Therapeutische Klänge

Viele Mediziner im Universitätsklinikum sind auch begeisterte Musiker
[Willich]
Anspruchsvoll sind Beruf und Hobby für Prof. Normann Willich, der in vielen Orchestern Cello spielt.
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Tagsüber noch im weißen Kittel und mit einem Stapel Akten unter dem Arm von einem Patienten zum nächsten unterwegs, wird so mancher Arzt nach Feierabend zum leidenschaftlichem Musiker. Wie passt das zusammen? Gibt es tatsächlich eine Verbindung zwischen dem wissenschaftlichen Beruf und der Hingabe für die Musik?

"Unbedingt", ist sich Prof. Wolfgang Stoll sicher. Der singende Direktor der hiesigen HNO-Klinik verwandelt sich mit seinem Gitarre spielenden Oberarzt Dr. Wolfgang Hermann nach der Arbeit regelmäßig in das Duo "Wolf und Hermann". Der Audiometrie-Untersuchungsraum, in dem tagsüber komplizierte Hörtests durchgeführt werden, wird dann zum Probenraum. "Ein bisschen trösten, ein bisschen Händchen halten, das hilft den Jungen und hilft auch den Alten ..." - klingt ihre Musik über den ausgestorbenen Flur der Klinik. "Wir konnten uns hier einen kleinen Bereich einrichten", freut sich Hermann. Da die Musik, wie Stoll erklärt, in der HNO-Heilkunde traditionell eine große Rolle spielt, ist der Sprung zwischen den beiden Bereichen gar nicht so weit für das Duo. So verarbeiten sie auch viele HNO-spezifische Themen in ihren Songs. Selbst den "Lovely Popel" besingen sie in ihrer Ende des Jahres erscheinenden CD. "Wir nehmen kleinere medizinische Probleme, aber auch uns selbst auf den Arm", so Stoll. Die Musik bildet aber für "Wolf und Hermann" auch einen Ausgleich zum stressigen Beruf. "Sie befreit innerlich und sie ist eine Art Ventil für uns", so das Duo. Auch die Patienten würden eine positive Resonanz zeigen: "Wir sind schon richtig berühmt", lacht Stoll. Während der Arbeit sind sich die beiden allerdings der Hierarchie bewusst. "Das ist sehr wichtig", so Hermann.

Einen Zusammenhang zwischen Medizin und Musik kann Prof. Normann Willich, Direktor der Klinik für Strahlentherapie und gleichzeitig talentierter Cellist, im Gegensatz zu Stoll und Hermann nicht sehen: "Es gibt viele Ärzteorchester, aber das hängt nicht direkt mit der Tätigkeit zusammen. Die meisten spielen ja schon seit der Kindheit." Willich selbst hatte früher sogar mit dem Gedanken gespielt, hauptberuflich Cellist zu werden. "Dafür hatte ich allerdings zu viele andere Interessen", erklärt er seine Entscheidung für die Medizin. Als anspruchsvolles Hobby und Abwechslung zum Beruf ist ihm die Musik jedoch geblieben. Er musiziert als Cellist im "Managementorchester Leipzig", im "Deutschen Kinderärzte-Orchester", in einem Quartett und seit kurzem auch in der "Alten Philharmonie Münster". In der ehrwürdigen Aula des Schillergymnasiums spielt er hier wöchentlich mit rund 60 weiteren Musikern auf hohem Niveau unter der Anleitung des professionellen Dirigenten Oliver Leo Schmidt. Von Klinikstress keine Spur - hochkonzentriert streicht er seinen Bogen über die Seiten des edlen Instruments.

Einen ähnlichen Wandel macht Prof. Holger Busse, der Direktor der Augenklinik, regelmäßig nach Feierabend durch. Seine komplizierten Instrumente zur Behandlung und Operation von Augenleiden tauscht er gerne gegen ein einfacheres, aber nicht weniger interessantes Instrument - seine Gitarre. Nach einem langen Tag nimmt er sie im Treppenhaus auf die Knie und komponiert Chansons im Stil von Reinhard Mey. "Für mich ist Musik Entspannung und auch Liebe." Viele seiner Lieder seien aus Liebeskummer entstanden. Für seine aktuelle, in einem renommierten Berliner Tonstudio aufgenommenen CD "Nie mehr zurück" hat er hier einige Stunden lang gesessen. Einen Eindruck von seiner Musik wird er zusammen mit "Wolf und Hermann" und anderen Musikern am 10. November bei einem Benefizkonzert der "Hilfe für das herzkranke Kind" geben.

Im Gegensatz zu Normann Willich sieht Busse allerdings einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Musik und Medizin. "Einen Mediziner ohne musische Begabung kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Wir haben viel mit Menschen zu tun, viele kommen zu uns, um sich eine zweite Meinung einzuholen, da gehört ein gewisses Gefühl dazu", so Busse. Eine musische Begabung umfasst für ihn allerdings nicht nur die Musik, sondern auch die Liebe und ein Gefühl für Kunst im Allgemeinen - kein Grund zur Panik also für vollkommen unmusikalische Medizinstudenten, es besteht noch Hoffnung.

Auch Dr. Klaus Schäfers, Medizinphysiker und musikalischer Leiter der A-cappella-Gruppe "Simple Voices" sieht keinen direkten Zusammenhang zwischen Medizin und Musik, obwohl der Großteil der zehn Mitglieder im medizinischen Bereich tätig ist: "Das war bei uns eher Zufall." Die "Simple Voices" haben sich aus einem Freundeskreis von Medizinstudierenden Anfang der 90er Jahre entwickelt. Eine Verbindung zwischen musikalischem und naturwissenschaftlichem Interesse prinzipiell sieht er allerdings schon. "In beiden Gebieten gibt es bestimmte Regeln und Freiheiten", sagt Schäfers. Im Stil der Comedian Harmonists singen die "Simple Voices" mit unverstärkter Stimme deutsche Schlager aus den 20er und 30er Jahren, zum Beispiel von Heinz Rühmann, Johannes Heesters oder Marlene Dietrich. Zurzeit bereiten sie ihr neues Programm "Puppenhochzeit" nach dem gleichnamigen Stück der Comedian Harmonists vor. Da sich die "Simple Voices" nicht mit Gesang begnügen und ihre Lieder in Form der Revue, also mit schauspielerischen Einlagen, verknüpfen, ist dies ziemlich aufwändig. "Für ein neues Programm brauchen wir mindestens ein Jahr", sagt Schäfers. "Voraussichtlich wird es Anfang nächsten Jahres fertig."

Neben diesen größeren Auftritten, die oft guten Zwecken dienen, weiß Schäfers den Nutzen der Musik auch im kleinen Rahmen zu schätzen. "Sie haben mir mehr gebracht als zehn Ärzte", so gibt er stolz die Worte eines Patienten wieder, vor dem er kürzlich im Rahmen der "Kultur imPulse" mit ein paar Kollegen gespielt hat. Das seit fünf Jahren bestehende Programm vertreibt nicht nur die Langeweile der Patienten, sondern ist der beste Beweis, dass Kultur im Krankenhaus auch heilsame Wirkung haben und Anregungen aufzeigen kann, die Zeit des stationären Aufenthalts für sich selbst besser zu nutzen.

Auch für den in der Nuklearmedizin arbeitenden Medizinphysiker bildet die Musik einen Ausgleich zum anstrengenden Beruf. "Sie hat auch für uns einen therapeutischen Effekt", lacht Schäfers und bewacht gleichzeitig das Zyklotron, einen Teilchenbeschleuniger.

Gibt es nun einen Zusammenhang zwischen Musik und Medizin? Die Frage bleibt unbeantwortet, aber eine Affinität zwischen den beiden Bereichen ist nicht zu leugnen. Zahlreiche musikalische Gruppierungen im Klinikum, ganz zu schweigen von den vielen Ärzteorchestern in ganz Deutschland, sind der beste Beleg dafür. Selbst Albert Schweitzer war gleichzeitig ein begnadeter Organist und Bachforscher. Musik und Medizin, dieses scheinbare Gegensatzpaar bleibt unsichtbar miteinander verbunden.

Nora Somborn