„Eine andere Geschichte des Islams“

Neuerscheinung von Islamwissenschaftler Thomas Bauer widerlegt westliche Vorurteile – „Die Kultur der Ambiguität“ aus dem Berliner Verlag der Weltreligionen

Buchcover
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© Verlag der Weltreligionen

Das Image des Islams im Westen war seit den Kreuzzügen nie so schlecht wie heute. Das schreibt Islamwissenschaftler Prof. Dr. Thomas Bauer in seinem neuen Buch, das am Montag im Berliner „Verlag der Weltreligionen“ erschienen ist. Es erzählt „Eine andere Geschichte des Islams“, wie der Untertitel sagt. Das Ergebnis: Der Islam war über Jahrhunderte viel toleranter gegenüber unterschiedlichen Werten und Wahrheitsansprüchen, als der Westen meint. Der Autor beleuchtet gut 1.000 Jahre arabisch-islamischer Kulturgeschichte – von Religion, Recht und Politik über Literatur und Kunst bis zum Umgang mit Sexualität und Minderheiten.

Der Experte aus dem Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Universität Münster will das „Zerrbild“ eines politisch und religiös dogmatischen, intoleranten und prüden Islams widerlegen, das der Westen seit dem Zerfall des Ostblocks „als Ersatzfeind“ aufgebaut habe. Unter dem Titel „Die Kultur der Ambiguität“, also der Mehrdeutigkeit, beschreibt Bauer anschaulich und facettenreich die Fähigkeit arabisch-islamischer Gesellschaften, einander widerstreitende Normen nebeneinander stehen zu lassen – ob in der Koranauslegung, Sexualmoral, Dichtung, im Recht oder in Politikdebatten.

„Erst der Kolonialismus des 19. Jahrhunderts übte im Nahen Osten den Druck aus, sich über eindeutige Normen zu definieren, wie es der Westen tat“, so der Wissenschaftler. Wenn der Islamismus heute einen engstirnigen Wahrheitsanspruch vertrete, zeige er damit eine vom Westen erlernte Geisteshaltung. „Es handelt sich nur scheinbar um einen Rückbezug auf ‚traditionelle islamische Werte‘.“ So halte man heute Vorstellungen für islamisch, die in Wahrheit Versatzstücke der viktorianischen Moral seien.

Falsch ist es den Erkenntnissen des Autors zufolge, von einer „Re-Islamisierung“ im 20. Jahrhundert zu sprechen. Beim Islamismus handle es sich vielmehr um die „Neuschaffung eines intoleranten, ideologischen Islams“, der den totalitären Strukturen früherer westlicher Ideologien folge, die unduldsam gegenüber einer Vielfalt an Anschauungen gewesen seien. Im Westen habe sich das nach 1968 verändert. „An der islamischen Welt aber ging dieser Aufbruch vorüber. Letztlich fehlt dem Islam nicht die Aufklärung, wie Europa sie im 18. Jahrhundert erlebte, sondern die 68er-Revolte.“ (vvm)

Prof. Dr. Thomas Bauer
© Julia Holtkötter