
Die Bergsiedlungen in Edom – Neue Perspektiven auf ein eisenzeitliches Stammeskönigtum
Archäologin Katharina Schmidt im Interview zu ihren Forschungen am Exzellenzcluster „Religion und Politik“
In ihrem Projekt am Exzellenzcluster „Religion und Politik“ befasst sich die Archäologin Katharina Schmidt mit dem eisenzeitlichen Königreich Edom (ca. 700 – 500 v. Chr.), das im heutigen südlichen Jordanien lag. Ein besonderes Merkmal dieses Königreiches waren kleine Bergsiedlungen, die auf Grund ihrer abgelegenen Lage und der schlechten Wasserversorgung heute meist als temporäre Zufluchtsorte für Hirtenvölker interpretiert werden. Jüngste Untersuchungen im Rahmen eines Surveyprojektes das 12 dieser Bergsiedlungen näher untersucht hat, deuten jedoch darauf hin, dass es sich bei diesen nicht um unzugängliche, temporäre Zufluchtsorte handelte, sondern vielmehr um dauerhafte, landwirtschaftlich selbstständige Siedlungen, die über Generationen hinweg nachhaltig bewirtschaftet wurden. Das Projekt Mountain-top sites in Edom: Disentangling politics, religion and economy in an Iron Age tribal kingdom untersucht die religiöse, politische und wirtschaftliche Ver- und Entflechtung der Bergsiedlungen mit dem Rest von Edom. Im Interview erzählt Katharina Schmidt über ihre Forschungen.

In ihrem Projekt beschäftigen Sie sich mit dem eisenzeitlichen Königreich Edom. Was wissen wir heute über die Religion, Politik und Wirtschaft dieses Königreichs?
Katharina Schmidt: Früher ging man von einem stark zentralisierten Staat mit der Hauptstadt Busayra als Sitz des Königs und der Zentralverwaltung aus, der einen einheitlichen Kult um den Gott Qaus besaß. Neuere vor allem archäologische Untersuchungen, zu denen auch unsere Forschungen zu den Bergsiedlungen zählen, zeichnen jedoch ein genaueres Bild.
Politisch war Edom wohl eher in Stämmen organisiert. Zwar residierten Könige in Busayra, die Edom nach außen hin vertraten und in assyrischen Quellen als Tributzahler belegt sind. Doch ihre Macht war möglicherweise regional begrenzt, viele Stammesgruppen lebten wohl weitgehend unabhängig und betrachteten sich nur lose als Teil des Königreichs. Ökonomisch lag Edoms Stärke im Fernhandel: Über sein Gebiet verliefen zentrale Routen, über die Weihrauch, Gewürze und andere Luxusgüter aus Arabien zum Mittelmeer gebracht wurden. Von diesem Handel profitierten vor allem die Eliten in Busayra, wie Funde feiner Keramik und importierter Objekte an einigen Fundorten zeigen. Zugleich gab es eine breite landwirtschaftliche Basis. Untersuchungen zu den Bergsiedlungen belegen, dass diese nicht, wie in der Forschung früher angenommen, nur Zufluchtsorte waren, sondern dauerhafte, selbstversorgende Gemeinschaften mit ausreichend Wasserversorgung und Terrassenfeldern zur agrarischen Nutzung.
Religiös stand der Gott Qaus im Mittelpunkt, was Königsnamen und ein Gebäude in Busayra, das möglicherweise als Tempel gedeutet werden kann, verdeutlichen. In den von uns untersuchten Bergsiedlungen fehlen jedoch Spuren offizieller Kulte um diesen Gott völlig. Einige architektonische Strukturen, die wir in unserem Projekt identifiziert haben, könnten jedoch auf eine eigene kultische Praxis an einigen der Bergsiedlungen hindeuten, die eher auf Naturphänomenen oder -gottheiten beruhen könnten. Insgesamt bestand Edom also aus mehreren Ebenen: einer vernetzten Elite in Busayra und zahlreichen kleineren, landwirtschaftlich geprägten Gemeinschaften, die wiederum politisch wie religiös nur lose an die nominelle Hauptstadt angebunden und mit dieser verbunden waren. Wie genau die Dynamiken zwischen den Gemeinschaften aussahen, versuchen wir durch unser Projekt herauszufinden.

Die Untersuchung der Bergsiedlungen liefert also ein ganz neues Bild vom antiken Königreich Edom. Wie haben ihre Untersuchungen die Perspektive der Forschung verändert?
Das Besondere an den Bergsiedlungen in Edom ist, dass sie unser bisheriges Bild des Königreichs erweitern und stark differenzieren. Lange wurden diese Orte vor allem aufgrund ihres Auftauchens in biblischen Texten als reine Zufluchtsorte gedeutet – abgelegen, schwer zugänglich, ohne Wasserquellen, eher als Notunterkünfte für nomadische Gruppen. Diese Interpretationen waren auch stark von der heutigen Sicht der Forschenden geprägt, da diese Orte heute in der Tat absolut abgelegen und teilweise nur kletternd erreichbar sind. Unsere Forschungen zeigen jedoch, dass viele dieser Siedlungen dauerhaft bewohnt waren. Sie verfügten über ausreichend Wassersressourcen, was Zisternen oder Quellen bezeugen, und waren von Terrassenfeldern umgeben, die Landwirtschaft ermöglichten und die wir archäologisch auch noch fassen können. Unsere Hypothese lautet, dass die Bewohner auf den Bergsiedlungen eine eigenständige soziale und wirtschaftliche Gemeinschaft bildeten – selbstversorgend, politisch nur lose angebunden und mit auffallend geringer Einbindung in den offiziellen Kult des Gottes Qaus. Damit eröffnen sie eine neue Perspektive auf Edom mit sehr unterschiedlichen Lebenswelten.

Wie gehen Sie bei der archäologischen Untersuchung der Bergsiedlungen vor?
In unserem Projekt haben wir insgesamt zwölf Bergsiedlungen untersucht, darunter Qurayyat Mansur, Al-Qulaiah, Jabal Qsayr und Baʿja III. Methodisch kombinieren wir dazu verschiedene Verfahren: systematische Geländebegehungen (terrestrische Surveys), Luftbildaufnahmen mit Drohnen sowie die Auswertung von Satellitenbildern. Ergänzend führen wir präzise GNSS-Messungen (Globales Navigationssatellitensystem) durch und erstellen eine umfassende fotografische Dokumentation im Feld.
Die Surveys führen wir direkt zu Fuß auf dem Gelände durch, um Mauern, Terrassen, Zisternen und andere architektonische Strukturen genau durch GPS-Einmessungen, Fotografien und Beschreibungen zu dokumentieren. Viele Orte sind heute schwer zugänglich und werden nur selten begangen, weshalb wir sie zunächst mithilfe von Luftbildern lokalisieren müssen, und oft lange Wanderungen unternehmen, um die Wege und Zugänge zu den Siedlungen zu erkunden.
Die Drohnenaufnahmen dienen dazu, hochauflösende 3D-Modelle zu erstellen, die es erlauben, die Siedlungen miteinander zu vergleichen und architektonische Strukturen wie Terrassenmauern oder Zisternen sowie die oft gebauten Zugangswege zu den Orten systematisch zu erfassen.
Ergänzend sammeln wir vor Ort Keramikscherben. Die geplanten petrographischen Analysen, bei denen die Zusammensetzung des Tons genau bestimmt werden kann, liefern Rückschlüsse auf Produktionsorte, Austauschbeziehungen und wirtschaftliche Vernetzung. Darüber hinaus sammeln wir Sediment- und Gesteinsproben, um OSL-Analysen (Optisch Stimulierte Lumineszens) durchzuführen. OSL-Analysen nutzen die natürlich vorhandene Radioaktivität in Gesteinen, durch die bestimmte Materialien bei Wärme- oder Lichtzufuhr mit einem Leuchten (Lumineszens) reagieren. Im Laufe der Zeit steigt die Lumineszens, weshalb wir anhand dessen z.B. die steinernen Terrassenmauern in den Bergsiedlungen datieren können.

Was finden Sie selbst besonders spannend an ihrer Forschung?
Spannend finde ich, dass die Bergsiedlungen zwar alle auf Bergplateaus liegen, sich die Art, wie die Häuser gebaut waren, aber deutlich unterscheiden. Offenbar gaben Landschaft und Geologie jeweils die Bauweise vor. In den Orten Qulaia oder Qusayr wurden beispielsweise die Felsen bearbeitet, um Plattformen und Terrassen für Häuser zu schaffen – eine Technik, die an anderen Orten fast oder ganz fehlt. Trotz strukturellen und architektonischen Unterschieden wurde an allen Orten jedoch dieselbe Keramik gefunden. Das zeigt, dass die Gemeinschaften zwar lokal unterschiedliche bauliche Lösungen fanden, aber gleichzeitig kulturell und zeitlich direkt oder indirekt miteinander verbunden waren.
Besonders interessant ist auch, dass wir in den Bergsiedlungen erstmals Strukturen identifizieren konnten, die möglicherweise kultische Funktionen hatten. Da über Religion und Kult in Edom bislang nur sehr wenig bekannt ist, abgesehen von einem möglichen Tempel für Qaus in der Hauptstadt Busayra, ist dies ein wichtiger Befund. Es deutet darauf hin, dass die Menschen, die die Bergsiedlungen bewohnten, gezielt Orte geschaffen hatten, an denen sie möglicherweise eigene Gottheiten verehrten und rituelle Handlungen vollzogen. Solche Praktiken lassen sich oft nur schwer im archäologischen Befund identifizieren.
Was macht die Untersuchung der Bergsiedlungen auch heute noch relevant?
Unsere Untersuchungen zeigen, dass Edom kein homogenes Staatswesen war, sondern aus sehr unterschiedlichen Lebensrealitäten bestand. Es ist faszinierend, wie diese ländlichen Gemeinschaften über Generationen hinweg Strategien entwickelt haben, um in einer kargen Umgebung dauerhaft bestehen zu können. Die Untersuchungen der Bergsiedlungen zeigt, dass auch kleine, selbstversorgende Gemeinschaften in abgelegenen Regionen eigene Strategien entwickelten, um dauerhaft zu überleben, unabhängig von globalen Handelsnetzen. Die damit einhergehenden Fragen nach Resilienz, Anpassung an Landschaft und nachhaltiger Ressourcennutzung sind auch heute aktuell. (fbu/pie)