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Pazifistische Piraten im Zeichen der Paragraphen

"Kritische Juristen" diskutieren politische Themen


Auch Demonstrationen können Spaß machen: Als links von der Mitte verstehen sich die Mitglieder der "Kritischen Juristen".

Foto: mb

Früher wussten Seefahrer, wenn sie durch das Fernrohr die schwarze Flagge mit dem Totenkopf am Horizont erspähten, dass ihre letzte Stunde geschlagen hat. Piraten waren Aufwiegler und Gesetzlose. Wer in Münster die schwarze Flagge mit einem Paragraphen darauf entdeckt, ist an Freibeuter ganz anderer Art geraten. Es sind die "Kritischen Juristinnen und Juristen". Nicht der Wunsch nach Gold und Geld macht die Hochschulgruppe zu Aufwieglern. Sie kämpfen dafür, dass man die Gesetze achtet, Entscheidungen hinterfragt und in einem gesellschaftspolitischen Kontext diskutiert.

"Wir sind weg vom Jura-Mainstream. Wir sind links von der Mitte", sagt Björn Josten. Er ist von der aktiven 20-köpfigen Besatzung am längsten dabei und weiß, woher der Wind weht. Josten, Matthias Lehnert und Pascal Hase kennen die Strukturen der Universität genau und erläutern sie bei einem der zweiwöchentlichen Treffen den Neuen an Bord. Basis ist der Raum U 49 im Kellergeschoss der Katholischen Studierenden-Hochschulgemeinde. Rund 15 Mitglieder haben sich versammelt und besprechen in lockerer Runde einige organisatorische Dinge. Es gibt keine Hierarchie und jeder, der will, kommt zu Wort. Die, die mehr Erfahrung haben, reden auch mehr. Wenige sagen gar nichts. Dafür stellen manche eine Frage nach der anderen. Man prostet sich zu und lacht über und untereinander. Erst scheint es, als sei der Zwei-Stunden-Zeitplan nicht einzuhalten. Als es darum geht, wer die Kritischen Juristinnen und Juristen im Fachbereichsrat vertritt, üben sich zunächst alle in Zurückhaltung. Jetzt übernimmt Pascal Hase das Ruder und macht die Aufgabe schmackhaft. Plötzlich gibt es zwei Anwärter auf den Posten. "Zuerst eine Frau", ist der allgemeine Tenor. Lisa Tschorn (20) ist die Spitzenkandidatin. „Wer will in den Senat?", schreitet Lehnert direkt zum nächsten Punkt. Inzwischen geht alles ganz schnell und wie angedacht schließen sie 22 Uhr die Schotten.

"Vor zwei Wochen haben wir das Demokratiedefizit in der EU-Verfassung besprochen", erzählt Hase. Politische Themen stehen regelmäßig auf der Tagesordnung. "Jemand bereitet sich vor, referiert und gibt den Impuls für eine Diskussion", berichtet Hase weiter und lässt einen an ein Seminar denken. Um so überraschender seine Aussage: "Das sind einfach Dinge, die mir im Studium fehlen." Auch Björn Josten vermisst im Jura-Studium den gesellschaftspolitischen Bezug. 1992 hat sich die Gruppe mit dem Namen "Grüne Juristinnen und Juristen" gegründet. "Als die Grüne Partei 1999 dem Krieg gegen Jugoslawien zustimmte, beschlossen wir, uns umzubenennen", zeigt Josten den pazifistischen und konsequenten Kurs der Kritiker auf. Trotz bundesweiter Resignation halten sie auch an ihrem Nein zu Studiengebühren fest und beteiligen sich an Demonstrationen. In welche politische Richtung das Schiff segelt, wird immer wieder in der Zeitschrift "Recht schräg" deutlich. Sie erscheint in einer Auflage von 1000 Stück einmal pro Semester mit Berichten und Rezensionen.

Für das nächste Wintersemester schmieden die "Kritischen Juristinnen und Juristen" schon Pläne zur Eroberung der Hörsäle. "Wir wollen eine Ringvorlesung zum Thema 'Justiz im Nationalsozialismus' ins Leben rufen", verrät Lehnert. Im November fallen außerdem Piraten aus allen Himmelsrichtungen in Münster ein. Denn die Crew um Josten, Lehnert und Hase veranstaltet den Kongress des "Bundesarbeitskreises Kritischer Juragruppen". Und wer dann die schwarze Flagge mit dem Paragraphen in der Stadt sichtet, nehme sich in acht. Womöglich wird er mit Recht und Unrecht konfrontiert.

mb