Selber denken ist out, kopieren ist in

Plagiate und Betrug werden durch das Internet immer einfacher

Verführerisch einfach ist der Ideenklau mithilfe des Internets. Aber viele Fachbereiche haben reagiert und eine härtere Gangart angedroht.

Foto: Nicole Bendig

Kopieren und einfügen – es geht ganz leicht. Schnell füllen sich so die Seiten der Hausarbeit. Eine lange und aufwändige Recherche, endloses Bücherwälzen und wochenlange Arbeit bleiben erspart. Schließlich bietet das Internet eine wahre Fundgrube an Informationen, einfach per Mausklick. Wozu selber machen, was schon andere vollbracht haben? Wer allerdings die Quellen des geistigen Ergusses, ob sie nun aus dem Internet oder vom Kommilitonen stammen, nicht angibt, das heißt, wer so tut, als sei der Inhalt selbst verfasst, bewegt sich auf gefährlichem Terrain.

Terrain, das der geschäftsführende Direktor des Instituts für Kommunikationswissenschaft (IfK), Prof. Bernd Blöbaum, jetzt neu abgesteckt hat, nachdem in der Vergangenheit ein schwer wiegender Täuschungsversuch vorgekommen war. Blöbaum kündigte deshalb verstärkte Kontrollen von den Dozenten des IfK an. „Bei Prüfungsleistungen wie Magisterarbeiten können Täuschungsversuche in schweren Fällen zur Exmatrikulation führen“, warnt er. Auslöser war eine nahezu komplett aus dem Internet übernommene Hausarbeit. „Mir ist die lange Literaturliste der Hausarbeit aufgefallen, die weit über das Literaturverzeichnis aus dem Seminar hinausging“, meint Blöbaum. Als ihn auch noch einige Formulierungen stutzig machten, suchte er bei  www.hausarbeiten.de nach einer entsprechenden Arbeit und sein Verdacht bestätigte sich: Er fand dort den Urheber des Textes und musste feststellen, dass die Arbeiten fast identisch waren. Im Kollegenkreis waren ähnliche Fälle, aber in abgespeckter Form, auch bekannt. „Wir wollen etwaige Schummler stärker abschrecken“, sagt Blöbaum „denn Plagiate sind kein Kavaliersdelikt.“

Propädeutik wird den Studierenden der Kommunikationswissenschaft gleich in den ersten beiden Semestern beigebracht. In einem Pflicht-Orientierungskurs erklären Tutoren das wissenschaftliche Arbeiten, korrekte Zitierweisen und den Umgang mit Bibliotheken. Demnach müssten die Studierenden wissen, wie man es richtig macht. Blöbaum sieht die Gründe für Schummeln und Plagiate zum einen in der Bequemlichkeit und zum anderen in einer Haltung, die schon in der Schule antrainiert werde. Für Referate oder ähnliches suchten Schüler als erstes im Internet und nicht in einschlägigen Büchern. Er hat den Eindruck, dass vor allem jüngere Studenten unbekümmerter mit dem Internet umgehen. Aber man dürfe nicht vergessen, dass es sich um Einzelfälle handele. So geht er grundsätzlich davon aus, dass eingereichte Arbeiten mit fairen Mitteln entstanden sind: „Ich trete von vornherein nicht misstrauisch auf, das ist auch für die Atmosphäre nicht förderlich.“ Überlegungen am IfK gehen dahin, die Studierenden schriftlich bestätigen zu lassen, dass die Arbeit nur mit den angegebenen Mitteln und Quellen erstellt wurde. Blöbaum hofft, dass das nicht nötig sein wird: „Ich setze stark auf die Einsicht der Studierenden.“

Das Zentrum für Niederlande-Studien setzt so eine Erklärung bereits ein. Nicht nur bei Diplom- oder Magisterarbeiten, sondern auch bei Hausarbeiten. „Unter Umständen kann ein Plagiatsfall zum Ausschluss vom Studium führen“, warnt der Direktor am Zentrum für Niederlande-Studien, Prof. Friso Wielenga. Er räumt ein, dass sich Plagiatsfälle häuften, so dass eine derartige Warnung notwendig wurde. Er hat kein Mitleid mit Plagiatoren, „zero tolerance“ ist seine Devise. Durch die schriftliche Erklärung überlegen Studierende nach seiner Ansicht zweimal, bevor sie „klauen“.

Doch trotzdem wurde ein weiterer Fall aufgedeckt. Wielenga sah sich gezwungen, eine härtere Gangart einzulegen. Der Prüfungsausschuss beschloss daraufhin, dass Studierende in zwei Stufen bestraft werden: Liegt ein Plagiat vor, erfolgt der Ausschluss aus dem Seminar, das frühestens im nächsten Jahr wiederholt werden kann. Zusätzlich muss der „Übeltäter“ eine mündliche Prüfung ableisten. Die Pflichtlektüre umfasst hier ungefähr 600 bis 1000 Seiten. Sollte es zu einem wiederholten Fall von Plagiat kommen, wird derjenige vom Studium ausgeschlossen. „Die Strafe muss weh tun“, meint Wielenga, „wir dürfen keine weichen Knie zeigen“. Natürlich erleichtere das Internet das Plagiat, aber auch die Lehre in großen Gruppen mit wenig Kontakt zu Studierenden ließe die Motivation sinken. Das immer gleiche Schema „Seminar, Referat, Hausarbeit“ sei einfallslos. Vielleicht könne die Motivation der Studierenden durch mehr Gruppenarbeit und eine Abwechslung der Aufgaben verbessert werden.

Das Internet hilft nicht nur den Betrügern, sondern auch jenen, die ihnen auf die Spur kommen wollen. Der Deutsche Hochschulverband empfiehlt allgemeine Suchmaschinen wie google oder altavista oder spezielle, aber kostenpflichtige Suchdienste (www.turnitin.com). Anzeichen für Plagiate sind zum Beispiel gleiche Rechtschreibfehler in mehreren Arbeiten, ungewöhnlichen Formulierungen oder Stilbrüche.

Kaum zu entdecken, aber dafür auch nicht zum Internet-Nulltarif zu haben, sind Arbeiten, die man sich komplett von jemand anderem schreiben lässt. Wochenlanges Lesen, mühevolles Formulieren – all das kann man sich dann sparen. Doch ganz kann man die Verantwortung nicht abgeben, weiß Nina*, Mutter dreier Kinder. Sie hat nicht studiert, aber trotzdem vor Jahren einige Hausarbeiten geschrieben und war bei einer Handvoll Diplom- und Magisterarbeiten Mitverfasserin. Dazu kamen etliche Referate, an denen sie mitgewirkt hat. „Irgendwann habe ich bei einem Referat jemandem auf die Sprünge geholfen – und schon hatte ich den ersten „Kunden“. Das wird dann zum Selbstläufer“. Das Geld war nicht ihre Hauptmotivation – „ich schätze, ich habe unter dem Stundenlohn einer Putzfrau gelegen“ –, sondern die Herausforderung und die daraus resultierende Selbstbestätigung. In BWL und Germanistik habe sie die Arbeiten weitgehend selbstständig verfasst, weil es am einfachsten und auch ohne eigene akademische Vorbildung möglich gewesen sei. Bei naturwissenschaftlichen Arbeiten dagegen habe sie nur die Formulierung übernommen, für die korrekten Inhalte waren die offiziellen Verfasser zuständig.

Weder Faulheit noch Dummheit, so ihre Erfahrung, sind der Grund dafür, einen Ghostwriter zu engagieren. „Ich glaube, dass es in den meisten Fällen an der mangelnden Selbstorganisation liegt. Aber häufig war wohl auch die falsche Themenwahl ein Grund. Mit wirklich faulen oder dummen Studenten hätte ich nie zusammenarbeiten können, das wäre für mich ein unglaubliches Arbeitspensum gewesen, weil solche Leute einem die falsche Lektüre besorgen“.

Von Fremden geschriebene Arbeiten sind kaum zu entdecken, weil es ja stets Originale sind. Einfacher aufzudecken war dagegen ein plumper Betrugsversuch bei den Juristen. Eine Studentin legte ihrem Dozenten die Kopie eines Leistungsnachweises mit zehn Punkten vor und bat um Ausstellung eines Originals, da sie dieses verloren habe. Als der Dozent die entsprechende Arbeit durchsah, war er über die Notenvergabe erstaunt, die Leistung reichte eigentlich nicht für ein Bestehen aus. Er bemerkte auf der Kopie des Scheins Schnittkanten bei der Note, die einfach überklebt und kopiert worden war. „Urkundenfälschung nennt man so etwas“, weiß Dekan Prof. Bodo Pieroth. Er erstattete Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft. Gegen Zahlung von 1000 Euro stellte diese das Verfahren ein. Mit der Strafanzeige will der Dekan ein deutliches Zeichen setzen. „So etwas lassen wir uns nicht gefallen“, meint der Akademiker, „gerade angehende Juristen sollten doch über ein Rechtsbewusstsein verfügen.“

Mit der Änderung des Juristenausbildungsgesetzes ab 2006, durch die die Hausarbeit ein stärkeres Gewicht erhält, soll stärker als bisher auch auf Plagiate geachtet werden. „Die Kollegen und Kolleginnen fangen schon jetzt an, sich schriftliche Arbeiten von den Studierenden auch in digitaler Form geben zu lassen, um sie später leichter durch die entsprechenden Suchprogramme zu schicken“, verrät Pieroth. Zur Zeit zählen die Seminararbeiten noch nicht für das entscheidende erste Staatsexamen, so dass scharfe Kontrollen auch nicht nötig seien. Außerdem würden mehrere Korrektoren für die Arbeiten eingesetzt, so dass zum Beispiel identische Texte kaum enttarnt werden können.

Es gibt immer zwei Seiten einer Medaille. Denn manchmal vermuten Professoren Plagiate, wo keine sind. So geschehen einer Studentin, die eine Hausarbeit ohne „Hilfe“ des World Wide Web und ohne „Unterstützung“ durch Kommilitonen geschrieben hatte. Doch der Dozent glaubte Corinna* nicht, dass sie die Arbeit selbst verfasst hatte. Er kontrollierte sogar das Literaturverzeichnis, ob die angegebenen Bücher in Münster frei zugänglich waren. Obwohl der Dozent ihr nichts nachweisen konnte, wollte er die Studentin zusätzlich mündlich prüfen. „Am Ende glaubte er mir zwar endlich, aber der bittere Beigeschmack bleibt natürlich“, meint Corinna.

Zweischneidig war auch das Erlebnis von zwei Betriebswirtschaftsstudenten. Sie hatten, zugegebenermaßen, eine Hausarbeit „gemeinschaftlich“ geschrieben. Doch während der eine sich über eine gute zwei freuen konnte, wurde die Arbeit des anderen nur mit ausreichend bewertet. Zwei verschiedene Korrektoren hatten also eine identische Arbeit sehr unterschiedlich benotet. „Natürlich war das, was wir gemacht haben, nicht in Ordnung, aber daran kann man doch sehen, dass an der Universität auch nicht immer alle fehlerfrei arbeiten“, meinen die Studenten einstimmig.

Spätestens bei der Abschlussprüfung ist ohnehin echtes Wissen gefragt. Da hilft auch kein Internet mehr ...
Petra Landwehr/bn
*Namen von der Redaktion geändert