„Den säkularen Staat neu denken“

Neue Studie zum Verhältnis von Staat und Religion

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Die Frage nach einem zeitgemäßen Verständnis des „säkularen Staates“ steht im Mittelpunkt einer neuen Publikation aus dem Exzellenzcluster „Religion und Politik“. Die Dissertationsstudie von Politikwissenschaftlerin Dr. Ulrike Spohn trägt den Titel „Den säkularen Staat neu denken. Politik und Religion bei Charles Taylor“. „Die Idee des säkularen Staates gilt als die klassische Antwort des modernen westlichen politischen Denkens auf die Herausforderung religiöser Pluralität“, erläutert die Wissenschaftlerin. Wie diese Formel jedoch unter den heutigen Bedingungen gedeutet werden muss, sei umstritten. Die Studie verortet die Debatte um den säkularen Staat im größeren Kontext der Kontroverse um die Moderne und schließt dabei an kulturtheoretische Perspektiven an.

„Ein zentrales Anliegen des Buches ist es, im Anschluss an die neueren Schriften des kanadischen Politikwissenschaftlers und Philosophen Charles Taylor ein für kulturelle Differenzen sensibles Verständnis des säkularen Staates zu etablieren“, erläutert Dr. Spohn. Die jüngst im Campus-Verlag erschienene Monografie ist der vierte Band der Schriftenreihe „Religion und Moderne“ des Centrums für Religion und Moderne (CRM) der WWU, dem die Politikwissenschaftlerin angehört.

Gestiegene religiöse und kultureller Vielfalt

„Die Publikation leistet einen Beitrag zur aktuellen, international geführten normativen Debatte um ein angemessenes Verständnis des Konzepts des säkularen Staates unter den Bedingungen gestiegener religiöser und kultureller Vielfalt“, so die Forscherin. Ein Fokus liege dabei auf der Frage, welcher Status religiös fundierten Argumenten in Bezug auf moralische Probleme in der politischen Meinungs- und Willensbildung zukommt. „Die in der politiktheoretischen Debatte dominanten liberalen Positionen fordern spezielle Restriktionen für religiös fundierte Argumente im politischen Diskurs über moralische Streitfragen.“

Diesem Standpunkt lägen jedoch problematische Annahmen über Religion einerseits und fragliche Prämissen bezüglich der Verallgemeinerbarkeit säkularer Moralkonzeptionen andererseits zugrunde, so die Autorin. Um die impliziten Grundannahmen der liberalen Position herauszuarbeiten und zu kritisieren, greift sie im Rahmen einer interdisziplinären Herangehensweise neben politiktheoretischen Argumenten auch auf soziologische, religionswissenschaftliche und historische Forschungen sowie die transdisziplinäre Analyseperspektive postkolonialer Theorien zurück.

„Offenes Modell des säkularen Staates“

Auf Basis der Schriften Charles Taylors stellt die Wissenschaftlerin ein dialogisches, verständigungsorientiertes, aber zugleich „für Differenzen und Konflikte offenes Modell“ des säkularen Staates vor, welches sie im Spektrum pluralistischer Demokratietheorien verortet. In diesem Zusammenhang werden auch konkrete politische Implikationen des Modells aufgezeigt, indem sie die Frage nach der Legitimität religiöser Symbole im Staatsdienst, zum Beispiel bei Gericht oder im Polizei- und Schuldienst, diskutiert.

Das Buch ist am Institut für Politikwissenschaft und am Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Uni Münster entstanden. Betreut wurde die Dissertation von Politikwissenschaftler Prof. Dr. Ulrich Willems vom Forschungsverbund. (exc/maz/ska)

Hinweis: Spohn, Ulrike: Den säkularen Staat neu denken. Politik und Religion bei Charles Taylor (Reihe ‚Religion und Moderne‘ Bd. 4), Frankfurt/New York: Campus 2016, ISBN 978-3593505343, 232 Seiten, 34,95 Euro.

Aus dem Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Säkularismus als Regierungsprinzip im politischen Liberalismus
2.1 Das Konzept einer „Pflicht zum öffentlichen Vernunftgebrauch“
2.2 Begründungen des Konzepts einer Pflicht zum öffentlichen Vernunftgebrauch

3. Kritik der sicherheitspolitischen Überlegung
3.1 „Europas Angst vor der Religion“ – Exkurs zu den „Religionskriegen“
3.2 Zum Verhältnis von Religion und Gewalt aus empirischer Sicht

4. Kritik der demokratietheoretischen Überlegung
4.1 Öffentliche Vernunft im Sinne „säkularer“ Vernunft
4.2 Öffentliche Vernunft im Sinne „unabhängiger“ Vernunft
4.3 Öffentliche Vernunft im Kontext der Kontroverse um die Moderne
4.4 Grundlagen einer kulturtheoretisch fundierten normativen politischen Theorie

5. Säkularismus als Regierungsprinzip bei Charles Taylor
5.1 Taylors Interpretation des Säkularismus in Begriffen eines „übergreifenden Konsenses“
5.2 Eine politische Theorie zwischen Agon und Agape: Taylors hermeneutischer Pluralismus
5.3 Taylors Theorie des säkularen Staates als Demokratietheorie – kritische Anfragen

6. Aktuelle religionspolitische Kontroversen: Taylor zur Frage religiöser Symbole im Staatsdienst
6.1 Religiöse Symbole bei Gericht und Polizei
6.2 Muslimische Verschleierung im Schuldienst

7. Schluss