„Die Unvermeidbarkeit von Religion“

Ethnologe Thomas Hauschild wird neuer „Hans Blumenberg-Gastprofessor“

Prof. Dr. Thomas Hauschild
Prof. Dr. Thomas Hauschild - Hans-Blumenberg-Gastprofessor
© Franziska Richter

Der renommierte Ethnologe Prof. Dr. Thomas Hauschild ist im Sommersemester 2017 „Hans-Blumenberg-Gastprofessor“ am Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der WWU. Der Wissenschaftler, der Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften ist, befasst sich in einer öffentlichen Vortragsreihe in Münster mit der „Unvermeidbarkeit von Religion“. Nach Jahrzehnten verstärkter Säkularisierung beeinflussen Religionen die Politik wieder so stark, so Hauschild, dass sich die Frage stelle, ob menschliche Kollektive letztlich ohne Religion leben können. Hauschild plädiert für Religionsforschung, welche die subjektive Erfahrung religiöser Menschen ernst nimmt, ohne die Basis wissenschaftlicher Neutralität zu verlassen.

Der Auftaktvortrag am 26. Juni trägt den Titel „Kath’olos in Süditalien – Kirchliche und staatliche Politik im Stresstest der gelebten Religion“. Es folgen zwei Vorträge, zum Fetischismus im kolonialen Melanesien und in der künstlerischen Avantgarde des frühen 20. Jahrhundert sowie zu Schamanismus und Neurobiologie im deutschen Vormärz. Die Vorträge sind vom 26. Juni bis 10. Juli 2017 montags von 18.15 bis 19.45 Uhr im Hörsaalgebäude des Exzellenzclusters, Hörsaal JO 1, Johannisstraße 4 in Münster zu hören. Während seines Aufenthaltes in Münster arbeitet der Forscher an einem Buch über Erscheinungen und Geisterkulte. Darin will er „das Wissen über historisch-spezifische, soziale und politische Bedingungen der Geisterseherei abwägen gegen den Einfluss rudimentärer biologischer Universalien, also des ‚Hereinragens einer Geisterwelt in die unsere‘, wie es etwa der deutsche Dichter und Arzt Justinus Kerner beschrieb.“

„Materialistische Erklärungen für Religion, die naturwissenschaftliche und soziologische Argumente einbeziehen, erscheinen umso wichtiger“, so Hauschild, „als sie heute durch postmoderne Kritik und religiöse Selbstverständigung zunehmend verunsichert werden.“ Sie sollten aber innerhalb einer staatlichen Gemeinschaft „ohne allzu viel Reibung“ neben den Religionen bestehen können. „Es fragt sich, ob das gelingt, denn die Religionen besetzen mit ihren Empfindlichkeiten zunehmend das Terrain zivilgesellschaftlichen Handelns.“

„Inspirierend für die Forschung am Exzellenzcluster“

Der Sprecher des Exzellenzclusters, der Religionssoziologe Prof. Dr. Detlef Pollack, unterstreicht, Thomas Hauschild sei „ein Ethnologe mit originellen Ideen“ und durch seine breit gestreuten Forschungsinteressen könne er „in besonderer Weise inspirierend für die interdisziplinären Forschungsarbeiten am Exzellenzcluster wirken.“ Die Ergebnisse seiner Feldforschungen und historischen Analysen seien für viele Fächer am Exzellenzcluster von hohem Interesse. „Das bietet Chancen für neue Wege des wissenschaftlichen Denkens über religiöse Sinnformen und Praktiken.“ Zu den Forschungsschwerpunkten des Blumenberg-Gastprofessors zählen die Unvermeidbarkeit von Religion, Geisterkulte, religiöse Reserven in imperialen Konsumgesellschaften und Religion bei IS- und Al-Qaida-Terroristen.

Thomas Hauschild, 1955 in Berlin geboren, war zuletzt Professor für Ethnologie und vergleichende Kultursoziologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Er ist Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Fellowships und Gastprofessuren führten ihn unter anderem an das Internationale Forschungszentrum Kulturwissenschaften in Wien, das Wissenschaftskolleg zu Berlin und das Internationale Kolleg für Kulturtechnikforschung und Medienphilosophie in Weimar. Thomas Hauschild hat zahlreiche, viel beachtete Publikationen vorgelegt, darunter „Hexen“, „Der böse Blick“, „Magie und Macht in Italien“ (2002), „Ritual und Gewalt“ (2008), und „Weihnachtsmann – Die wahre Geschichte“ (2012). Der ehemalige Stipendiat der Alexander von Humboldt-Stiftung forschte zwischen 1982 und 2015 stationär zum Thema Religion und Politik in der süditalienischen Provinz Basilicata.

Im Sommersemester 2017 hat der Exzellenzcluster erstmals zwei Hans-Blumenberg-Gastprofessoren berufen: Neben dem Ethnologe Prof. Dr. Thomas Hauschild ist auch die renommierte britische Religionssoziologin Prof. Dr. Linda Woodhead am Forschungsverbund tätig. Sie befasst sich in Vorträgen und einem Workshop in Münster mit der wachsenden Gruppe der Religions- und Konfessionslosen weltweit. (dak/vvm)

Öffentliche Vortragsreihe „Hans-Blumenberg-Gastprofessur“

„Die Unvermeidbarkeit von Religion“ mit Ethnologe Prof. Dr. Thomas Hauschild

Sommersemester 2017
montags 18.15 bis 19.45 Uhr
Hörsaalgebäude des Exzellenzclusters
Hörsaal JO 1
Johannisstraße 4 in Münster
48143 Münster

Programm

26.06.2017 Kat’holos in Süditalien. Kirche und staatliche Politik im Stresstest der gelebten Religion.
03.07.2017 „Politics of Media“ oder Medien der religiösen Erfahrung? Fetischismus im kolonialen Melanesien und in der europäischen Avantgarde.
10.07.2017 „… über das Hereinragen einer Geisterwelt in die unsere“. Schamanismus und Neurobiologie im deutschen Vormärz.

Hans-Blumenberg-Gastprofessur am Exzellenzcluster

Die Hans-Blumenberg-Gastprofessur am Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der WWU ist nach dem einflussreichen Philosophen Hans Blumenberg (1920-1996) benannt. Sie soll dazu beitragen, innovative Impulse aus der internationalen Forschung nach Münster zu bringen, und die interdisziplinäre Anschlussfähigkeit am Exzellenzcluster zu stärken. Der Verbund hat 200 Mitglieder aus gut 20 geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern.

In den kommenden Semestern werden weitere renommierte Forscherinnen und Forscher aus wechselnden Disziplinen auf die Hans-Blumenberg-Gastprofessur berufen. Der erste Hans-Blumenberg-Gastprofessor in Münster war im Sommersemester 2016 der Bochumer Historiker Prof. Dr. Lucian Hölscher, im Wintersemester 2016/17 folgte der Würzburger Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Horst Dreier. (vvm)