|
muz

Von Gentechnik und Hurrikan-Katastrophen

Politikstudentin Julia Tzschätzsch verbrachte drei Monate in El Salvador



Von der Aufklärung zur Ersten Hilfe: Julia Tzschätzsch erlebte die Folgen des Hurrikans Stan in El Salvador hautnah mit.


El Salvador: bislang ein winziger Fleck auf der Landkarte. Sechs Millionen Einwohner, die Hälfte davon lebt unter der Armutsgrenze, Bürgerkrieg in den 80er Jahren – mehr war auch mit Wikipedia nicht herauszubekommen. "Eine der höchsten Kriminalitätsraten der Welt", lautete ein nicht gerade beruhigender Zusatz aus dem Fischer-Weltalmanach. Und das Nationalgericht bestehe aus Maismehlfladen gefüllt mit Käse und Bohnenbrei und nenne sich "Pupusas"…

Dort sollte ich also mit einem Stipendium des ASA-Programmes zusammen mit einem Projektpartner aus Kolumbien eine Aufklärungskampagne zum Thema Gentechnik durchführen. Offiziell gibt es in El Salvador zwar keine genmanipulierten Lebensmittel, die Präsenz der "Transgénicos" ist aber bereits nachgewiesen, gesetzliche Regelungen existieren praktisch nicht. Unsere Aufgabe sollte es sein, die Bevölkerung über gesundheitliche, ökologische und wirtschaftliche Auswirkungen von Gentechnik zu informieren. Unsere Partnerorganisation mit Sitz in der Hauptstadt San Salvador nannte sich "Red Ciudadana Frente a los Transgénicos" und war ein Netzwerk aus insgesamt 18 Nichtregierungsorganisationen aus den Bereichen Umwelt- und Verbraucherschutz.

Der erste Kontakt mit unserer Organisation lehrte uns sogleich Lektion Eins der Entwicklungszusammenarbeit: Nichts klappt so wie geplant. An unserem ersten Arbeitstag mussten wir feststellen, dass dem Gentechnik-Netzwerk der Inhalt unseres Projekts überhaupt nicht bekannt war. Wir bekamen schließlich einen Arbeitsplan, der nichts mehr mit seiner ursprünglichen Version gemein hatte. Schulungen von Landwirten, Schülern und Studenten waren also raus – statt dessen wurden wir mit der Erarbeitung von Informationsmaterialien beauftragt. So sollten wir beispielsweise eine dreistündige Präsentation über Gentechnik vorbereiten, Plakate entwerfen und eine Infobroschüre über das Freihandelsabkommen zwischen Mittelamerika und den USA erstellen.

Da unser Aufenthalt in El Salvador in die Regenzeit fiel, waren nächtliche tropische Regengüsse keine Seltenheit. Anfang Oktober regnete es jedoch eine Woche lang ununterbrochen – die Folgen des Hurrikans Stan. Als der Regen anfing, befanden wir uns in Sonsonate, einer Stadt im Westen des Landes. Das Haus unserer dortigen Gastfamilie hatte bereits mehreren Erdbeben widerstanden, dem Dauerregen gab es allerdings peu à peu nach. Bereits in der ersten Nacht brach mit einem ohrenbetäubenden Knall der Hühnerstall im Garten zusammen und begrub zwei Hähne und sieben Hühner unter sich. Als am folgenden Regentag auch noch der Affenkäfig einstürzte, die Zimmerwände feucht wurden und all unsere Kleidung zu schimmeln begann, machten wir uns mit einem der letzten Busse zurück in unsere Herberge nach San Salvador, wo die Lage etwas entspannter war.

Mit Hurrikan Stan änderten sich unsere Aufgaben drastisch: Gentechnik und Co. wurden ad acta gelegt, stattdessen fuhren wir regelmäßig zu den zahlreichen Notunterkünften ("Albergues") aufs Land. Ein Großteil der insgesamt 55000 Evakuierten war in Kirchen, Schulen oder Turnhallen untergebracht. Oftmals mussten dort stillende Mütter, alte Menschen und Kleinkinder zusammengepfercht auf dem blanken Boden übernachten. Im Norden des Landes war  der Rio Lempa, der größte Fluss El Salvadors, über die Ufer getreten, hatte zahlreiche Felder überschwemmt und die Jahresernten vernichtet. Die Albergue für die dort betroffenen 84 Familien bestand schlicht aus einer Wiese mit selbstgebauten Hütten aus Holz und Plastikplanen. Hilfslieferungen des Staates kamen hier nicht ein einziges Mal an. Zu allem Überfluss brach mit Hurrikan Stan auch noch der Vulkan von Santa Ana im Westen des Landes aus. Alle Menschen im Umkreis von fünf Kilometern mussten evakuiert werden. Da der Vulkan bis heute weiterbrodelt, sitzen die meisten von ihnen noch immer in ihrer Notunterkunft fest.

Ein Spendenaufruf an alle Leute in unseren Adressbüchern half Wunder: Dank Mund-zu-Mund-Propaganda und etlichem Weiterleiten der Spendenemail kamen über 5000 US-Dollar zusammen. So konnten wir bis zu unserem Rückflug noch beinahe täglich unseren kleinen Pickup beladen und Bohnen, Reis, Milch, Decken und Matratzen in die ländlichen Gemeinden karren.

Während unseres dreimonatigen Aufenthalts kamen wir leider nicht drum herum, das hohe Kriminalitätsaufkommen live mitzuerleben. Überfälle der vielen organisierten Banden ("Maras") blieben uns glücklicherweise erspart. Als wir eines Abends jedoch vom Supermarkt zurückkamen, sprang ein Mann aus einem vorbeifahrenden Auto, hielt uns eine Pistole vor die Nase und machte sich mit all unserem Hab und Gut davon … Wir hatten es den Salvadorianern ja anfangs nicht geglaubt, aber nach Einbruch der Dunkelheit, also ab 18 Uhr, hatte man als Normalbürger auf der Straße nichts mehr zu suchen!

Vulkanausbrüche, Überschwemmungen und eine doch ziemlich permanente Kriminalitätsfurcht – all das konnte uns nicht davon abbringen, El Salvador und insbesondere viele der Landsleute tief ins Herz zu schließen. Und auch wenn die zahlreichen amerikanischen Fastfoodketten zum Einkehren in Subways, Wendy’s oder Burgerking verführen - das Nationalgericht, die "Pupusas", waren im Endeffekt jedem Hamburger definitiv vorzuziehen ...  

 Julia Tzschätzsch

ASA

heißt Arbeits- und Studien-Aufenthalte in Afrika, Lateinamerika, Asien und Südosteuropa und ist ein Netzwerk für entwicklungspolitisches Lernen. ASA ist gemeinnützig und politisch unabhängig und wird von Bund, Ländern und Wirtschaft finanziert. 2006 vergibt ASA über 250 Stipendien in mehr als 50 Ländern. Bewerbungsschluss ist der 10. Januar 2006, mehr Informationen gibt es unter www.asa-programm.de.