Urteiler, Richter, Spruchkörper

Internationale Tagung in Wetzlar über Entscheidungsfindung und Entscheidungsmechanismen in der Europäischen Rechtskultur

Plakat der Tagung "Urteiler, Richter, Spruchkörper"
Plakat
© SFB 1150

Unter dem Titel „Urteiler, Richter, Spruchkörper. Entscheidungsfindung und Entscheidungsmechanismen in der Europäischen Rechtskultur“ findet vom 25. bis 28. April 2018 an der Forschungsstelle der Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung das international besetzte 11. Wissenschaftliche Kolloquium statt. Die Tagung untersucht die Rolle des Richters in der Bearbeitung, Zuspitzung und Entscheidung eines Gerichtsverfahrens epochenüberspannend und im europäischen Vergleich. Organisiert wird die Tagung von Anja Amend-Traut (Würzburg), Ignacio Czeguhn (Berlin) und Peter Oestmann, der am SFB zusammen mit André Krischer das Teilprojekt C04 Entscheiden im frühmodernen Gerichtsverfahren: Ein deutsch-englischer Vergleich, 16.-19. Jahrhundert leitet.

Richter entscheiden Rechtsstreitigkeiten. Dieser Satz klingt selbstverständlicher, als er ist. Gerade bei der Beschäftigung mit der vormodernen Justiz haben Historiker und Rechtshistoriker zahlreiche Aspekte der Gerichtsverfassung und des Gerichtsverfahrens näher unter die Lupe genommen. Die Tätigkeit des Gerichts selbst ist dabei oft in den Hintergrund getreten, nicht zuletzt in bewusster Abkehr von einer älteren Urteilszentristik. Außerdem endeten die meisten Verfahren an den obersten Gerichten des Heiligen Römischen Reiches bekanntlich ohne förmliche Entscheidungen. Es ist deshalb besonders reizvoll, die Rolle des Richters in der Bearbeitung, Zuspitzung und Entscheidung eines Gerichtsverfahrens epochenüberspannend und europäisch vergleichend näher zu untersuchen. Die ungelehrte Urteilsfindung und die moderne Subsumtion können sich hierbei gegenüberstehen. Die Herstellung einer Entscheidung ist von ihrer Darstellung zu unterscheiden. Geheime und schriftliche Abschnitte des Entscheidens sind zu trennen von öffentlichen und mündlichen Verfahrensschritten. Die Kommunikation zwischen den Gerichtsangehörigen und den Parteien mit ihren Interessenvertretern verlief deutlich anders als die Aufbereitung von Spruchmaterial für das Fachpublikum. Bei näherem Blick auf die Quellen lassen sich vielerorts Relationen, Voten, Protokolle und Rationes decidendi entdecken, die auf den ersten Blick sehr ähnlich aussehen, aber doch verschiedene Funktionen innerhalb des Entscheidungsprozesses einnehmen konnten. Gerade bei Kollegialgerichten taucht dann regelmäßig die Frage auf, ob die richterlichen Mitglieder einen Konsens erzielen müssen oder ob Mehrheitsentscheidungen ausreichen und wie man solche Mehrheiten erzielt und feststellt.

Den Ausgangspunkt der Tagung bildet das moderne deutsche Prozessrecht, wie es etwa in der Praxis der obersten Bundesgerichte täglich zu erleben ist. Auf der anderen Seite steht das dinggenossenschaftliche Findungsverfahren im ungelehrten mittelalterlichen Recht. Dazwischen erstreckt sich ein großer zeitlicher Bogen vom spätmittelalterlichen kanonischen Gerichtsverfahren bis zu den Oberappellationsgerichten des 19. Jahrhunderts und den Geschworenen- und Schöffengerichten im reformierten Strafverfahren. Den gemeinrechtlichen Bezugspunkt bilden nicht allein das Reichskammergericht und der Reichshofrat, sondern ebenso andere europäische Obergerichte, etwa aus Spanien, England, Schottland und Schweden. Auf diese Weise lassen sich Besonderheiten, aber auch typische Gemeinsamkeiten der frühneuzeitlichen richterlichen Entscheidungstätigkeit deutlich erkennen.

Internationale Tagung „Urteiler, Richter, Spruchkörper. Entscheidungsfindung und Entscheidungsmechanismen in der Europäischen Rechtskultur“ | 25. bis 28. April 2018

Forschungsstelle der Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung
Hofstatt 19
35578 Wetzlar

Öffentlicher Abendvortrag am 25. April 2018:
Stadthalle Wetzlar

Saal 2
Brühlsbachstraße 2b
35578 Wetzlar

Programm

Mittwoch, 25. April 2018

19.30

Öffentlicher Abendvortrag: Theorie und Praxis der strafrechtlichen Revision am Bundesgerichtshof – normative, strukturelle und organisatorische Bedingungen höchstrichterlicher Steuerung

dabei: Verleihung des Preises für Forschungen zur Justizgeschichte
anschließend: Empfang

Thomas Fischer (Baden-Baden)

Moderation: Anja Amend-Traut (Würzburg)

Donnerstag, 26. April 2018

Einführung und Annäherungen
Moderation: Alexander Denzler (Eichstätt)
9.00 Einführung in das Tagungsthema Ignacio Czeguhn (Berlin)
9.15 Mehrheitsfindung am Kollegialgericht nach romanisch-kanonischem Prozessrecht Wolfgang Ernst (Oxford)
10.00 De iustitio. Vom Stillstand der Rechtspflege in der Neuzeit Benjamin Lahusen (Berlin)
10.45 Kaffeepause
Die Zeit des Mittelalters
Moderation: Alexander Krey (Frankfurt am Main)
11.15 Rechtsfindung, Rechtsmitteilung und Rechtsweisung im sächsisch-magdeburgischen Rechtsgebiet Heiner Lück (Halle)
12.00 Mittagspause
14.00 Herrscher, Hofgericht und Schiedsgericht. Gerichtliche Entscheidungen am deutschen Herrscherhof im 14. Jahrhundert Masaki Taguchi (Sapporo)
14.45 Annährungen an die Entscheidungsfindung an Dinggerichten Simon Teuscher (Zürich)
15.30 Kaffeepause
Moderation: Albrecht Cordes (Frankfurt am Main)
16.00 How Some Common Law Judges Encountered Civil Law Procedure in Seventeenth Century Scotland John Ford (Aberdeen)
16.45 The Consolidation of the Supreme Jurisdiction in Castille by the Catholic Kings: the Reform of the Segunda Suplicación (1480-1503) Antonio Sanchez Aranda (Granada)
18.00 Museumsführung
19.30 Gemeinsames Abendessen

Freitag, 27. April 2018

Die Frühe Neuzeit
Moderation: Anette Baumann (Wetzlar)
10.00 Reformen der kirchlichen Gerichtsbarkeit in der Reichskirche der frühen Neuzeit Hans-Jürgen Becker (Regensburg)
10.45 Relations between Litigation and Judicial Process in the College of Justice in Sixteenth-Century Scotland Mark Godfrey (Glasgow)
11.30 Kaffeepause
12.00 Rechtshistorische Stadtführung
Moderation: Eva Ortlieb, Graz
14.30 The stilus curiae in Castille in the Ancien Régime José Antonio Lopez Nevot (Granada)
15.15 Der Reichshofrat. Überlegungen zur Entscheidungsfindung an einem kaiserlichen Höchstgericht der Frühen Neuzeit Tobias Schenk (Wien)
16.00 Kaffeepause
16.30 Decision Making in the Svea Court of Appeal Based on its Codex rationum of 1636–1638 Mia Korpiola (Turku)
17.15 Entscheidungsfindung und Entscheidungsdarstellung am Reichskammergericht Peter Oestmann (Münster)

Sonnabend, 28. April 2018

Die Neuzeit
Moderation: Josef Bongartz (Würzburg)
9.00 Richterliches Entscheiden am englischen Court of Chancery unter Lordkanzler Philip Yorke, Earl of Hardwicke (1737-1756) André Krischer (Münster)
9.45 Richterliche Entscheidungsbegründungen – Theorie und Praxis im frühen 19. Jahrhundert Clara Günzl (Münster)
10.30 Kaffeepause
11.00 ‚Ein studierter Mann besitzt doch mehr Judicium als solch unwissenschaftliche Menschen‘ – Strafprozessuale Entscheidungsfindung zwischen Aktenversendung, Berufsrichtertum und Geschworenengerichten Arnd Koch (Augsburg)
11.45 Zum richterlichen Selbstverständnis der Reichsgerichtsräte Martin Löhnig (Regensburg)
12.30 Ausblick und Schlussdiskussion Moderation: Peter Oestmann (Münster)