Auf die Herausforderungen der Welt eingehen
"Habemus papam" – im Falle der Universität Münster trifft das wirklich zu. Von 1963 bis 1966 lehrte Prof. Joseph Ratzinger, inzwischen Benedikt XVI., in Münster als Direktor des Seminars für Dogmatik und Dogmengeschichte. Ratzinger galt als progressiv und aufgeschlossen und nahm als Berater des Kölner Erzbischofs Kardinal Josef Frings am zweiten Vatikanischen Konzil teil. "Ratzinger hat die Öffnung der Kirche mit vorbereitet", würdigt ihn Prof. Thomas Bremer, Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät.
Einig sind sich die münsterschen Theologen über das Charisma, das damals wie heute Ratzinger ausmache. "Ich habe ihn in München bei Predigten erlebt. Er fasziniert durch die Art und Weise, wie er spricht und durch seine Fähigkeit, die Dinge klar darzustellen", so Bremer. Schon in Münster waren Ratzingers Vorlesungen im Fürstenberghaus stets überfüllt. Auch Prof. Jürgen Werbick vom Seminar für Fundamentaltheologie rühmt den "begabten Lehrer" und Ratzingers Verwurzelung im geistlichen Leben der Kirche. Prof. Vinzenz Pfnür, Emeritus des Seminars für Kirchengeschichte und ihrer Didaktik, kennt Ratzinger wohl am besten von allen münsterschen Theologen. Er hat bei ihm promoviert und weiß: "Die bei ihm gehört haben, haben ein sehr positives Bild von ihm." Anders als häufig dargestellt, gebe es keine Brüche in der Theologie Ratzingers. Ratzinger ist stark von den Kirchenvätern des vierten Jahrhunderts nach Christus geprägt. "Er sieht die Kirche als Sakrament, nicht als juristische Körperschaft und auch nicht als mystische Gemeinschaft", erklärt Pfnür. "Die Rückbesinnung auf die älteren Traditionen war damals sehr innovativ", erläutert Werbick. "Für ihn ist die Kirche eine Gemeinschaft, die aus der Feier des Glaubens lebt und damit stark kollegial geprägt ist."
In Tübingen war er umstritten, "aber nicht, weil er seine Theologie verändert hat, sondern weil er nicht auf der damaligen Welle der Studentenproteste mitgeschwommen ist", erläutert Pfnür. Die immer konservativer anmutende Haltung sei auch durch sein Amt als Präfekt der Glaubenskongregation bestimmt gewesen, verdeutlicht Werbick: "Die Kritik hat sich vor allem daran entzündet, dass er alle anderen Probleme der geistigen Grundorientierung unterordnet." In Fragen wie dem Zölibat, Schwangerenberatung oder dem Frauenpriestertum habe es immer wieder Auseinandersetzungen gegeben, weil Ratzinger darauf beharre, dass dies Fragen von untergeordneter Bedeutung seien. "In seiner Grundeinstellung ist er eher defensiv, als Fakultät stehen wir dagegen auf dem Standpunkt, dass man zwar die geistlichen Traditionen sehr ernst nehmen muss, aber dennoch Veränderungen anstreben kann", so Werbick. Ratzinger sei weniger geneigt als die münsterschen Theologen, auch die positiven Aspekte der Aufklärung und der Neuzeit zu sehen, er stelle viel eher die Ambivalenz dieser Entwicklungen in den Vordergrund. "In der Diagnose der Probleme ist Ratzinger sehr stark, in der Diagnose der Chancen nicht so sehr. Dabei ist die Aufklärung ja nicht nur die Vorstufe zur Säkularisierung, sondern auch die Chance zu einem Glauben, der sich aus eigenständiger Auseinandersetzung speist", macht Werbick klar. Ebenso klar ist für Bremer die Bedeutung des Theologen Ratzinger, doch stellt er fest: "Die Themen, mit denen er sich beschäftigt hat, würden wir heute auf eine andere Art behandeln." Für die Fakultät stehe die Kontinuität des zweiten Vatikanischen Konzils im Vordergrund. Deutlich wird dies immer wieder bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde wie zuletzt an Dr. Rupert Neudeck, Gründer der Hilfsorganisation "Cap Anamur". "Wir wollen nicht im Elfenbeinturm von Theologie und Wissenschaft sitzen bleiben, sondern uns auch mit den Herausforderungen der Welt um uns auseinandersetzen", so Bremer.
Dass das auch kirchenpolitisch von Bedeutung ist, zeigt die Tatsache, dass drei der sechs deutschen Kardinäle, die an der Papstwahl teilgenommen haben, einmal in Münster gelehrt haben. "Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass wir so eine große Fakultät sind", erklärt Bremer. In Münster gebe es viele Möglichkeiten zur Spezialisierung, aber auch zur interdisziplinären Zusammenarbeit, die woanders nicht möglich sei, was die Fakultät für Studierende, aber auch für Wissenschaftler sehr attraktiv mache.
Auch wenn sich die Fakultät an Papst Benedikt XVI. reiben wird, eines steht für Werbick fest: "Die Wissenschaftsfreiheit schließt die Verpflichtung ein, den Geist der Glaubensgrundlage zu vermitteln." Eine Grundloyalität gegenüber der Tradition und den Verantwortlichen in der Kirche sei selbstverständlich. "Aber wir werden auch immer die gesellschaftliche Verantwortung der Theologie wahrnehmen."
bn