„Das Leben folgt dem Ritual“

Amerikanischer Regisseur erklärt Symbolkraft des indischen Volkstheaters „Ramlila“

News Bericht Ringvorlesung Schechner

Prof. Dr. Richard Schechner

© bhe

Rituale haben nach Einschätzung des Theaterregisseurs und Universitätsprofessors Richard Schechner einen bedeutenden Einfluss auf das menschliche Leben. „Das Leben folgt dem Ritual“, sagte der Gastredner von der New York University am Dienstag in der Ringvorlesung „Rituale der Amtseinsetzung“ des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU). Die Darstellungen im Ritual deuten auf die sozialen Handlungen im realen Leben hin, so Schechner, der sich neben Performance-Studien ebenfalls der Kulturanthropologie widmet. Als Beispiel nannte er in seinem Vortrag „The Ramlila of Ramnagar, North India: A Ritual Political Entertaining Performance of Great Magnitude“ das „Ramlila“, eine mehrtägige Aufführung des Epos „Ramayana“ im Norden Indiens.

„Für die Menschen ist ‚Ramlila‘ etwas ganz besonderes, selbst wenn sie das Spektakel schon unzählige Male gesehen haben“, erklärte Schechner die spezielle Bedeutung des Rituals für die nordindische Bevölkerung. Eine Abbildung der Hauptperson Rama könne niemals die gleiche Intensität wie das Schauspiel entfalten. „Einige Menschen weinen, weil sie wissen, dass sie mit dem Ende der alljährlichen Darbietungen Rama zwölf Monate lang nicht mehr begegnen. Eine Statue Ramas in einem Tempel ist für sie keineswegs das gleiche wie der ‚echte‘ Rama im ‚Ramlila‘.“

Auch Ghandi nutzte das Volkstheater

Dem Theater komme in der indischen Gesellschaft dementsprechend eine andere Rolle zu als in der westlichen Welt. „‚Ramlila‘ zeigt nicht alleine, wie die Welt ist. Sie wird durch das Spiel gebildet“, stellte der amerikanische Wissenschaftler den Unterschied heraus. Auch Gandhi habe die starke Symbolkraft des Volkstheaters genutzt. Schechner zufolge übertrug der populäre Unabhängigkeitskämpfer die ursprünglich hinduistische Geschichte auf das ganze Land und begründete mit Hilfe des „Ramayana“-Mythos die panindische Bewegung.

Dass beim „Ramlila“ kein wahrhaftiger Gott vor den Menschen steht, sondern alle Darsteller zuvor vom Maharadscha ausgewählt wurden und im normalen Leben unter anderem Bauern oder Banker seien, stört laut dem Regisseur niemanden. Die Ausstrahlung des Rituals sei so groß, dass mögliche Widersprüche nicht als solche wahrgenommen würden. Ein Grund hierfür sei die aktive Beteiligung der Zuschauer an dem Geschehen. „Die Menschen folgen Ramas Spuren, sie werden ein Teil von ihm.“

Der Vortrag von Prof. Schechner bildete den Abschluss der aktuellen Ringvorlesung. Ab dem 13. April beschäftigt sich die Ringvorlesung des Sommersemesters 2010 unter dem Titel „Gewohnheit, Gebot, Gesetz“ mit der Entstehung von Normen in Geschichte und Gegenwart. Die Veranstaltungen finden wie gewohnt am Dienstag zwischen 18:15 und 19:45 Uhr im Hörsaal F2 im Fürstenberghaus statt. (log)