„Meine Sicht ist nur eine von vielen ...“

Interkulturelle Mediation ermöglicht Konfliktbereinigung
Den Konflikt als Chance sehen und Kommunikation ermöglichen, wo Gespräche zwischen Menschen unterschiedlicher Kulturen in Schweigen, Missverstehen oder Streit enden – dazu kann interkulturelle Mediation einen wichtigen Beitrag leisten. Birgit Luig, Mitarbeiterin am Institut für Ethnologie und ausgebildete Mediatorin und Geschäftsführerin des interdisziplinären Forschungs- und Studienverbundes Südostasien an der WWU, erklärt, was Mediation meint: "Es ist ein auf Freiwilligkeit ausgerichtetes außergerichtliches Verfahren, bei der zwei Konfliktparteien verantwortlich und selbständig eine Lösung mit höchstmöglichem Gewinn für beide finden, und dies unter Assistenz einer unparteilichen dritten Partei." Interkulturelle Mediation folgt diesem Schema, ergänzt durch notwendige interkulturelle Kompetenz und möglichst ethnologisches Fachwissen.

Die Einsatzfelder der interkulturellen Mediation sind vielfältig, die Zahl der Bereiche wächst beständig: sie wird gebraucht in Schulen, zwischen und innerhalb von Wirtschaftsunternehmen, in Familien, sozialen, kulturellen und fachlichen Institutionen, Nachbarschaften, am Arbeitsplatz, im Gemeinwesen, in Pädagogik und Politik ... Sie folgt dabei immer gleichbleibend zwei grundlegenden Prinzipien: Freiwilligkeit und Selbstverantwortung. Die wachsende Pluralität der Gesellschaft biete gleichermaßen vermehrt Chancen aber auch Konfliktpotential: "Interkulturelle Kompetenz wird dabei künftig in allen Bereichen immer wichtiger werden", ist sich Luig sicher. Die Reflexion der eigenen Kultur, der Werte, die die eigene Sichtweise geprägt haben, erlangt in diesem Zusammenhang große Bedeutung.

Die dabei vielleicht wichtigste Erkenntnis sei: "Meine Sicht ist eine von vielen möglichen ..." Unbekanntes nicht grundsätzlich nur nach eigenen Maßstäben zu bewerten, sondern auch anderes zuzulassen, und ab und zu eine wenig Distanz zur eigenen kulturellen Identität herzustellen – diese Herangehensweisen helfen in der interkulturellen Auseinandersetzung.
Ein Mediationsprozess war dann erfolgreich, wenn die Konfliktparteien im Gespräch selbst eine Lösung für ihr Problem gefunden haben, mit der beide Parteien gut leben können. Die Funktion des Mediators habe den Charakter einer allparteilich-neutralen Moderation, keinesfalls eines Schiedsrichters, betont Birgit Luig: "Zum Wesen der Moderation gehören Wahrnehmen, Identifizieren, Vermitteln. Die Ziele: Kommunikation ermöglichen, Beweggründe wahrnehmen und erkennen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausstellen."

"In einer Mediation geht es grundsätzlich immer darum, Menschen in die Lage zu versetzen zu verstehen, wie der andere denkt, einen Perspektivenwechsel vorzunehmen", beschreibt Luig das Vorgehen. Dabei werde den Parteien im besten Fall deutlich: "Es gibt immer verschiedene Ausschnitte von Wahrheit. Man kann eine Sache auch von einer anderen Seite aus und dabei ebenfalls richtig sehen." Wenn man die anderen in ihrem Denken und Handeln ernst nehme und ihre Beweggründe verstehen könne, sei ein Stück Annäherung im Dialog schon getan. Dies gilt im Übrigen für intra- wie interkulturelle Mediation gleichermaßen.

Im Spezialfall der Mediation zwischen Angehörigen unterschiedlicher Kulturen sind besondere Kenntnisse und Herangehensweisen notwendig. Luig weiß aus Erfahrung: "Unser Konzept von Mediation ist in westlichen Gesellschaften entwickelt worden. Unsere Definitionen von Streitkultur, unsere Vorstellungen von Gesprächsführung, psychologischen und sozialen Konzepten spielen dabei eine Rolle. In anderen Kulturen können aber ganz andere Konzepte wichtig sein" – andere Begriffe von Zeit, von Konflikt und Auseinandersetzung, andere Definitionen von Gender, Grenzen von Offenheit, Tabus, andere Schlichtungsformen und Bedeutung von Begriffen wie Schande oder Gesichtsverlust.

Natürlich gebe es Situationen mit Eskalationsformen, in denen eine mediative Lösung schwierig oder Mediation nicht mehr anwendbar sei, so im Falle von gewaltsamen Auseinandersetzungen oder wenn Machtunterschiede zu groß sind – hier sind der Mediation Grenzen gesetzt. Ethnologisches Fachwissen helfe insofern, als dass der Mediator sich dieser Problematik bewusst und bereit sei, sich von seinen kulturellen Konzepten zu lösen und mit Offenheit und Flexibilität auf die Situation einzugehen. Handeln und Verhalten beruhen auf kulturspezifischen Vorstellungen, die eigenen Normen- und Wertesystemen folgen. "Wenn wir uns mit anderen Kulturen beschäftigen und lernen, was eine Gesellschaft zusammenhält, halten wir auch unserer eigenen Kultur einen Spiegel vor. Wir lernen, was Gesellschaften verbindet, was sie unterscheidet und abgrenzt und somit Identität definiert", erläutert Luig.
 
Manchmal sei es auf dem Weg zu Lösungen auch wichtig, an manchen Stellen Gegensätze stehen lassen zu können und den Widerspruch als Nebeneinander zu akzeptieren, betont sie. Dem Gegenüber trotz aller kultureller Unterschiede und Fremdheit eine wertschätzende, wohlwollende Haltung entgegenzubringen – das ist ein Teil des Geheimnisses mancher gleichberechtigter gewaltfreier Konfliktlösung.
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Nähere Informationen unter luigb@uni-muenster.de