Konzentrierte Erdgeschichte in barocken Gewölben

Entdeckungen im Geologisch-Paläontologischen Museum
Mammutskelett

Wahrzeichen des Museums: Das Mammut,in Ahlen gefunden, gehört zu den wertvollsten Objekten, weil es das vollständigste und von einem Individuum stammende Skelett in Deutschland ist.

Foto: Sabria Saur

Im Geologisch-Paläontologischen Museum lässt sich nicht nur in eine Welt, Jahrmillionen vor unserer Zeit, eintauchen, sondern auch in Zeitläufe, die uns näher liegen und doch schon wieder fast vergessen sind. Die Gewölbe erzählen vom Bau der Landsberg'schen Kurie von 1703 bis 1707, der Luftschutzkeller von den Schrecken des Zweiten Weltkriegs. Das älteste Museum der Universität in der Pferdegasse gehört auch zu den beliebtesten, doch die Kellerräume bleiben den rund 15000 Besuchern pro Jahr zumeist verborgen.

Gut sichtbar sind die unterschiedlichen Entstehungsstufen des Museums. Der Westfalen-Saal ist ganz im speziellen Charme der 60er Jahre belassen, klotzige Schränke bergen die Kreidezeit Westfalens. In den vergangenen 40 Jahren hat es hier in der Präsentation, die vor allem für Studierende gedacht war, kaum Veränderungen gegeben. Der fachfremde Besucher sieht sich mit knappen Artbezeichnungen konfrontiert, die sich nur dem Eingeweihten erschließen. "Wir erhalten den Raum als historisches Dokument", erläutert Dr. Markus Bertling, Leiter des Geologisch-Paläontologischen Museums. So finden sich hier auch Stücke des originalen Giebelfrieses der Landsberg’schen Kurie, die in den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs stellenweise bis auf die Grundmauern – aber glücklicherweise auch nicht weiter – niedergebombt wurde. Anhand verschiedener Zigaretten- und anderer Aufbewahrungsschächtelchen, die den Lauf der Zeit dokumentieren, wird hier die Geschichte des Museums visualisiert.

Eine Geschichte, die vor 180 Jahren begann. Als Teil der damaligen medizinischen Akademie
Landsberg'sche Kurie

Barocker Prachtbau: die Landsberg'sche Kurie

Foto: Sabria Saur

wurde das Museum 1824 gegründet, allerdings erst 1904 öffentlich zugänglich gemacht. Das Mineralogische Museum spaltete sich 1886 ab, und unter dem münsterschen Unikum und Biologieprofessor Hermann Landois entstand das Naturkundemuseum als weiterer "Ableger" des Geologisch-Paläontologischen Museums. Zweiteres beherbergt heute den weltgrößten Ammoniten, in letzterem begrüßt zumindest ein Abguss dieser ausgestorbenen Weichtierform den Besucher gleich im Eingangsbereich.

Geld fehlt, um überall den neuesten Stand zu zeigen

Moderne Präsentationsformen wie die Tropfstein-Höhle im Eiszeitsaal, die erst im August dieses Jahres eingeweiht wurde, lösen nach und nach die teilweise antiquiert wirkenden Schränke und Schubladen ab. Doch fehlt das Geld, um die Mutter aller Naturkundemuseen in Münster und ihre wertvolle Sammlung von Grund auf zu erneuern. So zeigt eine Schautafel noch immer das Bild der 60er Jahre von der Menschwerdung unserer Primatenart, wissenschaftlich überholt und immerhin mit der Notiz versehen: "Völlig veraltet." Auch dies ist ein kleiner Hinweis nicht nur auf die Geschichte der Erde und ihrer Bewohner, sondern auch auf die des Museums, in dem zumindest eine kleine Vitrine die aktuellen Erkenntnisse zum Aussehen von Neandertalern und Homo sapiens sapiens zeigt.

Knochenregal


Säuberlich geordnet sind die Dino-Knochen, die nicht im Erdgeschoss präsentiert werden können.

Foto: Sabrina Saur

Der Charme des Improvisierten setzt sich unterirdisch fort. Hier, dem normalen Besucher verborgen, lagern in den dreihundert Jahre alten Gewölben jene Fundstücke, die zu kostbar sind, um im Tagesbetrieb gezeigt zu werden, oder für den Laien zu wenig aussagen. Jahre hat es gebraucht, in Steinen, Knollen, Knochen Ordnung zu schaffen. Das erste Gewölbe nur streifend, vielen Angehörigen der Universität wohl noch als Partyraum in Erinnerung, ursprünglich wahrscheinlich ein Weinkeller und heute Zwischenlager für die Präparatoren, geht es in die wichtigste unterirdische Abteilung. Versteckt befindet sich hier die Sammlung der wissenschaftlich bedeutsamen Originale. Sortiert ist sie nach den Jahren, in denen der Fund veröffentlicht wurde. Krebse aus der Kreide, entdeckt 1862, liegen in schweren Holzschränken mit Schubladen neben Quarz-Bildungen aus den Halterner Sanden, 1843 entdeckt.

„Diese Objekte sind unersetzlich, weil sie einmalig sind“, erläutert Bertling. Denn sie sind das jeweils erste Fundstück einer Art, die so genannten Holotypen, müssen der Wissenschaft stets zugänglich sein. Hier wurden neue Fossilarten aufgestellt und für künftige Generationen beschrieben. Wie viele Holotypen in den Kellern zu finden sind, kann nicht einmal Bertling sagen, insgesamt, so schätzt er, liegen in dieser Abteilung rund 1500 Stücke. In einem weiteren Raum liegen jene Funde, die die münstersche Paläontologie weltweit bekannt gemacht haben: Die Korallensammlung, maßgeblich ausgebaut unter Dr. Klemens Oekentorp. Die Vielfalt der dünn geschliffenen Proben ist fast einmalig, "Münster hat nach wie vor einen Ruf als Korallen-Institut", erinnert Bertling an seinen Vorgänger. Viele Wissenschaftler reisen nach Münster, um die Holotypen nicht nur der Korallen zu studieren, manche Stücke werden in alle Welt verschickt.

In feuchter Luft verlieren sich die Spuren

Kamine, Nebenkammern, Aus- und Einwölbungen, die sich unter dem dreiflügeligen Bau, der 1956 wieder aufgebaut wurde, herziehen, machen die Keller des Geologisch-Paläontologischen Museums zu einem Gelände, in dem man einem Pfadfinder oder eine Karte braucht. Die Luft ist schlecht und muffig. Den Fundstücken, die teilweise Jahrmillionen überstanden haben, kann das weniger anhaben, wohl aber den handschriftlichen Zettelchen, die erst vor einem Jahrhundert aufgeklebt wurden. Das ist deshalb Besorgnis erregend, weil die Fossilien nur dann von wissenschaftlichem Wert sind, wenn der Fundort und die Fundumstände en detail bekannt sind. Die Stücke stehen nicht für sich, sondern repräsentieren jeweils einen Lebensraum, der sich nur im Zusammenhang erschließt.

Gut aufbereitet ist das Kellerabteil mit den eiszeitlichen
Chaotische aber beschriftete Sammlung

Scheinbar chaotisch, aber immerhin meist beschriftet ist die Sammlung des Geologisch-Paläontologischen Museums

Foto: Sabrina Saur

Tierknochen. Überreste von Wollnashörnern füllen allein vier Schränke, die Bezeichnung "Letmathe 1880" gibt Hinweise auf den Sammler und damit auf die Fundgeschichte. In den Schubladen liegen die Beckenknochen und Zähne von Mammuten säuberlich nebeneinander. „Das war nicht immer so“, räumt Bertling ein, der sein Museum auch als "Ausgrabungsort“ begreift. So konnte vor drei Jahren das Skelett eines "Bulldoggenfisches" (Xiphactinus), des größten und gefährlichsten Knochenfisches der Oberkreide-Zeit, noch dazu das älteste Exemplar seiner Gattung und das erste aus ganz Mitteleuropa, der Öffentlichkeit präsentiert werden. Unentdeckt hatte es 50 Jahre in den Kellern des Museums geruht.

Auch wenn der Schwerpunkt der Sammlung auf dem westfälischen Raum liegt, befinden sich hier beispielsweise Holotypen von der griechischen Insel Samos: Sieben Millionen Jahre alte Giraffen und Antilopen. Zwischen ihnen stehen noch die orginalen Sammlungskisten von Wegner aus den 1920er Jahren, die wohl niemals gesichtet worden sind. "Hier könnten uns noch einige Überraschungen erwarten", meint Bertling. Ebenfalls von weit her kommen die kristallinen Geschiebesteine, die ein Sammler dem Museum vermacht hat. Untergebracht sind die skandinavischen Fundstücke im sichersten, aber auch feuchtesten Raum des Hauses: im Luftschutzkeller, eine Etage unter den barocken Gewölben. Den Steinen selbst, die ein pensionierter Chemiker aus Dorsten unentgeltlich ordnet, macht die muffige Luft nichts aus. Die vor einem halben Jahr hier abgestellten Holzschränke schimmeln jedoch bereits, denn für Raumentfeuchter fehlt das Geld.

Fische aus der Oberkreide lagern auf dem Dach

Nicht nur unter der Erde finden sich unbekannte Schätze, auch unter dem Dach lagert zwischen neuzeitlichen Knochen, die zu Vergleichen herangezogen werden, eine unersetzliche Sammlung von Fischen aus der Oberkreide der Baumberge und von Sendenhorst, die im 19. Jahrhundert gefunden wurden. Nirgends sonst sind so vollständig erhaltene Schwärme zu finden. „Durch eine unterseeische Schlammlawine wurden sie lebend eingebettet, so dass Lebewesen aus ganz unterschiedlichen Wassertiefen erhalten blieben“, erklärt Bertling. "Wir haben so viele davon, dass wir gar nicht alle ausstellen können, aber ein Museum ist ja vor allem ein Ort der Bewahrung und nicht nur der Präsentation."

Gerne würde Bertling die Schaustücke in den öffentlich zugänglichen Räumen häufiger wechseln. "Wir haben viele Ideen, aber wenig Zeit und Geld", sagt der Museumsleiter seufzend. Immerhin bleibt Besuchern der einmal jährlich stattfindenden Taschenlampen-Führungen durch die Gewölbe der Pfedergasse so die Gewissheit, wahre Schätze entdecken zu können ...
Brigitte Nussbaum