(A2-2) Aufarbeitung der Vergangenheit und Aussöhnung in historischen Schuldkonstellationen

Angesichts der Verbrechen des Nationalsozialismus erlangte die Forderung nach Aufarbeitung der Vergangenheit ein hohes Gewicht. Nach dem Ende des Kommunismus trat ihre Dringlichkeit erneut hervor. Es wurde deutlich, dass sich die Aufarbeitung von historischen Schuldkonstellationen auf unterschiedlichen Ebenen realisiert: juristisch, politisch und mental. Die Forderung nach Aufarbeitung darf indessen nicht mit Erwartungen überlastet werden, die nicht einlösbar sind. Die Einsicht in Schuld ist an ein Klima der Bereitschaft zur Aussöhnung gebunden. Umgekehrt setzt das Gelingen der Versöhnung voraus, dass Schuld erkannt und benannt werden kann.

Im Projekt wird der Umgang mit Schuld in gesellschaftlichen Konfliktsituationen untersucht und geklärt, wann und in welchem Umfang Strategien ihrer Befriedung greifen und unter welchen Bedingungen Aufarbeitung der Vergangenheit im Sinne eines mentalen Rekonstruktions- und Lernprozesses der Gesellschaft erfolgreich sein wird. Als leitendes Paradigma werden die Klärungsprozesse nach den friedlichen Revolutionen 1989 in Mittel- und Ostmitteleuropa dienen. Zum Vergleich werden ausgewählte Beispiele aus den Umbruchsituationen in der deutschen Geschichte nach 1918 und 1945 herangezogen, so z. B. die Stuttgarter Schulderklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland vom Oktober 1945 und ihre Wirkungsgeschichte. In der Verknüpfung von historischen, philosophischen, sozialethischen und theologischen Reflexionsebenen wird herausgearbeitet, wie es zu Schuldeinsicht kommt, weshalb Schuld (in der Regel) verleugnet wird, was ein maßvoller Umgang mit Schuldsituationen ist, worin die entscheidenden Schritte der Aussöhnung bestehen, welche Einsichten und welche Praxis aus dem christlichen Verständnis von Vergebung erwachsen. Ebenso sind religiöse und rationale Potentiale zur Eskalation und zur Deeskalation von Schuldsituationen zu untersuchen und ihr Verhältnis zu bestimmen. Außerdem ist zu fragen, wie das den Religionen in unterschiedlicher Intensität innewohnende Versöhnungswissen im Umgang mit Konfliktszenarien gestärkt und stabilisiert werden kann. Hierbei verdient die Untersuchung der Rolle der christlichen Kirchen in Mittel- und Osteuropa eine besondere Aufmerksamkeit.

Zu den Fragen der Aufarbeitung von Vergangenheit in Mittel- und Mittelosteuropa besteht eine enge Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Sándor Fazakas von der Reformierten Theologischen Universität Debrecen und einem Kreis von Theologen und Theologinnen aus Ungarn, Rumänien, Slowenien und der Slowakei.
Für 2014 wird ein Internationales Symposion zu Versöhnungslehre Karl Barths vorbereitet, an dem die namhaftesten Barth-Forscherinnen und Forscher aus aller Welt teilnehmen werden. Das Symposion wird sich schwerpunktmäßig mit der Rolle der Theologie Karl Barths während der 1950er und 1960er Jahre im Ost-West-Konflikt beschäftigen und den Einfluss seiner Versöhnungslehre thematisieren.


Das Projekt ist Teil der Koordinierten Projektgruppe Implementation und Durchsetzung von Normen.