Vor den Karren der Ideologie gespannt
Hingehen, zuhören, Referat halten, Hausarbeit schreiben, Schein einheimsen - so funktioniert das normalerweise in einem Hauptseminar. Nicht so bei den Philologen, genauer gesagt bei den Sprachwissenschaftlern. Die Teilnehmer des Hauptseminars "DDR-Deutsch und Deutsch in der DDR" halten am Ende nicht nur ihren Leistungsnachweis in den Händen, sondern auch ein Buch. Dessen Untertitel stimmt mit dem Titel des Seminars überein, darüber in fetten Lettern: "Vor dem Karren der Ideologie". Verlegt beim Waxmann Verlag, 365 Seiten stark, knallrot eingebunden, knapp dreißig Euro.
Das Fazit lautet: Politik hat immer Auswirkung auf Sprache. Daraus folgt: Die Politik der ehemaligen DDR hat die Sprache der Menschen maßgeblich beeinflusst. Die 21 Autoren beleuchten das Thema aus unterschiedlichen Blickwinkeln: Zum einen wird die Sprache aus Presse, Funk und Fernsehen analysiert, zum anderen die Sprache von Liedern und des Kabarett. Drei Beiträge nehmen exemplarisch die Stasiakten "Täuscher" und "Antenne" unter die Lupe, außerdem die Jugendsprache der DDR und die Parolen der Wende. Ein Vergleich beider deutscher Duden und ein Blick auf die sprachlichen Entwicklungen seit der Wiedervereinigung runden das Thema ab.
Privatdozent Dr. Klaus Siewert, Herausgeber des Buches, formuliert es drastisch: "Die Menschen in der DDR sind zweisprachig aufgewachsen: Zum einen haben sie die offizielle Sprache der DDR gelernt, die ihnen regelrecht eingetrichtert wurde, zum anderen haben sie ihre Alltagssprache gehabt." Gerade deren Erforschung ist nicht ohne Tücken, dokumentiert ist die Alltagssprache der ehemaligen DDR nämlich nicht. "Die Not der Quellenlage ist eine echte Herausforderung für jeden Wissenschaftler", sagt Siewert, der mit dem Buch die eine oder andere Forschungslücke schließen möchte.
Die 27-jährige Susanne In der Smitten, ehemalige Seminarteilnehmerin, hat das Werk mit vorangebracht: "War eine schwere Geburt, die 365 Seiten unter Dach und Fach zu bringen." Das Seminar liegt drei Jahre zurück, das Buch ist seit wenigen Wochen im Handel. Dabei fing alles so harmlos an - und für Studierende durchaus erfreulich. Nachdem der Veranstalter Siewert die Hausarbeiten der Kursteilnehmer durchgearbeitet hatte, lud er seine pfiffigsten Studenten zu einem Autorentreffen ein. Die Studenten hatten so brauchbare Texte abgegeben, dass er entschied: Daraus machen wir ein Buch. Sprachwissenschaftler Siewert: "15 Jahre nach der Wiedervereinigung ist die unterschiedliche Entwicklung der deutschen Sprache in Ost und West glücklicherweise gestoppt. Die Erforschung dieser jüngsten deutschen Sprachgeschichte ist aber längst noch nicht abgeschlossen."
Prima Idee, fanden die Studenten. Und machten sich bienenfleißig an die Arbeit. Federführend Susanne In der Smitten: "Als erstes galt es, die Texte zu bearbeiten, zu verbessern und ein Register zu erstellen." Siewert, zwischenzeitlich wegen eines Lehrauftrags in Darmstadt, widmete sich neuen Aufgaben mit den hessischen Studenten und ließ die münsterschen Autoren alleine weiterwerkeln. In der Smitten: "Das kennt man ja aus den Hauptseminaren. Die Dozenten stellen das Thema, was draus wird, bleibt vorerst im Dunkeln." Das Buch-Projekt kam ins Stoppen. Siewert: "Ich war an der Technischen Uni in Darmstadt damit beschäftigt, ein Symposion zum Thema "Sprache der DDR" zu organisieren. Immerhin konnten Beiträge dieser Veranstaltung später in das Buch mit einfließen." Die Autorentruppe in Münster manövrierte sich mit aller Kraft aus der Ratlosigkeit heraus, gemeinsam mit dem Dozenten gewannen die Autoren den Waxmann-Verlag für das Projekt.
Die Kräfte von Herausgeber und Autoren wurden gebündelt, einmal tief durchatmen, und ab auf die Zielgerade: Das Register musste ein weiteres Mal erstellt werden, In der Smitten wuchs das eine oder andere graue Haar. "Wie immer liegt der Teufel im Detail, aber letztlich haben wir die Sache rund bekommen." Findet auch Autor Marc Strucken, der die Kuba-Krise untersucht hat, genauer gesagt die unterschiedliche Berichterstattung darüber im "Neuen Deutschland" und der "Welt". Strucken sagt: "Ich bin froh, dass wir die Kurve mit dem Buch noch bekommen haben und nun alles hinter mir liegt." Stolz hält er das Werk in den Händen, von dem er seinem Onkel bereits ein Exemplar verkauft hat.
Klaus Siewert (Hrsg.) unter Mitarbeit von Susanne In der Smitten und Florian Ziem, "Vor dem Karren der Ideologie. DDR-Deutsch und Deutsch in der DDR", Waxmann-Verlag, 29,80 Euro, www.waxmann.com