Künast: Weibliche Rhetorik hat es schwerer

Grünen-Politikerin zu Reden von Frauen – Buchpräsentation am Weltfrauentag in Berlin

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Renate Künast

Die weibliche Redekunst steckt nach Auffassung von Grünen-Politikerin Renate Künast noch „in den Kinderschuhen“. „Eine gute Rede muss in dieser Gesellschaft oftmals männlichen Kriterien entsprechen – in Duktus, Tonlage, Anmutung und Körpersprache“, schreibt sie in ihrem Geleitwort zum neuen Sammelband „Einspruch! Reden von Frauen“, den die Literaturwissenschaftlerinnen Prof. Dr. Martina Wagner-Egelhaaf vom Exzellenzcluster und Lily Tonger-Erk aus Tübingen herausgegeben haben. „Obwohl Frauen große Reden halten, werden sie im Redefach als Außenseiterinnen wahrgenommen“, beklagt die Grünen-Fraktionsvorsitzende. Frauen hätten durchaus etwas zu sagen, sie müssten sich aber in der öffentlichen Rede noch mehr zutrauen.

Am Weltfrauentag, dem 8. März, stellt Künast den neuen Band aus dem Reclam-Verlag in Berlin vor. „Dieses Buch schließt eine Lücke“, schreibt die Politikerin. Denn die gesammelten Reden vom 19. Jahrhundert bis heute könnten Frauen helfen, „selbstbewusst und überzeugt in der Öffentlichkeit das Wort zu ergreifen“. Der Band enthält Reden von Frauen wie Helene Lange, Rosa Luxemburg, Helke Sander, Christa Wolf, Regine Hildebrandt, Margot Käßmann, Elfriede Jelinek und Angela Merkel. Die Herausgeberinnen erläutern jeweils historischen Kontext und rhetorische Strategie.

Heute sei Frauen der Weg zum Redepult prinzipiell gebahnt, schreibt Renate Künast. „In der Praxis jedoch bleiben vielfältige Hindernisse. Das fängt bei zu hoch eingestellten Pulten an und hört bei zu schrill eingestellten Mikrofonen noch lange nicht auf.“ Frauen entwickelten erst langsam eine eigene Sprache, die überzeuge. „Weit ausholende Bewegungen zum Beispiel haben bei Männern eine klare Bedeutung, bei Frauen stellt sich die Frage: Was rudert sie da durch die Luft?“ Lange hätten Frauen in der Politik nur eine Chance gehabt, wenn sie sich am männlichen Stil orientiert hätten. Selbst im Bundestag existierten Stereotype: „Rednerinnen mit lauter Stimme gelten als Mannweiber, körperbetonte Kleidung wurde als sexy und inkompetent abqualifiziert. Bis heute können Kleider im Bundestag kaum kommentarlos getragen werden.“

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Prof. Dr. Martina Wagner-Egelhaaf

Die Herausgeberinnen Martina Wagner-Egelhaaf und Lily Tonger-Erk unterstreichen im Vorwort, große Reden der Weltgeschichte würden fast immer Männern zugesprochen. Bis heute fänden sich in Sammelbänden nur selten Reden von Frauen. „Die Rhetorik gilt traditionell als eine männliche Disziplin. Frauen hatten jahrhundertelang keinen Zugang zu rhetorischer Bildung“, so die Germanistinnen. Zwar gab es nach ihren Worten bereits in der Antike vereinzelt Frauen, die öffentlich sprachen. „Keiner dieser Texte ist jedoch überliefert. Im von Männern dominierten Altertum galten sie offensichtlich nicht als überlieferungswürdig.“ Erst die Frauenrechtsbewegung seit Mitte des 19. Jahrhunderts bot demnach ein Umfeld, in dem Frauen gehäuft als Rednerinnen auftraten.

Der neue Band will laut Wagner-Egelhaaf prominente Rednerinnen aus dem deutschsprachigen Bereich präsentieren, aber auch die Rhetorik von Frauen, die nicht unbedingt als Rednerinnen in das kulturelle Gedächtnis eingegangen sind. Von der Frauenrechtlerin Bertha Pappenheim über die Sozialistinnen Rosa Luxemburg und Clara Zetkin bis hin zur „Mutter des Grundgesetzes“ Elisabeth Selbert reiche daher die Auswahl. Reden der Nobelpreisträgerinnen Bertha von Suttner und Elfriede Jelinek sowie von Bundeskanzlerin Angela Merkel und der ehemaligen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Margot Käßmann, führen bis in die Gegenwart. (vvm)



Hinweis: Lily Tonger-Erk, Martina Wagner-Egelhaaf (Hg.): Einspruch! Reden von Frauen. Stuttgart: Reclam Taschenbuch 2011, ISBN 978-3-15-020218-0.