(A2-10) Der jüdische Nomos zwischen Normativität und Identität am Beispiel Alexandrias im 1.-3. Jh. n.Chr.

Alexandria war das wichtigste Zentrum des antiken Diasporajudentums durch die große Anzahl von Juden, die dort bis zum Pogrom (117 n.Chr.) wohnten. Zum anderen war es die Stadt, in der die meisten Schriften der Septuaginta (allen voran das Gesetzeskorpus des Pentateuch) und weitere jüdisch-hellenistische Literatur entstanden sind, die ihrerseits das Griechisch sprechende Judentum maßgeblich geprägt haben. Und schließlich galt Alexandria als die pagane „Kulturhauptstadt“ der Antike, in der es zu Akkulturationsphänomenen und Abgrenzungstendenzen jüdischen Selbstverständnisses und seiner Institutionen kommen musste.

Mit der zeitlichen Fokussierung auf die ersten drei nachchristlichen Jahrhunderte wählt das Projekt eine zentrale und wirkungsgeschichtlich höchst relevante Epoche antiker Religionsgeschichte im Mittelmeerraum bzw. Alexandria, die durch die Ausdifferenzierung des Christentums aus dem bereits hellenisierten Judentum im Land Israel, besonders aber in der Diaspora bestimmt ist.

Das Projekt untersucht folgende Fragen:

  • In wieweit hat im Spannungsfeld von Religion und Politik das normative Korpus des jüdischen Nomos (Tora) eine Identität stiftende Wirkung auf die jüdische Ethnie gehabt, und auf welche Weise ist dieses Korpus aufgrund dieser Identität stiftende Wirkung zur Norm gemacht worden?
  • In wieweit sorgen krisenhaft empfundene Erfahrungen von Pluralität dafür, dass ein (hier: der jüdische) Normenkomplex implizit oder explizit in Frage gestellt bzw. inhaltlich verändert wird, oder dafür, dass Explizierung, Verfestigung und/oder Schriftlichkeit dieses Komplexes als notwendig empfunden werden?
  • Welche Rolle spielt in der Normenbegründung die Innenperspektive der jüdischen Ethnie – und welche die Übernahme der Außenperspektive in die eigene Argumentation?
  • Wie sind die Wechselwirkungen des jüdischen Normendiskurses mit anderen politisch-religiösen Normendiskursen zu beschreiben?
  • In wieweit werden „Legalität“ und „Moralität“ diskursiv ausdifferenziert?
  • In diesen Rahmen sind auch die frühchristlichen Auseinandersetzungen um den Nomos einzubeziehen. Zu fragen ist – wiederum konzentriert auf Alexandria –, ob und bis zu welchem Grad für die Christen der Nomos als Ausdruck sozioreligiöser und politischer Identität relevant war. Weiter ist zu fragen, welche Position die frühe Kirche bis zum Konzil von Nicäa (325 n.Chr.) innerhalb der konkurrierenden normativen Diskurse einnahm.

Das Projekt ist Teil der Arbeitsplattform F Transkulturelle Verflechtungen und der Koordinierten Projektgruppe Verflüssigung und Verfestigung normativer Diskurse.