Zukunftsvisionen von der Antike bis heute

Neues Buch zu Apokalypse und Utopie – Ringvorlesung des Habilitandenkollegs

Buchcover
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© Ergon-Verlag

Mit Zukunftsvisionen von der Antike bis heute befasst sich eine neue Publikation aus dem Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Uni Münster. Der Band „Zukunftsvisionen zwischen Apokalypse und Utopie“ widmet sich der Geschichte des apokalyptischen und utopischen Denkens. Er geht auf die gleichnamige Ringvorlesung zurück, die das Habilitandenkolleg des Exzellenzclusters im Wintersemester 2014/15 veranstaltete. „Apokalypse und Utopie sind zwei historisch bedeutsame Zukunftsvisionen, deren Bilder und Erzählungen bis heute fortwirken“, so die Herausgeber, Literaturwissenschaftler PD Dr. Christian Sieg und Archäologin Dr. Katharina Martin vom Exzellenzcluster. Der Band untersucht, mit welchen Ideen, Konzepten, Narrativen und durch welche Rhetorik historische und aktuelle Zukunftsvisionen die Gegenwart neu in den Blick nehmen.

Das Buch ist in der Reihe „Religion und Politik“ erschienen, die der Exzellenzcluster im Ergon-Verlag Würzburg herausgibt. Darin sind Beiträge aus der Ägyptologie, Archäologie, Germanistik, Philosophie sowie Geschichts- und Rechtswissenschaft. Die Autoren behandeln etwa geschichtsphilosophische Zukunftsentwürfe, prophetische und apokalyptische Texte aus dem späten Ägypten, die Rolle apokalyptischer Rhetorik für die Legitimation des ersten Kreuzzuges, das utopische Frauenbild spanischer Faschistinnen, romantische Zukunftsvisionen vom letzten Menschen in Literatur, Film und Computerspiel sowie das metaphysische Weltbild in Kino-Erzählungen wie „Avatar“ und „Cloud Atlas“.

Die fiktive Insel „Utopia“

„Ständig sehen wir die Zukunft kommen“, erläutert Christian Sieg. „Wir verweisen auf den Klimawandel, sagen den Zusammenbruch der Staatsfinanzen voraus, sprechen im Namen zukünftiger Generationen oder fordern grundsätzliche Reformen der Gesellschaft. Wir nutzen dabei Bilder und Narrative, die eine lange Tradition haben.“ Zwei historisch bedeutsame und immer noch wirksame Zukunftsentwürfe seien „Apokalypse“ und „Utopie“: Ob Prophet oder Utopist, wer Visionen des Kommenden verkünde, messe die Gegenwart an einem Bild, dem sie nicht genüge. „Es mag dieses Unbehagen an der Gegenwart sein, das dazu motiviert, dem gestenreichen Abschied vom visionären Denken, wie er in den letzten Dekaden vielfach vollzogen worden ist, zu trotzen.“ Dabei sei die Figuration von Zukunft ein gesellschaftlicher Akt, weil er nicht nur eine kritische Haltung zur Gegenwart zum Ausdruck bringe, sondern zudem eine neue Wahrnehmung derselben ermögliche.

Als „Utopia“ („Nicht-Ort“) hatte der englische Staatsmann und Autor Thomas Morus (1478-1535) eine fiktive Insel mit idealen Gesellschaftsverhältnissen beschrieben und damit Kritik an den Verhältnissen im damaligen Europa geübt, wie der Kulturwissenschaftler ausführt. „Utopien dienten seit Morus als Gegenentwurf zur zeitgenössischen Gesellschaft.“ Heute seien utopische Visionen allenfalls als Märchen denkbar, an die sich Filme wie „Avatar“ anlehnten.

„Die Menschen haben schon immer über die Zukunft nachgedacht und bedienten sich dabei verschiedener Medien“, so Christian Sieg. „Neben den mündlichen Visionsbericht traten Literatur, Musik, Film und Architektur.“ Ebenso vielfältig wie die Medien, die Zukunftsentwürfe transportierten, seien ihre politischen und religiösen Funktionen. Viele Utopien des 20. Jahrhunderts dienten als Warnungen vor Gefahr oder als Gegenentwurf zu einer Gegenwart, die Menschen verändern wollten. „Schließlich dienten Zukunftsvisionen in der Geschichte auch zur der Herrschaftssicherung, wie der erste Kreuzzug, der als biblischer Endkampf legitimiert wurde.“ (vvm/ill)

Hinweis: Martin, Katharina/ Sieg, Christian (Hgg.): Zukunftsvisionen zwischen Apokalypse und Utopie (Religion und Politik, Bd. 13), Würzburg: Ergon-Verlag 2016, 360 S., ISBN: 978-3-95650-211-8, 38,00 Euro.

Inhaltsverzeichnis

Christian Sieg (Münster)
Einleitung: Zukunftsvisionen zwischen Apokalypse und Utopie

Grundlagen

Klaus Vondung (Siegen)
Utopische Entwürfe – apokalyptische Visionen: Träume vom besseren Leben?

Andreas Urs Sommer (Freiburg)
Utopische Geschichtsphilosophie – geschichtsphilosophische Utopik

Apokalypsen?

Joachim Friedrich Quack (Heidelberg)
Prophetische und apokalyptische Texte aus dem späten Ägypten

Jay Rubenstein (Knoxville, USA)
Das Buch Daniel und die Rhetorik des Kreuzzugs: Apokalypse und Utopie im mittelalterlichen Jerusalem

Matthias Riedl (Budapest, Ungarn)
Die Welt als Kloster. Joachim von Fiore und sein Verfassungsentwurf für die zukünftige Menschheit

Maren Conrad (Münster)
Romantische Zukunftsvisionen vom letzten Menschen. Die Robinsonade am Ende des Anthropozän in Literatur, Film und Computerspiel

Utopien?

Katharina Martin (Münster)
Momentaufnahme oder Zukunftsperspektive? Goldenes Zeitalter und Ewigkeit in der Münzprägung römischer Kaiser

Toni Morant i Ariño (Valencia, Spanien)
„Die großen Tage kommen“ – Zum utopischen Staats- und Frauenbild der spanischen Faschistinnen

Josef Früchtl (Amsterdam, Niederlande)
Neue große Erzählungen. Das metaphysische Weltbild von Avatar und Cloud Atlas

Tatjana Hörnle (Berlin)
Die Zukunft des Strafens in multikulturellen Gesellschaften