Lena Krull, Sabine Reichert, Michael Hecht, Megumi Hasegawa und Kristina Thies (Foto: Károly Goda)

Prozessionen und politische Sprache

Clustermitglieder auf Kulturgeschichtetag in Linz

„Kulturgeschichte in der Kulturhauptstadt“ – unter diesem Motto trafen sich vom 12. bis 15. September Geschichts-, Kultur- und Sozialwissenschaftler aus ganz Europa in Linz. Eingeladen hatten das Institut für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte der Universität Linz sowie die Organisatoren von „Linz 2009 – Kulturhauptstadt Europas“. Die Tagung fand zum zweiten Mal statt und umfasste insgesamt 26 Panels beziehungsweise Plenardiskussionen.

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Matthias Bähr

Matthias Bähr, Mitglied der Graduiertenschule des Exzellenzclusters, berichtete in der Tagungssektion „Ressourcen, Kommunikation und Politik“ (Panel 22) über „Tyrannis, Biblizismus, Altes Recht – ‚Politische Sprachen‘ vor dem Reichskammergericht“. In seinem Vortrag machte der Historiker durch die Diskursanalyse von Protokollabschriften des Reichskammergerichts die ‚politischen Sprachen‘ des ,Gemeinen Mannes‘ fassbar. Das Referat zeigte, welche politischen Sprachen Bauern beziehungsweise bäuerliche Gemeinden in der Frühen Neuzeit gebrauchten, um Widerstand zu legitimieren. Das Interesse des Beitrags war dabei auf das breite Spektrum von bäuerlichen Sprachen und Sprechakten gerichtet sowie auf die Ordnungsvorstellungen des gelehrten, am Römischen Recht geschulten Juristen.

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Uni-Center der Johannes Kepler Universität in Linz

Die Sektion zum Thema „Inszenierung von Ordnung – Stadtprozessionen in der Vormoderne und Moderne im transkulturellen Vergleich“ (Panel 13) konzipierten und organisierten MitarbeiterInnen des Cluster-Projekts B4 „Segen für die Mächtigen“, der Graduiertenschule des Exzellenzclusters sowie des Historischen Seminars der Universität Münster gemeinsam mit einer Kollegin der Universität Mainz. Der internationale Dialog fokussierte Praktiken und Kontexte der Stadtprozessionen in Mittelalter, Früher Neuzeit und Neuzeit, vom theoretischen Ausgangspunkt der neuen Kulturgeschichte aus.

Michael Hecht vom Historischen Seminar der Universität Münster hob die bedeutende Rolle der Prozessionsforschung im Zuge einer neuen Kulturgeschichte des Politischen hervor. In seinem einführenden Exposé definierte er diese symbolischen Akte als kultisch-sakrale Inszenierungen landesherrlicher beziehungsweise staatlicher und städtischer Herrschaft im öffentlichen Raum der vormodernen und modernen Stadt. Der Referent verdeutlichte, dass in Stadtprozessionen politische und soziale Ordnungen durch demonstrativ-rituelles Handeln abgebildet und konstituiert wurden. Das Panel betrachtete einen Zeitraum vom Spätmittelalter bis ins lange 19. Jahrhundert hinein.

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Megumi Hasegawa und Sabine Reichert (v.l.)

Einen Schwerpunkt bildete dabei die Interpretationsmöglichkeiten der spätmittelalterlichen Prozessionen in Trier und Kyoto. Sabine Reichert von der Universität Mainz thematisierte in ihrem Vortrag die städtische Gemeinschaft des Spätmittelalters als ‚Sakralgemeinschaft‘. Am Beispiel der Stadt Trier verwies sie insbesondere auf die sozialtopographische Rolle der kirchlichen Bittgänge, die städtisches Selbstverständnis in rituelle Handlungen übersetzten.

Megumi Hasegawas Beitrag über japanische Prozessionen lieferte einen Blick in nicht-deutsche Wissenslandschaften. Auf den strukturellen Ähnlichkeiten zwischen europäischen und japanischen Stadtprozessionen im Spätmittelalter basierend, analysierte die Graduiertenschülerin des Exzellenzclusters das so genannte Gion-Fest, das repräsentativste städtische Fest Kyotos, bei dem die Diener des Gion-Schreins zur Organisation und Finanzierung der Prozession verpflichtet wurden. Aus dieser Gruppe bildete sich über die Jahrhunderte ein städtisches Bürgertum, das Fest wurde im Laufe der Zeit profaniert. Die Referentin verdeutlichte das faszinierende Wechselverhältnis zwischen der jeweiligen historischen und gesellschaftlichen Veränderung und dem Ritual.

Der Vortrag von Kristina Thies führte wieder nach Europa. Die Doktorandin der Graduiertenschule am Exzellenzcluster legte einen Fokus auf den Wandel der Frömmigkeitskulturen zwischen Tridentinum und Säkularisation sowie die Veränderungen in der Deutungshoheit über das Ritual. Dabei ging es vor allem um die Inszenierungspraktiken der Stadtprozession während der Entstehung von konfessionalisierter Religiosität. Die Referentin stellte mit Hilfe von Fallbeispielen aus Wien und München die komplexe Konstituierung von konfessionellen Werten und Normen in den Stadtprozessionen dar.

Lena Krull, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Münsteraner Exzellenzclusters, untersuchte in ihrem Vortrag am Beispiel Essens den häufigen Bedeutungswandel der Inszenierungen im Umbruch von der Vormoderne zur Moderne. Im konfessionell gemischt strukturierten Ruhrgebiet boten kirchliche Umgänge Raum für die Darstellung konfessioneller Werte. Die Konfrontation von Protestanten mit dem im öffentlichen Raum stattfindenden Ritual der Prozession war prädestiniert, um konfessionelle Konflikte auszulösen. (Károly Goda)