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Für die Kinder auf die Straße gehen

Jenny Dorfelder engagiert sich in der madegassischen Hauptstadt für Straßenkinder

"Es gibt jeden Tag viele schöne zwischenmenschliche Begegnungen," sagt die Studentin Jenny Dorfelder trotz der teilweise harten Bedingungen über ihre derzeitige Tätigkeit. Die 23-Jährige setzt sich derzeit sechs Monate lang im fernen Madagaskar für die Belange von Straßenkindern ein, die in einem vom Berliner Verein "Zaza Faly" – auf Malagasy "zufriedenes Kind" – seit über zehn Jahren finanzierten Projekt betreut werden. "Das schönste Erlebnis hatte ich gerade mit dem zehnjährigen Rija, dessen Eltern wohl Angst hatten, die Arztrechnungen nicht aufbringen zu können und deshalb nichts gegen einen risiegen, schmerzhaften Abzess am Oberschenkel unternahmen. Also bin ich mit ihm zum Doktor und dann direkt ins Krankenhaus. Als Rija aus der Chloroform-Narkose aufwachte, saß ich alleine neben seinem Bett und habe alle meine Sprachkenntnisse zusammengesucht, um ihn aufzumuntern. An diesem Tag habe ich ihn auch erstmals wieder lachen sehen", erzählt Dorfelder.

Engagiert sich für die Schwächsten: Jenny Dorfelder bringt Straßenkindern auf Madagaskar Schreiben und Rechnen bei

Foto: kh

An fünf Tagen in der Woche kommen jeweils um die 70 Kinder in das Sozialzentrum der unter einheimischer Leitung stehenden nichtstaatlichen Organisation "Manda" im Stadtteil Tsiadana nahe der Universität. Manche von ihnen nehmen einen über einstündigen Fußmarsch auf sich. In der Einrichtung können sie die ihrem Niveau entsprechende Schulklasse besuchen, erhalten zwei Mahlzeiten täglich, können ihre schmutzige und verlöcherte Kleidung waschen oder einfach nur spielen. Täglich ist zudem ein Arzt im Haus, der die Schützlinge bei Bedarf untersucht und sich um die Einhaltung anfallender Impftermine kümmert. Ältere ehemalige Straßenkinder werden in einer angegliederten Schreinerwerkstatt beziehungsweise im Weben, Nähen und Schneidern ausgebildet. Die Ergebnisse sind erstaunlich. "Etliche Abgänger konnten schon in die eigene Selbstständigkeit entlassen oder an weiterführende Ausbildungsbetriebe und Firmen vermittelt werden." Dorfelder, die Pädagogik, Ethnologie und Allgemeine Religionswissenschaften studiert, hat schnell ihren Platz in der lebendigen und engagierten Gemeinschaft unter Leitung der Deutsch sprechenden Miarintsoa Razanakiniaina gefunden.

Zur schnellen Kontaktaufnahme haben auch Dorfelders Kenntnisse der Landessprache Malagasy beigetragen, die sie sich bei einer in Münster lebenden Madagassin erworben hat. "Dieser Grundwortschatz hat mich den Kindern, die alle ohne Scheu sofort auf mich zugestürmt sind, direkt näher gebracht. In wenigen Minuten kannte ich fast alle Namen."

Mit den Kindern der Vorschule übt Dorfelder noch bis zum März Schreiben und Rechnen. "Die Kleinen haben viele Fähigkeiten, sind neugierig, lernbegierig und freuen sich riesig, wenn sie den ersten Buchstaben schreiben können. Man muss ihnen eine Chance geben und sie fördern." Mit den Jungen der Schreinerwerkstatt hat sie ein Kulturprojekt gestartet. Gemeinsam mit ihrem Betreuer Theophil sollen sie anhand von Erzählungen Traditionen reflektieren und die darin enthaltenen Botschaften für ihr Leben verstehen lernen oder sie eventuell auch verwerfen. Im Schwimmbad der Uni lernen die Mädchen der Lehrwerkstatt von Dorfelder, sich im nassen Element sicher zu bewegen.

Die vielseitig begabte Studentin hat auch ein Theaterprojekt gestartet, „mit dem ich die Interessen der Straßenkinder in die Öffentlichkeit, also auf die Straße, bringen werde und den Kindern ein Bewusstsein dafür geben möchte, welche Rechte sie besitzen.“ Die Bürger der Hauptstadt sollen sensibilisiert werden und erfahren, was die oft verstoßenen Kinder zu leisten imstande seien, wenn sie wie ihre Alterskameraden in intakten Familien die Möglichkeit dazu erhalten: "Das Thema Straßenkinder darf nicht totgeschwiegen werden. Es ist ein real existierendes Problem."

"Interkulturelle Arbeit interessiert mich sehr und ich kann mir durchaus vorstellen, nach dem Studienabschluss im Ausland zu arbeiten", sagt Dorfelder, die sich auch ehrenamtlich in der gemeinnützigen Gesellschaft zur Unterstützung von Asylsuchenden aus aller Welt in Münster engagiert. Mit deren Theatergruppe feierte sie nach eineinhalbjähriger Probe im Frühjahr und Sommer 2004 mit dem Stück "Dazwischen" bei mehreren Auftritten, darunter auch in Hamburg und Lübeck, schöne Erfolge. Die beiden Regisseurinnen und sieben Akteure erhielten zudem im Rahmen der Verleihung des Nord-Süd-Preises der Stadt Münster eine Sonderauszeichnung für ehrenamtliches Engagement in der Entwicklungszusammenarbeit.

Klaus Heimer