Botschafter des guten Willens

Nicht nur gute Noten zählen bei einem Rotary-Stipendium
[Tobias Gillen]
Weit herumgekommen ist Tobias Gillen, unter anderem bis zur Chinesischen Mauer.
   

In Hongkong sind alle Menschen von morgens bis abends auf den Beinen. Es herrscht ein absolutes Durcheinander in dieser riesigen Stadt", schildert Tobias Gillen seinen ersten Eindruck von der Metropole, die ihn trotz der Hektik schwer beeindruckt hat. Der BWL-Student besuchte im Wintersemester 2001/2002 ein akademisches Jahr lang die Hongkong University of Science and Technology. Unterstützt wurde Tobias Gillen vom Rotary Club Münster-St. Mauritz, wo er sich um ein Stipendium beworben hatte.

Die rund 1,2 Millionen Rotarier in aller Welt setzen sich über alle Grenzen hinweg für humanitäre Hilfe und Völkerverständigung ein. "Ambassadorial Scholarships" ist die korrekte Bezeichnung für das Stipendiaten-Programm, das von Rotary-International weltweit an Studierende sowie bereits Berufstätige vergeben wird. Zu den Tätigkeitsschwerpunkten von Rotary International gehören die "Polio-Plus Kampagne" zur Ausrottung von Kinderlähmung sowie ein Programm für internationalen Jugendaustausch.

Das Stipendiaten-Programm gibt es bereits seit 1947 und mehr als 30000 junge Menschen aus 100 Nationen konnten durch die Unterstützung von Rotary International im Ausland studieren. "Ambassadorial Scholarship kann etwa mit Botschafter des guten Willens übersetzt werden", erklärt Gillen, der während seines Auslandasufenthaltes nicht nur büffeln musste, sondern auch die Möglichkeit erhielt, eine fremde Kultur kennen zu lernen und zu erleben.

Für ein Rotary-Stipendium können sich Studierende aller Fachrichtungen bewerben, deren Eltern nicht Mitglieder im Rotary-Club sind. So soll eine Begüsntigung der Rotarier-Kinder vermieden werden, sagt Tobias Gillen. Obwohl der 26-Jährige damals noch kein Mandarin sprach und es erst im Land lernte, gab er Hongkong als ersten Wunsch bei seiner Bewerbung an. "Asien ist als Wirtschaftsraum unglaublich interessant. Sprachlich hatte ich keine Probleme. An der Uni waren alle Kurse auf Englisch und auch im Alltag konnte ich mich mit meinem Englisch fast immer verständigen." Im Anschluss an sein Stipendium erhielt Gillen die Möglichkeit, ein dreimonatiges Praktikum beim Pharmakonzern Bayer in Hongkong zu absolvieren. Das deutsche Unternehmen suchte jemanden, der sich in Asien auskennt und da war Tobias Gillen genau der Richtige.

[Tobias Gillen]
Asien in all seiner Vielfalt, wie hier im kambodschanischen Angkor Wat, fasziniert den BWL-Studenten Gillen.
   

Seine Auslandserfahrungen mit Rotary International halfen dem Wirtschaftswissenschaftler auch beim Verfassen seiner Diplomarbeit weiter: Zum Thema "Corporate Governance in China" schrieb er im vergangenen Wintersemester seine Abschlussarbeit. Tobias Gillen wird auch in Zukunft weiterhin viel im Ausland unterwegs sein. Denn er vertritt die Jugendorganisation "Rotaract" im Ausland als Deutschlandbeauftragter für Internationales. Rotaract wurde von Rotary ins Leben gerufen, arbeitet jedoch weit gehend als selbstständiger Verein. Mitglied werden können Studenten, Zivis und Auszubildende zwischen 18 und 30 Jahren. Als nächstes wird Gillen an einer Europakonferenz anlässlich der bevorstehenden Osterweiterung in Budapest teilnehmen.

Prof. Martin Korda, der an der Fachhochschule Münster im Fachbereich Architektur lehrt, ist bereits seit zehn Jahren für die Auswahl und die spätere Betreuung der Stipendiaten zuständig. "Wir wollen die Führungskräfte der Zukunft fördern", sagt Korda. Bei der Bewerbung um ein Rotary-Stipendium kommt es aber nicht nur auf gute Noten an, auch das soziale Engagement spielt eine entscheidende Rolle. Die Förderungsdauer eines Stipendiums beträgt neun Monate und bis zu 25000 Dollar werden jedem Stipendiaten zur Verfügung gestellt. "Das Geld reicht in einigen Ländern gerade einmal, um die hohen Studiengebühren abzudecken. Sollte ein Stipendiat jedoch nicht die volle Summe benötigen, so zahlt er den Rest zurück", erklärt Martin Korda. In diesem Jahr wurden vier Stipendien an münstersche Studierende vergeben. Jura-Student Gabriel Vockel will nach seinem ersten Staatsexamen ein Jahr lang in England studieren, Heike Maetz wird nach Australien reisen und Ulf Marhenke wird eine Universität in Chicago besuchen.

[Gabriel Vockel]
Vom humanitären Gedanken überzeugt war Gabriel Vockel, als er sich für ein Stipendium beim Rotary Club bewarb. Zuvor sammelte er schon praktische Erfahrung in Gambia.
   

Gabriel Vockel hat in seiner Bewerbung vor allem durch seine zahlreichen praktischen Erfahrungen überzeugt. Im Sommer 2002 absolvierte er mehrere Praktika in West- und Ostafrika. Zehn Wochen arbeitete er im "Field Office" von UNICEF in Banjul/Gambia. Es folgte ein vierwöchiges Praktikum im Justizministerium in Gambia und danach arbeitete Gabriel Vockel von Juni bis September 2002 drei Monate am internationalen UN-Kriegsverbrechertribunal für Ruanda in Tansania. Vockel hatte alle Aufenthalte und Praktika selbst organisiert. Als der 25-Jährige von der Möglichkeit eines Rotary-Stipendiums hörte, stellte er sogleich seine Bewerbungsunterlagen zusammen und bewarb sich beim Rotary-Club Münster. "Mich hat vor allem der humanitäre Gedanke überzeugt. Außerdem stehen die Chancen für ein Stipendium bei Rotary gar nicht so schlecht, denn die Bewerbungsrate ist im Vergleich zu anderen Organisationen niedrig", sagt Vockel.

Als Vorbereitung für das Jahr im Ausland müssen alle Stipendiaten an einem Vorbereitungsseminar teilnehmen. Bei diesem so genannten Outgoing-Seminar konnte Gabriel Vockel bereits wichtige Kontakte mit Ehemaligen knüpfen. 30 Stipendiaten aus ganz Deutschland nahmen in diesem Jahr an dem Wochenend-Seminar in Münster teil, bei dem die Völkerverständigung zu den Hauptthemen gehörte. Einen weiteren Vorteil des Rotary-Stipendiums sieht Gabriel Vockel in der guten Organisation des Programms. Jeder Stipendiat wird von einem Betreuer vor Ort empfangen und kann so gleich Kontakt zum ortsansässigen Rotary-Club aufbauen.

[Gabriel Vockel]
Seine Aufenthalte in West- und Ostafrika waren ein Grund, warum Vockel ein Rotary- Stipendium erhielt.
   

In Münster gibt es vier Rotary Clubs: Münster, Münster-Himmelreich, Münster-Rüschhaus und Münster-St. Mauritz. Für ein Ambassadorial Scholarship können sich münstersche Studierende entweder bei einem der vier Clubs bewerben oder aber auch an ihrem Heimatort. Wenn es dort einen Rotary-Club gibt, stehen die Chancen, ein Stipendium zu erhalten, oft noch besser als in Münster.

Rotary-Stipendiaten müssen als Botschafter Deutschlands neben ihren universitären Pflichten einiges leisten, denn es sind zehn bis 15 Vorträge während des Jahres im Ausland vorgesehen. "Für mich sind die Vorträge, die ich natürlich auf Englisch halten muss, eine große Herausforderung. Ich werde sicherlich über Afrika erzählen und einige Dia-Vorträge vorbereiten", erzählt Gabriel Vockel, der ab September im englischen Coventry studieren wird. Im Bereich "Internationale Politik und Internationales Recht" will der 25-Jährige ein Postgraduiertenstudium absolvieren.

Eine vollständige und ausführliche Bewerbung ist Grundvoraussetzung für ein Rotary-Stipendium. Dazu gehören ein Motivationsschreiben, ein Lebenslauf, eine Übersicht über außeruniversitäre Aktivitäten sowie zwei Gutachten von Professoren. Die Bewerbungsfrist für die Vergabe der Stipendien 2005/2006 ist in Münster dieses Jahr für Mai 2004 festgelegt. Es sollte immer ein Jahr vorher mit der Planung eines Auslandsaufenthaltes begonnen werden, empfiehlt auch der Stipendien-Koordinator Martin Korda. Für die nahe Zukunft wünscht er sich, dass mehr Stipendiaten in die neuen EU-Länder reisen, um auch dort den rotarischen Gedanken der Völkerverständigung zu verbreiten und humanitäre Projekte zu verwirklichen.

Nähere Informationen www.rotary.de/

Julia Rasche