(C2-14) Fromme Fürsten. Differenzierung und Entdifferenzierung von Funktionssystemen und Akteursrollen im konfessionellen Zeitalter

Das konfessionelle Zeitalter ist geradezu ein Experimentierfeld von Differenzierungs- und Entdifferenzierungsprozessen. Im Heiligen Römischen Reich schuf der Augsburger Religionsfriede ein System, das einerseits – auf der Reichsebene – Politik und Religion differenzierte, andererseits auf Territorialebene einen Konfessionalisierungsprozess in Gang setzte, der auf eine Entdifferenzierung von Politik und Religion abzielte.  Die Konfessionalisierungsforschung hat diese Gemengelage primär als systemisches Problem beschrieben: als Entdifferenzierung mit paradoxen Differenzierungseffekten oder -nebenfolgen etwa. Doch ist für die Akteursebene immer zu konstatieren, dass die Grenzlinie, an der Politik und Religion differenziert und entdifferenziert werden konnten, selbst umstritten war. Wenn man überhaupt von funktionaler Differenzierung sprechen kann, muss mindestens in Rechnung gestellt werden, dass diese umstritten, theoretisch nur unzureichend begründet und für die Geltungsbereiche der Funktionssysteme höchst unklar war.

Unklar ist überdies, inwieweit dieser angenommenen funktionalen Differenzierung eine Differenzierung von Rollen auf der Seite der handelnden Akteure, etwa der Fürsten, entspricht. Allerdings häufen sich Beobachtungen dazu, dass um 1600 die nicht nur systemische, sondern auch persönliche Kopplung von Religion und Politik, von politischem Handeln und persönlicher Frömmigkeit bei den deutschen Fürsten eine wachsende Rolle spielte. Die persönliche Motivation und Religiosität vormoderner Herrscher ist zwar eine vermutlich unbeantwortbare Frage, dennoch ist mindestens auf der Ebene von Legitimationsressourcen/ Selbststilisierung und der Ebene der Rollendifferenzierung (sozusagen zwischen „beten“ und „Akten lesen“) auch akteurszentriert nach Differenzierung und Entdifferenzierung zu fragen – und auch nach den Gründen der „Verfrömmigung“ der Fürsten um 1600.

Es geht also um „fromme Fürsten“ und die Frage danach, welche Rolle Religion/ Religionsausübung für die frühneuzeitlichen Herrscher im Sinne der Legitimation und Selbststilisierung, aber auch im Rahmen ihrer Alltagspraxis und ihres alltäglichen Tagesablaufs gespielt hat: die Teilnahme etwa an Gottesdiensten und Andachten, die Unterstützung von Prozessionen und Heiligenfesten; besonders ausgeprägt vielleicht bei Maximilian von Bayern: stundenlange Gebete, sein Maria-Gelübde etc., die Nähe zum Kloster Altötting etc.; aber auch etwa das Engagement einiger Fürsten als „Laientheologen“ (Friedrich III. und V.) oder die Rolle der politisch-religiösen Berater und Beichtväter.

Dabei wird in drei Schritten vorgegangen: In einem ersten Schritt soll die historische und soziologische Literatur zum Thema Differenzierung und Entdifferenzierung im konfessionellen Zeitalter gesichtet und daraufhin befragt werden, was überhaupt wie „differenziert“ und „entdifferenziert“ wird und ob diese Begriffe adäquat sind. In einem zweiten Schritt soll das Verhältnis von Funktions- und Rollendifferenzierung am Beispiel einiger frühneuzeitlicher Reichsfürsten nachgezeichnet werden (Maximilian, die Pfälzer Friedriche, eventuell auch ein führender kaiserlicher Rat wie der Bischof Khlesl). In einem vorsichtigen vergleichenden Zugriff soll dann drittens, in erster Linie über edierte Quellen und die angloamerikanische Literatur, versucht werden, das Problem Funktions- vs. Rollendifferenzierung auch bei den osmanischen Sultanen um 1600 durchzuspielen: Neuere Forschungen legen nämlich nahe, dass das Verhältnis von Religion und Politik im Osmanischen Reich ganz ähnliche Problemkonstellationen hervorbrachte wie in den europäischen Staaten. Auch in dieser Hinsicht wäre mindestens der Versuch einer verstärkten Integration der osmanischen in die europäische Geschichte angezeigt.


Das Projekt ist Teil der Arbeitsplattform E Differenzierung und Entdifferenzierung.