemplare haben deswegen schon viel durchgemacht und landen eines Tages in den Fingern von Buchbinder Johannes Pittelkau. Er und seine Kollegen retten täglich Wissen und Kunstwerke. Im Gewölbe der ULB gibt es auch eine Sammlung, die von den Meistern der Einbandkunst stammt. Bibliothekar Dr. Wolfhard Raub hegt und pflegt die rund 300 Werke.

Vor genau 30 Jahren begann die internationale Vereinigung "Meister der Einbandkunst e.V." (MdE) mit ihrem Vorhaben, an der ULB in Münster ein Archiv und eine Sammlung zum Thema Einbandkunst aufzubauen. Der Verein wurde bereits 1923 gegründet. Weil man sich von den Nationalsozialisten nicht instrumentalisieren lassen wollte, erfolgte die Auflösung, ehe es am 8. Juni 1951 zur Neugründung kam. "Zweidrittel des Bestandes wurde in den Kriegsjahren zerstört", erzählt Dr. Wolfgang Raub. "Wir haben 1976 praktisch bei null angefangen." Obwohl der Verein über keinen Etat verfügt, wachsen Sammlung und Archiv seitdem kontinuierlich an. "Ziel war und ist es, die Bücher der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Deswegen hat man sich damals für eine Bibliothek und nicht für ein Staatsarchiv oder ein Museum entschieden", berichtet Raub. Über 1000 Fachbücher zur Kunst des Buchbindens stehen inzwischen neben den Meisterwerken. Sie sind in Metallschränken im Untergeschoss aufbewahrt und können in den Lesesaal bestellt werden. Von dem Buch "Lebenserinnerungen" gibt es sogar verschiedene Exemplare aus Künstlerhand. Es ist die autobiographische Geschichte eines gewissen Paul Adam, der selbst Buchbinder und so manchem, der den gleichen beruflichen Weg einschlug, ein Vorbild war.

In der Restaurationswerkstatt liegt ebenfalls noch eine Ausgabe davon. Doris Sendker-Sahle hat dafür eine Kassette angefertigt, die den kunstvollen Ledereinband schützen soll. Die Fachbuchbinderin für Restauration ist gerade konzentriert bei der Arbeit. Mit Fingerspitzengefühl führt sie ein silbernes Instrument über einen hölzernen Buchdeckel. Holzwürmer haben sich durch die Buche gefressen. "Es ist brüchig wie Knäckebrot", kommentiert Sendker-Sahle, während sie eine Mixtur aus Lederpulver und Kleister in die Löcher stopft. Seit zehn Jahren arbeitet sie im Restaurationsbereich der Universitäts- und Landesbibliothek. Anfang der 80er Jahre hat sie hier ihre Ausbildung zur Buchbinderin absolviert. Ihr Meister von damals ist heute ihr Arbeitskollege in der Nachbarwerkstatt: Johannes Pittelkau ist seit 34 Jahren im Geschäft und hat schon viele Bücher gebunden. Bis zu 100 Reparaturen und noch mal so viele Neubindungen sind monatlich im Bestand der ULB von Nöten. In der Werkstatt sind auch Geselle Werner Makein und die drei Auszubildenden Eva Laubrock, Jana Dayf-Rasch und Daniela Schloetmann beschäftigt.


Meisterhaft versteht Johannes Pittelkau sein Handwerk. Doch auch er hat immer weniger mit von Hand gebundenen Büchern zu tun.

Fotos: mb

Oasenziege und geflochtenes Pergament

Dr. Wolfgang Raub kennt die Azubis aus der Buchbinderwerkstatt. Einmal im Jahr veranstaltete er für sie und die Lehrlinge aus dem bibliothekarischen Bereich eine Einführung  in die Einbandkunst der Meister. Der 69-Jährige wird in Kürze die Betreuung der Sammlung an Hans Mühl übergeben. Von Beginn an war Raub neben seiner Tätigkeit in den Fachreferaten für Germanistik und Volkskunde für die Sammlung verantwortlich. Außerdem kümmerte er sich um auswärtige Restaurierungen des gesamten Bestandes der ULB. "Ich war bis zum Halskragen eingedeckt", erinnert er sich.

Im Jahr 2000 ging Raub in Pension. Doch die Raritäten der Einbandkunst blieben weiter in seiner Obhut. Darunter befindet sich beispielsweise ein Buch, welches auf den ersten Blick nicht als solches erkennbar ist. Denn der Meister, der hier am Werk war, hielt scheinbar wenig von einem klassischen Einband aus dem Leder der Oasenziege. Stattdessen hat Edgard Claes, ein Kreuzherrenbruder aus Belgien, den Deckel mit aufgeschäumtem Kunststoff "avantgardisiert". Gegenüber diesem "Schinken" ist die Einbandarbeit von Wilhelm Nauhaus klein und vor allem fein. Das Trauerspiel "Alkestis" von Hugo von Hofmannsthal hat er in geflochtenes Pergament gehüllt.

Man möge denken, dass es für Raub ein wehmütiger Abschied sein wird, zumal die Arbeit für ihn stets mehr als Bücher rücken war. "Der Kontakt mit den Künstlern ist sehr wichtig", betont er – auch, weil die Sammlung auf Schenkungen angewiesen ist. Und zu einigen Buchbindern hat er ein so gutes Verhältnis aufgebaut, dass es seine Zeit als Bibliothekar überdauern wird. Außerdem wird ihn sein langjähriger Kollege Mühl auf dem Laufenden halten und bei Fragen auf ihn zurückgreifen können. Hans Mühl ist in der ULB auch kein unbeschriebenes Blatt. Er war bisher für die nordrheinwestfälische Bibliographie zuständig und bleibt leitend in der Rara- und Handschriftenabteilung tätig.

Von Hand gebundene Bücher sind aus der Mode

Dass der Beruf des Buchbinders nicht immer solche Künstler wie Edgard Claes, Wilhelm Nauhaus, Otto Fratzscher, Anne Marie Miessen oder Frieda Schoy hervorbringt, dessen ist sich Dr. Wolfgang Raub bewusst. Für die Einbandkunst fehle häufig die Zeit. Wenn es nicht Wettbewerbe und Ausstellungen gäbe, wo die schönsten und technisch ausgefeiltesten Arbeiten prämiert werden, lohne sich der Aufwand finanziell gar nicht. Selbst mit der Hand gebundene Bücher sind längst aus der Mode gekommen. "Die Verlage produzieren aus Kostengründen maschinell", sagt Johannes Pittelkau. Bei dem Meister in der Werkstatt lernen die Azubis trotzdem  oder gerade deswegen noch das Ein-maleins des Buchbindens, von der Klebebindung bis zum Franzbund. Zum Beruf des Buchbinders gehört neben Fingerfertigkeit vor allem eine gute Materialkunde. Karton ist schließlich nicht gleich Pappe. Außerdem gibt es da noch Halbkarton, Papier und das edle Japanpapier. Aus Gaze ist der Gewebestreifen, der angeleimt die einzelnen Lagen im Buchblock zusammenhält.

Theologen und Juristen sind die größten Vandalen

Übers Material weiß auch Doris Sendker-Sahle ein Buch zu schreiben. Sie rührt Sägestaub in Heißleim an, um mit der Masse einen Riss im "Knäckebrot-Deckel" zu schließen. Zwischendurch holt sie den Ethik-Code für Restaurierung heraus. Er umfasst knapp 20 A4-Seiten. "Restaurierung heißt vor allem, dass das Buch möglichst wieder in seinen Originalzustand hergestellt werden muss", erklärt sie. Das ist bei besonders alten und seltenen Werken eine Herausforderung. "Wenn es ohne Titelblatt ist, müssen wir das Buch erstmal bestimmen", sagt die 40-Jährige. So geschehen bei einem Atlas aus der Propstbibliothek Brilon (Sauerland). Dabei stellte sich heraus, dass es von dem 1644 in Amsterdam gedruckten Schmuckstück insgesamt nur noch vier Exemplare gibt und er damit eine echte Rarität ist. Reinigung, Pflege und Katalogisierung sind weitere Aufgaben von Sendker-Sahle.

Die Hauptarbeit wartet im Untergeschoss der Universitäts- und Landesbibliothek. In Nachbarschaft zum Zeitschriftenmagazin befindet sich das Lager der Westfälischen Bestände. Da stehen sie, die Bücher aus den alten Pfarr- und Gymnasialbibliotheken Westfalens. Die Sammlung aus der Pfarrei St. Nikomedes in Borghorst ist bereits restauriert. Viele andere müssen noch von Schimmel, Staub und Silberfischen befreit werden. "Hier muss ich wissen, wie ich die Folie vom Leder bekomme, ohne es zu beschädigen", sagt Sendker-Sahle und zeigt auf ganzes Regal voller Bücher. Es sieht ganz so aus, als gäbe es für Restauratoren im Zeitalter von Paperback, digitalisierten Texten und Internet noch genug zu tun. Und auch für die Buchbinder der ULB wird die Arbeit nicht weniger. Bei manchen Büchern sind ganze Seiten heraus gerissen und fehlen. "Am häufigsten kommt das bei theologischen und juristischen Werken vor", lautet die Bilanz von Johannes Pittelkau aus über 30 Jahren Erfahrung. Ein Schelm, wer Böses dabei denken mag. Aber gut zu wissen, dass die Bücher bei Pittelkau und seinen Kollegen wieder in gute Händen kommen.   

Michael Billig