(A2-8) Die Restitutionslehre der Spanischen Spätscholastik

In ihren umfassenden Traktaten De iustitia et iure haben die Theologen und Juristen der so genannten „spanischen Spätscholastik“ im 16. Jahrhundert hochkomplexe katholisch-christliche Naturrechtssysteme konstruiert und dann bis ins einzelne juristisch-dogmatisch ausformuliert. Diese Naturrechtssysteme, die formal als Kommentare zu Teilen der Summa Theologiae Thomas von Aquins präsentiert wurden und damit die Renaissance des katholischen Thomismus einleiteten, wurden im 17. Jahrhundert durch die Vermittlung von Hugo Grotius zu Grundlagen der säkularen Vernunftrechtssysteme. Hier wurden die Grundlagen der erst später säkularisierten modernen politischen Theorie entwickelt.

Ein besonders interessantes Teilstück dieser Systeme war die Lehre von der Restitution, die seit dem Mittelalter ein Element des Beichtsakraments bildete. Ihre Grundlage fand diese Lehre in einem Augustinuswort („non remittetur peccatum nisi restituatur ablatum“); Albertus Magnus und Thomas von Aquin hatten die Lehre im Rückgriff auf die Aristotelische Gerechtigkeitstheorie rekonstruiert („restitutio est actus commutativae iustitiae“); und die Spätscholastiker hatten ihr unter Führung von Francisco de Vitoria eine genuin juristische, modernisierende Theorie individueller subjektiver Rechte unterlegt („omnis restitutio fundatur in dominio“). Dabei hatten sie die Lehre bis ins einzelne als eine umfassende, unmittelbar anwendbare juristische Theorie nichtvertraglicher Schuldverhältnisse ausformuliert.

In dem Projekt soll untersucht werden, wie es überhaupt möglich war, trotz vielfältiger Kontroversen im Einzelnen derart hochkomplex ausformulierte und bemerkenswert stabile Naturrechtssysteme als verbindliche Vorgaben für die politische und theologische Praxis zu entwickeln. Es geht damit also darum, einen historischen Dogmatisierungsprozess als Antwort auf eine fundamentale normative Krise zu rekonstruieren; zugleich möchte ich verstehen, wie es gelang, problematische „Wahrheiten“ als Voraussetzungen der Systembildung und der normativen Argumentation zu axiomatisieren. Dabei gilt es diesen Prozess insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt der Differenzierung/Entdifferenzierung in den Blick zu nehmen: Angesichts einer sich zunehmend fragmentierenden Welt boten die Spätscholastiker noch einmal ganz bewusst ein universal angelegtes Theoriegebäude, in dem sich theologische, philosophische und juristische Argumente insgesamt zu einem Ganzen fügen. Offenbar schien nur ein solcher Ansatz einem umfassenden Wahrheitsanspruch genügen zu können. Bei genauerer Betrachtung fällt zudem auf, dass eine methodische Strategie dabei in der Inklusion normativer Konflikte im Modus der Ambiguität bestand: Probabilistische Argumente machten es möglich, inhaltliche Kontroversen als moralische Ungewissheit im Rahmen stabiler, als solcher verbindlicher System einzuhegen, und trotz Ungewissheit im einzelnen vernünftig begründbare Handlungsanweisungen zu geben. Bei alldem lässt dieser Prozess sich offenkundig nur dann verstehen, wenn einerseits die spätscholastische Theorie im Detail rekonstruiert, andererseits aber auch die theorieexternen, medialen und institutionellen Aspekte von Dogmatisierungsprozessen mit in den Blick genommen werden; insoweit knüpft das Projekt an die Forschungsergebnisse der ersten Phase an.


Das Projekt ist Teil der Arbeitsplattform E Differenzierung und Entdifferenzierung und der Koordinierten Projektgruppe Verflüssigung und Verfestigung normativer Diskurse.