Auferstanden aus Ruinen
Die Stadt lag in Trümmern, die Bücher waren verbrannt, große Teile der Universität nach Göttingen und Bad Salzuflen ausgelagert. Lediglich vier der 39 größeren Universitätsgebäude wiesen im Mai 1945 nach dem Ende des nationalsozialistischen Regimes nur geringe oder gar keine Beschädigungen auf. 250000 der 430000 Bücher der Universitätsbibliothek waren vernichtet. Trotzdem wurde die heutige WWU am 3. November 1945 als "Westfälische Landesuniversität" feierlich in der Stadthalle wieder eröffnet. Daran erinnert vom 3. bis 17. November eine Ausstellung im Schloss, dessen Wiederaufbau ein Sonderteil gewidmet ist. Erarbeitet wurde sie vom Universitätsarchiv gemeinsam mit Studierenden der Geschichtswissenschaft sowie dem Sonderteil zum Schloss von Dr. Jörg Niemer. Die Ausstellung wird am 2. November um 19 Uhr im Foyer des Schlosses eröffnet.
Die britische Besatzung forcierte den Wiederaufbau, wobei ganz praktische Erwägungen eine wichtige Rolle spielten: Zum einen musste die medizinische Versorgung der Bevölkerung sicher gestellt werden, so dass zumindest an der Arbeit der Universitätskliniken ein vitales Interesse bestand. Zum anderen bildeten die Universitäten einen wichtigen Baustein im Anliegen der Briten nach demokratischer "Re-Education" der deutschen Bevölkerung. Die Demokratisierung der Gesellschaft könne nur gelingen, wenn man die Jugend und hier besonders die Elite einbeziehe.
Am 5. November nahmen die Katholisch-Theologische, die Rechts- und Staatswissenschaftliche sowie die Medizinische Fakultät ihren Lehrbetrieb auf. Eingeschrieben waren zu diesem Zeitpunkt 1050 Studierende, von denen allein 600 Medizin studierten. Ab Dezember konnten die Philosophische und die Naturwissenschaftliche Fakultät wieder Lehrveranstaltungen anbieten. Als letztes begann der Lehrbetrieb der evangelischen Theologen im Januar 1946.
Wie muss man sich das Studium 1945 vorstellen? An allem herrschte Mangel. Weil es wenig Heizmaterial gab, behielt man den Mantel während der Vorlesung an. Da man nicht wusste, wo man sich im Winter zwischen den Veranstaltungen aufhalten sollte und einen sicheren Sitzplatz nicht aufgeben wollte, blieben viele auch bei fachfremden Vorlesungen im Hörsaal. Bücher und Schreibmaterial, vor allem in guter Qualität, waren Mangelware. Eine Notmensa konnte rund 100 Studierende versorgen; die Bürger Münsters waren aufgefordert, bedürftige Studierende zum Essen einzuladen.
Zu den wichtigsten Aufgaben des im Sommer 1946 eingesetzten britischen Universitätsoffiziers gehörten insbesondere Entnazifizierungsmaßnahmen, das Herstellen von Kontakten zu Dozenten und Studierenden mit dem besonderen Ziel der Bildung von studentischen Gruppen und der Aufbau von internationalen Beziehungen. Nach anfänglicher Unsicherheit auf beiden Seiten entwickelte sich ein als äußerst gut beschriebenes Verhältnis. Ende 1946 kam es zu ersten internationalen Treffen von Studierenden, Anfang 1947 durften Wissenschaftler für mehrere Semester nach England, im Sommer des Jahres fand der erste internationale Sommerkurs statt.
Neben der Herstellung von Kontakten zum Ausland, die dazu führten, dass die deutsche Wissenschaft wieder einen Platz in der internationalen Gemeinschaft fand, zählte die Entnazifizierung des Lehrkörpers zu einer der wichtigsten Aufgaben, wobei nur in wenigen Fällen eine sofortige Entfernung eines Professors gefordert wurde. Selbst Rektor Herbert Siegmund, von den Nationalsozialisten eingesetzt, konnte bis zum Amtsantritt seines Nachfolgers Georg Schreiber bis August 1945 seine Arbeit fortsetzen. Die Entnazifizierung war insgesamt von sehr geringem Erfolg. Das hatte mehrere Gründe: Zur Klärung der Rolle, die der Einzelne im so genannten Dritten Reich gespielt hatte, mussten Fragebögen ausgefüllt werden, die jedoch einerseits zu schematisch verfasst waren, um wirklich Aufklärung zu bieten, andererseits nicht immer wahrheitsgemäß beantwortet wurden. Viele Universitätsangehörige empfanden diese Befragung als Zumutung und standen ihr ablehnend gegenüber. Wie auch in anderen Bereichen dienten Bescheinigungen über einwandfreies Verhalten, die oft als Freundschaftsdienst ausgestellt wurden, als Entlastung. Zusammen mit der allmählichen Liberalisierung des Verfahrens waren die Maßnahmen insgesamt weniger einschneidend als befürchtet. Im November 1948 wurde ermittelt, dass 48 Lehrstuhlinhaber im Amt belassen und 20 zunächst entlassen wurden. Von diesen 20 Entlassenen wurden jedoch elf wieder eingesetzt. Einige der Entlassenen erreichten im Laufe der 1950er Jahre eine Wiederaufnahme in den Lehrkörper, wie der Physiker Hermann Senftleben, oder bekamen an einer anderen Hochschule einen Lehrstuhl, wie der Kirchenhistoriker Josef Lortz.
Auch die Bewerber um einen Studienplatz mussten einen Fragebogen ausfüllen, den ein Student von 1945 zwar als lang, aber harmlos bezeichnete. Grundsätzlich wurden aktive Nationalsozialisten vom Studium ausgeschlossen. Ab dem Wintersemester 1946/47 wurden die Zulassungsbedingungen so verändert, dass für die nach 1918 geborenen Jahrgänge eine Generalamnestie galt, so dass die meisten, die sich immatrikulieren wollten, im Hinblick auf ihre Aktivitäten während des Nationalsozialismus keine Probleme mehr hatten. Weitere Bedingung zur Zulassung war ab dem Sommersemester 1946 bis zum Jahr 1949 ein Arbeitseinsatz von drei Monaten, der aus Räumungs- und Wiederaufbauarbeiten oder einem Ausgleichsdienst, meist im Büro, bestand. Der Anteil der Frauen lag trotz insgesamt besserer Reifezeugnisse bei unter 20 Prozent, da man befürchtete, dass sie den Männern später die Arbeitsplätze wegnehmen würden.
Im Herbst 1952 wurden alle Zulassungsbeschränkungen aufgehoben. Der Aufbau einer funktionierenden Infrastruktur nahm noch lange Jahre in Anspruch. Überall erinnerten Trümmer und Mangel an den Krieg, bis Mitte der 1950er Jahre das Wirtschaftswunder einsetzte.
Sabine Happ,
Universitätsarchivarin