„Traditioneller als erwartet“
Nordamerika-Historikerin Heike Bungert zur Amtseinführung von US-Präsident Trump
Die Amtseinführung von US-Präsident Donald Trump ist nach Einschätzung der Nordamerika-Historikerin Prof. Dr. Heike Bungert vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ in vielen Elementen traditioneller abgelaufen als erwartet. „Trump hat zwar die Einmaligkeit seiner Amtseinführung hervorgehoben, es waren aber alle Elemente vorhanden, die traditionell zu einer Inaugurationsfeier gehören“. Als Beispiel nannte die Historikerin die Vorfeier am Lincoln-Memorial, die Trump zwar als Besonderheit hervorgehoben habe, die es aber auch schon bei den Vorgängern Barack Obama und Bill Clinton gegeben habe. Trump leistete zudem wie Obama den Schwur nicht auf einer offenen, sondern auf einer geschlossenen Bibel und verzichtete damit auf ein Bibelzitat zur Kennzeichnung seiner Präsidentschaft, wie die Wissenschaftlerin ausführte.
Die Historikerin, zu deren Forschungsschwerpunkten die Zivilreligion in den USA und die Amtseinführungen der US-Präsidenten gehören, analysierte in verschiedenen Interviews vor und nach der Zeremonie die Erwartungen an die Inaugurationsfeier sowie ihren Ablauf einschließlich der Antrittsrede von Donald Trump. Sie sprach im Bayerischen Rundfunk (BR), im Westdeutschen Rundfunk (WDR) und mit der Deutschen Presseagentur (dpa).
Übertragung der Macht
„Die Inaugurationszeremonie hat traditionell den Zweck, die friedliche Übertragung der Macht zu gewährleisten“, sagte die Wissenschaftlerin in der BR-Radiosendung „orange“. Die Rede bei der Einführungsfeier diene einerseits dazu, das Land nach dem Wahlkampf wieder zu einen. „Trump hat das versucht, indem er sagte, dass Patrioten keine Vorurteile hätten und in allen das ‚rote Blut des Patriotismus‘ fließe.“ Andererseits habe die Antrittsrede des neuen Präsidenten in der Geschichte auch immer die Funktion gehabt, sich ein wenig von den Vorgängern in Washington abzusetzen. Auch damit stehe Trump in der Tradition amerikanischer Amtseinführungen: „Ronald Reagan hat davon gesprochen, dass die Regierung selber das Problem sei und nicht die Menschen, Franklin Roosevelt wetterte zu Beginn der großen Depression gegen die Banker und verglich sie mit den Geldwechslern aus dem biblischen Tempel“. Trumps Rede sei in dieser Hinsicht allerdings etwas radikaler und aggressiver ausgefallen, als man es gewöhnt sei.
Religion spielte in der Zeremonie eine größere Rolle als erwartet, wie die Historikerin darlegte. „Trump schien zuvor nicht besonders religiös zu sein und hat dann doch auf die Bibel geschworen und sich in seiner Rede auf Gott bezogen“. Auch hätten mit sechs Geistlichen mehr als je zuvor an einer Amtseinführung teilgenommen, was allerdings auch auf Trumps Wunsch nach Einmaligkeit zurückgeführt werden könne. „Die Vermischung von Religion und Politik ist typisch für die USA, auch wenn die US-Verfassung die Trennung von Staat und Kirche vorsieht“, sagte Prof. Bungert. Die Wissenschaft spreche dabei von „Zivilreligion“. „Dahinter steht der Glaube, dass die USA eine von Gott gesegnete Nation sind, wobei sich die Amerikaner diesen Segen aber immer wieder neu verdienen müssen“. Letzteres habe in Trumps Rede gefehlt.
Vermischung von Religion und Politik
Die Geistlichen zeigten sich „überraschend politisch“, sagte Heike Bungert im dpa-Gespräch nach der Amtseinführung. So habe Rabbi Marvin Hier, Vorstand und Gründer des Simon-Wiesenthal-Center, mit einem Bibelzitat zur Unterstützung Israels aufgerufen und der afroamerikanische evangelikale Geistliche, Bischof Wayne T. Jackson, den Titel „We shall overcome“ in der Version von Mahalia Jackson zitiert und damit an die US-Bürgerrechtsbewegung erinnert. Dass es während der Amtseinführung Proteste gab, war aus historischer Sicht nicht ungewöhnlich, wie Heike Bungert darlegte. „Die Inauguration von Präsident Richard Nixon während des Vietnamkriegs war von Anti-Kriegs-Demonstrationen begleitet, und auch bei Obamas Amtseinführung gab es Proteste.“ (maz/vvm)