Svalbard 2021

22.6.2021

Schon wieder Grönemeyer! Wir haben doch eben erst die Augen zugemacht! Der Wecker kennt keine Gnade! Es ist 4:00 Uhr morgens! Guten Morgen Oslo! Ich gehe schnell duschen, dann checken wir aus dem Hotel aus. Der freundliche Hotelangestellte bietet mir einen Kaffee an, den ich gerne annehme. Der Kreis schließt sich auch hier, denn auf dem Pappbecher steht „A little cup of happiness“. Mit „A little cup of happiness“ haben wir am 29.5. unsere Quaratäne begonnen. Es scheint Ewigkeiten her zu sein.

Überraschenderweise gibt es beim Einchecken eine lange Schlange an den SAS bzw. Lufthansa Schaltern. Ich bin sehr froh, dass Nico und ich mit meinem Frequent Flyer Status am Business Schalter einchecken können. Allerdings hat die Person vor uns offensichtlich Probleme, denn es dauert gute 15 Minuten, bis er endlich fertig ist. Wir sind in zwei Minuten fertig. Ohne Probleme! Noch schnell die rote Box beim Sperrgut abgeben und schon packe ich meinen Rucksack mit dem ganzen Elektrikzeugs an der Sicherheitskontrolle aus. Ich kann es an den Augen der Mitreisenden sehen, dass sich viele über meine Plastikboxen wundern. Das ist mir aber egal, weil sich die Boxen extrem gut bewährt haben und man alles sauber und trocken verwahren kann.

„Bums!?!?!?!“ Ich renne fast in die automatische Türe der SAS Lounge. Auf dem Weg zur Espressomaschine wird keine Zeit verloren. Aber was ist das? Die Lounge ist noch geschlossen! Das gibt es doch nicht! Arrrggghhhh! Weiter zum Gate, das sich im internationalen Teil des Flughafens befindet. Dort gibt es eine zweite Lounge. Ein trauriges Pappschild klärt uns darüber auf, dass die Lounge momentan geschlossen ist und man die andere Lounge benutzen soll. Ja meine Güte, da hat aber mal wieder jemand mitgedacht. Die eine Lounge ist geschlossen und die andere noch nicht geöffnet. Vorsichtig formulierend würde ich sagen, dass es da noch Optimierungsmöglichkeiten gibt. Weniger vorsichtig würde ich sagen, dass die Regelung schon sehr dilettantisch ist und was ich mir wirklich denke, schreibe ich besser hier nicht auf. Wenn ich keinen Kaffee kriege und über eine Stunde am Gate sitzen muss, hört der Spaß jedenfalls sehr schnell auf. Aber letzten Endes hilft das ganze Ärgern ja auch nichts. Also, entspann Dich! Haken dahinter und weiter geht es. Und zwar zuerst ins Flugzeug und dann in Richtung Frankfurt. Lufthansa verlängert unsere Reise gegenüber dem Masterplan um genau 2 Minuten, denn es ist 8:52 Uhr, als wir in Frankfurt aufsetzen. Der Flughafen ist heute deutlich lebendiger als bei unserer Hinreise. Vielleicht auch ein Zeichen dafür, dass sich die Situation wieder normalisiert. Mut macht, dass die 7-Tage Inzidenz in Deutschland heute bei 8 liegt, in Münster sogar bei nur 2.5. Wir kommen also definitiv in ein anderes Land zurück als jenes, das wir vor ein paar Wochen verlassen haben. Was sich offensichtlich nicht geändert hat, ist die Anzahl an rücksichtslosen und bösartigen Leuten in Deutschland. Denn als wir zum Auto kommen und ich meine gewohnte Inspektionsrunde darum drehe fällt mir sofort ein in den Lack gekratztes X von ca. 15 x 15 cm auf. Ein versehentliches Verkratzen scheidet meiner Meinung nach aus. Man ist kaum zurück und schon muss man sich ärgern. Die Fahrt nach Münster verläuft reibungslos und um 12:36 Uhr setze ich Nico ab, bevor ich zu mir nach Hause fahre.

Nun ist es also vorbei, unser Abenteuer, und Zeit noch ein paar Schlussgedanken aufs Papier zu bringen während ich bei einem Espresso und guten 20 °C auf der Terrasse sitze. War die Reise den Aufwand wert? Ich denke schon!

Nico und ich konnten uns besser kennenlernen und wir haben uns auf diesem Trip prima verstanden und ergänzt. Auch in kniffligen Situationen haben wir die Ruhe bewahrt und kein böses Wort gewechselt. Einziger Kritikpunkt ist natürlich sein überaus stark ausgeprägter mecklenburg-vorpommerischer Dialekt, der die bayerische Hochsprache, die ich hier verwende, in der ein oder anderen Situation doch recht verschandelt hat. Wer weiß schon was eine Demse ist? Oder ein Akkusativ!

Die Quarantäne war eine eigene Erfahrung, die man als „normaler Mensch“ im Regelfall nicht durchmacht. Für mich war sie leicht zu ertragen und ich hatte keine Probleme damit. Was mich überrascht hat, ist wie wenig Zeit man für sich hatte. Ständig gab es etwas zu tun und ich habe in den 10 Tagen vielleicht fünf Seiten in meinem Buch gelesen. Es klingt komisch, aber langweilig war mir nie! Auch hat mir die gute Organisation der Quarantäne im Hotel imponiert.

In Ny Alesund konnten wir viele Dinge erledigen, die wir uns vorgenommen hatten. Andere Dinge mussten wir absagen. Meist hat es aber nicht daran gelegen, dass unser Team auf 50% unserer normalen Stärke geschrumpft ist, sondern daran, dass entweder noch zu viel Schnee lag oder das Wetter zu schlecht war. Da hätte auch ein 4-Mann Team nicht geholfen. Beim Tragen von schwerer Ausrüstung von A nach B ist es aber ein deutlicher Vorteil in einem größeren Team unterwegs zu sein. Nachdem ich nun beides erfahren habe, würde ich behaupten wollen, dass 4 Personen ideal sind. Zur Not passt man auch in kleine Hütten, hat aber genügend Manpower, um Dinge effektiv und schnell erledigt zu bekommen. Außerdem gehören Ernst und Andreas zum Grundinventar der SPLAM Expeditionen und wurden alleine schon aus diesem Grund vermisst.

Trotz kleinem Team haben wir viel erreicht. So konnten wir zum ersten Mal überhaupt ein Georadar sowohl an der Lateralmoräne als auch einigen Steinkreisen einsetzen. Wir haben Drachenbilder unter sehr schwierigen Bedingungen aufgenommen und dabei eine Filmkamera eingesetzt, die in kurzer Zeit sehr viele Bilder aufnimmt, die wir zur Berechnung von Höhenmodellen verwenden können. Erste Tests sind sehr viel versprechend. Mit der gleichen Filmkamera haben wir auch Aufnahmen aus ca. 3 m Höhe mit sehr hoher Auflösung aufgenommen. Auch daraus sollten sich hochpräzise Höheninformation gewinnen lassen. Das DGPS haben wir verwendet, um die Höhe und Lage von knapp 50 großen Gesteinsbrocken zu vermessen, die wir bereits 2019 vermessen hatten. Somit können wir vergleichen, wie sich die Landschaft in 2 Jahren verändert hat. Unsere unzähligen Detailbilder und Filme dokumentieren die Landschaftsänderung ebenfalls. Mit Datenloggern haben wir während unseres Aufenthalts permanent die Bodenfeuchte und Temperaturen in zwei verschiedenen Tiefen gemessen und auch den Leistungseintrag der Sonne in W/m2 bestimmt. Drei im Jahre 2019 vergrabene Datenlogger, die uns den Temperaturverlauf in drei Bodentiefen zeigen werden, haben wir ebenfalls geborgen. Ein neues mögliches Untersuchungsgebiet wurde inspiziert und Kontakte mit der Universität in Oslo geknüpft, die vielleicht in einem gemeinsamen Projektantrag enden könnten. Ich glaube, unsere Bilanz kann sich sehen lassen. Ich bin jedenfalls sehr glücklich und zufrieden darüber.

Aber natürlich darf ein Schuss Selbstkritik hier auch nicht fehlen. Erstens habe ich wieder viel zu viel Klamotten und andere unnötige Dinge mitgenommen. Nächstes Jahr werde ich deutlich weniger mitnehmen! Allerdings hatten wir dieses Jahr auch fast ununterbrochenen Zugang zu den Waschmaschinen, die uns immer wieder frische Klamotten bescherten, so dass wir nicht so viel dreckige Wäsche hatten, als in normalen Zeiten in denen wir mehr Zeit in den Hütten verbringen. Ein zweiter Kritikpunkt ist der Umgang mit den Geräten. Wir sollten nächstes Jahr besser vorbereitet nach Ny Alesund kommen. So war z.B. dieses Jahr das Datum und die Uhrzeit an der Wildkamera falsch eingestellt. Auch der Umgang mit dem DGPS muss besser einstudiert werden, da ist noch viel Luft nach oben.

Dadurch, dass wir dieses Jahr mehr Zeit in Ny Alesund verbrachten, wurden wir auch besser in die dortige Gemeinschaft aufgenommen. Lange und gute Gespräche mit Ingo, die Mellageret-Besuche und die Einladung zur Geburtstagsfeier in der Nilsebu Hütte waren sicher die absoluten Höhepunkte. Aber auch die netten Gespräche in der Kantine mit den niederländischen, französischen und norwegischen Ornithologen haben uns sehr heimisch fühlen lassen. Speziell Maarten ist eine unerschöpfliche Quelle an Ny Alesund Erfahrungen. Und auch mit dem Küchenpersonal, allen voran Maren, hatten wir dieses Jahr ein außergewöhnlich enges Verhältnis. Ich glaube auch, dass die geringere Anzahl an Wissenschaftlern dazu beigetragen hat, dass diejenigen, die vor Ort waren, noch enger zusammengewachsen sind. Viele Forscher, die sonst immer da waren, haben dieses Jahr gefehlt. So z.B. die indischen, südkoreanischen, und die chinesischen Kollegen, deren Stationen völlig verwaist waren.

Die Unterstützung durch das AWIPEV Team vor Ort war wieder ausgezeichnet. Dadurch, dass dieses Jahr zwei Teams in Ny Alesund waren, konnte noch flexibler auf unsere Wünsche und die sich ständig ändernden Pläne reagiert werden. Das war eine unglaubliche Erleichterung und Hilfe für uns. Nicht weniger wichtig war, dass wir uns zwei leistungsstarke Motorboote ausleihen durften, die uns schnell und sicher und manchmal auch trocken, ins Untersuchungsgebiet und zurück nach Ny Alesund brachten. Was ich dieses Jahr auch sehr geschätzt habe, waren die zahlreichen Gespräche mit Greg und Bettina, die teilweise auch über das rein geschäftliche hinausgingen. Was niemand nach den bereits überaus positiven Erfahrungen der letzten Jahre erwartet hätte, ist eingetreten und der „Service“ ist nochmals gegenüber den Vorjahren gewachsen. Liebes AWIPEV Team, dafür, dass Ihr uns eine so schöne und erfolgreiche Feldsaison beschert habt, sind wir Euch sehr dankbar! Speziell Bettina und Greg, aber auch Lucas, Yohann, Fieke und Sandra sind wir sehr dankbar. Und natürlich muss der Dank auch an die tollen AWI Leute in Bremerhaven gehen, die uns unterstützt haben. Seien es die Leute in der Bekleidungskammer, in der Logistik oder im Hafenlager, um nur einige zu nennen.

So, nun ist das Ende tatsächlich nah. Auf 70 Seiten bzw. mit 42994 Wörtern habt Ihr unsere diesjährige Reise nach Spitzbergen miterleben können. Manches war vielleicht banal, manches zu lange dargestellt und manches vielleicht interessant. Für mich ist der Blog mittlerweile zur lieb gewordenen Tradition geworden und ich hoffe inständig, dass wir diese Tradition nächstes Jahr wieder unter einfacheren Bedingungen wiederholen können.

Photos

“These boots are made for walking!” Die Stiefel, ohne die die Expedition unmöglich gewesen wäre. Ich dachte, ich zeige sie Euch noch schnell am Schluss
“These boots are made for walking!” Die Stiefel, ohne die die Expedition unmöglich gewesen wäre. Ich dachte, ich zeige sie Euch noch schnell am Schluss
© KOP 132 SPLAM
  • Die Schneebedeckung in Ny Alesund am 22.6.2021 zeigt dramatische Unterschiede verglichen mit jener am 2.6.2021
    © Kings Bay AS

21.6.2021

Zur Sicherheit haben wir heute beide Wecker auf 6:00 Uhr gestellt. Wir dürfen keinesfalls verschlafen und haben noch einige Dinge zu erledigen, bevor wir unseren Flug nach Longyearbyen nehmen können. Duschen und Aufhübschen steht auf Listenplatz eins. Speed-Duschen wohlgemerkt, den die Zeit ist knapp. Wir holen unsere Wäsche aus dem Trockenraum und stellen erleichtert fest, dass alles über Nacht trocken wurde. Die Betten müssen noch abgezogen und die Lacken, Bezüge und Handtücher in die Wäscherei gebracht werden. Während Nico unser Zimmer saugt, übernehme ich den Weg zur Wäscherei, die sich auf der Rückseite des Vaskeri-Labs befindet. Um 7:30 Uhr sitzen wir bereits beim Speed-Frühstücken. Wir verschließen unsere letzten Boxen und packen die AWI Seesäcke fertig, so dass wir sie mit Zollplomben versehen können. Und zu guter Letzt sind auch unsere Rucksäcke gepackt und unser gesamtes Gepäck steht pünktlich um 8:30 Uhr zum Wiegen an der Rezeption bereit. Nachdem alles im Busanhänger verladen ist, können wir uns entspannen und noch Kaffee trinken, denn wir müssen uns erst um 10:00 Uhr an der Rezeption einfinden. Wir vertreiben uns die Zeit mit einem längeren Gespräch mit dem wissenschaftlichen Berater von Kings Bay. Greg, Bettina, Lucas und Yohann hatten heute Morgen bereits ein Meeting, sind aber rechtzeitig damit fertig, um sich zu verabschieden. Mir fällt es dieses Jahr besonders schwer und ich denke auch bei den anderen ist es ähnlich. Nach vielen Umarmungen und den besten Wünschen für das AWIPEV Team sitzen wir schließlich im Bus, der uns zum Flughafen bringt. Bis die Maschine aus Longyearbyen landet, sitzen wir ca. 10 Minuten im Bus. Kein Wort wird gesprochen und man hört nur das Heulen des kräftigen Südwinds. Ich glaube jeder ist etwas traurig diesen Hort normalen Lebens verlassen und in die normale Corona Welt zurückkehren zu müssen. Jeder hängt noch seinen Gedanken nach, als die Maschine auf der Landepiste aufsetzt. Nach ein paar Minuten sind wir schon in der Luft und auf dem Weg nach Longyearbyen. Nico und ich ergattern die Sitze unmittelbar hinter den Piloten. Ich mache den Trip ja nicht zum ersten Mal, aber es ist immer wieder faszinierend, den Piloten bei der Arbeit zuzuschauen. Der Wind verursacht heftige Turbulenzen und wir werden beim Starten ganz gut durchgeschüttelt. Nach kurzer Zeit sind wir über den Wolken und es wir ruhiger. Nur schade, dass wir aufgrund des schlechten Wetters nicht fotografieren konnten. Der Flug über den Wolken ist so kurz, dass nicht einmal Zeit für ein Nickerchen bleibt. Nach 30 Minuten stehen wir wieder mit beiden Beinen auf dem Boden. Allerdings in einer anderen Welt. Erschien uns Lonyearbyen bei der Ankunft in Spitzbergen noch als Abenteuer, ist es uns jetzt viel zu hektisch und zivilisiert. Das Handy funktioniert wieder, es gibt Taxis und unglaubliche Mengen an Leuten, also 15-20 sind an einer Stelle zu sehen! Unglaublich, diese Hauptstadt! Unser Gepäck checken wir gleich am SAS Schalter ein, was eine Sache von wenigen Minuten ist. Einen Corona Test will hier Gott sei Dank keiner sehen. Es bleibt uns noch genügend Zeit um in die Stadt zu fahren, um noch schnell etwas zu essen und einen zweiten Satz Postkarten zu schreiben. Eine meiner früheren Karten an die Kinder ist angekommen, die zweite aber nicht! Da muss ich eben nochmal ins Postamt und es erneut versuchen. Mit der typischen Eisbären Briefmarke versehen, schmeiße ich die Karten in den knallroten Briefkasten für die internationale Post. Dann führt uns unser Weg in unser Stammcafé, wo ich ein Thunfisch Sandwich und einen Pott Kaffee bestelle. Dann noch T-Shirts für die Lieben daheim besorgen und schon sitzen wir wieder im Taxi in Richtung Flughafen. Nach einer guten Stunde zurück in der Zivilisation klingelt mein Handy und mein Kollege Thorsten Kleine fragt mich, ob ich mich in die heutige Habilitationssitzung einwählen könnte, weil die nötige Teilnehmerzahl nicht gesichert ist. Die Sicherheitskontrolle verläuft zügig und so sitze ich in der Flughafenlobby in Longyearbyen und höre mir einen Vortrag über die Frühphase des Sonnensystems an. Sehr bizarr und skurril, wenn man gleichzeitig auf die Gletscher und fantastische Landschaft blickt. Die Frühphase des Sonnensystems ist buchstäblich weit weg! Pünktlich zur Einsteigezeit ist die Sitzung vorüber. Das nenne ich perfektes Timing! Der zweite Flug des Tages ähnelt insofern dem ersten, als dass wir nach kurzer Zeit in die Wolken eintauchen und Spitzbergen unter uns im Einheitsgrau verschwindet. Ich kann mich also in Ruhe daran machen, meinen Blog zu vervollständigen. Die Südspitze Spitzbergens scheint aber stellenweise durch die aufgelockerten Wolken dort. Ich kann ein paar letzte Bilder schießen bevor es nur noch Meer und mehr Wolken zu sehen gibt. Erst beim Landeanflug in Tromsö gibt es wieder etwas zu bestaunen. Mir fällt sofort auf, wie grün die Landschaft in Ufernähe ist. In höheren Lagen gehen die Farben in unterschiedliche Brauntöne über und auf den Gipfeln liegt noch Schnee. Allerdings sehr viel weiniger als bei unserer Hinreise. Auch in Tromsö ist es Frühjahr geworden.

Mit uns auf dem Weg nach Tromsö sind auch Maren, die Köchin, und ihr Freund, der auch bei Kings Bay arbeitet und dieses Jahr z.B. unser Schießtrainer war, sowie die norwegischen Ornithologen. Es ist ein sehr eigenartiges Gefühl jetzt alle mit Masken zu sehen, nachdem wir vor ein paar Stunden noch völlig unbeschwert Schulter an Schulter nebeneinander gesessen haben. Auch Nico schaut mit seiner Maske wieder weniger vertraut aus. Mir wird bewusst, dass wir unsere kleine sorgenfreie Blase endgültig verlassen haben. In Tromsö müssen wir alle aussteigen, unser Gepäck in Empfang nehmen und damit durch den Zoll gehen. Leider müssen wir auch aus dem Sicherheitsbereich des kleinen Flughafens heraus, wodurch eine erneute Sicherheitskontrolle notwendig wird. Die Nervigkeit der Zivilisation schlägt innerhalb der ersten paar Minuten gnadenlos zu und ich bin bereits jetzt wieder bereit, umzudrehen! Noch wäre es ohne erneute Quarantäne möglich! Ein sehr verführerischer Gedanke. Interessanterweise hat auch Carolyn in einem Telefonat gesagt, ich solle mich um ein Freisemester bemühen, das wir dann alle in Ny Alesund verbringen könnten…

Den Flug nach Oslo verschlafe ich und auch Nico träumt sich in Richtung Oslo. Jedes Mal wenn ich kurz aufwache und aus dem Fenster schaue, sehe ich dicke Wolken. Oslo empfängt uns mit Regenwetter und es ist „unnatürlich“ dunkel! Das Gepäck ist schnell eingesammelt und wir verabschieden uns von Maren und Christer, die nun Urlaub haben. Den Coronatest für unseren morgigen Flug erledigen wir direkt im Anschluss. Gewohnt tief in der Nase, bringt er uns endgültig in die Realität zurück. Der Test ist negativ und so steht einem Flug nach Frankfurt nichts mehr im Wege. Das Hotel direkt am Flughafen wird uns diese Nacht aufnehmen. Carolyn hat für uns eine Reservierung gemacht, und so kriegen wir ein weiches Bett anstatt einen harten Flughafenstuhl. Unser ursprünglicher Plan war es, einfach im Flughafen zu bleiben und dort auf den Flug nach Frankfurt zu warten. Was wir dabei nicht bedacht haben ist, dass wir dann ja auch unsere Masken die ganzen Stunden aufhaben müssten und wir vermutlich nichts zu essen und trinken bekommen würden. Definitiv keine Option! So gelangen wir auch in den Luxus eines schönen Abendessens, das die Reise würdig abschließt. Nico wählt einen Cheeseburger, ich Fish and Chips. Dazu trinkt jeder ein Bier. Im Hotelzimmer stellt Nico noch einen Film aus den Einzelbildern der Wildkamera her, während ich noch immer am Blog arbeite. Gegen Mitternacht gehen die Lichter aus.

Photos

Unser Material, das im Juli nach Bremerhaven verschifft wird
Unser Material, das im Juli nach Bremerhaven verschifft wird
© KOP 132 SPLAM
  • Einer der zwei Eisbären, die wir dieses Jahr gesehen haben. Der andere steht am Gepäckband des Flughafens in Longyearbyen
    © KOP 132 SPLAM
  • Die letzte Tasse Kaffee der Feldsaison 2021 trinke ich kurz vor dem Abflug aus Ny Alesund
    © KOP 132 SPLAM
  • Der Pilot, der uns sicher nach Longyearbyen brachte
    © KOP 132 SPLAM
  • Der Propeller
    © KOP 132 SPLAM
  • Leitwerk der Do 228
    © KOP 132 SPLAM
  • Das letzte Bild von Spitzbergen
    © KOP 132 SPLAM
  • Anflug auf Tromsö
    © KOP 132 SPLAM

20.06.2021

Um 8:00 Uhr werde ich heute zum ersten Mal wach. Aufstehen macht aber tatsächlich noch keinen Sinn, weil es am Sonntag, wie am Samstag, immer erst um 10:00 Uhr Brunch gibt. Einmal noch umdrehen und bis 9:00 Uhr weiter dösen. Herrlich! Um 9:00 Uhr ist es dann aber auch genug und ich setze mich hin und schreibe am Blog während Nico noch schläft. Das geht aber nur für ca. 15 Minuten gut, dann ist auch er wach. Bevor wir uns in die Kantine aufmachen schicken wir noch die Fracht- und Packlisten an Lucas. So wie es momentan ausschaut, werden unsere Kisten bereits im Juli nach Bremerhaven verschifft. Eine zweite Email geht an Kings Bay, um meine Rechnungsadresse zu korrigieren. Andererseits hätte ich nichts dagegen, wenn Andreas meine Rechnung bekommen würde…

Wetter? Ja, haben wir auch! Heute ist es leicht bewölkt und teilweise sonnig aber es weht ein sehr starker und kalter Wind aus Süden. Mal etwas Anderes. Natürlich wollen wir heute noch einmal so richtig Gas geben und noch ins Gelände gehen. Nach dem faulen gestrigen Tag wollen wir heute noch versuchen zumindest ein paar Steinkreise zu finden, die nicht von Schnee bedeckt sind. Das Packen des Georadars auf unsere Rucksäcke ist uns mittlerweile in Fleisch und Blut übergegangen und ist zügig erledigt. Tee kochen, Schokolade einstecken, Waffen abholen, losgehen. So stellen wir uns das vor. Greg überrascht uns allerdings als er fragt, ob er mit uns kommen könne. Natürlich kann er mitkommen! Ist doch klar! Erstens ist es schön, dass er uns begleiten will und zweitens sparen wir uns das Tragen der Gewehre und der Signalpistolen. Greg wird auf uns aufpassen während wir arbeiten und dazu reicht ein Gewehr.

Gegen 11:00 Uhr marschieren wir vom Blauen Haus ab in Richtung Flughafen. Die Seeschwalben sind heute sehr aggressiv, vermutlich weil aus den Eiern bald die Jungen schlüpfen werden. Man kann es sich so vorstellen, dass alle Seeschwalben, die in der Umgebung ihr Nest haben, sich im Sturzflug von hinten nähern und dann immer den höchsten Punkt anvisieren. Dreimal werde ich von einer Seeschwalbe am Kopf getroffen und ich bin froh, dass die dicke Wollmütze des AWI den Aufprall mindert. Das ist aber nur eine Strategie, um Feinde von den Nestern zu vertreiben. So kotzen die Seeschwalben auch eine übel riechende Flüssigkeit und man muss aufpassen, nicht getroffen zu werden. Die dritte Waffe im Arsenal ist natürlich Vogelscheiße, die ebenfalls reichlich zum Einsatz kommt. Nico ist heute der Glückspilz und wird mit einem weißlichen Fleck auf der mehr oder weniger frisch gewaschenen Fleece Jacke verziert. Man ist gut beraten, nicht nach oben zu schauen. Greg macht mit seiner Weitwinkelkamera einen sehr interessanten Film, der den Anflug einer ganzen Seeschwalbenstaffel zeigt. Nach ca. 100 m sind wir aus der größten Gefahrenzone heraus und können wieder normal weiter gehen. Aus den vergangenen Jahren habe ich noch einige Steinkreise als Wegpunkte in meinem GPS abgespeichert. Unser Ziel ist heute die Gegend um den Trehyrringen See bzw. Knudsenheia, die wir über die neue Brücke über die Bayelva erreichen. Zunächst schaut es nicht gut aus, da einige meiner Steinkreise durch den Schnee noch immer bedeckt sind. Dann bleibt uns das Glück doch noch treu und wir finden halbwegs gut entwickelte Steinkreise in einer kleinen Senke. Obwohl wir damit arbeiten könnten, suchen wir noch etwas weiter nach „besseren“ Steinkreisen. Die Suche muss allerdings kurz gehalten werden, denn wir müssen heute auch relativ zeitig zurück in Ny Alesund sein, um unsere Kisten, Seesäcke und Rucksäcke fertig zu machen.

Zunächst nehmen wir Georadar-Profile von einer Gegend auf einem kleinen Rücken, auf dem sich Steinkreise gerade zu entwickeln scheinen. Dieses Gebiet ist relativ trocken und sollte daher gute Radardaten liefern. Wir nehmen unsere Antenne vom Rucksack, bauen das Rad zur Distanzmessung und die Zugstange auf und verbinden alle Komponenten mit Kabel. Greg amüsiert sich köstlich und nennt unser Radar einen „Rasenmäher“. Ich muss zugeben, dass der Vergleich schlüssig ist. Wie üblich ziehe ich das Radar auf einem Schlitten hinter mir her, während Nico das Steuergerät bedient. So laufen wir unser übliches Raster ab. Zu jedem Profil setzen wir am Anfang und am Ende jeweils einen GPS Wegpunkt. Nachdem wir einige Zeit mit den Messungen zugebracht haben und es Greg mit Sicherheit langweilig und kalt ist, beschließen wir einen Drachenflug zu wagen. Bei gut 5 Beaufort, in Böen vermutlich deutlich mehr, ist es in der Tat ungewiss, ob das Material diesen Windbedingungen standhalten kann. Da es aber sehr gut wäre, neben den Radarprofilen auch den Kontext und die Oberflächenmorphologie aufzunehmen, machen wir den Drachen für einen Testflug ohne Kamera bereit. Und siehe da, es klappt. Also können wir nun mit der Kamera fliegen. Beim erneuten Start lassen wir den Drachen zu schnell los, so dass die Leine ruckartig belastet wird. Ein „Zing“ ist zu vernehmen, dann können wir nur noch zuschauen, wie der Drachen samt GoPro über die freie Fläche geweht wird. Gott sei Dank landet er etwa 70 m von uns in einem Schneefeld. Nico betätigt sich sofort als „Recovery Team“ und sammelt alles ein bevor es weiter verblasen wird. Der Schaden ist minimal und ich kann alles noch im Gelände wieder funktionsfähig kriegen. Auf zum nächsten Versuch! Durch die delikaten Arbeiten am Drachen sind meine Finger sehr kalt und die nassen Handschuhe helfen nicht wirklich. Aber wenigstens hält die Drachenleine dieses Mal und ich kann das gesamte Gebiet systematisch abdecken. Da gerade alles so gut funktioniert, mache ich einfach weiter und befliege auch gleich das zweite, etwas niedriger gelegene Gebiet mit den Steinkreisen. In der Senke in der sich die Steinkreise befinden hat sich sehr viel Wasser angesammelt und überall gluckert es. Wir beobachten, dass sehr viel Wasser durch die groben Gesteinsbrocken der Steinkreiswälle läuft und dort vermutlich auch sehr viel feinkörniges Material wegschwemmt. Durch einige der Schneereste bricht man durch und steht dann im Wasser. Wir sind um unsere Gummistiefel mehr als froh! Der Wind wird immer stärker und die Leine fängt darin an zu pfeifen. Auch muss ich gut festhalten und versuchen plötzliches Anreißen des Drachens in Böen zu verhindern. Und auch meine Hände werden immer kälter. Irgendwann kann ich es nicht mehr aushalten und wir holen den Drachen ein. Meine Fingerspitzen brennen wie Feuer und es tut höllisch weh. Zunächst versuche ich meine Finger im Mund wieder aufzuwärmen aber das funktioniert nicht. Ich stecke mir meine Hände kurzerhand in den Hosenbund und Nico amüsiert sich köstlich als er mich so umherlaufen sieht. Ich finde es gar nicht witzig, weil mir die Hände so wehtun aber ehrlich gesagt hätte ich sicher auch lachen müssen, wenn Nico so einen Affentanz aufgeführt hätte. Nach ca. 10 Minuten lässt der Schmerz nach und kommt das Gefühl zurück, so dass ich weiterarbeiten kann. Es liegt ja noch das zweite Radarraster an. Greg steht noch immer für uns Wache aber er ist auch froh, als wir ihm sagen können, dass wir mit den Messungen fertig sind. Auf dem Rückweg ratschen wir drei über Gott und die Welt. Die Angriffe der Seeschwalben erinnern uns daran, dass wir wieder in Ny Alesund sind. Vom Timing her könnte unsere Rückkehr nicht besser sein, denn es gibt Essen. Wir schmeißen unsere Rucksäcke deshalb nur schnell ins Vaskeri-Lab und gehen dann direkt zum Essen. Was jetzt hier so unspektakulär klingt, ist in der Realität das Ende unserer Feldsaison. Für dieses Jahr sind alle Beobachtungen gemacht und alle Messungen durchgeführt. Alles, was wir jetzt nicht dokumentiert haben, werden wir nicht mehr bekommen. Ich bin froh, dass unsere Feldarbeit gut verlaufen ist, dass niemand ernsthaft verletzt wurde und dass wir von den Eisbären dieses Jahr verschont blieben. Andererseits bin ich traurig zu realisieren, dass unsere Stunden hier in Ny Alesund gezählt sind.

Ich muss jetzt ganz schnell auf andere Gedanken kommen und so lege ich den Fokus aufs Essen. Es gibt heute Kebab mit Reis und mir schmeckt es. Beim Abendessen treffen wir erneut Greg und auch Ingo, von dem wir uns auch gleich verabschieden, weil wir ihn morgen vermutlich nicht mehr beim Frühstücken sehen werden. Anschließend füttern wir noch schnell die stets hungrigen Mäuler der Waschmaschinen. Auf diese Art und Weise haben wir morgen nur saubere Klamotten in unseren Rucksäcken und wir können die AWI Ausrüstung in einem sauberen Zustand zurückgeben.

Die Kisten, Seesäcke und Rucksäcke wollen noch immer gepackt werden. Wir fangen mit den Kisten an, weil das aufgrund unserer Vorarbeit sehr schnell erledigt werden kann. Inhalt nochmal überprüfen und mit der jeweiligen Frachtliste vergleichen, Kabelbinder dran, dass die Verschlüsse nicht aufgehen können, alle Kisten auf einen Haufen stapeln, schon sind wir fertig. Die Arbeiten an den Rucksäcken sind umfangreicher und ich wundere mich, warum es beim Flug hierher offensichtlich viel weniger zu packen gab. Nur gut, dass Ingo bei uns an die Zimmertüre klopft und fragt, ob wir ihm bei der Reduzierung seines Bierkontingents helfen wollen? Bier ist in Ny Alesund streng reglementiert und man bekommt pro Bordkarte nur eine Palette Bier für den gesamten Aufenthalt. Für uns, die wir ja meist nur ca. 2 Wochen dort sind, ist das kein Problem. Ingo muss beruflich aber meist für mehrere Monate in Ny Alesund sein und dass er sein Bier mit uns teilen will ist eine super Geste von ihm, die wir natürlich gerne annehmen. Wir sitzen auf der Veranda des Blauen Hauses, trinken ein Bier und ratschen. Gegen Mitternacht frischt plötzlich der Wind stark auf und es wird sehr kalt. Wir verziehen uns in den Aufenthaltsraum und ratschen dort weiter. Ein weiteres Bier später ist es bereits 3:50 Uhr. Es war ein super Abend mit Ingo. Er ist viel gereist und hat tolle Geschichten auf Lager. Ingo ist ein Hühne von einem Mann, steht mitten im Leben und es macht einfach enorm Laune, Zeit mit ihm zu verbringen und gemeinsam zu lachen. Ein Pfundskerl! Irgendwann fordert die Müdigkeit ihren Tribut und wir müssen uns leider trennen. Ich hoffe sehr, ihn nächstes Jahr wiederzutreffen und lade ihn spontan nach Münster ein, wo seine Frau studiert hat. Die letzte Aktivität des Tages besteht im Fertigpacken der Rucksäcke. Die AWI Seesäcke stehen dann morgen auf dem Programm.

Die „Marsianer“ mit dem Georadar vor der prächtigen Kulisse des Vestere und Austere Broggerbreen
Die „Marsianer“ mit dem Georadar vor der prächtigen Kulisse des Vestere und Austere Broggerbreen
© KOP 132 SPLAM

Photos

Das Georadar im Einsatz
Das Georadar im Einsatz
© KOP 132 SPLAM
  • Nico und ich bereiten den Einsatz des Georadars vor
    © KOP 132 SPLAM
  • Schetteligfjellet mit interessanter Wolke
    © KOP 132 SPLAM
  • Die Nilsebu Hütte
    © KOP 132 SPLAM
  • Kleiner Eisrest, der sich in einer kleinen Vertiefung festgesetzt hat
    © KOP 132 SPLAM
  • Nico und Greg im Gelände
    © KOP 132 SPLAM
  • Vermutlich mein letztes Foto der alten Radioteleskop Antenne. Sie soll im September abgerissen werden.
    © KOP 132 SPLAM

19.6.2021

Ausschlafen! Vor 10:00 Uhr gibt es heute kein Frühstück. Es ist Samstag! Das tut sehr gut etwas länger zu schlafen! Der erste Blick aus dem Fenster bestätigt unsere gestrige Entscheidung, die Geräte zurück zu holen. Es schneit! Teilweise sogar heftig! Der Wind weht den Schnee waagerecht über den Boden und ich bin froh, dass wir heute eine Geländepause einlegen. Wir haben auch noch viel nachzuarbeiten, was die letzten Tage liegen blieb. So muss ich das Feldbuch aktualisieren, den gestrigen Blog schreiben und Daten sichern. Aber Halt, fangen wir erst einmal ganz langsam an!

Der Brunch verdient nämlich eine Erwähnung! Salate, Fleisch, Pfannkuchen, Fisch, Gebäck, Müsli. Alles da! Die Küche hat also wieder Fantastisches geleistet und verwöhnt alle mit Leckereien. Irgendwie sind die mitgebrachten und abgelaufenen Nudelsuppen, auch wenn sie noch so hübsch bunt verpackt sind, kein Ersatz und meine Entzugserscheinungen halten sich auf einem mehr als erträglichen Niveau. Zudem sitzen wir am Tisch mit den niederländischen Ornithologen und ich habe ein sehr nettes und anregendes Gespräch mit Maarten. Dieses Jahr läuft ja etwas anders als die Jahre zuvor. Da wir viel von Ny Alesund aus gemacht haben, sind wir auch viel besser in die hiesige Gemeinschaft integriert. Wir haben viel mehr Leute kennen gelernt und Beziehungen mit Leuten, die quasi zum Ny Alesund Inventar gehören, vertiefen können. Maarten ist mit Sicherheit solch eine Person, weil er schon seit vielen langen Jahren hierherkommt. Aber auch unsere Historie der „Marsianer in Ny Alesund“ kann sich ja mittlerweile sehen lassen. Immerhin ist es die 10. Saison, in der wir hierherkommen. Beim Blick in den Frühstücksraum wird mir klar, dass sicher nicht viele Leute eine so lange Verbindung mit Ny Alesund haben wie wir. Das SPLAM Team hat also auf dem Balkon der Muppet-Show Platz genommen! Schade ist nur, dass uns Corona unser Jubiläum so versaut hat. Ich hätte gerne mit Ernst und Andreas gefeiert. Aber dann werden wir eben die 11. Saison feiern! Basta!

Das Schreiben des Blogs nimmt heute doch länger in Anspruch als es mein Plan war. Auf dem Bett im Warmen sitzend, mit dem Blick auf Schneetreiben und niedrige Wolken, meinen Tee von gestern trinkend, komme ich offensichtlich ins Labern. Das muss aufhören, auch wenn es Nico genügend Zeit gibt, mit den Drachendaten zu „spielen“. Gott sei Dank sind viele der Bilder gestochen scharf, so dass wir uns in der Tat gute Ergebnisse erhoffen können. Nico transferiert gerade Teile der GoPro Filme auf unseren schnellen Computer in Münster, worauf er die Verarbeitung eines kleinen Subsets aller Daten zu Testzwecken starten will. So sitzen wir in unserem Zimmer und reden stundenlang kein Wort. Und keinen scheint es zu stören! Splendid isolation auf vielleicht 15 m2.

Gestern auf der Party haben wir übrigens noch erfahren, dass unsere Schneespuren für die Radarprofile durchaus für Gesprächsstoff sorgten. Christelle, die vor ein paar Jahren für das AWIPEV gearbeitet hat und nun beim NPI beschäftigt ist, hat sie von der Seilbahn auf den Zeppelinfjellet gesehen und fotografiert. Nicht nur das, auch auf Facebook ist das Bild gelandet! Wer hätte das gedacht! Mich würde interessieren, wieviele Likes wir bekommen! Vermutlich sehen einige Leute darin wieder eine Botschaft Außerirdischer und wenn diese Leute jemals in Ny Alesund nachfragen, werden sie vermutlich zu hören bekommen, dass die Spuren von den „Marsianern“ gemacht wurden. Was für ein Gedanke! Der Beginn einer völlig neuen Verschwörungstheorie! Nico sieht in dem Foto einen eindeutigen Beleg für strukturiertes arbeiten, ich finde es amüsant, dass wir als große Geophysiker mit unseren bahnbrechenden Arbeiten die Welt erheitern konnten.

Der Tag vergeht schneller als wir es uns denken und bis wir schauen, ist es auch schon wieder Zeit für das Abendessen. Der Samstag ist immer etwas ganz Spezielles. Dann sind die Tische in der Kantine nett eingedeckt, es gibt Servietten und jeder darf seine Flasche Wein oder seine Büchse Bier mitbringen. Heute hat jemand Geburtstag und es wird natürlich gratuliert. Der ganze Saal steht auf und singt ein norwegisches Geburtstagslied. Und natürlich gibt es etwas Besonderes zum Essen. Heute ist es ein Rinderbraten mit Gemüse, Kartoffeln, Pommes und eine leckere Nachspeise. Nico und ich sitzen an einem Tisch mit norwegischen Ornithologinnen. Wir haben also innerhalb von zwei Wochen drei verschiedene Ornithologen Gruppen kennen gelernt, die aber alle unterschiedliche Vögel studieren. Sind es bei den einen Gänse, sind es bei anderen Eiderenten und bei den dritten eine große Möwen Art. Trifft man sich beim Essen, kann man viel über die jeweiligen Vögel lernen. Sehr interessant!

Der Schnee ist mittlerweile in Regen übergegangen und es weht nach wie vor ein starker NW Wind, der das ohnehin schlechte Wetter miserabel macht.

Nach der Schlemmerei wartet aber noch Arbeit auf uns, denn unsere Fracht- und Packlisten gehören noch gedruckt und ebenso die neuen Labels für die Verschiffung unserer Kisten nach Bremerhaven. Wie in den vergangenen Jahren ist das Drucken schnell erledigt. Die Frachtliste sowie die Packlisten für unsere vier Kisten lege ich Lucas auf seinen Schreibtisch. Die Anbringung der Labels ist immer etwas fummeliger, da sie in die Plastikhüllen geschoben werden müssen, die für die Verschiffung nach Ny Alesund auf die Kisten geklebt wurden. Nach ca. 45 Minuten ist auch diese eher lästige Arbeit erledigt und wir können uns auf den Weg zur Mellageret Bar machen. Der erfahrene Blogleser wird es bereits ahnen, dass die am Samstagabend geöffnete Bar ein wichtiger sozialer Treffpunkt für den ganzen Ort ist. Zunächst sitzen Nico und ich noch alleine an einem Tisch aber nach und nach gesellen sich Fieke, Christelle, Bettina und Maren dazu und wir verbringen erneut einen sehr schönen Abend mit vielerlei Gesprächsthemen. Die After-Party findet heute in der italienischen Station statt. Traditionell gibt es Pasta für alle. Um 2:00 Uhr morgens kommt so ein Teller sehr gelegen. Die meiste Zeit verbringen Nico und ich mit Andreas von der Uni in Oslo. Andreas kommt ursprünglich aus Kaufbeuren und ist neben Verena, einer der Taucherinnen aus Memmingen und mir der dritte Bayer. Wenn Ernst jetzt noch hier wäre, könnten wir den nördlichsten Schafkopf spielen und ins Buch der Rekorde eingehen. So aber bleibt es dabei, dass Nico, Andreas und ich mögliche gemeinsame Projekte diskutieren. Wir haben viele Ideen und ich bin schon gespannt, was wir tatsächlich umsetzen können. Um 3:00 Uhr gehen uns langsam die Ideen aus und wir verlassen die Party, um ins Bett zu gehen. Auf dem Weg zurück fällt uns auf, dass der Wind weg ist und es zu regnen aufgehört hat. Das Wetter verspricht besser zu werden für unseren morgigen letzten Tag im Gelände.

Photos

Nico beim Prozessieren der Daten
Nico beim Prozessieren der Daten
© KOP 132 SPLAM
  • Selbstverschuldetes Chaos
    © KOP 132 SPLAM
  • Der heutige Tag ist grau in grau mit Regen und Schnee aber ab und zu heben sich sie Wolken etwas.
    © KOP 132 SPLAM
  • Die Spuren, die wir bei der Aufnahme der Radarprofile hinterlassen haben. Das Bild wurde von Christelle aus der Gondel der Seilbahn auf den Zeppelinfjellet gemacht
    © KOP 132 SPLAM

18.6.2021

Was für eine kurze Nacht nach einem anstrengenden Tag. Nico und ich hätten heute gerne noch eine Runde geschlafen, aber das Frühstück zu verpassen ist keine wirklich gute Option. Also beißen wir die Zähne zusammen und schälen uns aus den Betten. Und wir sind nicht alleine heute. Denn sobald unsere Füße den Boden berühren ist er da, der Muskelkater. Ich betreibe die übliche minimalinvasive Körperpflege und schon sitze ich vor einem Pott dampfenden Kaffee und Spiegeleiern mit Speck, die es freitags immer gibt. Genau das Richtige, um wieder Fahrt aufzunehmen. Das Wetter ist heute recht gut. Sonne mit Wolken, kein Niederschlag vorhergesagt. Nur der Wind macht mir etwas Kopfzerbrechen, weil er noch immer mit 5 Beaufort aus NW bläst. Die Wettervorhersage lässt allerdings keine Hoffnung aufkommen, dass es in den nächsten Tagen windmäßig besser werden könnte. Und morgen soll es sogar den ganzen Tag über regnen bzw. schneien. Beim Frühstücken diskutieren wir alle möglichen Pläne, kommen aber schnell zu der Entscheidung, unser Material heute schon von unserem Untersuchungsgebiet zurückzuholen. Sollte das Wetter wirklich schlechter werden und eine Motorbootfahrt verhindern, müssten wir von Ny Alesund mindestens 10 km bis zu unserem Untersuchungsgebiet laufen, um die Geräte zu holen. Bei den derzeitigen Bedingungen zum Laufen hält sich das Charmelevel dieses Plans B auf einem sehr niedrigen Niveau.

Unser Plan muss natürlich noch mit Greg und Bettina abgesprochen werden. Und auch Lucas und Yohann müssen Bescheid wissen, schließlich brauchen wir ja ein Motorboot. Sabrina ist heute an die französischen Ornithologen vergeben, die mit vier Leuten unterwegs sind und deshalb ein größeres Boot brauchen. Aber das neue rote Boot „Polar Tomato“ ist frei. Yohann gibt mir eine kurze Einführung, bei der es keine großen Überraschungen gibt. Dennoch ist es wichtig zu wissen, wo sich alles befindet und wie alles funktioniert. Die Wellen laufen bei der herrschenden NW Windrichtung genau querab auf das am Dock vertäute Boot, wodurch es sich munter auf und ab und rechts und links bewegt. Mein erster Eindruck ist, dass das Boot sehr kippelig ist, was auch nicht verwundert, da es wesentlich schmaler gebaut ist als z.B. die Polarcirkel Boote. Auch das Schwimmdock bewegt sich etwas und wenn man auf dem schmalen Steg zwischen den Booten läuft und die schaukelnden Boote rechts und links von sich sieht, stellt sich bei mir ein eigenartiges Gefühl ein. Der Kopf versucht alle diese unterschiedlichen Bewegungen zu verarbeiten und Sinn daraus zu machen, aber das funktioniert nur bedingt gut und so habe zumindest ich das Gefühl zu schwanken, obwohl ich seit Tagen keinen Alkohol mehr getrunken habe.

Mit den herrschenden Wind/Wetter/Wellenbedingungen im Hinterkopf, entscheiden wir uns gegen die Mitnahme des DGPS oder des Georadars. Unsere wirklich teuren Geräte bleiben also geschützt im Vaskeri-Lab und wir haben insgesamt weniger zu schleppen. Hauptaufgabe ist es ja heute, Material aus dem Gelände zurückzuholen, nicht neues Material dorthin zu bringen. Statt dem „großen Besteck“ nehmen wir nur die Drachenausrüstung, die Polestangen, den Klappspaten und eine kleine Schaufel mit ins Gelände. Trotzdem ist es schon wieder eine Schlepperei unser gesamtes Gepäck zum Boot zu schaffen. Die ersten paar Meter mit dem neuen Boot verlaufen aufregend, da das Boot sehr viel sensibler auf den Gashebel reagiert, als Sabrina, was zu einem flotten Ablegemanöver führt. Nur zur Beruhigung aller: Es wird niemand dabei verletzt oder getötet, das Dock steht noch und das Boot schwimmt noch! Wir sind somit bereit, ins Gelände zu gehen. Sobald wir aus der Hafeneinfahrt heraus sind, können wir Kurs in Richtung Kongsvegen nehmen und Gas geben. Dadurch stabilisiert sich das Boot und wir können mit den Wellen fahren. Wie gestern auch, macht das die Fahrt sehr angenehm, weil fast kein Spritzwasser über kommt und man auch fast keinen Wind spürt. So ist es auch nicht verwunderlich, dass wir zügig und gut gelaunt in unserer Bucht ankommen. Polar Tomato schlägt sich auf der Fahrt sehr gut und lässt sich sauber und stabil durch die Wellen manövrieren. Nach der üblichen Ausschau nach Eisbären, bereiten wir unser Ankermanöver vor. Dabei wird es achtern deutlich enger, als auf Sabrina. Dennoch legen wir trotz Wellen ein blitzsauberes Anlegemanöver hin. Mittlerweile sind wir diesbezüglich Profis.

Der Aufstieg zum Untersuchungsgebiet ist auch schnell geschafft und nach einer Tasse Tee können wir loslegen. Zuerst wollen wir Andreas Datenlogger versuchen auszugraben. Bewaffnet mit Schaufel und Klappspaten gehen wir zum Loch, aus dem wir bereits die zwei anderen Logger ausgegraben haben. Der Boden ist jetzt tatsächlich weiter aufgetaut und wir müssen beide lachen, als ich bereits beim zweiten Schaufelstich das Gelb des Loggers sehen kann. Ein kurzes Ziehen an der roten Markierungsschnur und schon halten wir das Objekt unserer Begierde in Händen. Die erste Aufgabe des Tages ist somit viel schneller erfüllt, als wir uns das vorgestellt haben. Das ging quasi wie das Betten machen, das ich vor ein paar Tagen erwähnte.

Der Wind pfeift unvermindert über unser Untersuchungsgebiet. Nichtsdestotrotz wollen wir versuchen, mit dem Drachen eine Befliegung durchzuführen. Sicherheitshalber starten wir einen ersten Probelauf ohne Kamera. Der Start des Drachens unter diesen Bedingungen ist ein Klacks. Man braucht ihn praktisch einfach nur loszulassen und schon ist er oben. Die Bedienung der Seilwinde ist da schon deutlich schwieriger und ohne Handschuhe fast nicht zu machen. Der Drachen entwickelt einen enormen Zug und ich bin froh, dass wir die Leine mit der maximalen Bruchlast gekauft haben. Der Drachen fliegt für ein paar Minuten ohne jedes Problem und bleibt dabei relativ stabil in der Luft. Das ist natürlich hervorragend und so holen wir den Drachen wieder vom Himmel, um die GoPro darunter zu hängen. Dieses Mal verpacke ich sie aber in ein zusätzliches Schutzgehäuse. Sicher ist sicher, denn hier gibt es jede Menge Steine, Schlamm und Pfützen. Sollte die Leine tatsächlich reißen, ist meine Hoffnung, dass die Kamera den Absturz dadurch möglichst heil übersteht. Und bei dem Wind spielen die paar extra Gramm des Gehäuses auch keine Rolle. Rucki zucki fliegt der Drachen wieder. Zunächst nehme ich das Gebiet unmittelbar um unsere neue Erosionsstruktur auf. Dann laufe ich jene Erosionstruktur ab, die wir seit Jahren beobachten und die sich in den letzten zwei Jahren nochmals deutlich nach oben bis zum Fuß eines steilen Hügels verlagert hat. Und schließlich laufe ich mehr oder weniger das gesamte Gebiet ab. Immer den Drachen hinter mir herziehend. Nachdem ich einmal im steilen Gelände auf dem Hintern gelandet bin, weil mich der Drachen aus dem Gleichgewicht gebracht hat, übernimmt Nico mein Gewehr. Dadurch kann ich mich viel besser bewegen. Ich muss ja überlegen wo ich laufe, muss schauen wo ich hintrete und muss gleichzeitig natürlich den Drachen im Auge behalten. “Multi-tasking und ich“ ist ein schwieriges Thema, das bei mir häufig mit einer Landung auf dem Hintern endet. So, wie gesagt, auch heute! Trotzdem fliegen wir ein großes Gebiet ab und ich bin extrem zufrieden, wie gut das heute funktioniert. Die GoPro läuft unterdessen auf Hochtouren. Zwischenzeitlich checken wir ob die Kamera auch tatsächlich noch aufzeichnet und zu unserer Erleichterung sehen wir, dass sowohl der Akku als auch die SD Karte noch genügend Flugzeit zulassen. Also, nichts wie wieder in die Luft damit und weiter Daten generieren! Heute war definitiv ein Drachentag. Wir holen den Drachen ein und dabei macht sich unser Teamwork sehr bezahlt. Nico zieht an der Leine und ich rolle sie auf. An einem gewissen Punkt ist dann die Kamera und der Drachen greifbar, so dass wir alles sicher landen können und dabei auch noch alles perfekt sauber bleibt. Auch kann ich mir nicht vorstellen, dass man bei den heutigen Bedingungen noch mit einer Drohne hätte fliegen können. Ich bin jedenfalls sehr gespannt, das fertige Mosaik des gesamten Gebietes zu sehen. Vielleicht können wir ja auch ein schickes Höhenmodell daraus berechnen. Nico und ich haben schon die schönsten Ideen im Kopf, was wir alles mit den Daten versuchen können. Ich freue mich tierisch, dass alles so gut geklappt hat und könnte Luftsprünge machen. Das zweite Gebiet, das wir blitzsauber befliegen konnten! Im Zoom Meeting mit Ernst hatte er vorgeschlagen, dass wir vielleicht auf den Berg hinter der Seitenmoräne klettern könnten, um von dort einen Blick auf das Gebiet bekommen zu können. Wir entscheiden uns aber letztlich dagegen. Erstens müssten wir hoch aufsteigen, um überhaupt das Untersuchungsgebiet einsehen zu können, das ja mit ähnlicher Steilheit in die gleiche Richtung wie der Berg geneigt ist. Dadurch würden wir unweigerlich im hohen Schnee enden, was mir einfach zu gefährlich erscheint, speziell da wir nicht die richtige Ausrüstung dafür dabei haben. Zum zweiten würde das sehr viel Zeit kosten. Und zum dritten haben wir ja die heutigen Drachenbilder und die Bilder der Befliegung des letzten Jahres, die beide bessere Auflösungen haben, als wir vom Berggipfel erreichen könnten.

Zeit für Tee und Brotzeit. Ich esse noch mein übrig gebliebenes Käsebrot von gestern und dann ist es soweit. Ernst hat ja bei jedem Besuch in Spitzbergen immer Fischbüchsen im Gelände gegessen und heute versuche ich, seine Tradition weiter leben zu lassen. Eine Büchse Makrelen in Tomatensauce wird geöffnet und der Inhalt vernichtet. Ernst, ich denke an Dich! Als Beweis wird der Akt fototechnisch dokumentiert! Die Nuss-Schokolade direkt im Anschluss hat allerdings einen seltsam fischigen Geschmack und ich könnte mir vorstellen, dass das nichts mit dem abgelaufenen Verfallsdatum zu tun hat.

Dann geht es ein letztes Mal an die Anfertigung der hochauflösenden Bilder mit der Stange. Auch diese Arbeit geht gut, schnell und reibungsfrei über die Bühne. Somit können wir auch unsere Markierungstafeln einsammeln und die Logger abbauen. Auch das geht deutlich besser und schneller als befürchtet. Die Wildkamera ist das letzte Gerät, das wir abbauen. Nun die entscheidende Frage, die zu einer stundenlangen Diskussion führen könnte. Bleibt der Steinmann an dem die Wildkamera befestigt war, stehen oder nicht. Nico ist für stehen lassen, ich bin für einreißen. Basierend auf den Erfahrungen der letzten Jahre und den Vorgaben des Sysselmannen beende ich die 15 sekündige Diskussion mit einem beherzten Tritt. Wir verlassen unser Feldgebiet als wieder in jungfräulichem Zustand. Irre, wie schnell die Zeit hier wieder verging. Ich habe das Gefühl, wir haben gerade erst gestern alles aufgebaut.

Die Fahrt zurück nach Ny Alesund wird wieder ein nasser Ritt. Dadurch, dass ich am Steuerstand stehe, bleibe ich aber heute trocken und warm. Und weil ich mich auf die Wellen konzentrieren muss, vergeht die Fahrt gefühlt auch viel schneller als gestern. Polar Tomato schlägt sich gut in diesen rauen Bedingungen mit 1-2 m hohen Wellen. Die besonders hohen Wellen kommen immer in Gruppen von 3-5 Wellen, dazwischen ist das Wasser relativ ruhig. Bei den hohen Wellen nehme ich Gas weg, im ruhigeren Wasser gebe ich mehr Gas. Manchmal sind die hohen Wellen aber so steil und tief, dass wir am Bug Wasser einschaufeln. Nico, der vorne auf den wasserdichten Säcken ein bequemes Plätzchen gefunden hat, erfreut dies natürlich weniger. Aber nachdem das nur drei oder vier Mal passiert, kann er damit, glaube ich, auch leben. Trotzdem weigert er sich strikt, als ich vorschlage aus Jux und Tollerei und weil es so viel Spaß gemacht hat, erneut zum Untersuchungsgebiet zurück zu fahren. Ich verstehe gar nicht warum! Unser Ritt wird offensichtlich auch vom Land aus beobachtet, denn mehrere Leute sprechen uns hinterher an. Ingo meint z.B., er hätte öfter die Unterseite des Boots gesehen. Besonders stolz bin ich auf mein Anlegemanöver, ohne prahlen zu wollen. Aber bei starkem Seitenwind und hohen Wellen in die enge Dockbox zu treffen ist nicht ganz leicht. Mit genügend Schwung um das Boot auch gut manövrieren zu können, gelingt es aber perfekt und ich berühre das Dock kein einziges Mal. Kurz den Rückwärtsgang einlegen zum Bremsen und schon können wir Polar Tomato sicher am Dock festmachen. „AWIPEV, AWIPEV for Harry“, „Bettina listening“, „We are back in the harbor”, “Copy, welcome back”.

Leider hat sich auf der Fahrt viel Wasser im Boot angesammelt, das ich nun erst einmal lenzen muss. Auch innerhalb des Steuerstandes hat sich Wasser angesammelt, das entfernt werden muss. Zu guter letzt tanke ich Polar Tomato, so dass sie für den nächsten Einsatz bereit ist. Ich finde es sehr schade, dass damit auch das Motorbootfahren für dieses Jahr zu Ende geht. Dieses Jahr hatten wir zwei sehr gute Boote und es hat viel Spaß gemacht, mit ihnen zu fahren. Und natürlich waren wir viel schneller unterwegs als im Schlauchboot. Die Boote haben also nochmals einen riesen Unterschied gemacht und ich habe mich gerade so schön an sie gewöhnt, dass ich es echt bedauere wieder ein ganzes Jahr darauf warten zu müssen. Es klingt vielleicht eigenartig, aber selbst Motorbootfahren ist hier in der Arktis etwas Besonderes. Man sitzt im Boot mit seinem Überlebensanzug, kämpft sich durch Wellen und schneidend kalte Gischt und schaut dabei auf verschneite Berge und Gletscher. Das ist einfach etwas komplett anderes als im Mittelmeer bei warmen Temperaturen zu fahren. Es ist einfach abenteuerlicher und herausfordernder. Die Mittelmeerkapitäne mögen mir die letzten Zeilen verzeihen!

Wir kommen genau mit unserer ganzen Ausrüstung am Blauen Haus an, als Greg und Bettina mit vier Pizzen für uns zwei dort ankommen. Unser „Late Dinner“ für heute. Wir essen also zunächst und räumen hinterher unsere Ausrüstung weg. Noch schnell duschen und mit der Familie zoomen, dann wartet auch schon Emily vor der Türe. Der eingefleischte Blog Leser weiß natürlich längst, dass es sich bei Emily um den blauen AWIPEV Bus handelt. Er wird uns heute Abend noch zur Nilsebu Hütte bringen, wo die Geburtstagsfeier zweier spanischer Angestellter des Radioteleskops stattfindet. Die Hütte ist extrem komfortabel, hat drei Betten und befindet sich genau an der Brücke, die den Schmelzwasserfluss des Broggerbreen Gletschers überspannt. Wir hatten die Hütte bereits auf unseren früheren Exkursionen bewundert aber mir war nicht klar, dass sie auch Teil des Velferden Systems ist und somit jedem zur Verfügung steht. Genial! Manche nennen sie Ikea Hütte, weil sie so viel Komfort bietet. Die Stimmung ist super und wir haben jede Menge Spaß. Gemeinsam wird gegrillt, gegessen, getrunken und gesungen. Macarena, La Bamba, Bamboleo dürfen dabei natürlich nicht fehlen. Es ist fantastisch mit gut 20 Leuten in einer Hütte, eng an eng auf die gute alte Art Party zu machen. Ohne einen Gedanken an Corona verschwenden zu müssen. Dafür haben wir aber auch einiges auf uns genommen, so dass wir hier wirklich auf einer Insel der Glückseligen sitzen und in Ruhe arbeiten und, auch das gehört dazu, Leute kennen lernen zu können. Ein guter Teil der Leute aus Ny Alesund feiert heute mit und viele verschiedene Nationen sind in einem Raum vereint, was auch dazu führt, dass „Happy Birthday“ in den unterschiedlichsten Sprachen gesungen wird. Bettina ist heute leider der Pechvogel, weil sie Bereitschaft hat und deshalb nichts trinken kann. Ihrer Stimmung tut das aber natürlich keinen Abbruch. Wir fahren mit Bettina und Emily zurück nach Ny Alesund, einige andere verbringen die Nacht in einer anderen Hütte in der Nähe, Brandal. Um kurz vor Mitternacht sitzen Nico und ich in der Kantine. Eine Tasse Kaffee geht noch!

 

Photos

Die Kameraaufhängung unter dem Drachen soll garantieren, dass die Kamera immer nach unten zeigt
Die Kameraaufhängung unter dem Drachen soll garantieren, dass die Kamera immer nach unten zeigt
© KOP 132 SPLAM
  • Harry beim Essen einer Fischkonserve. Normalerweise ist dies Ernsts Aufgabe!
    © KOP 132 SPLAM
  • Harry beim Essen einer Fischkonserve. Normalerweise ist dies Ernsts Aufgabe!
    © KOP 132 SPLAM
  • Das Foto unserer norwegischen Freunde im Motorboot vor dem Kronebreen. Gletscher vermittelt einen guten Eindruck der Dimensionen
    © KOP 132 SPLAM
  • Die untersuchte Erosionsstruktur. Sehr schön sichtbar ist, wie dünn die Schuttschicht ist, die auf dem Gletschereis aufliegt
    © KOP 132 SPLAM
  • Der scharfe Übergang zwischen Gletschereis und Schuttschicht
    © KOP 132 SPLAM
  • Klares Gletschereis befindet sich unter dem Schlamm der Schuttschicht
    © KOP 132 SPLAM
Der Blick von unserem Untersuchungsgebiet auf die Kronebreen und Kongsvegen Gletscher
Der Blick von unserem Untersuchungsgebiet auf die Kronebreen und Kongsvegen Gletscher
© KOP 132 SPLAM

17.6.2021

Nico war vergangene Nacht noch fleißig und hat versucht die GPS Koordinaten unseres Untersuchungsgebietes mit einem Übersichtsbild zu georeferenzieren, das er vom östlichen Hügel aufgenommen hat. Er arbeitet schon seit Stunden daran und wollte nicht einmal mit mir in die Kantine gehen, um etwas zu trinken. Um kurz nach 1:00 Uhr streiche ich die Segel, nicht aber ohne zuvor noch die GoPro Filme vom Drachen angeschaut zu haben. Sie sind super geworden und ich freue mir ein Bein ab! Nico hat auch noch sein Erfolgserlebnis. Er hat es geschafft,das Bild korrekt zu projizieren und mit den GPS Punkten zur Deckung zu bringen.

Heute wollen wir mit den Norwegern der Uni Oslo in ihr Untersuchungsgebiet bei der Jensebu Hütte gehen. Beim Früchstücken treffen wir uns, um die Details zu bereden. Da wir über den Kongsvegen Gletscher bzw. dessen Seitenmoräne laufen werden, ist für uns die Frage der notwendigen Ausrüstung entscheidend, weil uns darin einfach die notwendige Erfahrung fehlt. Klettergurt, vier Kletterkarabiner, eine lange Schlaufe und zwei Leinen, die mittels Prusik Knoten am Hauptseil befestigt werden können sind mitzubringen. Wir verabreden uns für 10:00 Uhr am Blauen Haus, so dass Andreas, der norwegische Expeditionsleiter nochmals unsere Ausrüstung überprüfen kann, bevor wir ablegen. Das gibt uns noch genügend Zeit, alles zu organisieren und marschbereit zu sein.

Wir werden im Boot der Norweger mitgenommen und das sollte sich bei der Rückfahrt noch als großer Vorteil für uns herausstellen. Mit von der Partie sind neben Andreas noch Livia, George, und Joe. Mit sechs Personen samt Gepäck ist das „Polarcirkel“ Boot dann auch gut besetzt. Diese Boote sind das Non plus Ultra für diese Gebiete, fast absolut unkaputtbar, wendig, schnell, seetüchtig. Ich liebe diese Boote und es hat sicher seinen Grund, warum das norwegische Polarinstitut fast ausschließlich diese Boote im Einsatz hat. Heute ist meine Premiere, auf einem dieser Boote zu fahren. Ich freue mich schon darauf. Wir haben noch immer 5-6 Windstärken aus NW, fahren also erst einmal mit den Wellen und dem Wind. Das ist sehr angenehm weil man dabei trocken bleibt. Wir ahnen aber bereits jetzt, dass wir auf der Rückfahrt im Hauptwaschgang sein werden. Das Anlanden gestaltet sich bei den hohen Wellen etwas schwierig aber mit vereinten Kräften kriegen wir alles Gepäck von Bord. Auch die Norweger verwenden einen Heck- und Buganker, aber ich bin erstaunt wie kurz die Ankerkette ist. Wäre es mein Boot, hätte ich sicher eine längere Ankerkette.

Wir ziehen uns am Strand unsere Überlebensanzüge aus und sind nach ein paar Minuten für den Marsch ins Untersuchungsgebiet bereit. Wir wollen zunächst einer Lateralmoräne des Kongsvegen folgen und dann auf eine zweite wechseln, die uns zur Jensebu Hütte und das Untersuchungsgebiet bringen wird. Vom ersten Schritt an ist klar, dass die Norweger sehr schnell im Gelände unterwegs sind. Nach einem Jahr Coronalethargie und wenig Sport, fällt es mir schwer Schritt zu halten. Gut, die anderen sind auch mindestens 20 Jahre jünger, aber so groß sollte der Unterschied nicht sein. Während ich so vor mich hin keuche nehme ich mir vor, wieder mehr zum Laufen zu gehen, sobald ich wieder zuhause bin. Die Exkursion zur Zaferna Hütte steht ja auch an und bis dahin muss ich wieder fit sein!

Unser Weg führt zunächst über Gletschereis, in das viele Gesteinsbrocken mehrere Dezimeter eingesunken sind. Die Oberfläche ist extrem rau und scharfkantig, sicher auch ein Effekt der Sonneneinstrahlung. Nach einem kurzen aber sehr steilen Anstieg kommen wir auf die erste Lateralmoräne. Wir sehen das glasklare Gletschereis zwischen den Gesteinsbrocken, andere Gebiete sind mit Schlamm bedeckt. Wir kommen eigentlich sehr gut darauf voran, allerdings wird die Moräne immer dümmer. Rechts und links sehen wir, das die Oberfläche steil unter das Eis abtaucht. Andreas geht voraus und gibt uns das Zeichen, dass wir ab jetzt am Seil gehen werden. Ich habe so etwas noch nie in meinem Leben gemacht und brauche eine Hilfestellung, wie man sich korrekt anleint. Nico geht es genauso. Andreas holt ein 60 m langes Seil aus dem Rucksack in das Schlaufen eingeknotet sind. Mit zwei gegensätzlich angeordneten Karabinern verbinde ich meinen Klettergurt mit der Seilschlaufe. Zwei zum Kreis verknotete Seile werden vor und hinter einem mit dem oben erwähnten Prusik Knoten ans Hauptseil geknotet und dann mittels Karabiner wieder am Klettergurt befestigt. Die lange Schlaufe verwenden wir, um den Rucksack mit dem Klettergurt zu verbinden. Sollte man in eine Spalte fallen, kann man den Rucksack abnehmen und unter einem baumeln lassen. Auch können die Retter ein Seil daran befestigen, um einen aus der Spalte nach oben ziehen zu können. Macht alles Sinn und Andreas kontrolliert penibel den korrekten Sitz des Klettergurtes und der Karabiner. Nicht nur bei uns, den blutigen Anfänger, sondern auch bei seinem Team. Ich find das sehr gut und fühle mich rundum sicher.

Nach den ersten Schritten wird mir auch der Sinn der zwei Leinen klar, die wie zwei „Stoßfänger“ funktionieren. Dadurch kann man entspannter gehen, weil sich das Seil nicht ruckartig spannt, falls einer außer Tritt gerät. Andreas platziert uns als Unerfahrene in die Mitte des Seils, Nico geht auf Position 3, ich auf Position 4. Nach kurzer Zeit verlassen wir die erste Moräne und laufen auf dem Gletscher, der teilweise mit Schnee bedeckt ist, in dem wir kniehoch einsinken. Ist nicht angenehm zu gehen, aber kein wirkliches Problem. Und nach ein paar hundert Metern stehen wir bereits wieder auf der nächsten Seitenmoräne. Mit fällt auf, dass beide Moränen viel trockener sind als jene in unserem Untersuchungsgebiet. Ich vermute, das umgebende Gletschereis kühlt die Moränenrücken, so dass es nur wenig Schmelzwasser gibt, das dann auch noch relativ leicht von der Moräne abfließen kann. Auch auf der Moräne laufen wir am Seil. Ich muss sagen, das ist eine ganz eigene Erfahrung. Man konzentriert sich auf die zwei Meter blaues Seil, das der Vordermann hinter sich her zieht. Einziger Gedanke: Nur nicht darauf steigen! Ansonsten schaltet der Geist ab und man läuft einfach dem blauen Seil hinterher. Ich empfinde das als sehr entspannend und es bewirkt auch, dass wir alle im gleichen Tempo gehen. Eine Seilschaft eben! Nur nicht darauf steigen!

Wir lassen das Seil auf der Moräne liegen und queren nochmal ein kleines Schneefeld, dann sind wir unterhalb der Jensebu Hütte. In früheren Zeiten war sie viel näher am Gletscher aber heute ist es ein fast 200 m Aufstieg, der mich echt schafft. Aber irgendwann schaffe ich es auch hoch, gerade rechtzeitig um mit der Batterie in meinem Rucksack das LIDAR („Light Detection and Range“) betreiben zu können. Das Ding macht alles alleine und so haben wir Zeit zum Brotzeit machen. Jensebu ist eine klasse Hütte, die zwischen zwei Hügeln aus anstehendem Gestein liegt und daher gut gegen Lawinen geschützt ist. Es gibt zwei Stockbetten darin, einen kleinen Tisch mit einflammigem Gaskocker, eine Holzofen und ein Regal mit Küchenutensilien. Und der Ausblick ist phänomenal. Das Untersuchungsgebiet der Norweger liegt uns zu Füssen. Es handelt sich um einen See, dessen Wasserspiegel sich um mehrere Meter verändern kann und dabei das Eis hebt und senkt. Andreas hatte mir vor ein paar Tagen einen Film gezeigt, der dies auf beeindruckende Weise zeigt. Wirklich saustark und interessant. Der Aufwand, den die Norweger dort betreiben ist enorm. Sie haben alle erdenklichen „Spielzeuge“ von denen wir nicht einmal im Entferntesten träumen können. LIDAR, festinstallierte Kameras, Luftbilder, und, und, und. Das ist halt der Unterschied zwischen Profis und uns Amateuren. Nach ca. 1,5 Stunden ist das Lidar mit dem Scannen der Gegend fertig und wir können uns auf den Rückweg machen. Wir müssen dringend um 18:30 Uhr am Boot sein, das wir direkt neben dem Gletscher geparkt haben. Danach setzt die Ebbe ein und das Boot sitzt auf dem Strand. Zuvor werden aber noch einige Wasserproben aus einem Gletscherbach genommen. Die dazu verwendeten Spritzen haben vorne kleine Filter, die die Schwebstoffe aus dem Wasser filtern, so dass nur sauberes Wasser in den Probenfläschen landet.

Der Rückweg verläuft ohne Probleme und ich kann jetzt besser Schritt halten. Die Ausblicke auf den Kronebreen und Kongsvegen Gletscher sind schlicht atemberaubend. Wenn die Sonne dann noch Teile des Gletschers bescheint, liegt Magie in der Luft. Einige Fotostops müssen sein! Dennoch kommen wir pünktlich am Motorboot an. Es liegt schon halb am Strand aber wir kriegen es relativ leicht wieder flott. Ich helfe Andreas beim Anker einholen, während sich die Anderen fertig machen. Bevor wir die Rückreise antreten, werden noch Wasserproben unmittelbar vor dem Gletscher aus dem Meer genommen. Das Oberflächenwasser ist 0.4 °C warm und etwas wärmer und salziger in der Tiefe.

Dann kommt der Ritt nach Ny Alesund. Wir haben ca. 1-2 m hohe Wellen aus genau der Richtung, wo wir hin wollen. Obwohl Andreas das Boot durch ständiges Gas geben bzw. wegnehmen sehr gut durch die Wellen bringt, stapft das Boot wie wild und überschüttet uns mit Gischt. Bullenreiten in einer texanischen Bar – hier die Spitzbergen Version. Durch die hohen Wellen ist unsere Fahrt mehr als langsam und wir brauchen fast 2 Stunden, bis wir in Ny Alesund einlaufen. Zwei Stunden duschen mit buchstäblich eiskaltem Wasser. Da hilft auch der Überlebensanzug nicht mehr viel, speziell wenn er nicht ganz dicht ist, wie meiner. Ich spüre, wie meine Fleece Jacke das kalte Wasser aufsaugt. Und ich spüre, wie mir kalt wird. Selbst die Neoprenhandschuhe helfen nicht wirklich und ich habe kalte Finger. Die Gischt brennt in den Augen und die Fahrt scheint kein Ende zu nehmen. Vorbei an Corbel erreichen wir schließlich doch noch Ny Alesund. Hallelujah!

Schnell laden wir das Boot aus, dann laufen wir noch in unseren Überlebensanzügen zum Blauen Haus, um uns dort umzuziehen. Ich lasse alles stehen und liegen und verschwinde sofort unter der Dusche. Dieses Mal aber nicht bei 0,4 °C, sondern bei gefühlten 60 °C. Ich verbrühe mich fast und brauche erst ein paar Minuten, um eine angenehme Temperatur zu finden. Dann bin ich bereit, die ganze Ausrüstung wegzuräumen. Ich denke, ich habe mir eine Tasse Kaffee verdient. Die gibt es natürlich in der Kantine und bei der Gelegenheit, können wir auch gleich unser „Late Dinner“ mitnehmen, um es im Blauen Haus zu essen. Corona-bedingt, darf man sein spätes Abendessen nicht mehr in der Kantine essen. Heute gibt es Bandnudeln, Gemüse und Lachs. Wir hauen kräftig rein und essen alles auf! Um 23:20 Uhr stehen wir im Waschsalon, um unsere mit Meerwasser und Schweiß versauten Klamotten zu waschen. Während sich die Trommeln im Kreis bewegen, bleibt uns Zeit für den Abwasch im Blauen Haus. Unser Teamwork leistet ganze Arbeit und so können wir um Mitternacht die frisch gewaschene Wäsche im Trockenraum aufhängen. Das „Dorfrentier“ schaut uns bei unserer Waschaktion zu und frisst sich währenddessen ganz systematisch durch Ny Alesund.

Was für ein erlebnisreicher und schöner Tag. Wir sind 20 km gelaufen, haben eine neue Hütte und fantastische Gletscherlandschaften gesehen und haben uns fast zwei Stunden mit Meerwasser überkippen lassen. Anstrengend war es auch und es ist jetzt 2:40 Uhr, als ich mit dem Blog zu Ende komme. Zeit, um ins Bett zu gehen!

Deratemberaubende Blick vom Kongsvegen Gletscher zum Kronebreen Gletscher
Deratemberaubende Blick vom Kongsvegen Gletscher zum Kronebreen Gletscher
© KOP 132 SPLAM

Photos

Das Polarcirkel Boot mit dem uns die Norweger heute mitnehmen
Das Polarcirkel Boot mit dem uns die Norweger heute mitnehmen
© KOP 132 SPLAM
  • Der atemberaubende Blick vom Kongsvegen Gletscher zum Kronebreen Gletscher
    © KOP 132 SPLAM
  • Kongsvegen Gletscher rechts und Kronebreen Gletscher links. Vor ein paar Jahren noch war die Eiskante viel näher
    © KOP 132 SPLAM
  • Die Gruppe bereitet sich zum Aufstieg vor
    © KOP 132 SPLAM
  • Ins Gletschereis eingeschmolzene Steine
    © KOP 132 SPLAM
  • Das Seil kommt zum Einsatz
    © KOP 132 SPLAM
  • Professionelle Kamera zur Langzeitbeobachtung und ein Lidar Gerät, das die Topographie der Landschaft hochgenau vermessen kann
    © KOP 132 SPLAM
  • Einfach, zweckmäßig und sehr gemütlich: Das Innere der Jensebu Hütte
    © KOP 132 SPLAM
  • Der Blick von der Jensebu Hütte über den Kongsvegen Gletscher im Vordergrund hinüber zum sonnenbeschienenen Kronebreen Gletscher
    © KOP 132 SPLAM
  • Ein Teil des Gletschersees mit großen Eisbrocken
    © KOP 132 SPLAM
  • Harry vor der Jensebu Hütte
    © KOP 132 SPLAM
  • Die Jensebu Hütte von außen. Perfekt zwischen zwei kleinen Hügeln platziert
    © KOP 132 SPLAM
  • Die Sicherung an das Seil
    © KOP 132 SPLAM
  • Die Seitenmoräne, die uns zur Jensebu Hütte brachte
    © KOP 132 SPLAM
  • Die Abbruchkante des Kronebreen Gletschers im Sonnenlicht
    © KOP 132 SPLAM
  • Abgebrochenes Eis vor dem Gletscher
    © KOP 132 SPLAM
  • Interessante Spalten im Gletschereis
    © KOP 132 SPLAM
  • Meine salzverkrustete Brille nach unserer Motorbootfahrt
    © KOP 132 SPLAM

16.6.2021

Erster! Noch vor dem Wecker werde ich heute wach! Um 7:09 Uhr zieht es mich aus dem Bett, denn es ist strahlender Sonnenschein, der trotz Vorhängen das Zimmer hell erleuchtet und warm macht. Ein Blick auf den Fjord zeigt diesen mit vielen weißen Schaumkronen übersäht. Die Wettervorhersage war also korrekt und es wehen die prognostizierten 6 Beaufort. Wir bleiben dementsprechend bei unserem Plan und werden heute wieder laufen. Die Auswertung der Bilder unserer Radarspuren hat gezeigt, dass sie in den Bildern praktisch unsichtbar sind. Weiße Spuren in weißem Schnee bei diffusem Licht überfordern meine Kamera bzw. meine Fotografierkünste. Wir wollen also heute nochmals dorthin zurück und versuchen, die Bodenspuren besser dokumentieren zu können. Dazu wollen wir auch den Drachen mitnehmen und die GoPro Kamera darunter hängen. Mal schauen, ob es an unserem Hügel etwas windgeschützter ist, als in Ny Alesund. Ansonsten ist der Wind wahrscheinlich zu stark, um den Drachen einsetzen zu können. Bevor wir aber überhaupt daran denken können, den Drachen einzusetzen, müssen wir uns im Vaskeri-Lab die Aufhängung für die Kamera genauer anschauen. Wir sind ja dieses Jahr in einer besonderen Situation. Zum einen fehlen alle erfahrenen Drachenpiloten und zum anderen wollen wir zum ersten Mal eine GoPro unter den Drachen hängen und ein Video drehen, statt Einzelbilder aufzunehmen. Dennis hatte das Gestell für die Kamerabefestigung gebastelt und er ist auch die meiste Zeit zusammen mit Andreas den Drachen geflogen. Vor zwei Jahren hatte Jan die Flugleitung übernommen – ich habe mich nie darum gekümmert, weil ich immer genügend andere Dinge zu tun hatte. Das Gestell hat mehrere Seilzüge, die die Kameraplattform stabilisieren sollen. Unsere erste Aufgabe ist es, alle vier Seilzüge zu entwirren und wieder frei laufend zu machen. Bei dem vorhandenen Chaos dauert das seine Zeit. Aber ich wäre ja ein schlechter Segler, wenn ich mich nicht im Entwirren von Leinen auskennen würde. Und Gott sei Dank ist es auch kein gordischer Knoten. Nachdem alles so funktioniert, wie es sein soll, kleben wir die Seilzüge mit kleinen Klebebandstreifen zusammen. Auf diese Art und Weise bleibt es uns erspart, dass wir im Gelände erneut alles sortieren müssen. Die nächste Aufgabe ist es, die GoPro Kamera am Gestell befestigt zu bekommen. Wir haben eine Reihe von GoPro Adaptern, aus denen wir uns eine Befestigung basteln müssen. Das gelingt relativ schnell und unter zu Hilfenahme einer Stativschraube vom Stativ unseres Entfernungsmessers. Wir haben also jetzt ein flugfähiges System, mit dem wir unsere Radarspuren aufnehmen können. Jetzt noch schnell unsere andere Ausrüstung packen und wir können los!

„Gehe nicht über los, ziehe keine 4000 Mark ein, begib dich direkt ins Gefängnis“. So oder ähnlich hat das früher beim Monopoly Spiel geheißen. Denn gerade als wir im Blauen Haus sind, fragt uns Greg, ob wir auf 400 MHz einen Sender betreiben, der das Signal für den Wetterballon stört. Er empfängt ein sehr starkes Signal, das eigentlich nicht vorhanden sein sollte, da ja in Ny Alesund und im Umkreis von mehreren Kilometern Funkstille herrscht. Mir rutscht buchstäblich das Herz in die Hose, denn unser Georadar, das wir gestern den ganzen Nachmittag, verwendet haben, sendet bei 400 MHz. Es stellt sich aber schnell heraus, dass er das Signal jetzt empfängt, während unsere Georadarantenne friedlich verpackt und ausgeschaltet in der Alukiste auf den nächsten Einsatz wartet. Wir können also eigentlich nicht für das Störsignal verantwortlich sein. Dennoch machen wir einen Test. Wir gehen zum Vaskeri-Lab und bauen dort vor der Türe das Radar auf. Über Funk teilen wir Greg mit, dass unser Gerät jetzt an ist. Er sieht keine Veränderung oder Verschlechterung des Signals. Anschliessend richten wir unsere Antenne genau auf das AWI Observatorium aus, von wo aus die Wetterballone gestartet werden. Wieder sieht Greg keinen Effekt auf das Signal. Nun steht also einwandfrei fest, dass wir nicht die Verursacher des Störsignals sind. Kennt ihr das Gefühl wenn man beim Monopoly Spiel die Schloßallee oder Parkstraße mit drei Hotels darauf besitzt und ein Mitspieler auf dieses Feld gerät? So ähnlich geht es mir gerade, den wir wollen natürlich keinesfalls andere wichtige und auch teure Experimente in Gefahr bringen. Deshalb hatten wir auch im Vorfeld nachgefragt, ob es okay ist, das Bodenradar zu verwenden. Greg rät uns, für nächstes Jahr eine offizielle Genehmigung zu beantragen. Das können wir natürlich gerne machen.

So, mit diesen ganzen Aktionen ist der Vormittag wie im Flug vorbeigegangen. Kurz vor Mittagessen! Jetzt ins Gelände zu gehen und das Essen zu verpassen macht keinen Sinn. Wir sind allerdings noch ein paar Minuten zu früh dran und “müssen” erst noch einen schnellen Kaffee trinken, bevor unsere Essenszeit beginnt. Dann geht alles sehr schnell und wir sind unterwegs zu unserem Untersuchungsgebiet von gestern. Selbstverständlich werden wir wieder von unserer Lieblings Seeschwalbe auf das Heftigste angegriffen, während wir unsere Gewehre laden. Die niederländischen Ornithologen haben das Nest mit einem kleinen Bambusfleischspieß markiert. Von ihnen erfahren wir auch, dass zwei Füchse im Ort umgehen, die sich an den Gelegen schadlos halten. Zum Glück können Seeschwalben mehrmals im Jahr brüten. Auch lernen wir, dass die Eier über längere Zeit dem kalten Wind ausgesetzt sein können. Die Entwicklung des Kükens verlangsamt sich dabei allerdings und das Geburtsgewicht ist kleiner. Was man nicht alles beim Essen nebenbei lernen kann, wenn man mit den richtigen Leuten am Tisch sitzt!

Bis zum Untersuchungsgebiet laufen wir wieder mit Schneeschuhen. Uns fällt sofort auf, dass der Schnee heute noch weicher und wassergesättigter ist als gestern. Ein Vorankommen ist deshalb nochmals mühsamer weil man tiefer einsinkt und sich oben auf den Schneeschuhen schwerer Schnee ansammelt. Am Untersuchungsgebiet angekommen, sehen wir keinen einzigen unserer Markierungssteine. Alle sind 5-10 cm eingesunken und wir müssen sie erst wieder an die Oberfläche holen. Wir verteilen weitere Steine entlang den Kanten unseres Gebietes, müssen aber sehr schnell erkennen, dass wir nicht jeden Kreuzungspunkt markieren können. Dazu müssten wir 217 Steine verteilen, was eine Ewigkeit dauern würde. Glücklicherweise ist heute das Licht viel besser, so dass wir unsere Spuren von unserem Hügel aus relativ gut sehen können. Und auch in den Fotos sind sie erkennbar. Östlich des Untersuchungsgebietes befindet sich ein höherer Hügel, von dem man das Gebiet aus einem anderen Blickwinkel und bei einer anderen Beleuchtung sehen kann. Wir kämpfen uns also durch den hohen Schnee hinauf. Der Blick ist wirklich fantastisch. Unser Untersuchungsgebiet liegt uns quasi zu Füssen und der Blick auf Ny Alesund und den Fjord mit seinen Gletschern ist auch nicht gerade von schlechten Eltern. Es kann gut sein, dass der Hügel die Abraumhalde einer ehemaligen Grube ist, denn wir finden stark verwitterte Holzbalken mit rostigen Nägeln und Eisenklammern, die in der hellen Sonne sehr schöne Motive abgeben. Alternativ könnte es sich bei dem Hügel auch um einen Protalus Rampart des Zeppelinfjellet handeln. Auf die Schnelle konnte ich das nicht herausfinden und es ist ja auch nicht weiter wichtig, weil uns der Hügel ja nur als Aussichtsplattform dienen sollte.

Nach einer Tasse Tee laufe ich noch einmal die Ränder des Messrasters aus Radarspuren ab und fotografiere jede einzelne Bodenspur. Nico läuft mit seinem GPS herum und markiert nochmals die Eckpunkte. „Ganzbaff, flieg mal was vor“ – so steht es jedenfalls im Asterix bei den Normannen. Ironie des Schicksals! Der Wind ist bis auf ein laues Lüftchen zusammengefallen und die ersten 20-30 Minuten verbringen wir mit erfolglosen Startversuchen. Wir sind kurz davor alles einzupacken, aber irgendwie will ich mich noch nicht geschlagen geben. Und siehe da, mein Seglernäschen hat Recht behalten und der Wind frischt wieder auf. Nachdem ich den Drachen für mehrere Minuten ohne Kamera stabil in der Luft halten konnte, werden wir mutig und hängen das Kameragestell samt GoPro unter den Drachen. Der erste Startversuch klappt dank einer Böe aufs erste Mal und insgesamt kann ich ein ca. 20 minütiges Video drehen, wobei ich das Untersuchungsgebiet und auch den Hügel mehrfach ablaufe bzw. abdecke. Ein abendfüllender Spielfilm wird es also nicht. Der Wind ist böig und die Kamera wackelt wie wild unter dem Drachen, aber wir sollten eigentlich genügend Daten aufgenommen haben, um die nicht verwackelten Bilder für ein Mosaik verwenden zu können. Bei Wind hat der Drachen eine Mordskraft und man muss an der Seilrolle schon Handschuhe anziehen, will man sie halbwegs bequem bedienen. War ich vorher bei der Flaute enttäuscht und auch ein wenig frustriert, freue ich mich jetzt umso mehr, dass die Befliegung doch noch funktioniert hat. Yippee! Nico fliegt natürlich auch eine Runde!

Um 17:07 Uhr funkt uns Greg an und will wissen wann wir zurückkommen. Wir hatten ja gesagt, dass wir um 17:00 Uhr wieder zuhause sein wollten. Beim Funkspruch sind wir tatsächlich schon beim Schneeschuhe ausziehen und auf unserem Rückweg, aber es wäre vermutlich auf den letzten Drücker gewesen, noch rechtzeitig bis 17:30 Uhr zum Abendessen zu kommen. Greg hat das natürlich erkannt und uns bereits ein „Late Dinner“ organisiert. Super! Vielen Dank! Kaum haben wir die üblichen Seeschwalbenangriffe überstanden und das Blaue Haus betreten, kommt Greg mit dem Essen. Wir können uns also gleich im Aufenthaltsraum zum Essen hinsetzen! Besser geht es nicht! Da macht es dann auch nichts aus, dass wir hinterher abspülen müssen. Kleinigkeit für ein eingespieltes Team.

Nach dem Essen räumen wir noch unsere Ausrüstung auf, trinken in der Kantine noch einen Kaffee und lassen den Tag mit duschen und Blog schreiben ruhig ausklingen.

Photos

Andreas Datenlogger, die wir am 12.6. ausgegraben haben: Jetzt schön sauber und zum Verpacken bereit
Andreas Datenlogger, die wir am 12.6. ausgegraben haben: Jetzt schön sauber und zum Verpacken bereit
© KOP 132 SPLAM
  • Nico wird von einer Seeschwalbe attackiert
    © KOP 132 SPLAM
  • Die Fußspuren unserer Radarprofile, von kleinen, südlichen Hügel aus aufgenommen, sind heute viel besser zu sehen
    © KOP 132 SPLAM
  • Moderne Kunst im Schnee. Unsere Fußspuren bei extremer Kontrastverstärkung
    © KOP 132 SPLAM
  • Nico genießt eine ruhige Minute
    © KOP 132 SPLAM
  • Das Untersuchungsgebiet vom östlichen Hügel davon gesehen
    © KOP 132 SPLAM
  • Diese Tor in der Endmoräne des Vestre Broggerbreen war 2019 noch aktiv
    © KOP 132 SPLAM
  • Schöner Blick auf Ny Alesund
    © KOP 132 SPLAM
  • Überreste einer alten Mine – jetzt Kulturgut
    © KOP 132 SPLAM

15.6.2021

Was machen wir heute? Wir haben zwei Optionen. Entweder wir nehmen Sabrina und fahren damit zu unserer Moräne, oder wir gehen zu Fuß zu den Steinkreisen an einem kleinen Hügel, die wir schon vor Jahren inspiziert haben, und machen dort Georadar Messungen. Beim Frühstücken sind wir uns unschlüssig und überlegen hin und her. Um die Frage zu beantworten, brauchen wir eine gute Wettervorhersage. Laut dieser soll es bis Donnerstag mit bis zu 11 m/s aus Nordwest blasen. Das entspricht Windstärke 6 und mindestens 1,5 m hohen Wellen mit Schaumkronen. Das bedeutet zumindest für die Rückfahrt einen sehr nassen und unangenehmen Ritt. Zudem ist die Landestelle an unserer Moräne bei dieser Windrichtung völlig ungeschützt, was ein sicheres ankern erschweren bzw. unmöglich machen würde. Sollte Sabrina während unserer Arbeit an Land gespült werden, könnte sie Schaden nehmen und Nico und ich wären vermutlich nicht in der Lage sie wieder ins Wasser zu bringen. Da der Wind am Freitag und Samstag auf 3-4 m/s, also 3 Beaufort, abnehmen soll, entscheiden wir uns gegen die Nutzung von Sabrina. Wenig später kommt Lucas vorbei und wir teilen ihm unsere Entscheidung mit. Auch Greg und Bettina informiere ich über unseren neuen Plan, heute in das Gebiet südlich des Tvillingvatnet zu gehen, dem Trinkwasserspeicher Ny Alesunds. Dort gibt es wie gesagt Steinkreise, die wir mit dem Georadar untersuchen wollen. Die Steinkreise sind zwar nicht so schön entwickelt wie jene auf Kvadehuksletta. Aber nachdem wir dieses Jahr nicht mehr dorthin kommen werden, müssen wir zumindest versuchen, Georadarprofile von Steinkreisen überhaupt zu bekommen. Wer weiß, ob wir nächstes Jahr wieder ein Georadar zur Verfügung haben werden.

Der famose Plan ist, mit leichtem Gepäck ins Gelände zu gehen. Aber spätestens nachdem wir alle Komponenten des Radars auf unsere zwei Rucksäcke verteilt haben, ist klar, dass dieser Plan grandios gescheitert ist bevor wir Ny Alesund verlassen haben. Nico nimmt die Zugstange, das Rad zur Längenbestimmung der abgelaufenen Messstrecke und das Steuergerät. Ich kriege die Antenne, Kabel die Akkus und ein paar Kleinteile ab. Und wie immer kommen die Notfallausrüstung, die Gewehre und die Signalpistolen dazu, sowie die Thermoskanne mit Tee. Für das Mittagessen packen wir heute eine Tafel Schokolade und zwei Müsli-Riegel ein. Beim Einpacken hören wir Lucas am Funkgerät. Er war gerade mit Sabrina außerhalb des Hafens und sagt, dass es sehr raue Bedingungen da draußen sind und er nicht empfiehlt das Boot zu benutzen. Wir haben also mit unserer Entscheidung genau ins Schwarze getroffen und die Situation richtig eingeschätzt. Dadurch haben wir keine wertvolle Zeit vergeudet, sondern sind jetzt bereits fertig für den Abmarsch. Wir verlassen Ny Alesund in Richtung Flughafen und biegen dann in Richtung Austere Lovenbreen ab. An der Kreuzung mit dem Hundezwinger ist eine schwarze schräge Röhre installiert, die zum sicheren Laden und Entladen dient. Nur ist es dort momentan absolut nicht sicher. Denn ca. 1,5 m von der Röhre hat eine Seeschwalbe zwei dunkel gesprenkelte Eier in eine flache Sandkuhle gelegt. Natürlich verteidigt sie ihr Gelege mit allen gebotenen Mitteln. Kreischend kommt sie im Sturzflug auf mich nieder, lässt dabei Vogelscheiße fallen, die mich nur knapp verfehlt und zweimal trifft sie mich am Kopf, während ich mein Gewehr lade. Wer will es ihr verdenken? Gut, dass die AWI Mützen so dick sind. Nico geht es übrigens nicht besser. Hitchcocks „Die Vögel“ lassen grüßen. Die Seeschwalben sind wundervolle und extrem elegante Vögel, hervorragende Flieger, die aber auch sehr angriffslustig sind. Wir sind froh, als wir endlich weitergehen können. Zum einen wollen wir nicht angegriffen werden und zum anderen ist uns klar, dass solange uns die Seeschwalbe attackiert, ihre zwei Eier dem kalten Wind ausgesetzt sind. Es ist also eine win-win Situation, möglichst schnell zu machen und Abstand zu gewinnen. Die Straße zum See ist nur bis zum ersten Hügel geräumt. Ab da sehen wir nur noch alte Spuren von Schneeschuhen und Schneemobilen. Schnell wird klar, dass auch wir unsere Schneeschuhe anlegen müssen, um vorwärts zu kommen. Der Schnee ist trotz Schneeschuhen sehr unangenehm zu begehen. Immer wieder breche ich 20 cm oder mehr ein, während der nächste Schritt wieder auf einer festen Schneeoberfläche erfolgt. Von weitem gesehen ähnelt unser Gang vermutlich dem eines Volltrunkenen. Wir torkeln durch die Gegend und kommen nur recht mühsam voran. Spaß macht das ganze definitiv nicht und mir wird schnell warm. Zum Glück sind es bis zum Untersuchungsgebiet nur ca. 500 m. Jedenfalls sind wir froh als wir dort ankommen. Im Vergleich zum Gewicht der heutigen Rucksäcke waren unsere gestrigen Rucksäcke um ein Vielfaches schwerer und wir hätten auch noch den Essensrucksack zum Tragen gehabt. Und unsere Strecke von der Geopol Landestelle bis zur Kiaersvikka Hütte wäre konstant bergauf gegangen und wäre ca.7 km lang gewesen. Das wäre eine schöne Schinderei gewesen und wir sind beide mehr als froh, dass es das Schicksal gut mit uns gemeint hat und gestern den Wind geschickt hat.

Wir sehen keinen einzigen Steinkreis. Alles ist noch dick verschneit und mit meinem Skistock ermittle ich eine Schneehöhe von mindestens 60 cm, ohne den Boden zu erreichen. Vielmehr stoße ich auf eine solide Eisplatte unterhalb des Firnschnees. Ernst hatte ja gestern die Idee, dass wir versuchen sollten, die Schneehöhe in den Steinkreisen, auf den Steinkreiswällen und außerhalb der Steinkreise zu messen. Das klappt nicht, weil einfach noch zu viel Schnee liegt und der Effekt der Eisplatte nicht abgeschätzt werden kann. Tatsache ist, dass wenn man nicht wüsste, dass es hier Steinkreise gibt, man sie an der Schneeoberfläche nicht einmal erahnen könnte.

Bevor wir mit unseren Radarmessungen beginnen, mache ich noch Bilder von der ungestörten Schneeoberfläche. Unser Plan ist es, mehrere parallele Profile zu messen, die mehr oder weniger parallel zur Hangneigung angelegt sind. Ich erinnere mich noch, dass der kleine Hügel aus anstehendem Gestein rechts und links von je einem Bach umflossen wurde, als wir vor ein paar Jahren zum ersten Mal hier waren. Es ist schwierig sich auf der großen Schneefläche zu orientieren aber unsere Profile sind ca. 60-70 m lang und sollten daher von einem Bach zum anderen reichen. Um die Lage unserer Profile halbwegs gut dokumentieren zu können, setzen wir beide Wegpunkte in unseren GPS Geräten und verwenden auch die Tracking Funktion. Zusätzlich läuft Nico mit dem Steuergerät in genau meiner Spur. Auf diese Art und Weise verrät die Spur im Schnee die Lage unseres Profils und wir können dies mit Fotos vom Hügel herab festhalten. Wie üblich ein grandioser Plan! Als Abstand zwischen unseren Profilen wählen wir ca. 2-3 m. Insgesamt nehmen wir 13 solcher Profile auf bevor wir in ca. 30 m Abstand vom Hügel eine bereits abgetaute Fläche erreichen. Bei unserer Fotodokumentation spielt uns die diffuse Beleuchtung einen Streich bzw. macht sie uns einen Strich durch die Rechnung. Die Fußspuren sind nur äußerst schwer zu erkennen und ich befürchte, dass man in den Fotos gar nichts mehr erkennen kann. Also markieren wir zunächst die Spuren mit Dezimeter großen Steinen, die man auch in den Bildern erkennen kann. Jetzt haben wir uns einen Tee, einen Müsliriegel und eine Schokolade verdient.

In einem zweiten Anlauf nehmen wir frisch gestärkt ein zweites Set von Profilen auf, die rechtwinklig zu den ersten Profilen orientiert sind, also parallel zur generellen Hangrichtung. Diese Profile sind so um die 30 m lang und wir laufen 19 Stück davon ab. Insgesamt ist die Arbeit sehr zeitaufwendig, da für jeden Start- und Endpunkt eines Profils GPS Punkte gesetzt und die Tracks mitverfolgt werden müssen. Wir stehen also die meiste Zeit im eisigen Wind. Laut Anzeige im Blauen Haus ist die Windchill-Temperatur heute bei -11 °C. Trotz der widrigen Bedingungen kommen wir mit der Arbeit gut voran und Nico ist sehr mit der systematischen Datenaufnahme zufrieden. Jetzt müssen wir nur noch mehre Steine über das Messgebiet verteilen und speziell die Eckpunkte markieren, bevor alles mit Fotos dokumentiert werden kann. Trotz aller Mühe sind die Lage und der Verlauf unserer Profile nur schlecht sichtbar. Wir hoffen morgen auf bessere Beleuchtungsbedingungen und wollen versuchen, Bilder mit dem Lenkdrachen zu machen. Das wäre natürlich die beste Option, um die Profile ordentlich georeferenziert zu bekommen.

 

Irgendwann kommt aber der Punkt, wo wir für heute fertig sind und unsere Sachen zusammenpacken können. Wir sind beide mit unserer Arbeit heute sehr zufrieden und sind schon gespannt auf die Auswertung der Daten. Wir waren seit ca. 10:30 Uhr draußen und treten unseren Rückweg kurz nach 16:00 Uhr an. Auch jetzt fällt uns das Stapfen durch den Schnee schwer. Es ist wirklich erstaunlich, wie schnell man bei dieser Gangart ermüdet. Es ist wie endloses Treppensteigen! Die geräumte Straße kommt mit jedem Schritt näher und bald marschieren wir, von den Schneeschuhen befreit, Richtung Ny Alesund. Die verärgerte Seeschwalbe begrüßt uns mit gleicher Heftigkeit als ein paar Stunden zuvor. Aber es hilft ja nichts, wir müssen die schwarze Röhre ja zum Entladen verwenden. Also, Kopf einziehen und Gewehr möglichst schnell entladen.

Wir kommen genau zu dem Zeitpunkt im Blauen Haus an, als auch Bettina dort eintrifft. Das nenn ich perfektes Timing, um Gewehre und Signalpistolen abgeben zu können. Falls wir uns beeilen, schaffen wir es sogar noch zum Abendessen in die Kantine, die um 17:30 Uhr schließt. Wir bringen unsere Sachen noch ins Vaskeri-Lab und um 17:20 Uhr bedienen wir uns reichlich an der vorzüglichen Lasagne. Wir sind die letzten Gäste und die Köchin kommt extra aus der Küche, um sicher zu stellen, dass wir auch wirklich genügend zu essen bekommen. Beim Essen treffen wir auch Ingo wieder, mit dem wir anschließend noch Kaffee trinken und ratschen.

Heute spielt Deutschland gegen Frankreich und die Franzosen sind hier auf der Station deutlich in der Mehrheit. Mats Hummels hat soeben ein Eigentor fabriziert. Na super! Das Spiel endet 1:0 für Frankreich.

Photos

Seeschwalbe
Seeschwalbe
© KOP 132 SPLAM
  • Die Rentiere in Spitzbergen sind etwas kleiner als ihre Verwandten auf dem Festland und lassen sich durch die Menschen in Ny Alesund beim Fressen nicht stören.
    © KOP 132 SPLAM
  • Noch sitzt die Seeschwalbe auf ihrem Nest. Sekunden später wird sie uns attackieren, um ihr Gelege zu schützen.
    © KOP 132 SPLAM
  • Tvillingvatnet und Schetelligtoppen
    © KOP 132 SPLAM
  • Der Blick entlang der Nordseite der Broggerhalbinsel zeigt eine dick verschneite Landschaft, in der wir viele unserer Steinkreise vermutlich nicht gefunden hätten, um sie wie in den vergangenen Jahren untersuchen zu können.
    © KOP 132 SPLAM
  • Nico mit dem Georadar. Die orange Box ist die 400 MHz Antenne, das Rad dient zur Distanzmessung und das ganze kann an der Stange über den Boden gezogen werden. Während der Messung läuft Nico mit dem Steuergerät nebenher und ich ziehe die Antenne.
    © KOP 132 SPLAM
  • Erste zarte Anzeichen des Frühlings. Der Steinbrech beginnt an sonnenexponierten, schneefreien Flächen zu blühen.
    © KOP 132 SPLAM
  • Eigenartige Wolken
    © KOP 132 SPLAM
  • Kann jemand sehen wo unsere Radarprofile aufgenommen wurden. Zumindest einige Bodenspuren haben wir mit Steinen markiert.
    © KOP 132 SPLAM
  • Unser heutiges Untersuchungsgebiet befindet sich in der roten Umrandung
    © KOP 132 SPLAM
  • Ausblick von unserem Untersuchungsgebiet auf die andere Seite des Fjords
    © KOP 132 SPLAM
Ausblick von unserem Untersuchungsgebiet auf die andere Seite des Fjords
Ausblick von unserem Untersuchungsgebiet auf die andere Seite des Fjords
© KOP 132 SPLAM

14.6.2021

Satz mit x? War wohl nix! Wie fast alle Tage, beginnt auch dieser Tag mit aufwachen und aufstehen. Heute gibt es noch viel zu tun, denn wir wollen uns ja um 10:00 Uhr mit Lucas noch einmal treffen, um zu entscheiden, ob wir mit dem Motorboot nach Kvadehuksletta kommen können. Lucas meldet sich früher als erwartet und meint er wird versuchen uns abzusetzen. Allerdings kann er uns voraussichtlich „nur“ an der Landestelle für die Geopol Hütte absetzen, da es vermutlich um den Kvadehukken, die äußerste Spitze der Bröggerhalbinsel, zu rau für das Boot sein wird. Es ist trotzdem super, dass er es überhaupt probieren will. Für uns bedeutet es aber, dass wir unser gesamtes Gepäck über mehrere Kilometer tragen müssen, bei unbekannten Schneebedingungen. Wir wollen es aber zumindest versuchen.

Jetzt muss natürlich der Rucksack fertig gepackt und das Essen ausgewählt werden. Die Gretchenfragen sind immer die gleichen: Was brauche ich unbedingt und was brauche ich vielleicht und was brauche ich definitiv nicht? Zwei Dosen Fleisch oder werden wir auch mit einer pro Tag satt? Eine Dose weniger pro Tag macht am Ende schon wieder ein Kilo weniger zu schleppen. Wieviel Reserven muss ich einplanen, um auch ein oder zwei Extratage zu „überleben“, wenn eine Abholung aufgrund des Wetters nicht pünktlich stattfinden kann? Und dann die Frage aller Fragen. Kriege ich alles in meinen Rucksack? Alleine der Daunenschlafsack nimmt bei mir ca. 2/3 des Rucksackvolumens in Anspruch. Da kann man quetschen und drücken so viel man will, das Ding lässt sich einfach nicht besser komprimieren. Also spart man an Klamotten. Ein Satz zum Wechseln, falls man z.B. nass wird, muss genügen. Dazu kommen noch der Computer, Powerbank, Batterien und anderer Krimskrams und schon ist der Rucksack schneller proppenvoll als einem lieb ist. Ah, und die Thermoskanne mit Tee muss natürlich auch noch mit. Die extra 10 Patronen für die Signalpistole stopfe ich in das untere Fach und den Notfallsender in die Deckeltasche. Das Funkgerät bleibt am Mann. Schweren Herzens muss ich meine Espressomaschine zurück lassen. Es stehen mir harte Tage bevor. Zwei Gewehre und zwei Signalpistolen gehören selbstverständlich zur Grundausrüstung wenn man ins Gelände geht und dürfen auch heute nicht fehlen. Schneeschuhe und Pulka nehmen wir auch noch mit. Mit anderen Worten, wir schleppen schon wieder Unmengen an Ausrüstung mit und das, obwohl wir versucht haben möglichst nur das Notwendige einzupacken. Ach ja, die Überlebensanzüge kommen natürlich auch noch ins Auto, das uns zum Boot bringt. Lucas und Yohann haben heute Morgen erst das große AWIPEV Motorboot zu Wasser gelassen, um uns damit zur Absetzstelle zu bringen. Wir verladen alles auf das Motorboot, inklusive unserer Georadar Kiste und verlassen um kurz nach 10:30 Uhr den Hafen. Yohann ist der Steuermann und Lucas steht ihm mit Rat und Tat zur Seite. Der Wind in Ny Alesund ist keineswegs stark und weht aus einer östlichen Richtung. Anfangs kommen wir gut, schnell und trocken voran und sind alle guter Hoffnung, dass es mit dem Absetzen noch klappen könnte, bevor das schlechte Wetter einsetzt.

Schnell müssen wir uns aber mit einer völlig anderen Situation auseinandersetzen als der Wind auf Nordwest umspringt und mit einem Mal auch die Wellenhöhe zunimmt. War Nico zunächst noch neben unserem ganzen Material auf dem Achterdeck gesessen, wird es dort nun sehr ungemütlich. Die Gischt fliegt weit über das Boot und innerhalb von ein paar Minuten ist alles klatschnass. Nur gut, dass wir alles in wasserdichte Säcke verpackt haben. Obwohl Nico in seinem hübschen orangen Überlebensanzug ja auch wasserdicht verpackt ist, zieht er es dennoch vor, in der Kabine trocken zu bleiben. Das macht ja auch Sinn, denn es ist keinem geholfen, wenn er nass und kalt am Absetzpunkt ankommt. Ich kenne das Spiel ja schon etwas länger und habe mich von Anfang an in der Kabinentüre positioniert. Da steht man zwar noch im Freien, ist aber dennoch vor der Gischt geschützt. Mit mehr oder weniger vier Personen in der Kabine kämpfen wir gegen die mittlerweile doch recht hohen Wellen an. Teilweise kommt so viel Wasser über Bord, dass der Scheibenwischer nicht nachkommt und man im Blindflug unterwegs ist. Die Fahrt ist zwar rau aber das Boot kann einiges ab und ich mache mir keine Sorgen. Was mir allerdings Sorgen bereitet ist, wie wir an Land gelangen sollen. Die Wellen laufen bei dieser Windrichtung genau sekrecht auf unseren Strand zu und es bedarf schon großen Geschicks und exzellenter Seemannschaft, um dort landen zu können. Ich würde mir das nicht zutrauen. Kaum dass ich meinen Gedanken zu Ende gedacht habe, meint Yohann, dass es zu raue See für eine sichere Landung ist und er deshalb gerne umkehren würde. Ich kann Yohann und Lucas nur zu gut verstehen und stimme ohne Wenn und Aber zu. Es tut Yohann leid, dass es nicht mit dem Absetzen klappt, aber für eine richtige und umsichtige Entscheidung muss er sich wahrlich nicht entschuldigen. Alles richtig gemacht. Unter diesen Umständen wäre das Risiko für das Boot und auch die Leute einfach zu hoch und so drehen wir um und fahren zurück Richtung Ny Alesund. Trotzdem war der Versuch für uns wertvoll, denn wir konnten zumindest einen Blick auf Kvadehuksletta schmeißen und dabei erkennen, dass große Gebiete noch mit Schnee bedeckt sind. Selbst wenn das Absetzen geklappt hätte, es wäre eine arge Schinderei geworden bis zur Kiaersvikka Hütte zu kommen. Vermutlich hätten wir sehr oft die Schneeschuhe an- und ausziehen müssen und es hätte uns wahrscheinlich sehr viel Zeit gekostet überhaupt dorthin zu kommen. Ganz zu schweigen davon, dass wir ja morgen wieder zum Strand hätten kommen müssen, um mit dem Georadar zu arbeiten. Und abends wieder hoch zur Hütte. Der viele Schnee hätte auch bedeutet, dass viele der Steinkreise, die wir in den letzten Jahren immer wieder besucht haben noch darunter verborgen sind. Wenn man es einmal realistisch sieht, steht der Aufwand irgendwann in keinem Verhältnis mehr zum Ergebnis. So ist es vielleicht ein Wink des Schicksals, dass wir heute so starken Wind haben. Die Rückfahrt verläuft unproblematisch auch wenn das Boot ab und an von einer Seite zur anderen rollt.

Pünktlich zum Mittagessen kommen wir im Hafen an. Da jeder noch was abkriegen will, geht alles recht flott. Sabrina wird noch schnell am Dock „umgeparkt“ damit der Platz für das Aluminiumboot frei wird. Unser Material ist schnell im Bus verladen, das Georadar lassen wir vorerst am Dock, um es morgen mit Sabrina eventuell erneut zu unserer Moräne bringen zu können. Waffen abgeben. Essen fassen.

 

Beim Essen gesellen sich Andreas und Livia von der Universität in Oslo zu uns. Ich hatte ja beide bei der Party im Blauen Haus am Samstag kennengelernt. Livia ist sehr an unserer Arbeit an den Steinkreisen interessiert und untersucht selbst drei Steinkreise in unmittelbarer Nähe der Geopol Hütte. Andreas arbeitet am Kongsvegen Gletscher. Im Verlauf des Gesprächs bietet er uns an, dass wir sein Georadar benutzen können, das speziell für raues Gelände konstruiert wurde. Anstatt eines Schlittens zieht man quasi ein langes, ca. 5 cm dickes Seil hinter sich her. Das klingt sehr interessant und wir gehen mit den beiden mit, um uns das Gerät genauer anzuschauen. Wir bauen alles in einem langen Gang einer Unterkunftsbaracke auf. Letztlich beschließen wir aber das Gerät nicht auszuleihen. Erstens wollen wir nicht noch mehr Gepäck mit uns herumschleppen, zweitens kennen wir das Gerät nicht und drittens haben wir Angst etwas kaputt zu machen. Das kann immer passieren, würde aber bedeuten, dass Andreas das Bodenradar nicht mehr für seine eigene Forschung verwenden könnte. Am Donnerstag werden wir aber die zwei zu ihrem Untersuchungsgebiet begleiten. Dabei werden wir eine neue Ecke Spitzbergens sehen, die wir bisher nicht kennen. Ich freue mich schon jetzt darauf!

Dann steht uns eine weniger schöne Aufgabe bevor. Der Müll, den wir von Corbel mitgebracht haben, muss entsorgt werden. Alles fein säuberlich getrennt. Alubüchsen, Papier, Karton, Weichplastik, Biomüll, Glas, Restabfall. Besonders faszinierend finde ich die „Sau“. Jedenfalls klebt eine große schwarze Sau auf einer interessanten Maschine in einer Ecke des „Recyclinghofes“. Dort kann man seine Bioabfälle hineinschmeißen und die Maschine macht daraus Kompost im Schnellverfahren. Super genial!

Es folgt ein längeres Zoom Meeting mit unserem Basislager in Berlin. Ernst Hauber hält dort die Stellung und ist über den Fortgang unserer Unternehmung natürlich genauestens informiert. Wir berichten ihm was wir bisher so geschafft haben und was unsere Pläne für die nächsten Tage sind. Ernst sprudelt wie immer vor guter Ideen und wir werden versuchen zumindest einige davon noch umzusetzen.

Auf dem Weg zum Vaskeri-Lab machen wir noch schnell in der Kantine Halt zum Abendessen. Es gibt bunte Nudeln mit Lachs. Nach meinem Kaffee läuft mir die Köchin über den Weg und ich sage ihr, dass ihr Essen super schmeckt. Wirklich kein Vergleich zu den letzten Jahren. Die Küche ist jetzt echt wieder Spitze, so wie wir das aus unseren ersten Jahren hier kennen. Chapeau! Die Köchin freut sich sehr über das Kompliment und fragt, ob wir Brot und Zwiebeln bereits satt haben. Wir müssen alle über diesen „Running Gag” lachen. Und natürlich will sie auch wissen, was wir hier so machen. Nico und ich erklären es ihr gerne. Als wir die Kantine verlassen, schneit es leicht. Nicht lange und nicht heftig, aber es schneit!

Die nächste Arbeit, die für heute noch anliegt ist das Aussortieren unserer Lebensmittel und das Packen von Material, das wir vermutlich nicht mehr brauchen werden. Wir hatten ja letztes Jahr Proviant für vier Personen für zwei Wochen verschifft, von dem wir zwei dieses Jahr nur minimale Mengen verbraucht haben. Vieles von dem Essen lief bereits im September 2020 ab und hält sich vermutlich nicht mehr bis nächstes Jahr. Leider gehören auch alle unsere heißgeliebten Nudelsuppen dazu. Vermutlich wären die Nudeln auch nächstes Jahr noch ohne Probleme genießbar, aber das Palmöl wäre wahrscheinlich ranzig. Andere Dinge wie unsere Fisch- und Fleischkonserven sind noch bis 2023 haltbar und werden deshalb in einem Karton verpackt. Natürlich schreiben wir exakt auf, was genau in dieser Kiste verpackt ist, damit wir nächstes Jahr unsere Essensliste entsprechend anpassen können. Das abgelaufene Essen wollten wir eigentlich entsorgen obwohl es noch einwandfrei essbar ist. Bettina schlägt aber vor, dass wir es zum Blauen Haus bringen, wo sich jeder dann daran bedienen kann. Das ist natürlich die deutlich bessere Idee! Die restlichen Materialkisten sind schnell gepackt und so können wir schon in den nächsten Tagen die Pack- und Frachtlisten drucken. Mit dem Sortieren und Verpacken ist es fast 20:00 Uhr geworden und ich schaffe es gerade noch mit der Familie zu zoomen bevor die Kinder ins Bett müssen. Ich freue mich jeden Tag auf diese Minuten! Die Kinder hoffen auf hitzefrei am Donnerstag, an dem es laut Vorhersage bis zu 38 °C in Münster heiß sein wird. Wie gesagt, hier hat es heute geschneit!

Nico und ich machen noch einen kleinen Verdauungsspaziergang zum Hafen, wo sich noch einige schöne Fotomotive ergeben und gehen dann nochmals in die Kantine, um durch das große Fenster mit dem Spektiv zu schauen. Wirklich klasse Architektur, die die Gletscher quasi ins Wohnzimmer bringt. Dann ist es aber auch gut für heute und wir ziehen uns aufs Zimmer zurück. Draußen hört man den Wind um die Ecke pfeifen und wir können nur hoffen, dass das Wetter morgen besser wird. Tatsächlich soll es laut Vorhersage freundlich werden, aber der Wind bleibt stark. Wir müssen also abwarten, was wir morgen machen können. Manchmal funktionieren Pläne und manchmal auch nicht. So ist das hier eben!

Photos

Hier kommen wir nicht mehr weiter und Lucas und Yohann entscheiden sich zur Rückkehr
Hier kommen wir nicht mehr weiter und Lucas und Yohann entscheiden sich zur Rückkehr
© KOP 132 SPLAM
  • Hier kommen wir nicht mehr weiter und Lucas und Yohann entscheiden sich zur Rückkehr
    © KOP 132 SPLAM
  • Das Radioteleskop in Ny Alesund
    © KOP 132 SPLAM
  • Angetriebenes Gletschereis am Strand neben dem Hafen
    © KOP 132 SPLAM
  • Das nenn ich mal ein Iglu!
    © KOP 132 SPLAM
  • Amundsen Denkmal vor dem Blauen Haus
    © KOP 132 SPLAM
  • Die AWIPEV Flotte am Dock
    © KOP 132 SPLAM
  • Abendstimmung mit Blick auf Kap Mitra
    © KOP 132 SPLAM
  • Das Forschungsziel unserer niederländischen Kollegen
    © KOP 132 SPLAM
  • Schöne Wolkenstimmung
    © KOP 132 SPLAM
  • Das große Glasfenster im ersten Stock über der Kantine. Hier kann man Stunden verbringen!
    © KOP 132 SPLAM
  • Arktisches Farbenspiel
    © KOP 132 SPLAM
  • Erfolgreiche Jagd nach Sturzflug
    © KOP 132 SPLAM

13.6.2021

Meine Tochter hat heute Geburtstag! Ich freue mich schon darauf, heute Abend mit ihr zu zoomen. Der Wecker klingelt wie üblich um 7:30 Uhr, was nicht wirklich nett ist, wenn man erst gegen 3:00 Uhr ins Bett gekommen ist. Taufrisch fühlt sich anders an. „Probably the best beer in the World“ stand gestern auf den Bierbüchsen. Nun, ich muss ein schlechtes erwischt haben, denn der Kopf brummt heute etwas. Nicht dramatisch aber merklich. Ich gehe trotzdem runter in den Aufenthaltsraum und fange an am Blog zu schreiben. Die neuen Sofas dort sind allerdings so bequem, dass ich dort nochmal ein kleines Nickerchen einlege. Pünktlich zum Brunch bin ich aber wach. Nico muss das Essen schon vor mir gerochen haben, denn als ich ihn aufwecken will, ist er schon unterwegs. Am Wochenende gibt es in der Kantine immer zwischen 10:00 und 12:00 Uhr Brunch. Es gibt eine super Auswahl mit verschiedenen Fischsorten, Salate, Pulled Pork und anderes Fleisch, frittierte Jalapenos, und und und. Dazu natürlich Säfte, Milch und, ganz wichtig, reichlich Kaffee. Genial. Der Rest des Vormittags wird mit Waschen verbracht. Die Maschinen sind bis auf eine einzige alle in Betrieb, so dass ich zwei Mal dorthin muss, um alles wieder sauber zu bekommen für den nächsten Einsatz. Auch die Akkus müssen nachgeladen werden. Also trotten Nico und ich zum Vaskeri-Lab, um das erledigt zu bekommen. Natürlich braucht es dazu zwei erwachsene Wissenschaftler. Das große Highlight des Tages, neben dem Geburtstag meiner Tochter, ist die Tatsache, dass wir die Georadardaten herunterladen und auf dem Computer weiterverarbeiten konnten. Als Radarexperte in unserem Team sieht Nico brauchbare Daten, als Laie sehe ich viele graue gewellte Linien. Ich vertraue jetzt einfach mal Nico und freue mich, dass es geklappt hat. Wir hatten uns das Gerät ja vor mehr als einem Jahr von einem Münsteraner Kollegen ausleihen dürfen, hatten einige Probleme die Lithiumbatterien verschifft zu bekommen und kämpfen mit der schweren Kiste. Da fühlt es sich einfach gut an, wenn alles funktioniert und sich der Aufwand gelohnt hat.

Und dann muss ich heute endgültig meinen Vortrag vorbereiten. Das dauert doch länger als ich dachte. Als wir nachmittags zum Kaffee trinken in die Kantine gehen, gibt es zwei böse Überraschungen. Erstens ist die Kaffeemaschine ausgeschaltet und zweitens muss ich feststellen, dass mein Vortrag schon für 17:30 Uhr angesetzt ist. Da bleibt also nicht mehr viel Zeit aber gegen 16:30Uhr steht der Vortrag. Fast hätte ich über die Vorbereitung des Vortrags das Essen vergessen. Am Sonntag sind sie Essenszeiten immer sehr früh und ich schaffe es gerade noch schnell etwas zu essen, bevor es zum Vortrag geht. Anders als in den Vorjahren findet der Vortrag nicht im ersten Stock über der Kantine statt, sondern in einem anderen Gebäude in der Nähe des neuen „Waschsalons“. Ich bin schier von den Socken, als ich den Vortragsraum sehe. Sehr groß, so dass mindestens 50-70 Personen hinein passen, mit Garderobe davor, einer kompletten Bar, einer Art Rezeption, moderne AV Ausstattung. Bei mir geht natürlich sofort das Kopfkino los, denn ich könnte mir vorstellen, hier einmal eine Konferenz oder ein Team Meeting zu organisieren. Greg meint, dass man die Räumlichkeiten von Kings Bay mieten könne Das wäre doch mal was! Aber vermutlich bleibt es bei den Träumereien sobald ich die Kings Bay Preisliste sehe. Aber anschauen werde ich, rein schon aus Interesse. Der Vortrag verläuft halbwegs okay und ich freue mich, Piotr wieder zu sehen, der uns als AWIPEV Stationleader vor Jahren viel geholfen hat. Insgesamt kommen ca. 20 Interessierte zu meinem Vortrag. Im Anschluss diskutieren wir noch den Masterplan der nächsten Tage mit Greg und Lucas, so dass ich nur kurz mit Piotr ratschen kann. Sehr schade! Laut Wetterbericht soll es morgen sehr windig werden, was vielleicht bedeuten kann, dass wir nicht nach Kvadehuksletta kommen werden. Wir beschließen morgen um 10:00 Uhr die Situation neu zu bewerten. Kurz diskutieren wir, ob Nico und ich alleine mit Sabrina zur Geopol-Landestelle und dann weiter zu Hütte fahren sollen. Ich habe Bedenken, dass es je nach Windrichtung und –stärke schwierig sein könnte das Boot dort sicher zu ankern. Auch könnte es sein, dass wir bei zu hohen Wellen nicht mehr zurückkommen könnten. Mich freut es natürlich riesig, dass man uns Sabrina für so eine Tour anvertrauen würde aber mir sind da zu viele Unbekannte in der Gleichung und so verwerfen wir die Idee schnell wieder. Trotzdem danke für das Vertrauen Greg und Lucas!

Und dann kommt endlich das Zoom Meeting mit meiner Familie und ich kann meiner Tochter alles Gute wünschen. Carolyn zeigt mir Bilder vom Geburtstag, der offensichtlich sehr schön war und auch eine Übernachtung mit der besten Freundin im Zelt mit einschloss. In Münster ist es schön warm und alle laufen in T-Shirts durch die Gegend. Carolyn erzählt mir, dass in Münster die Coronainzidenzen nun seit längerer Zeit unter 10 sind und ich freue mich schon darauf in ein halbwegs normal funktionierendes Leben zuhause zurückkehren zu können. Obwohl es hier natürlich auch absolut fantastisch ist! Das Wetter ist herrlich mit relativ viel Sonne und nur teilweise stärkerer Bewölkung. Vormittags war es auch angenehm warm aber am Nachmittag setzte ein sehr kalter und frischer Wind ein, der die Temperaturen gefühlt um 10 Grad fallen ließ. Heute ist auch der erste Tag seit unserer Ankunft, an dem der ganze Fjord mit Eisbergen bedeckt ist. Das warme Wetter gestern hat offensichtlich einen Schub an Aktivität verursacht und der Wind, der vom Kronebreen Gletscher herunter weht, verteilt die Eisberge über den ganzen Fjord. Wirklich ein schönes Postkartenmotiv! Schon wieder eins! Eigentlich gibt es hier hinter jeder Ecke ein Postkartenmotiv! Ist halt eben Spitzbergen!

Ein relativ ruhiger Tag geht nun seinem Ende zu. Viel gemacht haben wir heute nicht, aber das ist auch okay so. Die letzten Tage waren gefüllt mit Action und Kisten schleppen, mit schweren Rucksäcken x-Mal einen Hügel hochlaufen, wenig Schlaf, da braucht man auch einmal etwas Ruhe. Morgen geht es dann wieder mit Volldampf weiter.

Photos

Unser allererstes Radarprofil vom Strand unterhalb unserer Erosionsstruktur
Unser allererstes Radarprofil vom Strand unterhalb unserer Erosionsstruktur
© KOP 132 SPLAM
  • Blick aus dem Fenster unseres Zimmers im Blauen Haus
    © KOP 132 SPLAM
  • Eisberge im Fjord
    © KOP 132 SPLAM
  • Die Corbel Hütte von Ny Alesund gesehen
    © KOP 132 SPLAM

12.06.2021

Als ich um 7:30 Uhr wie gewohnt aufstehe ist es noch ruhig, nur Yohann blinzelt schon vom Sofa herüber, auf dem er geschlafen hat. Gemeinsam machen wir klar Schiff und bereiten das Frühstück vor. Nudelsuppe, Dosenfleisch, Leberwurst, Tee, Espresso, ich kriege alles, was mein Herz begehrt. Nebenbei lade ich Akkus, wähle Bilder für den Blog aus und schreibe die Bildunterschriften dazu. Auch der Toilettengang will bei sechs Hüttenbewohnern gut und richtig getimt sein. Irgendwann wecke ich Nico auf und nach dem üblichen Nudelsuppen-Frühstück packen wir zusammen und machen uns auf den Weg. Gerade als wir ablegen, sehen wir noch vier Gestalten auf dem großen Schneefeld vor Corbel in Richtung Strand gehen. Die anderen sind also auch schon fertig und werden vermutlich nach Ny Alesund zurück fahren.

 

Das Wetter ist heute ein absoluter Traum! Es ist fast windstill, nur eine ganz leichte Brise weht manchmal vom Kongsvegen Gletscher herunter. Dazu ist es sonnig und der Himmel ist fast komplett wolkenfrei. Ohne Wind und mit Sonne ist es angenehm warm, als wir an unserer Ablegestelle in unsere Überlebensanzüge steigen. Bei ruhiger See verläuft die Motorbootfahrt problemlos und wir sind zügig vor Ort. Das ist auch gut so, denn wir haben heute ein volles Programm, das wir abarbeiten müssen. Neben den üblichen Messungen, wollen wir nämlich heute zum ersten Mal das Georadar ausprobieren.

Im Untersuchungsgebiet angekommen, beginnen wir mit dem Ausgraben der Datenlogger, die wir vor zwei Jahren vergraben haben. Mittlerweile dürften die Batterien längst ihren Geist aufgegeben haben, so dass die Logger vermutlich seit langer Zeit nichtmehr loggen. Die ersten zwei Logger in ca. 20 und 30 cm Tiefe sind schnell ausgegraben. Wir folgen einfach der roten Schnur, die bis zur Oberfläche reicht und dort an kleine Steine angebunden ist. Den dritten Logger erreichen wir nicht, weil der Boden ab ca. 40 cm Tiefe noch gefroren ist. Das erklärt auch, warum wir beim Vergraben unserer neuen Logger so große Probleme hatten. Wir beschließen, das gegrabene Loch nicht sofort wieder zuzuschütten, sondern darauf zu hoffen, dass der Boden bis in ein paar Tagen auftaut und den Logger doch noch frei gibt. Zur Sicherheit könnten wir auch mit größerem Gerät anrücken, das wir dann aber wieder hochschleppen müssten. Vielleicht macht ja die Natur die Arbeit für uns! Nach einer kurzen Teepause mache ich mich ans Werk und nehme die Polbilder auf. Ich mache insgesamt zwei Runden um unsere Erosionsstruktur und hoffe, dass wir genügend gute Daten bekommen werden. Die Handhabung der Stange im steilen Gelände ist nicht ganz einfach und mehrfach bin ich kurz davor, auf meinem Allerwertesten zu landen. Ich verwende die Stange in diesem Jahr zum ersten Mal, da dies bisher immer Dennis, Andreas oder Jan gemacht haben. Ich habe durch meine eigene Erfahrung ein paar Verbesserungsvorschläge, die ich mit unserer fantastischen Uni-Werkstatt in Münster besprechen werde. Die Vorbereitungen für die Saison 2022 laufen also bereits wieder – zumindest mental. Die Sonne steht noch günstig und so setze ich erneut die GoPro Kamera ein, um das Gelände zu dokumentieren. Seit Jahren machen wir das immer wieder von den gleichen Beobachtungspunkten aus. So sollten wir in der Lage sein, die Veränderungen der Landschaft nachvollziehen zu können und vielleicht sogar Erosionsraten bestimmen zu können. Man müsste dazu nur alle Bilder der letzten Jahre durchsuchen und auswerten. Mit Sicherheit eine spannende Masterarbeit. Mit Drehschluss sind wir für heute an unserer Erosionsstruktur fertig und wir gehen zum Strand zurück. Auf der großen Kiste mit dem Georadar sitzend und Tee trinkend, bereden wir unsere nächsten Schritte. Die Sonne scheint herrlich warm auf unsere Rücken und die schwarzen AWI-Fleecejacken saugen jeden Sonnenstrahl auf. Plötzlich taucht direkt neben unserem Boot eine Robbe auf und versetzt die Möwen in Aufruhr. Uns schaut sie nur kurz frech an, dann schwimmt sie den Strand entlang und verschwindet schließlich. Auch wir werden durch die Robbe aus unserer Sonnenbadwohlfühloase gerissen und packen das Georadar aus. Wir nehmen die kleine 400 MHz Antenne und laufen ein erstes Profil von ca. 50-60 m am Strand entlang. Das Gerät funktioniert und nimmt Daten auf. Hurra! Ein richtig gutes Erfolgserlebnis! Eigentlich wollten wir das Gerät ja nur testen, aber ermutigt durch unseren sagenhaften Triumph über die Tücken der Technik, beschließen wir kurzerhand doch noch die Moräne geophysikalisch zu untersuchen. Man höre und staune, zwei Geologen, die Geophysik betreiben! Vielleicht kann sich der ein oder andere nichts unter einem Georadar vorstellen. Im Prinzip ist die kleine Antenne ein ca. 40 x 40 x 30 cm großer Kasten, den man auf einem Schlitten langsam hinter sich herzieht. Die Antenne ist über ein Kabel mit dem Steuergerät verbunden, an dem man die aufgenommenen Daten sehen und dann auch speichern kann. Je nach verwendeter Frequenz, kann man mit dem Bodenradar in die Tiefe schauen, um z.B. Schichtung in Gesteinen oder Eis im Untergrund zu entdecken. Wir erhoffen uns davon herausfinden zu können, wie dick die Schuttschicht auf dem Gletschereis ist. Für unser erstes Profil quer zur Lateralmoräne wählen wir einen großen weißen Stein, direkt am Strand, der mir auch immer beim Motorbootfahren die Navigation erleichtert und den wir leicht in den Luftbildern erkennen können. Bevor wir loslegen, kundschaften wir den „besten“ Weg aus. Das Gelände ist ja ziemlich schlammig und wir wollen natürlich vermeiden, mit dem Georadar irgendwo im Schlamm zu versinken. Auch bei dieser Arbeit sind wir dankbar und froh, dass wir das Geld für die Stiefel ausgegeben haben. Mit den normalen Bergstiefeln wäre es eine üble Sauerei. Um die Position des Profils genau lokalisieren zu können, lässt Nico sein GPS mitlaufen, während ich mit der GoPro Kamera filme. Ich ziehe den Schlitten, und Nico bedient das Steuergerät. Jetzt macht es sich bezahlt, dass Nico mit einem Georadar schon für seine Diplomarbeit zu tun hatte. Wieder verläuft alles gut, obwohl wir teilweise durch arge Matsche, Schnee und raues Terrain müssen. Nicht immer ideal für eine Bodenradarmessung, aber wir sind vermutlich die ersten, die auf dieser Moräne so etwas machen. Wir werden immer mutiger und wollen gleich noch ein Profil aufnehmen. Gesagt, getan! Wieder kundschaften wir den Weg zunächst aus bevor wir mit der eigentlichen Messung beginnen. Vom Endpunkt des Profils laufen wir auf gleicher Strecke wieder zurück bis zu unserem weißen Stein. Und natürlich lassen wir das Radar wieder mitlaufen. Ganz zum Schluss nehmen wir noch ein letztes Profil quer zum Strand auf. Dann wird es aber allerhöchste Zeit, alles zu verpacken und zurück zu fahren. Die schwere und unhandliche Kiste ins Boot zu bekommen ist nicht leicht aber wir schaffen es gerade so und sind somit auf dem Weg zurück nach Corbel. Dort müssen wir unsere Sachen packen und die Hütte putzen. Nico macht sich um die Müllentsorgung verdient und ich fege und packe unsere Verpflegung wieder ein. Es scheint als hätten wir nichts gegessen. Jedenfalls ist die Kiste weder wesentlich leerer, noch ist sie wesentlich leichter. Wir verlassen eine saubere Hütte und schaffen alles Gepäck in einer Pulka Richtung Strand. Da der Schnee aber seit unserer Ankunft viel weniger wurde, können wir für eine längere Strecke den Schubkarren verwenden. Durch die Arbeiten mit dem Georadar, das Putzen der Hütte und das Packen ist es entgegen unseres eigentlichen Plans deutlich später geworden. Wir melden uns gegen 20:00 Uhr bei Hafeneinfahrt bei Lucas zurück und er kommt mit dem blauen Toyota-Bus zum Hafen, um unser Gepäck zum Vaskeri-Lab zu bringen. Bis er kommt, bleibt mir genügend Zeit, um Sabrina zu betanken. An der Pier liegt das Schiff des Sysselmannen und erst jetzt wird mir bewusst, wie groß es tatsächlich ist. Nachdem wir unsere Überlebensanzüge geduscht haben, sind auch wir für die Dusche bereit. Man kann ja über die Vergabe von Nobelpreisen durchaus diskutieren. Im Falle der Erfindung der Dusche wird aber deutlich, dass die wirklich großartigen Erfindungen dabei meist leer ausgehen. Nico und ich sind jetzt wieder hübsch – na gut, das vielleicht gerade nicht – aber zumindest riechen wir nicht mehr, so dass die Chance besteht in die Bar gelassen zu werden. Heute ist nämlich Samstag und das bedeutet, dass die Bar von 21:00 bis 00:00 Uhr geöffnet hat. Wir kommen zu spät und sind erst um 9:33 Uhr dort. Aber trinktechnisch kann man die Verspätung ja bei etwas Mühe leicht wieder wettmachen. Man muss dieses Jahr Plastikchips kaufen, um Corona-bedingt, den Umgang mit Geld zu vermeiden. Es ist einfach Klasse, ohne Maske in einer Bar zu sitzen und Spaß am Leben zu haben. Der Abend verläuft entsprechend sehr lustig und ich lerne Ingo kennen, der hier das Lidar zur Atmosphärenforschung betreut und dafür oft Monate hier in Ny Alesund verbringt. Seit 25 Jahren. Ich fühle mich wie ein blutiger Ny Alesund Anfänger. Nach Mitternacht geht die Party im Blauen Haus weiter. Dabei lerne ich zwei Glaziologen kennen, die auch Daten von unserer Moräne besitzen und mit uns teilen wollen. Der Abend hat sich also in vielerlei Hinsicht gelohnt. Bier, gute Gespräche, neue Leute kennen gelernt!

Photos

Von klein zu groß: Eine neue Erosionsstruktur entsteht
Von klein zu groß: Eine neue Erosionsstruktur entsteht
© KOP 132 SPLAM
  • Eine interessante Felsformation
    © KOP 132 SPLAM
  • Der schneebedeckte Gipfel einer der Tre Kroner
    © KOP 132 SPLAM
  • Am Strand deformiert das Eis den kleinen Strandrücken
    © KOP 132 SPLAM
  • Sandablagerung, die durch fließendes Wasser gebildet wurde
    © KOP 132 SPLAM
  • Das Georadar wird zum ersten Mal ausgepackt und für die Messung fertig gemacht
    © KOP 132 SPLAM
  • Noch ein Vogel. Er lief genau am Wasser entlang und war ständig am Picken
    © KOP 132 SPLAM
  • Unser Toilettensitz der Corbel Hütte. Man beachte den Eisklotz, der die Toilette komplett füllt.
    © KOP 132 SPLAM
  • Hüttenputz. Lästig aber notwendig
    © KOP 132 SPLAM

11.6.2021

Heute bin ich vor Nico wach und gehe gleich in unsere Küche/Aufenthaltsraum, um Wasser zu kochen und das Frühstück vorzubereiten. Es ist heute fast windstill und die Sonne scheint durch eine leichte und freundliche Bewölkung. Und auch der Wetterbericht ist okay. Tagestemperaturen zwischen 1 und 2 °C, nachts um die -2 bis 3 °C. In anderen Worten, es schaut gut aus! Während ich Frühstück vorbereite, fällt mein Blick auf den Kronebreen Gletscher, der heute in einem sehr eigenartigen Licht beschienen wird. Wirklich sehr interessant und hübsch. Dazu ist es absolut still. Man hört kein Windgeräusch, keinen Vogel, einfach nur Stille. Natürlich muss ich das gleich fotografieren und ich bin gespannt, ob die Bilder diese sehr spezielle Stimmung wiedergeben können. Wo auch immer mein Hirn Infos abspeichert, dieser Moment kommt auch auf die Backup-Platte.

Während wir frühstücken, speichere ich noch die Filme der GoPro Kamera. Zum Anschauen muss ich noch einen Videoplayer herunterladen. Aber dann ist es soweit und ich sehe den Film, den wir aus ca. 3 Meter Höhe gedreht haben. Gestochen scharf! Ich bin sehr erleichtert, dass das so gut funktioniert hat. Es scheint mir mit der GoPro deutlich schneller zu gehen als mit unserem alten System der Einzelbildaufnahmen. Aber wir müssen erst die Auswertung abwarten, bevor man über die Qualität etwas sagen kann.

Beim Toilettengang muss ich feststellen, dass sich die Wassersituation am Bach gegenüber gestern gewaltig geändert hat. Die Wasserspülung unserer Zweistein-Toilette funktioniert nicht mehr. Generell ist der Wasserspiegel um 30-40 cm gesunken. Offensichtlich hat das Wasser einen direkteren Weg durch die Schneewehe gefunden. Unter der eigentlichen Toilette ist jetzt ein Eiskanal, der der Bobbahn am Königssee alle Ehre machen würde. Ich finde eine andere Lösung für meine geschäftlichen Angelegenheiten und der Tag kann kommen.

Die Motorbootfahrt ist auf der ruhigen See schnell und problemlos erledigt. Fast schon zu schnell, denn mir machen die 100 PS jede Menge Spaß. Aber wir sind ja nicht zum Motorbootfahren hierhergekommen! Schade eigentlich! Und Nico und ich sind mittlerweile ein so eingespieltes Team, dass es Freude macht an- und abzulegen.

An unserer üblichen Landungsstelle für das Untersuchungsgebiet angekommen, parken wir Sabrina vorsichtig ein und machen uns landfein. Wir müssen ja die zwei Koffer mit dem DGPS wieder nach oben schleppen. Ich schnalle meinen auf meinen Rucksack, so ist das Gewicht zumindest gleichmäßig verteilt und ich habe meine Hände frei. Oben angekommen, beginnt die eigentliche Arbeit obwohl wir schon wie der Mittagszug schnaufen. Ich lese zuerst den Datenlogger aus. Und siehe da, er liefert sehr interessante Daten, die uns mehr oder weniger bestätigen, dass es zu kalt für großräumige Aktivitäten ist. In 65 cm Tiefe messen wir nur 0,6°C. Wir diskutieren die Daten kurz, sind uns in deren Interpretation aber schnell einig. Sodann geht es für mich an das Polbilder machen, während Nico die DGPS Station aufbaut. Wenig später hat er sie heute am Laufen und beginnt die Markierungspunkte unserer Erosionsstruktur zu vermessen. Die Polbilder sind relativ zügig gemacht, und das ist auch gut so, da der Wind wieder starker wird. Das ist ein Problem, weil man dann die Kamera nicht mehr gut ausrichten kann bzw. sehr viel Kraft dafür braucht. Somit können wir die zweite Aufgabe abhaken. Das Aufschreiben von Beobachtungen über unsere Erosionsstruktur steht als nächstes auf der Tagesordnung. Checkmark! Im Jahr 2019 haben Ernst und ich große Gesteinsbrocken mit Farbkreuzen markiert, um zu sehen, ob und wie sie sich bewegen, Dazu müssen wir dieses Jahr unsere markierten Brocken erst wiederfinden. Das ist leichter gesagt, als getan. Erstens liegt noch immer viel Schnee, der einige Markierungspunkte überdeckt. Zweitens sind durch Massenbewegungen einige Steine unter Schutt begraben worden. Und drittens habe ich in meinem GPS mittlerweile so viele Wegpunkte, dass es schwierig ist, den einen, an dem man gerade Interesse hat sicher zu identifizieren. Ein weiterer Punkt ist, dass die Handhabung meines GPS-Gerätes und der hohe Energiebedarf bestenfalls suboptimal sind, und kriege des Öfteren einen Schreikrampf, weil mich das Ding so nervt. Nico darf sich meine Schimpftriaden anhören, obwohl er ja eigentlich nichts dafür kann. Aber insgesamt besser als befürchtet und um ca. 16:00 Uhr sind wir bis auf wenige Ausnahmen damit fertig und essen erst einmal was. Die letzten 12Wegpunkte sind relativ schnell erledigt, so dass mir noch Zeit bleibt die Landschaft von unseren zwei üblichen Beobachtungshügeln zu filmen. Auch hier setze ich die GoPro ein anstatt Einzelbilder zu machen. Auch filme ich mehrere unserer alten Erosionsstrukturen, so dass wir deren Aussehen bzw. Veränderungen über die Jahre Vergleichen können.

Der Wind ist wieder deutlich stärker geworden. Zwar drückt er das abgebrochene Eis bis nahe an den Gletscherrand, so dass wir uns darum für die Heimfahrt keine großen Sorgen machen müssen. Dafür ist es auf unserem exponierten Hügel aber auch schneidend kalt. Der Wind ist zurück und lässt uns zittern. Allerdings ist es mit der Sonne heute kein Vergleich zu gestern. Auf der Fahrt zurück macht er uns dennoch das Leben schwer, denn er weht in entgegengesetzter Richtung des abfließenden Wassers der Ebbe, was kurze und steile Wellen verursacht. Wieder bin ich tot froh, dass wir dieses Jahr Sabrina benutzen können. Da hat man einfach eine Sorge weniger. Generell fällt mir auf, dass sehr viel weniger Eis im Fjord treibt als die letzten Jahre. Die niedrigen Temperaturen lassen auch den Gletscher langsamer fließen, so dass er weniger kalbt. Normalerweise hören wir dies auch im Untersuchungsgebiet, aber dieses Jahr fehlt das Donnern wenn große Eismassen abbrechen. In gemächlicher Fahrt geht es Richtung Corbel. Speziell durch den Polfilter meiner Sonnenbrille wirkt die Landschaft besonders plastisch und beeindruckend und erscheint in super gesättigten Farben.

Zuhause sitzen wir noch für ein paar Minuten in der Sonne und trinken Tee. Es ist aber schon wieder 20:00 Uhr und damit höchste Zeit für das Kochen. Ich setze Wasser auf und schneide Zwiebeln, als ich vier Leute sich vom Strand hochkämpfen sehe. Nico geht ihnen mit der Pulka entgegen, um ihnen zu helfen. Nach kurzer Zeit stehen Bettina, Fieke, Greg und Yohann im Aufenthaltsraum. Das Timing könnte nicht besser sein! Ich mache einfach mehr Nudeln und mehr Sauce und schon können wir schön gemeinsam Abendessen. Die vier haben auch Bier mitgebracht und wir verbringen einen sehr lustigen Abend und gehen erst weit nach Mitternacht auseinander. Das war wirklich eine nette, gelungene und willkommene Überraschung. Zu schade, dass sich das AWI Team nicht öfters Zeit für solche Ausflüge nehmen kann. Auch ein weiterer Besucher darf nicht unerwähnt bleiben. Ein Polarfuchs schaut frech durchs Fenster und wird fotografiert. Er ist gerade dabei sein weißes Winterfell gegen sein dinkelbraunes Sommerfell zu wechseln, was sehr hübsche Farbkontraste bewirkt. Wie eine holsteinische Kuh quasi, nur etwas graziler und kleiner. Und ohne Hörner.

Das Blog schreiben, die Datensicherung und die Vorbereitung des Vortrags müssen bis morgen Früh warten. Ich schreibe zwar noch bis 1:30 Uhr am Blog, aber dann fallen mir buchstäblich die Augen zu. Es war ein anstrengender Tag und wir haben viel erledigen können. Der gestrige Frust ist vorbei und wir sind guter Dinge, dass der morgige Tag ähnlich gut werden könnte. Der Wetterbericht ist es zumindest schon einmal.

Photos

Der Wasserkessel der Corbelhütte. Auf der Außenseite ist 1963 eingeritzt. Vermutlich das Datum der letzten Reinigung. Er ist Kult und saubermachen wäre ein Sakrileg!
Der Wasserkessel der Corbelhütte. Auf der Außenseite ist 1963 eingeritzt. Vermutlich das Datum der letzten Reinigung. Er ist Kult und saubermachen wäre ein Sakrileg!
© KOP 132 SPLAM
  • Wolken und Berge sind immer interessant
    © KOP 132 SPLAM
  • Postkarten-Motiv von Spitzbergen
    © KOP 132 SPLAM
  • Nico im Motorboot auf dem Weg zum Untersuchungsgebiet
    © KOP 132 SPLAM
  • Ein Vogel – sagenhaft! Trotz Farbbild immer noch schwarz-weiß
    © KOP 132 SPLAM
  • Harry mit Gepäck vor dem Aufstieg zum Untersuchungsgebiet
    © KOP 132 SPLAM
  • Wir hatten Glück, diesen Stein wiederfinden zu können. Er muss wohl erst vor kurzem vom Schnee befreit worden sein
    © KOP 132 SPLAM
  • Eis vor dem Eis des Kronebreen Gletschers
    © KOP 132 SPLAM
  • Material, das wir bereits heute mit nach Corbel zurückbringen
    © KOP 132 SPLAM
  • Halbwegs schlechte Blues Brothers Imitatoren auf Tour. Falls man uns nicht wiedererkennen sollte, Nico ist links, ich rechts!
    © KOP 132 SPLAM

10.6.2021

Es schneit! Der schöne blaue Himmel von gestern ist verschwunden und heute Morgen empfängt uns ein kalter Wind und Schnee bzw. Graupel. Ein garstig Wetter fürwahr! Wir konnten das schlechte Wetter bereits um 2:30 Uhr sehen, als wir ins Bett gingen. Am westlichen Horizont war eine dicke schwarzgraue Wolkenbank zu sehen und der kalte Wind, der um ca. 19:00 Uhr begann, war der Vorbote der Schlechtwetterfront. Ich habe den Wecker auf kurz, vor 8:00 Uhr gestellt und dachte, dass ich Nico noch schlafen lasse und schon mal Frühstück mache. Zu meiner Überraschung ist er aber bereits wach und hat heißes Wasser gemacht. Ich mache mir einen Espresso in meiner kleinen achteckigen Maschine. Allerdings hat der verwendete Kaffee jetzt zwei Jahre offen im Schrank gestanden und ist kein wirkliches Geschmackserlebnis mehr. Aber die Nudelsuppe! Ein wahres Gedicht! Heute mit Rindfleischgeschmack! So steht es zumindest auf der Packung! Wir nutzen das schlechte Wetter um Bilder zu sichern, das Feldbuch zu komplettieren und andere Dinge zu erledigen. Auch wählen wir uns kurz in ein Meeting in Münster ein. Dort ist man durchaus überrascht! Mein rechter Daumen ist jetzt übrigens schön blau und geschwollen und ich kann ihn nicht wirklich gut bewegen. Aber das ist kein Drama und schmerzen tut er auch fast nicht mehr.

Nico hat die Toilette freigelegt, aber leider befindet sich ein großer Eisklotz darin, der bis zu Klobrille reicht und somit eine Nutzung momentan noch unmöglich macht. Wir müssen also kreativ werden oder die Trockentoilette benutzen. Das ist zwar viel komfortabler als sein Geschäft im Schnee oder dem schnell fließenden Bach zu erledigen. Am Ende muss der Plastiksack aber mit nach Ny Alesund transportiert und entsorgt werden. Wenn möglich, würden wir das gerne vermeiden.

Um 10:00 Uhr bessert sich das Wetter und ich kann den Morgenflug nach Ny Alesund hören. Es besteht also Hoffnung, dass wir wieder einen halbwegs vernünftigen Feldtag haben werden. Sogar die Sonne lässt sich jetzt blicken. Allerdings nur kurz. Gerade lange genug, um im Freien die Zähne geputzt zu bekommen und die Lösung des Toilettenproblems auszuprobieren. Zwei große Steine im Bach funktionieren sehr gut und die hohe Schneewehe bietet einen guten Windschutz. Die goldenen Wasserhähne werden hier durch einen schönen Ausblick ersetzt. Aber genug davon! Wir packen unsere Sachen und machen uns auf den Weg zum Boot. Die Sonne ist jetzt einem ausgewachsenen Schneegestöber gewichen und der starke Wind treibt den Schnee waagrecht über das Wasser. In unseren Überlebensanzügen merken wir die Kälte noch nicht. Im Verlaufe des Tages sollte sich das noch ändern. Die Wolken hängen tief und ein Schauer jagt den anderen, als wir die Anker lichten und zu unserem Untersuchungsgebiet fahren. Nicht ohne uns beim AWI Diensthabenden abzumelden. Die Prozedur ist so, dass man sich abmeldet wenn man ins Gelände geht und dabei mitteilt wohin man geht und wann man wieder kommt. Erreicht man sein Ziel gibt man wieder Bescheid, ebenso beim Verlassen des Untersuchungsgebietes und bei Ankunft an der Hütte. Man meldet sich entweder mit Funkgerät oder wie bei unserem Untersuchungsgebiet, das außerhalb der Funkreichweite liegt, mit dem Satellitentelefon. Alles gut durchdacht, um im Falle des Falles schnell Hilfe schicken zu können. Uns ist es nur recht und außerdem ist es cool mit Funkgerät und Satellitentelefon zu „spielen“.

Unsere Ankermanöver klappen hervorragend und mittlerweile sind wir ein eingespieltes Team beim Boot beladen, ablegen, anlegen und Boot entladen. Während ich das Boot noch vertäue, macht Nico schon die Waffen bereit. Dann werden die Wolken in just dem Moment weniger, dass wir eine partielle Sonnenfinsternis beobachten können. Nicht nur das Timing der Wolken ist perfekt, sondern auch die Wolkendichte die genau genügend Licht blockiert, so dass wir alles sehr gut beobachten können, wie die Sonne immer kleiner und dunkler wird. Ein grandioses Spektakel. Als mich Nico zuerst darauf aufmerksam macht, dachte ich zunächst an Halluzinationen. Tatsächlich konnte er den Beginn der Sonnenfinsternis mit seiner Sonnenbrille eher sehen als ich mit bloßem Auge. Natürlich „wussten“ wir ganz genau Bescheid über diese partielle Sonnenfinsternis. Zumindest offiziell würden wir nie etwas anderes zugeben! Nachdem wir die Sonnenfinsternis abgehakt haben und aus unseren Überlebensanzügen geklettert sind, liegen die knapp 70 Höhenmeter bis zum Untersuchungsgebiet vor uns. Das klingt nicht viel, ich weiß. Trotzdem sind wir jedes Mal geschafft, wenn wir mit unserem Gepäck dort ankommen. Vielleicht sage ich noch ein paar Worte zum Gepäck. Jeder von uns hat ein Gewehr und eine Signalpistole, einen Rucksack mit Klamotten, Batterien für die Geräte, eine 1 Liter Thermoskanne mit Tee, etwas zu essen, Erste Hilfe Material, Überlebensausrüstung und all das Material, das noch im Untersuchungsgebiet gebraucht wird-Nachmittags bin ich heute z.B. nochmals zu unseren Kisten am Strand gelaufen, nur um eine Schraube zu suchen, die ich letztlich doch nicht dort gefunden habe. Aber der Reihe nach!

Als wir heute Morgen an unserer Erosionsstruktur ankommen, ist die eine Steilwand mit Schnee ganz weiß und auch die rote Kiste ist mit angewehtem Schnee bedeckt. Durch die grimmige Kälte scheint es zu keiner größeren Aktivität gekommen zu sein. Obwohl das Gletschereis ja direkt an der Oberfläche exponiert ist, gibt es dort viel zu wenig Schmelzwasser, als dass darauf größere Mengen an Material abrutschen könnten. Ich denke, wir sind zu früh in der Saison dran. Trotzdem machen wir uns sofort an die Arbeit. Nico kümmert sich um das DGPS, während ich Referenzpunkte auslege. Insgesamt platziere ich 21 dieser Punkte gegen den Uhrzeigersinn um unsere Struktur herum. Dann versuche ich meine GoPro Kamera auf den Auslegerarm unserer 3 Meter hohen Stange zu befestigen. Zunächst fehlt mir eine Schraube. Nein, nicht die im Kopf, sondern zur Kamerabefestigung. Also etwas um sich aufzuwärmen. Der besagte, nicht erfolgreiche Trip zu den Kisten am Strand. Mit Panzertape bewaffnet komme ich zurück. Wenn es schon keine Schraube gibt, dann wird eben getaped. Durch scharfes Nachdenken und einem kleinen Umbau einer GoPro-Halterung klappt es dann doch noch ohne Tape. Improvisation wie bei Apollo 13 um die Mission zu retten – na gut, ich gebe es ja zu, eben nur fast. Die ganzen Arbeiten bei dieser Temperatur laufen gefühlt wie in Zeitlupe ab und das Arbeiten an kleinen Schräubchen mit dicken Handschuhen ist auch nicht leicht. So muss sich auch ein Astronaut fühlen, der an der Außenseite der ISS etwas reparieren muss. Damit beginnt aber bereits das nächste Problem, denn bei dem starken Wind ist es sehr schwierig die Stangenausleger so zu halten, dass die Kamera gute Bilder der Erosionsstruktur aufnehmen kann. Ich muss die Bilder erst noch auslesen, um zu sehen, ob alles geklappt hat. Die Temperatur, Bodenfechte- und Sonnenintesitätslogger funktionieren und liefern gute Daten. Das ist schon einmal sehr gut. Weniger gut ist, dass wir das DGPS nicht zum Laufen bringen. Nico probiert es fast den ganzen Tag und friert sich dabei fast den Allerwertesten ab. Er fängt zu zittern an, aber ein heißer Tee bringt die Lebensgeister schnell wieder zurück. Nachdem das DGPS nicht funktioniert, messe ich die Punkte zumindest schon mal mit meinem GPS ein. Besser als nichts. Wir beschließen das DGPS mit zur Hütte zu nehmen, auch wenn dies bedeutet, dass wir die zwei Koffer in denen das Gerät verpackt ist, vom Untersuchungsgebiet bis zum Boot und vom Boot bis Corbel schleppen müssen. Und morgen das Gleiche zurück. Man sieht schon, einer von uns ist mit den Koffern ausgelastet, während der andere mit weiterem Gepäck beladen wird. So schleppen wir viele Stunden am Tag irgendwelche Ausrüstung von A nach B. Ich kann nur sagen, in einem Viererteam ist man einfach um ein Vielfaches effektiver. Jungs, wir vermissen Euch!

Gegen 17:00 Uhr reicht es uns für heute. Die Sonne kam zwar nachmittags öfter hinter den Wolken hervor, aber es bleibt lausig kalt und der Wind saugt einem viel Energie aus dem Körper. Uns ist kalt und eine nasse Motorbootfahrt gegen die von Wind aufgeworfenen Wellen steht uns ja auch noch bevor. Auch war es gestern einfach zu spät und wir saßen bis weit nach Mitternacht, um unsere Dinge halbwegs erledigt zu bekommen. Die Motorbootfahrt wird in der Tat nass und ich bin erneut froh, dass wir Sabrina bekommen haben. Ein wirkliches Arbeitstier! Super! In Gedanken male ich mir aus bei den gut 1 m hohen Wellen im Schlauchboot mit 25 PS Maschinchen zu sitzen. Nasser, langsamer und unbequemer als unsere heutige Fahrt wäre es. Wir haben also keinen Grund zum Jammern. Den ganzen Tag haben sich Schneeschauer und Sonne abgewechselt und beim Anlegen bei Corbel entkommen wir nur knapp einem weiteren Schauer.

Um 19:00 Uhr zoome ich mit meiner Familie. Meine Tochter kann sich nichts unter einer Signalpistole vorstellen und so zeige ich sie ihr. Und mein Sohn will natürlich „mein“ Gewehr sehen. Als ich ihnen beide Waffen zeige, sind sie einerseits beeindruckt aber andererseits auch etwas verunsichert. Ist ja auch kein Wunder!

Zum Essen mache ich heute Reis mit Thunfisch, Kokosnuss-Milch und Curry. Und hinterher kriege ich noch einen schönen heißen und starken Espresso. Nico schmeckt mein Essen und er fragt sogar nach dem Rezept, das es nicht gibt, weil alles in der Sekunde des Kochens in einem Kopf entstanden ist. Andreas, Du fehlst uns! Nun ist es doch schon wieder Mitternacht geworden. Nico arbeitet noch am DGPS nachdem er sich um den Abwasch gekümmert hat und ich sollte noch Bilder und Movies kopieren und meinen Vortrag für Sonntag vorbereiten. Die Chancen, dass ich das jetzt noch mache sind eher schlecht. Genug ist genug und ich höre meine Matratze nach mir schreien!

Photos

Unsere ersten Daten über die Temperatur und Bodenfeuchte sowie Sonneneinstrahlung
Unsere ersten Daten über die Temperatur und Bodenfeuchte sowie Sonneneinstrahlung
© KOP 132 SPLAM
  • Nico beim Umziehen im Schneegestöber
    © KOP 132 SPLAM
  • Die Tyske Hytta. Mit der Holzplatte an der Seitenwand wurde ein Loch repariert, das vor ein paar Jahren durch einen Eisbären verursacht wurde
    © KOP 132 SPLAM
  • Die heutige partielle Sonnenfinsternis durch dichte Wolken beobachtet
    © KOP 132 SPLAM
  • Unsere Erosionsstruktur
    © KOP 132 SPLAM
  • Die Instrumentenanordnung. Im Vordergrund sieht man die Stelle wo die Logger vergraben wurden, die Aufzeichnungsbox für die Loggerdaten und den Steinmann, auf dem eine Kamera montiert ist
    © KOP 132 SPLAM
  • Die eisverkrustete rote Box
    © KOP 132 SPLAM
  • Sabrina vor der gigantischen Kulisse des Kongsfjorden
    © KOP 132 SPLAM
  • Ohne Worte
    © KOP 132 SPLAM
  • Ein besonders zackiger Eisberg
    © KOP 132 SPLAM
  • Die Sonne scheint auf den Kongsvegen Gletscher
    © KOP 132 SPLAM

9.6.2021

Der zweite Tag mit fantastischem Sonnenschein, milden Temperaturen und Windstille. Genau das richtige Wetter für den ersten Feldtag. Das muss man sich einmal vorstellen, wir sind jetzt 13 Tage unterwegs und kommen heute zum ersten Mal in unserem Gelände an. Im Vergleich zu den Vorjahren, bricht das alle Negativ-Rekorde. Hatten wir uns damals über 1-2 Tage Verzögerungen beklagt, wären sie dieses Jahr nicht mal einen Kommentar wert gewesen. Jedenfalls klingelt der Wecker heute wieder um 7:00 Uhr. Nicos spielt eine Violinenfuge von Pachelbel, bei mir schreit Grönemeyer. Zusammen ergibt das eine sehr bizarre Mischung, die einen schlagartig wach werden und den Raum Richtung Dusche verlassen lässt. Danach gibt es erst einmal ein schönes Frühstück. Dabei komme ich mit zwei Leuten ins Gespräch, die durch ganz Norwegen reisen um Schotter-Landebahnen zu begutachten und zu zertifizieren. Ich frage mich, wie man auf so einen Job kommt? Das sagt ausgerechnet ein Planetologe. Aber wir sind natürlich heute nicht zum Ratschen hier, sondern wollen endlich los. Erster Schritt dazu ist es, unsere Wäsche aus dem Trockenraum zu holen. Alles wurde trocken aber meine T-Shirts gleichen Brettern, als ich sie von der Trockenstange nehme. Die letzten Kleinigkeiten im Zimmer sind schnell gepackt. Jetzt brauchen wir die AWI Leute, um uns zu helfen. Und sie sind wie immer zur Stelle. Fantastisch! Große wasserdichte Säcke zum Verpacken unserer Rucksäcke leihen wir uns von Lucas uns Yohann aus. Dazu Schneeschuhe und Pulkas. Gewehre, Signalpistole, Satellitentelefon und Emergency Beacon bekommen wir von Greg. Die Liste an Dingen scheint unendlich zu sein. Aber, es wird sich sehr schnell herausstellen, dass der Rat der AWI Truppe, Schneeschuhe und Pulkas mitzunehmen, Gold wert war. Zusätzlich zu diesem Gepäck werden wir noch mit 60 Liter Trinkwasser in zwei blauen Tonnen versorgt. Und schließlich brauchen wir auch noch unsere Überlebensanzüge, ohne die ein Fahren mit dem Motorboot viel zu gefährlich wäre. Und dann sind da noch die großen Boxen, die wir aus Deutschland verschiffen ließen. Die sind voll mit Georadar, DGPS, und anderen Dingen, wie z.B. Essen. All das muss bewegt werden und Yohann meint nur „A lot of equipment!“ Ich muss ihm leider Recht geben und würde selbst lieber mit der Hälfte der Ausrüstung unterwegs sein. Dieses Jahr kommen zwei Faktoren zusammen. Erstens haben wir das Georadar dabei und zweitens die Extraausrüstung für die frühe Saison. Als wir „Emily“, den großen blauen Bus beladen haben, bleibt nicht mehr viel Platz – er ist bis fast unters Dach voll. Wir beladen „Sabrina“ und eines der AWI Aluboote, was uns einige Zeit kostet. Yohann erklärt mir die Handhabung von „Sabrina“, die mit einem aufholbaren 100 PS Außenbordmotor ausgestattet ist. Da ist es schon besser, wenn man weiß was man tut. Ein Dreh am Schlüssel, und der Motor meldet sich mit einem fetten Blubbern. Musik! Nico fährt mit Lucas auf dem Aluboot, während mir Yohann über die Schulter schaut, wie ich ablege. Dann geht es im Tiefflug zur Landestelle der Corbelhütte, die ich blind finde. Lucas erklärt Nico das Ankern. Bei Yohann und mir klappt es erst im zweiten Versuch weil wir uns zunächst mit der Länge des Seils am Heckanker verschätzen. Dann läuft aber alles wie am Schnürchen und wir liegen nahe am Ufer. Ein gehöriger Teil unsrer Ausrüstung muss nun zu Corbel geschafft werden. Die ersten 100 Meter können wir noch mit der Sackkarre unser Zeug transportieren, aber dann wird der Schnee so tief, dass wir alles auf die Pulkas umladen müssen. Zunächst geht es mit normalen Schuhen weiter, bis ich durch die Schneedecke breche. Beim Abstützen verletze ich mich am Daumen und er tut mir den ganzen restlichen Tag weh. Aber die neuen Stiefel machen sich hier erneut extrem nützlich. Obwohl ich ziemlich tief im Wasser stehe, bleibe ich vollständig trocken. Mit meinen anderen Schuhen wäre hier schon wieder Drama gewesen. Auch Nico bricht durch und seine Hose wird gut nass. Auch ihn bewahren die Stiefel vor Schlimmerem. Nun ist es also Zeit, die Schneeschuhe anzuziehen. Ein völlig neues Gehgefühl aber es funktioniert bestens. Nach viel Schlepperei und Pulka ziehen, kommen wir endlich bei Corbel an. Dort wo vor der Hütte üblicherweise freie Fläche ist, liegt mindestens 1,5 Meter Schnee. Das Toilettenhaus ist völlig zugeschneit und eine genauere Inspektion zeigt, dass das Wasser gerade noch so unter dem Häuschen durchfließen kann. Ich habe den kleinen Bach noch nie so hoch gesehen. Wollen wir es nutzen, wird einige Schaufelarbeit auf uns zu kommen. Lucas und Yohann klären uns über die letzten Änderungen bei Corbel auf und erklären uns auch, wie wir den Holzofen bedienen sollen. Dazu sitzen wir am Tisch und trinken den ersten Hüttentee in dieser Saison. Die beiden wollen noch einige Dinge reparieren und Nico und ich holen noch die restliche Ausrüstung vom Strand. Dann ist es auch schon Zeit für das Mittagessen. Ich kredenze Fischkonserven, Brot, Schokolade, Tee und … Na was wohl? Natürlich, die erste Nudelsuppe! Als erfahrener Nudelsuppenconnoisseur schnappe ich mir die Entengeschmacksrichtung. Nico wählt Schrimp. Eine kurze Einführung in den korrekten Gebrauch der Nudelsuppen und schon dampft es in allen Schüsseln. Lucas und Yohann essen natürlich auch mit und wir unterhalten uns bestens.

Gegen 14:00 Uhr brechen wir auf zur Lateralmoräne des Kongsvegen Gletschers, die wir seit Jahren untersuchen. Sabrina ist noch immer schwer beladen, aber wir sind trotzdem in null Komma nichts an unserer üblichen Landestelle. Wir halten ein paar Minuten nach Eisbären Ausschau, dann gehen wir an Land. Dank dem Ankertraining funktioniert alles sehr gut und wir können anfangen unsere Kisten zu entladen. Uns wird schnell klar, dass wir in diesem Gelände die Georadar-Kiste nicht weit bewegen können. Wir machen einen ersten Erkundungsgang, um eine aktive Erosionskante zu finden. Um diese Jahreszeit herrscht noch wenig Aktivität, obwohl der Boden durch die Schneeschmelze vielfach wassergetränkt ist. Es ist gar nicht leicht, eine entsprechende Stelle zu finden und das, obwohl wir einige Zeit darauf verwenden. Letzten Endes wählen wir eine Stelle mit sehr steiler Hangneigung an einem der größeren Hügel. Wir sehen eine blanke Eisfläche und hoffen, dass wir dort gut die Erosion beobachten können. Einmal entschieden, fangen wir an zu arbeiten. Nico holt die rote Box mit den Messgeräten und ich baue inzwischen einen Steinmann. Beides ist harte Arbeit aber letztlich haben wir die Wildkamera ausgerichtet und auf dem Steinmann festgezurrt. Nun wollen wir die neuen Datenlogger installieren. Ich habe dieses Jahr in zwei Temperaturfühler, zwei Bodenfeuchtefühler und einen Beleuchtungsintensitätsfühler investiert. Die Idee ist, dass wir jeweils einen Temperatur- und Bodenfeuchtefühler in zwei unterschiedlichen Tiefen vergraben wollen. Das ist leichter gesagt als getan und zunächst scheitern alle unsere Versuche. Ich gehe also nochmals zum Boot und hole einen schweren Vorschlaghammer und Eisenstangen. Nach einigen Mühen gelingt es uns dann doch, die Messfühler in 65 cm und 35 cm zu platzieren. Mehr schaffen wir heute nicht mehr, denn es ist schon fast 20:00 Uhr, als wir wieder am Boot sind. Jetzt aber Vollgas! Sabrina bringt uns in Windeseile zur Corbelstation zurück. Nicht allerdings bevor wir noch ein paar Eisberge aus der Nähe fotografiert haben. Also, wieder Schneeschuhe an, Gepäck in die Pulka und dann zu Corbel hochtrotten. Als wir dort ankommen, sind wir beide geschafft. Nico isst gleich eine Fischbüchse und ich kümmere mich ums Essen. Es gibt Nudeln mit Tomaten/Fleischsauce. Nichts Besonderes, aber es macht satt. Mal schauen, wie wir das Essen überleben, schließlich sind einige unserer Lebensmittel seit September 2020 abgelaufen. Beim Essen sind wir sehr schweigsam – jeder ist mit der Nahrungsaufnahme so beschäftigt, dass keine Zeit zum Reden bleibt. Nico übernimmt den Abwasch und schmilzt dazu Schnee, um unsere Trinkwasserreserven zu schonen. Perfekte Arbeitsteilung, fast wie bei einem alten Ehepaar!

Wir haben heute zweifellos viel geschafft. Gleichzeitig muss man aber feststellen, dass zwei Personen einfach nicht diese Unmengen an Ausrüstung schleppen können. Bei vier Leuten kann jeder einen Teil der Ausrüstung tragen und selbst dann waren wir schon immer froh, alles auf dem Untersuchungshügel gehabt zu haben. Zu zweit hat man da keine Chance. Wir haben zwar unwahrscheinliches Glück, dass die Schneesituation an der Lateralmoräne so ist, dass man mit den Stiefeln gut zu Recht kommt, aber das macht den Hang nicht weniger steil, die Ausrüstung nicht weniger und nicht weniger schwer. Um den heutigen Tag mit einem positiven Resümee enden zu lassen, muss natürlich das super Wetter und die dadurch umso atemberaubendere Landschaft erwähnt werden. Es war heute einzigartig schön und spektakulär. Allein der Blick auf die Berge und Gletscher war für mich alle Strapazen wert. Einfach nur gigantisch!

So, es ist jetzt 11:46 Uhr und die Toilette muss noch immer freigeschaufelt werden. Also, auf geht’s! Nach ein paar Minuten muss ich aufgeben, denn vor der Tür befindet sich eine massive Eisplatte und der angetaute Schnee gefriert gerade wieder. Draußen weht jetzt ein sehr kalter und steifer Wind, der durch Mark und Bein geht. Aber das Licht ist fantastisch zum Fotografieren.

Photos

Inspektion der Toilette der Corbelhütte. Leider hat sich später herausgestellt, dass sie unbrauchbar ist
Inspektion der Toilette der Corbelhütte. Leider hat sich später herausgestellt, dass sie unbrauchbar ist
© KOP 132 SPLAM
  • Sabrina ist schwer beladen mit unserer Ausrüstung
    © KOP 132 SPLAM
  • Ein windstiller Tag in der Arktis hat seine eigenen Reize
    © KOP 132 SPLAM
  • Harry mit Schneeschuhen und Pulka auf dem Weg zu Corbel
    © KOP 132 SPLAM
  • Rentiere, die sich von uns nicht stören lassen
    © KOP 132 SPLAM
  • Zwei Jahre musste ich warten. Heute gab es die erste Nudelsuppe
    © KOP 132 SPLAM
  • Der Kongsvegen Gletscher ist in den letzten zwei Jahren erneut zurückgegangen
    © KOP 132 SPLAM
  • Der Gletscherrückgang zeigt sich auch am Zusammenfluss von Kronebreen und Kongsvegen Gletscher
    © KOP 132 SPLAM
  • Die Tre Kroner im schönsten Sonnenschein
    © KOP 132 SPLAM
  • Cap Mitra grüßt aus der Ferne
    © KOP 132 SPLAM
  • Unsere „Mondlandschaft“, die aus altem Gletschereis und dem Schutte der Lateralmoräne des Kongsvegen Gletschers besteht
    © KOP 132 SPLAM
  • Ein Eisberg darf an einem so schönen Tag nicht fehlen
    © KOP 132 SPLAM

8.6.2021

Bochum! Nein, nicht jetzt um 6:15 Uhr! Eigentlich hätte uns Nicos Wecker um 7:00 Uhr wecken sollen. Leider habe ich vergessen, meinen auszuschalten, so dass wir zu dieser unchristlichen Zeit geweckt werden. Ich war heute Morgen erst um 2:30 Uhr fertig mit Blog schreiben und drehe mich nochmal für 45 Minuten in meinem Bett um. Nico ist offensichtlich auch noch müde, denn auf der nach oben offenen Schnarchskala erreicht er heute 2,5. Nach einer warmen Dusche sitzen wir pünktlich beim Frühstück in der neu gestalteten Mensa. Für Nico soll der Schießkurs um 8:00 Uhr beginnen. Ich sollte mich dann eigentlich mit Greg treffen aber er ist vermutlich noch mit anderen Dingen beschäftigt. Die Polarstern, das AWI Forschungsschiff ist in der Nähe und heute Morgen gehen mehrere Hubschrauber mit Nachschub dorthin. Da sind die Kisten unserer Miniexpedition erst einmal nur zweitrangig – ich kann es verstehen. Ich gebe mittlerweile den Zettel mit unsrer Essensbestellung ab: 3 Brote und 1 kg Zwiebeln. Die Köchin schaut mich nur etwas verwirrt an. Ich sage ihr, dass es für verrückte Deutsche ganz normal sei im Gelände für mehrere Tage nur Brot und Zwiebeln zu essen. Dann kläre ich sie natürlich auf, dass wir jede Menge Essen verschifft haben und nur ein paar zusätzliche Dinge brauchen. Wir lachen beide herzlich und ihre Welt ist wieder in Ordnung. Neu ist, dass wir nun auch den vollen Kings Bay Tagessatz bezahlen müssen, auch wenn wir im Gelände sind und weder in die Kantine gehen können noch ein Zimmer in Anspruch nehmen. Das macht alles um ein Vielfaches teurer, da der Tagessatz so bei ca. 80-90 Euro pro Tag und Person beträgt. Anschließend treffe ich mich mit dem gesamten AWI-Team, um die Planung durchzusprechen. Alles super nette Leute und wir kommen schnell überein was Motorboot und andere Logistik anbelangt. Wir werden morgen nach Corbel fahren und die Tage bis Samstag dort verbringen. Samstagabend wollen wir wieder in Ny Alesund sein, um in die Bar zu können. Alle lachen, als ich sage, dass ich ja nicht das erste Mal in Ny Alesund bin und die Öffnungszeit der Bar natürlich in meinem Masterplan mitberücksichtigt habe. Der Sonntag steht dann zum Umpacken zur Verfügung bevor wir uns am Montag nach Kvadehuksletta bringen lassen, von wo wir am 18.6. zurückkommen werden. Wir haben dann noch den 19.6. um unsere Datenlogger, die wir während der ersten Woche an unserer Lateralmoräne des Kronebreen Gletschers vergraben haben, zu holen und um die gesamte Ausrüstung zollfertig zu packen. Unser Rückflug nach Longyearbyen ist dann für den 20.6. geplant.

Es folgt ein kurzes Zoom Meeting mit Carolyn, die noch ein paar Bürofragen abklären will und ich brauche eine Kopie meines Bootführerscheins. Nebenbei mache ich Sicherungskopien der Bilder, die wir bisher aufgenommen haben und vervollständige mein Feldbuch. Die Ausrüstungsboxen sollen wir bekommen, nachdem die Niederländer logistisch versorgt wurden. Super, das klappt wie am Schnürchen! Da das AWI Team gerade wechselt, sind quasi zwei Teams vor Ort, die uns unterstützen können. Das ist natürlich voller Luxus. Trotzdem habe ich in meinem Plan wie immer versucht, die Wochenenden für das Team freizuhalten.

Soeben habe ich unsere Kisten in Empfang genommen und geholfen, Benzin für die Boote an das Dock zu schaffen. Vermutlich bekommen wir Sabrina, was natürlich absolut fantastisch wäre. AWIPEV hat auch ein neues knallrotes Hartschalenboot, das die niederländischen Ornitologen zu den Inseln im Fjord bringen wird. Perfekt. Morgen früh werde ich auf dem Weg zu Corbel entweder von Yohann oder Lukas in den Umgang eingeführt werden. Das ist mir immer wichtig, da man doch viel vergisst, was einem Probleme bereiten könnte. Kisten umpacken werde ich vor dem Mittagessen nicht mehrschaffen, denn um 12:10 Uhr sollte ich mich am Futternapf einfinden. Greg und Bettina haben eben gefragt, ob ich am 13.6. einen Vortrag über unsere Arbeiten halten könnte. Das muss ich noch organisieren und ich hoffe, ich habe genügend Material hier auf meinem Computer. Die Arbeit geht also nicht aus und die Zeit verfliegt schneller als mir lieb ist. Gerade bin ich im Bienenstock-Modus. Alles brummt!

Beim Essen treffe ich Nico, der bei seinem Schießtraining wohl alle Pappbären in die ewigen Jagdgründe geschickt hat und deshalb sein Zertifikat bekommen wird. Im Vaskerilab inspizieren wir unsere Boxen und holen alle Batterien und Ladestationen heraus, die wir finden können. Die Batterien des differentiellen GPS und des Georadars wollen mit frischem Strom versorgt werden. Ein Blick in unsere zwei Fressboxen zeigt, dass viele der Lebensmittel im September 2020 abgelaufen sind. Dazu gehören Müsliriegel, Tomatensauce, Kondensmilch und andere Feinschmeckerzutaten. Das Dosenfleisch ist noch bis Ende 2022 haltbar und würde ungeöffnet vermutlich auch den nächsten Atomkrieg oder Meteoriteneinschlag ohne Qualitätsverlust überstehen. Die Schokolade wird umgehend getestet und schmeckt hervorragend. Da gibt es schon einmal überhaupt keine Probleme.

Mein Schießkurs verlief gut und ich habe 34 von 40 möglichen Ringen getroffen. Gut genug! Auch mit der Signalpistole üben wir, wobei es dabei ja nur darauf ankommt, dass der Knallkörper vor dem imaginären Bären landet. Die neuen Stiefel haben sich heute bereits sehr gut bewährt, denn auf dem Weg zum und vom Schießstand müssen wir teilweise durch kniehohen nassen Schnee stapfen. Immer wieder brechen wir ein und es ist kein Vergnügen. Ein Vorgeschmack auf das, was uns in den nächsten zwei Tagen erwarten wird. Wir werden definitiv Gregs Rat annehmen und Schneeschuhe mitnehmen. Gegen vier Uhr ist alles erledigt und nach einer Tasse Kaffee gehen wir durch unsere Fresskisten, um zu sehen, was wir alles brauchen. Wir haben die Kisten ja schon in Münster für die jeweilige Woche gepackt, so dass wir nur die Gewürze in die Schachtel umpacken müssen, die Morgen mit zu Corbel gehen soll. Auch lassen wir ein paar Dinge hier, wie z.B. die Kondensmilch, die für Andreas Kaffee gedacht war. Nico händigt mir auch ein Paket Espressokaffee aus, mit den Worten, dass das vielleicht für mich von Interesse sein könnte. Ist es! Ein eh schon guter Tag wurde soeben besser.

Die Kantine bietet heute eine gegrillte Hähnchenkeule mit Reis und einen interessanten Obstkuchen. Mit vollem Bauch schleppen sich Nico und ich zu den Waschmaschinen, um unsere dreckige Wäsche wieder einsatzfähig zu bekommen. Die guten Maschinen aus Gütersloh, machen für uns in 43 Minuten alles wieder schick und der Trockenraum direkt daneben wird seinem Namen Ehre machen. Gefühlt herrschen darin subtropische Temperaturen. Nach dieser extrem nervenzerfetzenden und harten Arbeit kollabiert Nico auf seinem Bett. Die Augen werden bei ihm immer kleiner…

Nachdem wir heute mit den Waffen geschossen haben, müssen wir sie wieder reinigen. Treffpunkt dafür ist 18:30 Uhr. Greg gibt uns noch einmal eine Einführung in die Waffenhandhabung, die sich in einigen Details von derjenigen von Kings Bay unterscheidet. Das ist sehr hilfreich und hilft einem mit den Waffen vertrauter und sicherer zu werden. Auch für die Reinigungsprozedur gibt es jetzt laminierte Beschreibungen, die sehr gut und klar formuliert bzw. bebildert sind. Wirklich eine große Verbesserung gegenüber den Vorjahren. Sobald wir mit unserem Waffentraining bzw. reinigen fertig sind, zoome ich mit Carolyn und den Kindern. Dann muss noch die Wäsche zum Trocknen aufgehängt, der Ladezustand der Akkus gecheckt und unsere Rucksäcke gepackt werden. Die Arbeit nimmt kein Ende! Aber wir wollen es ja auch nicht anders!

Heute war übrigens ein komplett windstiller Tag, was eher selten hier vorkommt. Der Fjord liegt bleiern vor uns. Die Wolken hüllen die Berggipfel ein und haben eine Unterkante wie mit dem Messer geschnitten. Die Welt besteht heute nur aus Grautönen und könnte nicht schöner sein. Nico und ich sitzen noch bis Mitternacht in der Kantine, schauen zwei Rentieren beim Fressen zu und schweigen uns minutenlang an. Jeder genießt die Stille, denn außer uns befindet sich niemand sonst in der Kantine. Einfach mal Mund zu und schauen. Nico findet das sehr entschleunigend. Kurz vor Augen zu kommt noch etwas die Sonne durch und die Spitze des Zeppelinfjellet wird sichtbar. Herrlich!

Photos

Der Luftschiffmast in der noch immer verschneiten Landschaft
Der Luftschiffmast in der noch immer verschneiten Landschaft
© KOP 132 SPLAM
  • Die Kantine hinter einer Schneewehe. Die Perspektive täuscht leicht…
    © KOP 132 SPLAM
  • Nico beim Umpacken der Boxen
    © KOP 132 SPLAM
  • Nico um 13:45 Uhr
    © KOP 132 SPLAM
  • Nico um 19:30 Uhr
    © KOP 132 SPLAM
  • Das Ergebnis meiner Schießkünste kann sich glaube ich sehen lassen
    © KOP 132 SPLAM
  • Der Schießstand
    © KOP 132 SPLAM
  • Auf dem Weg zurück vom Schießstand kriegen wir einen Eindruck davon, dass die Fortbewegung im Gelände dieses Jahr schwierig und langsam werden wird
    © KOP 132 SPLAM
  • Viel Schnee in einem kleinen Tal in der Nähe von Ny Alesund
    © KOP 132 SPLAM

7.6.2021

Nico hat seine erste Nacht nördlich des Polarkreises schnarchend verbracht. Auf einer Skala von 1 bis 10 ist er aber bestenfalls bei 1,5 wenn man Ernst und Andreas auf 10 setzt. Alles gut, also. Trotzdem habe ich nicht gut geschlafen. Zuerst gingen mir noch viele Dinge durch den Kopf, dann war es mir, wie üblich hier, viel zu heiß und schließlich wurde ich durch Geräusche auf dem Gang wachgehalten. Um 6:15 Uhr kommt auch Nico in den Genuss meiner Wecker-Ruhrpotthymne. Allerdings kommt der Wecker ein paar Minuten zu spät, denn wir sind bereits wach. Nach erfolgreicher Aufhübschungsaktion gehe ich erneut auf die Jagd nach dem Internet. Leider ohne Erfolg. Umso frustrierender ist es, dass unsere Handys sich zum lokalen Server verbinden können, mein Tablett aber daran scheitert. Die Rucksäcke sind schnell gepackt und so können wir um 7:00 Uhr zum Frühstücken gehen. Es gibt keine Selbstbedienung mehr am Buffet, dafür bekommt man seine Sachen mit einem freundlichen Lächeln serviert. Die Rühreier mit Speck sind eine willkommene Abwechslung zum täglichen Einerlei-Frühstück in Oslo. Das Frühstück gibt es heute im wild dekorierten Glas-Pavillon, dessen Zimmertemperatur, wie überall in Longyearbyen, sehr warm ist. Gestern im Kroa Restaurant und im Café war es ähnlich und ich kann es nur im T-Shirt aushalten. Gefühlt sind es immer mindestens 30 °C, aber das ist vielleicht maßlos übertrieben. Zumindest wachsen tropische Pflanzen im Glas-Pavillon. Das Taxi ist überpünktlich und so sind wir schon um kurz nach 7:30 Uhr bei Lufttransport. Und nein, es ist kein Uber-Taxi! Es ist heute relativ mild, wolkenverhangen und es nieselt etwas. Da ist es umso besser, dass nur wenige Sekunden nachdem wir ankamen auch der erste Angestellte von Lufttransport auftaucht und uns in den neu gestalteten Warteraum lässt. Alle Svalbard Posten und sonstige Magazine sind verschwunden. Alles sehr steril jetzt! Alle Mitarbeiter, die sich im Aufenthaltsraum ihren Kaffee holen, drei um genau zu sein, stellen fest dass wir sehr früh dran sind. Stimmt auch. Aber hier haben wir wieder stabiles Internet und ich kann endlich den Blog und die dazu gehörigen Bilder absetzen. Auch kann ich für Carolyn noch einen Text übersetzen. Die Zeit wird also gut genutzt, während unser Flugzeug startklar gemacht wird. Heute machen wir also unseren letzten Schritt und nach einem kurzen Flug werden wir nach langer Odyssee endlich in Ny Alesund ankommen. Kaum habe ich diese Zeilen getippt, informiert man uns, dass das Wetter in Ny Alesund „terrible“ sei und man erst abwarten muss, ob wir dorthin fliegen können. Den ganzen Morgen hat sich das Wetter dort sehr schnell geändert und da wir noch einige Zeit haben, geben wir die Hoffnung natürlich jetzt noch nicht auf, speziell da wir einen hellblauen Streifen am Himmel in Richtung Ny Alesund sehen können. Für mich als klassischen Nicht-Meteorologen sieht das Wetter eigentlich ganz passabel aus. Obwohl es jetzt fast schon 8:00 Uhr ist und unser Flug eigentlich um 9:30 Uhr abgehen sollte, fliegt das Flugzeug erst einmal nach Svea. Wir warten. Und zumindest ich trinke mal wieder Kaffee.

Was wäre Spitzbergen ohne Überraschungen? Um ca. 10:00 Uhr werden wir informiert, das es in Ny Alesund ein Problem mit einem verletzten Feuerwehrmann gibt und man deshalb nicht fliegen kann. Ob es am Nachmittag klappen wird, steht in den Sternen. Wir sollen unsere Handynummern hinterlassen, damit wir informiert werden können. Nachdem wir brav den Anweisungen gefolgt sind, rufe ich uns ein Taxi, um nach Longyearbyen zurück zu kommen. Wir lassen uns bei den Svalbardbutikken absetzen und schauen uns den neuen Supermarkt an. Es ist der erste Supermarkt den ich betrete, in dem noch gebaut wird. In der Luft hängt der Geruch von verbranntem Metall und in einer Ecke wird kräftig gehämmert. Kaufen tun wir nichts, wir haben ja hoffentlich alles. Unser nächster Weg führt uns über die „Hauptstraße“ in das Lompen Einkaufszentrum. Dort kaufen wir wie jeder brave Tourist ein paar Postkarten und ein paar Souvenirs. Während Nico T-Shirts aussucht, inspiziere ich den nächsten Outdoor Laden. In unserem Stammcafé machen wir uns an das Schreiben der Postkarten und der Organisation von ein paar Dingen im Büro. Auch sprechen wir durch, was wir alles im Feld erreichen wollen und wie wir es am besten angehen können. Plötzlich klingelt das Telefon und Andreas meint, wir sollen den Stationleader kontaktieren, der mich im gleichen Augenblick anruft. Ich würge Andreas ab, um zu hören, dass unser Flug endgültig gestrichen wurde. Ersatz weise sollen wir um 15:00 Uhr am „Turist Dock“ sein, wo uns ein Boot aufnehmen soll. Ankunftszeit in Ny Alesund wird gegen 20:00 Uhr sein. Das ist eine lange Strecke und ich wundere mich, welches Boot das in der kurzen Zeit schaffen kann. Vor ein paar Jahren sind wir mit einem Hurtigruten Boot aus Ny Alesund zurückgekommen und das hat die ganze Nacht gedauert. Ich bin sehr gespannt auf das Ding! Da es sowieso gerade Mittagszeit ist, essen wir gleich noch ein Sandwich in dem Café bevor wir unsere Postkarten bei der Post abgeben. Erster Klasse Service. Wir können zwischen mehreren Briefmarken mit Eisbären aussuchen und kriegen auch einen extra Eisbärenstempel auf die Karten. Die Kinder wird es freuen! Durch einen weiteren Outdoor Laden führt uns unser Weg zu Mary-Ann’s Polarrigg, wo wir unseren privaten Taxifahrer erneut treffen, damit er uns zum Flughafen bringen kann. Unser gesamtes Gepäck steht ja noch dort und wir müssen es bis 15:00 zum Bootsanleger gebracht haben. Mit dem Taxifahrer vereinbaren wir, dass er uns um 14:15 Uhr wieder abholen wird. Wir müssen also ca. 90 Minuten warten. Wir warten also schon wieder! Ich glaube es war Karl Valentin, der berühmte Münchner Komiker, der gesagt hat „Zuerst warte ich ganz langsam, dann immer schneller“. Die Geschwindigkeit eines Formel-1 Rennautos haben wir in den letzten Tagen mittlerweile erreicht. Die Dame von Lufttransport ist sehr freundlich und lässt uns in deren Aufenthaltsraum warten. Das ist natürlich auf dem weichen, blauen Sofa viel angenehmer als auf den unbequemen Stühlen in der eigentlichen Ankunftshalle des Flughafens. Außerdem habe ich Zugang zur Kaffee-Maschine! Nico nutzt die Zeit für ein kleines Nickerchen. So kriegt jeder was er will.

Das Taxi bringt uns pünktlich zum Boot. Ein absolutes Hammerding mit einer Kabine für 12 Personen und einem Achterdeck. 1100 PS, 2 x 800 Liter Dieseltanks, Spitzengeschwindigkeit so um die 30 Knoten, also knapp 50 km/h. Am Anfang gibt es eine Sicherheitsbelehrung bei der unter anderem bekannt gegeben wird, dass die Fahrt für Schwangere und Leute mit Rückenproblemen nichts ist. Die Einführung hört sich fast wie vor einem Saturn V Start an und zum Schluss muss jeder unterschreiben, dass er auf eigenes Risiko mitfährt. Jeder Passagier hat fast eine Art Schalensitz und die zwei Besatzungsmitglieder haben gefederte Sitze mit Anschnallgurten. Eine Toilette gibt es auch. Gebaut wurde das Teil in Nordirland, wo es auch zur Seenotrettung eingesetzt wird. In Spitzbergen werden damit Abenteuertouren für Touristen angeboten. Die Motoren blubbern schön zufrieden vor sich hin und mittels eines Bugstrahlruders legen wir ganz sachte und elegant von der Pier ab. Kaum aus dem Hafen, geht es ans Eingemachte. Der Gashebel wird nach vorne gedrückt und das Blubbern verwandelt sich in ein Heulen und in null Komma nichts fliegen wir mit 23-24 Knoten über den Isfjorden. Affenstark! This is not the slow boat to China! Der Kartenplotter zeigt, dass die Fahrtstrecke mittels Wegpunkten bereits vorprogrammiert wurde und der Bootsführer somit nicht selbständig steuern muss. An jedem Wegpunkt angekommen, ertönt ein kurzer Piep Ton bevor das Schiff völlig selbständig eine Kursänderung durchführt. Die Bootsführer spielen auf ihren Handys oder sind mit dem Trinken von Energydrinks beschäftigt. Würde ich das Ding fahren dürfen, wäre mein Adrenalinspiegel so hoch, dass ich die Zucker/Koffein-Plörre sicher nicht brauchen würde. Je nach Kurs schneiden wir die Wellen in unterschiedlichen Winkeln, was sich sofort auf das Fahrverhalten auswirkt. Mal ist es fast ruhig und mal ist es doch halbwegs rau. Durch den Autopiloten wird das Boot aber sehr gut durch die Wellen gesteuert, was für eine angenehmere Fahrt sorgt als jede manuelle Steuerung. Unser Weg führt uns heute innerhalb des Prinz Karls Forland an der Westküste Spitzbergens durch den Forlandsundet in Richtung Ny Alesund. Berechnete Fahrzeit sind ca. 4,5 Stunden und laut GPS sollten wir um 19:36 Uhr an unserem Ziel ankommen. Leider ist das Wetter so schlecht, dass die Wolken praktisch auf dem Ozean liegen und die meiste Zeit bewegen wir uns mehr oder weniger im Blindflug. Nur der Kartenplotter weiß, wo wir gerade genau sind. Das ist sehr schade, da wir ja eigentlich direkt an der Daertenhütte und Kjaersvikahütte vorbei fahren. Selbst die ganze Kvadehuksletta-Halbinsel ist nur zu erahnen. An einer Stelle bei Sarstangen wird es sehr seicht und wir kommen auch ausgerechnet zu dem Zeitpunkt dort an, als Ebbe herrscht. Der Bootsführer nimmt dort Gas weg und steuert für ein paar Minuten per Hand bis wir über die Untiefe hinweg sind. Während der Fahrt sehen wir auch drei Walrösser, die mit ihrem massiven Kopf und den langen weißen Stoßzähnen doch deutlich zwischen den Wellen auffallen. Ich habe diese Tiere noch nie in freier Wildbahn gesehen und ich bin schwer beeindruckt. Auch wenn ich sie nur kurz gesehen habe und durch das Gewackel nicht fotografieren konnte. Zudem war die Scheibe mit Spritzwasser bedeckt, so dass der Autofokus meist auf die Tropfen fokussierte. Wir laufen pünktlich, wie berechnet, in Ny Alesund ein, wo schon die Gruppe wartet, die gleich wieder mit nach Longyearbyen zurück fährt. Das Anlegemanöver mit dem großen Schiff wird perfekt und ganz sanft ausgeführt. Respekt! Die zwei Tankanzeigen der zwei Motoren zeigen an, dass wir auf der Fahrt ca. ¼ der Tankkapazität von 1600 Litern verbraucht haben.

Greg wartet bereits mit dem Bus auf uns aber wir müssen zunächst mit dem Kings Bay Bus zur Rezeption fahren und dort ein Formular ausfüllen. Die Rezeption wurde komplett umgestaltet und auch die Waschmaschinen befinden sich jetzt in einem anderen Gebäude. Alles sehr schick. Und natürlich wurden wir bereits vor dem Aussteigen aus dem Bus über die Corona Regeln aufgeklärt. Zumindest die ersten drei Tage gelten für uns spezielle Essenszeiten und wir dürfen das Fitness-Studio und die Sauna nicht benutzen. Maskenpflicht gibt es keine aber Händewaschen ist beim Betreten von Gebäuden Pflicht. Außerdem bekommt jedes Zimmer seine eigene Toilette und Dische zugewiesen. Nico und ich sind dieses Jahr wieder im Blauen Haus untergekommen, genauer im Fram Zimmer. Greg hat für uns noch Abendessen organisiert, das wir im Blauen Haus essen müssen, da die Kantine nicht für „Late Dinner“ verwendet werden darf. Auch eine Corona Regel. Unsere vier niederländischen Kollegen werden auch mitversorgt und nehmen auch an der Einführung Gregs teil. Das AWIPEV hat seit ein paar Jahren auch die Betreuung der niederländischen Station mitübernommen. Wir gehen alle alten und neuen Regelungen im Detail durch, so dass auch wirklich jeder weiß, was er zu tun und zu lassen hat. Anschließend werden wir noch mit einem Funkgerät ausgestattet und bekommen unsere Seesäcke mit den AWI-Klamotten, die wir im März 2020 in Bremerhaven gepackt haben. Wirklich ein komisches Gefühl! Morgen um 8:00 Uhr beginnt für Nico der Schießkurs; ich kriege meinen Auffrischungskurs um 14:00 Uhr. Perfekt! In Ny Alesund liegt noch sehr viel Schnee und manche Schneeverwehungen sind so hoch wie die Häuser. Greg sagt, dieses Jahr hätte es viel mehr Schnee gegeben als in den letzten Jahren. An jeder Ecke taut und tropft es und Greg befürchtet, dass wir Schwierigkeiten haben werden, um von A nach B zu kommen. Ich teile seine Ansicht und schlage ihm vor, dass wir vielleicht zunächst nach Corbel gehen, um die Lateralmoräne zu untersuchen. Das passt auch ihm gut in den Plan und wir werden morgen die Details besprechen. Zum Abschluss des Tages machen Nico und ich noch einen kleinen Spaziergang durch das Dorf. Beine vertreten nach stundenlangem Warten und stundenlangem Durchschütteln. Geschüttelt und nicht gerührt! Und dann müssen ja auch noch die Arbeiten am Blog erledigt werden. Ein langer Tag aber wir sind heute nach 11 Tagen „Anreise“ tatsächlich angekommen. Fast hätte ich zwischendurch nicht mehr daran geglaubt. Jetzt müssen wir herausfinden, was bei den gegebenen Schneeverhältnissen tatsächlich machbar ist. Das Abenteuer geht also weiter. Nun, eigentlich beginnt es ja gerade erst jetzt! Hurra, ich freue mich!

Photos

Während der Überfahrt über den Isfjorden
Während der Überfahrt über den Isfjorden
© KOP 132 SPLAM
  • Vollgas jetzt! Wir wollen nach Ny Alesund!
    © KOP 132 SPLAM
  • Das Flugzeug, in das wir heute nicht einstiegen
    © KOP 132 SPLAM
  • Die Passagierkabine unseres Powerboats
    © KOP 132 SPLAM
  • Instrumente und Führerstand. Schön zu sehen sind die zwei großen Bildschirme der Kartenplotter
    © KOP 132 SPLAM
  • Kurz vor dem Ablegen. Im Powerboat nach Ny Alesund ist völlig neu
    © KOP 132 SPLAM
  • Schnee in Ny Alesund und reichlich davon!
    © KOP 132 SPLAM
  • Ich sagte ja schon, Schnee gibt es noch jede Menge in Ny Alesund
    © KOP 132 SPLAM
  • Die Möwe wusste genau, dass wir ihr nichts Böses wollten
    © KOP 132 SPLAM
  • Nico ist 186 cm groß und dient als Maßstab für diese Schneeverwehung
    © KOP 132 SPLAM
  • Das Blaue Haus mit Amundsen. Nico und ich bewohnen das linke Zimmer im ersten Stock
    © KOP 132 SPLAM

6.6.2021

„Du hast nen Pulsschlag aus Stahl. Man hört ihn laut in der Nacht“. Es ist 5:00 Uhr und Herberts Ruhrpotthymne holt mich aus meinem Schlaf. „Bochum!“ Zur Sicherheit hatte ich mir gestern den Wecker gestellt. Nach allen Mühen wäre es schon unverzeihlich zu verschlafen und den Flug zu verpassen. Glück auf! Das war die letzte Nacht in einem Einzelzimmer mit eigenem WC und Dusche. Ab jetzt heißt es alle diese Dinge mit Nico zu teilen. Der Tag beginnt heute mit leicht bewölktem Himmel, einer ausgiebigen Dusche und einer frisch gewaschenen und auch trockenen Hose. Die letzten Utensilien sind kurzerhand in meinen zwei Rucksäcken verstaut. Da ich alle elektrischen Geräte, Kabel und Powerbanks in durchsichtige Plastikboxen verpackt habe, geht auch dies zügig über die Bühne, ohne später die Übersicht zu verlieren. Wo war jetzt gleich wieder das Ladekabel für das Handy? Um kurz vor 6:00 Uhr stehe ich abmarschbereit im Zimmer. Vielmehr kann ich noch die ersten Zeilen des Blogs schreiben, bevor ich mich gleich um 7:00 Uhr mit Nico treffe. Der Wetterbericht für Ny Alesund schaut ganz gut aus: nur leichte Bewölkung, gegen mittag sonnig, leichter SW Wind und um die 2 °C. Auch die nächsten Tage sollen bis auf einen teilweise regnerischen Montag recht gut sein. Temperaturen bleiben allerdings bei nur 1-4 °C. In Oslo hatten wir die letzten Tage schönes warmes Wetter mit Temperaturen um die 20 °C. Es wird also für uns einen herben Temperatursturz geben und ich halte Pulli, Fleece und Daunenweste schon mal im kleinen Rucksack griffbereit.

Auschecken aus dem Hotel geht ruckzuck. Ist ja auch keiner in der Lobby, der mir in den Weg kommen könnte. Ein Dokument über unsere Quarantänezeit bekommen wir natürlich nicht. Aber das ist mir jetzt auch egal – ich will weg! Ich bin tatsächlich vor Nico fertig! Das Taxi ist überaus pünktlich und wir sind bereits nach ein paar Minuten am Flughafen. Der Fahrer schwärmt von seinem Auto aus Stuttgart, das mittlerweile über 600.000 km auf dem Buckel hat aber immer noch extrem gepflegt aussieht. Steigt man dagegen in Münster am Bahnhof in ein Taxi, gelten unter Umständen andere Standards an Wagenpflege und Sauberkeit. Mehr möchte ich dazu gar nicht sagen.

Das Einchecken am Flughafen verläuft völlig problemlos und super schnell. Keiner fragt uns nach der Quarantänedauer oder ob wir überhaupt eine solche gemacht haben. Einchecken wie sonst üblich. Wieviele Gepäckstücke ist die wichtigste Frage. Aber es ist ein komisches Gefühl in einer menschenleeren Halle vor menschenleeren Schaltern zu stehen. Die gestrige Sitzplatzumbuchung hat auch funktioniert und ich sitze jetzt auf 18A. Wir halten jetzt tatsächlich unsere Bordkarten in den Händen und es fühlt sich großartig an. Ein weiterer Schritt wurde gemacht! Auch bei der Sicherheitskontrolle gibt es keinerlei Wartezeiten oder Probleme. Gut, das mag auch der frühen Tageszeit geschuldet sein, aber ich bin mir auch sicher, dass es hauptsächlich eine Corona-Nebenwirkung ist. Jedenfalls klappt alles bestens und wir sitzen bereits vor 8:00 Uhr in der SAS Lounge beim Frühstücken. Ja, es gibt dort was zu essen! Und Espresso. Zwei davon gehören mir! Sehr lustig finde ich die kleinen Körbchen mit Einweghandschuhen, fein säuberlich nach Größen sortiert – M und L. Um diese Zeit ist auch die Lounge noch fast vollständig leer und wir sitzen vorm Fernseher und schauen uns eine norwegische Gartenschau an. Extrem spannend. Wir halten es kaum aus und beschließen deshalb in den Büroteil der Lounge zu gehen. Nico fängt an, den geologischen Führer über das Nördlinger Ries und sein Vorland zu lesen, während ich hier diese Zeilen tippe. Der geologische Führer ist jungfräulich und wurde offensichtlich noch nie benutzt. Keine aufgebogenen Seiten, keine Kratzer, kein Anflug von Eselsohren oder sonstigen Gebrauchsspuren. In der Tat schaut er so taufrisch aus, als ob er gerade aus dem Buchladen stammen würde. Ich wundere mich, wie ihn Nico in diesem Zustand bis Oslo bringen konnte. In einer halben Stunde beginnt unser Boarding und ich nutze die letzten Minuten, um nochmal mit Carolyn zu reden.

Wir sitzen im Flugzeug! Hurra, jetzt geht‘ los. Nach ca. 30 Minuten Flugzeit sehe ich den ersten Schnee unter mir, der sich durch die leichte Wollendecke abzeichnet. Je weiter wir nach Norden kommen, umso besser wird das Wetter und schließlich haben wir einen fantastischen Ausblick auf die Gletscher und Fjorde an Norwegens Westküste, der wir entlang fliegen. Absolut atemberaubend. Ich fotografiere bis ich merke, dass mein Akku warm wird und wir in Tromso zwischenlanden. Normalerweise fliegen wir ja immer erst spät abends aus Oslo ab und konnten daher die Schönheit dieser Landschaft nie wirklich sehen. Ich bin heute sehr froh, so früh zu fliegen und diese Landschaft zum ersten Mal sehen zu dürfen. Wahnsinn! Leider ist mein Fenster etwas schmutzig und ich muss abwarten, wie gut die Bilder geworden sind. Im Gehirn Brennen sich meine Eindrücke aber spektakulär ein. Auch ohne Fotos. Wir sehen jede Menge glaziale und periglaziale Strukturen und die Steilheit der Berge entlang mancher Fjorde ist tief beeindruckend. Der Zwischenaufenthalt in Tromso kommt für uns etwas überraschend, weil wir eigentlich laut Lufthansa Webseite einen Direktflug gebucht hatten. Das meinen wir zumindest! Und auch die Bordkarte sagt nur Oslo – Longyearbyen. In Tromso müssen wir alle aussteigen, sämtliches Gepäck mitnehmen und zur Passkontrolle gehen. Dazu gehen wir am Gate 22 ins Gebäude und kommen nach der Kontrolle bei Gate 20 wieder aus dem Gebäude heraus, um erneut das gleiche Flugzeug zu besteigen. Der Sitzplatz bleibt auch der gleiche. Für den zweiten Flugabschnitt ist das Flugzeug etwas voller aber ich habe trotzdem eine ganze Reihe für mich. Ich würde schätzen, dass zwischen Oslo und Tromso das Flugzeug ca. halb voll war; jetzt sind es vielleicht 2/3. Tromso liegt eingebettet in eine wirklich tolle und spektakuläre Landschaft und ist zweifellos eine Reise wert. Es nur als Sprungbrett nach Spitzbergen zu betrachten, wird der Stadt nicht gerecht. Nach ca. 30-40 Minuten Aufenthalt sitzen wir alle wieder im Flugzeug und sind für den Sprung über den Ozean bereit. Spitzbergen kommt gefühlt viel schneller ins Fenster als erwartet. Und was soll ich sagen? Ich klebe mit meiner Nase förmlich am Fenster und die Kamera klickt in einem Tempo, dass ich auch ein Video hätte drehen können. Es liegt noch sehr viel Schnee und ich merke sofort, dass wir dieses Jahr viel früher in der Saison hierher kommen als sonst. Auch sind die Fjorde vor den Gletscherkanten noch weiträumig zugefroren. Ein gewaltiger Unterschied zu den Vorjahren. Das Wetter könnte heute nicht besser sein. Fast wolkenloser Himmel und Sonne pur! Die Gletscher und das Meer funkeln in der Sonne um die Wette. Besonderes Glück haben wir auch beim Landeanflug auf Longyearbyen. Es weht ein leichter Westwind, so dass wir östlich von Longyearbyen in das Adventdalen einschwenken, und diesem bis zum Flughafen folgen. Absolut gigantisch wenn man so tief zwischen den Bergen fliegt. Und unser Plan geht auf. Wir sitzen auf der linken Seiten und Longyearbyen zieht an unseren Fenstern vorbei. Es ist in all den Jahren nur zweimal der Fall gewesen, dass wir von dieser Seite aus anflogen und einen schönen Blick auf Longyearbyen erhaschen konnten. Leider steht die Sonne bei der Ankunft im Süden, so dass wir beim Fotografieren mit Gegenlicht zu kämpfen haben. Jammern auf extrem hohem Niveau!

Um 13:52 Uhr setzt die Maschine in Longyearbyen auf. Ich schaue extra auf die Uhr, um es ganz genau zu wissen. Bereits der Flug hierher hat uns für alle bisherigen Mühen entschädigt. Ich bedauere nur, dass Ernst und Andreas dies jetzt nicht miterleben können. Nico hat die Begeisterung auch zu 150% gepackt und er sprudelt geradezu mit Beobachtungen, als wir auf unser Gepäck warten. Unsere Rucksäcke und auch die rote Kiste mit Messinstrumenten kommen gleich am Anfang auf dem Gepäckband und wir sind unter den ersten, die das Flughafengebäude verlassen können. Dadurch kriegen wir auch sofort ein Taxi und ein paar Minuten später sind wir am Mary-Ann’s Polarrigg und auch schon eingecheckt. Wau, so schnell habe ich das noch nie erlebt. Es ist noch nicht einmal 14:30 Uhr und alles ist erledigt. Weltrekordverdächtig! Mir fällt sofort auf, dass die Rezeption vollständig erneuert bzw. umgebaut wurde. Ist jetzt besser als früher!

Wir beschließen Longyearbyen Downtown unsicher zu machen! Nico hat Hunger! Uns fehlt ja das gewohnte Mittagessen und SAS hat nicht einmal einen Bordservice bereitgestellt. War der Service in dieser Beziehung früher schon dürftig, so existiert er jetzt überhaupt nicht mehr. Auch wollen wir versuchen, uns gefütterte Schneestiefel zu besorgen, denn ich mache mir größere Sorgen, dass wir mit unseren Bergstiefeln im tieferen Schnee nicht wirklich gut genug ausgerüstet sind. Aber heute ist Sonntag und unser erster Versuch scheitert kläglich, weil der Laden geschlossen hat. Also kümmern wir uns erst einmal um Nicos Wohlbefinden. In unserem Stammcafé kriegt er ein Sandwich und eine heiße Schokolade, ich nehme eine Zimtschnecke und einen Espresso. Auch das Café wurde innen neu gestaltet. Auch hier ist es nun besser als vorher. Im unmittelbar daneben liegenden Einkaufszentrum haben tatsächlich einige Läden geöffnet, unter anderem auch ein Outdoor Laden, wo wir unsere Stiefel bekommen. Geniale Teile und ich hoffe, dass sie so funktionieren, wie ich mir das vorstelle. Für ca. 100 Euro sollten sie das besser! Auch einen zweiten Outdoor Laden besuchen wir, wo ich Nico schon mal die Waffen zeigen kann, mit denen wir in ein paar Tagen ausgestattet werden. Ich denke, er ist beeindruckt. Wir laufen am Kroa Restaurant vorbei und beschließen heute Abend hier einen Burger und ein paar Mack-Biere zu vernichten. Bei unserem Rundgang durch Longyearbyen wird uns bewusst, wieviel hier gebaut wird und wurde. Große Apartment-Häuser stehen jetzt dort, wo früher nur Schotter des Bachs war, der das Tal entwässert. Seit dem Lawinenabgang 2015, sind einige Teile Longyearbyens nicht mehr bewohnbar und deshalb werden Ersatzbauten notwendig. Zusätzlich wird die Nachfrage nach Hotels immer größer und so sehen wir auch einige neue Hotelbauten. Auch die Svalbardbutikken, der lokale Supermarkt, werden gerade umgebaut und sind jetzt viel größer geworden. Eigentlich schauen sie jetzt wie ein großes Einkaufszentrum aus. Es ist wirklich erstaunlich und fast schon erschreckend, wie sich Longyearbyen seit unserem ersten Besuch 2008 verändert hat.

Nachdem wir die Trophäen unseres Kaufrauschs zum Hotel gebracht haben, sitzen wir noch bei einer Tasse Kaffee bzw. Tee auf der Terrasse in der Sonne. Heute ist wirklich ein genialer Tag. Warm, windstill, sonnig. Kaum zu glauben, dass es morgen schon wieder regnen soll. Anschließend gehen Nico und ich noch zum UNIS Gebäude bzw. zum Museum. UNIS; die Universität, ist natürlich geschlossen. Im Museum schauen wir uns ein paar Bücher an – mehr ist nicht mehr drin, denn das Museum schließt in vier Minuten. Etwas zu wenig Zeit für uns! Wir nutzen die Zeit und das fantastische Wetter und laufen zum Strand hinunter, wo wir einige tolle Fotos schießen können. Dabei wird uns auch bewusst, wieviel Glück wir gestern hatten, alle Dinge auf die Reihe zu bekommen, so dass wir heute hierher reisen konnten. Da es noch zu früh für Abendessen ist, gehen wir nochmal ins Hotel, um am Blog zu schreiben und Bilder zu kopieren.

Nachdem ich kurz mit Carolyn telefoniert habe, machen wir uns auf den Weg zum Kroa Restaurant. Normalerweise brummt der Laden und es ist schwierig einen Platz zu bekommen. Nicht so heute! Um 20:00 Uhr ist es kein Problem auch ohne Reservierung einen Tisch zu bekommen. Das erste Mack-Bier zischt nur! Ich bestelle mir meinen üblichen Elch-Burger, wie jedes Jahr. Eine Tradition ist eine Tradition, ist eine Tradition! Dazu gibt es Süßkartoffel-Pommes! Sau gut nach einem harten Tag. Das zweite Mack zischt auch. Dann lassen wir es besser, denn wir sollten ja morgen halbwegs fit sein. Sehr ungewohnt ist, dass hier niemand Masken trägt. Man fühlt sich fast wie in einer Zeitkapsel in die prä-Coronazeit versetzt. Mittlerweile total ungewohnt, dass man einfach in ein Restaurant gehen kann, ohne Test, ohne Maske, ohne nichts und sich was zu essen bestellen kann. Mann, war das Leben schön bevor uns Corona traf. Jeder sitzt ganz normal und entspannt am Tisch und genießt das Essen.

Den Rest des Abends verbringen wir im Aufenthaltsraum des Hotels mit der Jagd nach dem Internet. Wie wir erfahren, wird in ganz Longyearbyen derzeit das Internet umgestellt und daher hat man nur sporadisch Zugang. Er kommt und geht in nicht vorhersehbaren Intervallen und man muss es einfach mehrfach probieren. Nicht gerade ideal aber morgen sind wir das Problem ja schon wieder los. Denn das Taxi, das uns um 7:30 Uhr zum Flughafen bringen wird, ist bereits bestellt.

Photos

Ein bunter Vogel hebt vom Flughafen Oslo ab
Ein bunter Vogel hebt vom Flughafen Oslo ab
© KOP 132 SPLAM
  • Nach Monaten Corona sind bei einigen Leuten die Regeln noch immer nicht völlig klar. Hier nur rein Beispiel der vielfältigen Möglichkeiten, eine Maske falsch zu tragen. In Longyearbyen gibt es keine Maskenpflicht.
    © KOP 132 SPLAM
  • Meine Bordkarte für den Flug nach Longyearbyen
    © KOP 132 SPLAM
  • Die SAS Lounge in Oslo zu Coronazeiten
    © KOP 132 SPLAM
  • Einweghandschuhe in der SAS Lounge
    © KOP 132 SPLAM
  • Die neuen Svalbardbutikken
    © KOP 132 SPLAM
  • In Longyearbyen wird kräftig gebaut
    © KOP 132 SPLAM
  • Das erste Mack-Bier im Kroa Restaurant wird zu Ehren Ensts und Andreas getrunken
    © KOP 132 SPLAM
  • Auf dem Weg nach Tromso
    © KOP 132 SPLAM
  • Noch immer auf dem Weg nach Tromso
    © KOP 132 SPLAM
  • Fast wie in der Südsee: Ein Fjord kurz vor Tromso
    © KOP 132 SPLAM
  • Spitzbergen – endlich!
    © KOP 132 SPLAM
  • Im Landeanflug fliegen wir an Longyearbyen vorbei
    © KOP 132 SPLAM
  • Ein grinsender Nico in Longyearbyen
    © KOP 132 SPLAM
  • Schmelzwasser und Überreste des Winters in Longyearbyen
    © KOP 132 SPLAM

5.6.2021

Gutgelaunt stehe ich auf. Der Tag fängt gut an. Schließlich habe ich gestern Abend, kurz nach Fertigstellung des Blogs, um 22:21 Uhr den Zugangscode für den PCR Test bekommen. Der Test ist negativ! Yippee! Da ich davon ausgehe, dass auch Nicos Test negativ sein wird, können wir heute die nächsten Schritte in Richtung Spitzbergen machen. Unser Arbeitspensum sieht vor, die Quarantänefreigabe zu bekommen, den SAS Flug klarzumachen und einen weiteren Coronatest durchführen zu lassen. Es gibt somit einiges zu tun und am liebsten würde ich sofort damit loslegen. Jetzt, um kurz vor 7 Uhr, Nico aufzuwecken, ist aber vielleicht nicht die beste Idee, vor allem weil der Beamte in der Hotel-Lobby noch nicht da ist. Also, Hufe stillhalten, Kaffee trinken und auf das Frühstück warten.

Nico war heute schon am „Behördentisch“ und dort wurde festgestellt, dass man ihm das Ergebnis des Antigen-Schnelltests geschickt hat. Ich habe dagegen, wie gesagt, das Ergebnis des PCR Tests bekommen. Wir müssen also nochmal ins Testzentrum und herausfinden, was da schief gelaufen ist. Gott sei Dank liegt dort bereits das negative PCR Ergebnis für Nico vor, das er sich mit seinem Handy vom dortigen Computer abfotografieren soll. Mit den Testergebnissen auf unseren Handys und allen erdenklichen Unterlagen gehen wir erneut zum Behördentisch. Unsere Unterlagen interessieren keinen und nach einer Minute haben wir ein winziges Zettelchen von ca. 4 x 3 cm in den Händen, das wir beim Auschecken an der Rezeption abgeben sollen. Auf dem Zettel steht „Good to go“, die Zimmernummer und eine Unterschrift. Kein Datum, kein Stempel, komplett formlos. Das hätten wir auch selber gekonnt! Nico und ich sind etwas irritiert und fast schon enttäuscht. Wir hatten ein fünffach abgestempeltes Dokument mit offiziellem Briefkopf erwartet. Stattdessen werden wir mit einem Zettel abgespeist. Ich denke man sieht uns unser verdutztes Gesicht an und auf meine Rückfrage sagt man uns, dass wir ein Dokument beim Auschecken bekommen würden. Nico und ich versuchen auch Infos über die weiteren Formalien zur Reise nach Spitzbergen zu erfahren. Da sich unser erster Ansprechpartner nicht damit auskennt, werden wir an einen zweiten verwiesen. Die Stimmung ist ausgelassen und der Beamte macht jede Menge flotte Sprüche. Beim Thema Spitzbergen wird er aber sehr schnell ernst und meint, dass er sich da auch erst schlau machen muss. Nicht nur, dass sich die Waffengesetze zum 1.6. geändert haben, nein, auch die Einreiseformalitäten haben sich geändert. Wären wir z.B. am 29.5. statt am 28.5. nach Norwegen eingereist, hätten wir nur mehr für 3 Tage in Quarantäne gemusst. Allerdings hätte uns das vermutlich auch nicht geholfen, da man nach wie vor zur Einreise nach Spitzbergen noch immer 10 Quarantänetage verbringen muss. Er bittet uns etwas später noch einmal nachzufragen da natürlich viele Leute ihre Freigabe wollen und sich eine längere Schlange gebildet hat. Sollten wir tatsächlich noch weiter hier bleiben müssen, haben wir einige Umbuchungen vor uns. Zum einen den SAS Flug nach Longyearbyen, zum zweiten das Hotel in Longyearbyen und zum dritten den Flug nach Ny Alesund. Nicht nur dass wir dadurch höhere Kosten zu verschmerzen hätten, wir würden auch mit mehreren Tagen Verspätung in Ny Alesund ankommen, weil es außer unserem gebuchten Flug am 7.6. erst wieder am 10.6. einen nächsten Flug dorthin gibt. Glücklicherweise gibt es auf diesem Flug von „Kings Bay AS Lufttransport“ noch 7 freie Sitzplätze. Obwohl das natürlich gut ist, würden wir mindestens drei Feldtage einbüßen, bei einem eh schon engen Zeitplan für unser umfangreiches Programm. Mir wird bei diesem Szenario ganz schlecht, verdränge es aus meinem Hirn und versuche optimistisch zu bleiben. Aufregen bringt auch nichts, vor allem, wenn man eh nichts ändern kann. Cool bleiben und erst einmal die Infos abwarten lautet meine Devise mit der ich mich mental über Wasser halte. Aber wenn jemand unsere Reise mitverfolgt, genau jetzt wäre ein wirklich guter Zeitpunkt uns eine Extraportion Glück zu schicken. Was für ein Spitzbergeneinstieg für Nico! Er lässt wirklich nichts aus!

Um 11:00 Uhr ist Affenfelsenzeit! Wir nutzen die Zeit in der Sonne, um uns zu beraten. Als Ergebnis kommen wir zu dem Schluss, dass es besser ist, eher früher als später erneut mit dem Beamten im Hotel zu reden. Gesagt, getan und so stehen wir um 11:30 Uhr wieder in der Schlange. Es dauert ewig. Fast als wir dran sind, braucht noch ein Gast, dessen Taxi bereits vor der Tür wartet, seine Freigabe. Nico und ich sind mal wieder nett und lassen ihn vor. Gutes Karma zahlt sich aus. In unserem Fall sofort! Der Beamte sagt uns, dass er sehr schlechte Nachrichten für uns hat. Mir rutscht das Herz in die Hose und sehe meine schlimmsten Befürchtungen bereits bestätigt. Er fährt fort und sagt, dass gestern ganz Spitzbergen für Deutsche geschlossen wurde. Jetzt durchblicke ich ihn und er freut sich, dass wir ihm zumindest kurzfristig auf den Leim gegangen sind. Tatsächlich hat er herausgefunden, dass wir morgen nach Spitzbergen reisen können. Wie gesagt, gutes Karma zahlt sich aus und wer immer an uns gedacht hat und uns eine Extraportion Glück geschickt hat, es ist bei uns angekommen. Danke! Allerdings weist er uns nochmal darauf hin, dass wir einen erneuten Coronatest brauchen, der nicht älter als 24 Stunden sein darf. Aber als abgezockte Testkarnickel wissen wir das natürlich bereits. Wir sind also nun ganz offiziell aus der Quarantäne entlassen und es fühlt sich großartig an. Fast wie am Ende der Fastenzeit, wenn es bei mir zum ersten Mal wieder Schokolade in Form von Ostereiern gibt. Und Alkohol in Form eines schönen Glases Rotwein oder eines ordentlichen Weißbiers. Das Leben ist herrlich. Als wir auf unsere Zimmer kommen, steht das Essen bereits seit einer halben Stunde vor der Tür. Es gibt Piffzipaffzi, also eine wilde Mischung von Dingen mit Reis. Maiskolben und Ananas sind drin, den Rest kann ich nicht erkennen weil es schnell gehen muss. Wir wollen nämlich mit dem 13:00 Uhr Shuttlebus zum Flughafen fahren, um unseren neuen Coronatest machen zu lassen und um vielleicht sogar schon einzuchecken. Also wird das Mittagessen mehr hinuntergeschlungen als gegessen. Was immer genau heute im Alufressnapf war, ich weiß es nicht genau und es ist weg. Die Eile kommt auf, weil der Shuttlebus nur zu jeder vollen Stunde am Hotel wegfährt. Beim Einsteigen kontrolliert niemand, ob man tatsächlich mit seiner Quarantäne fertig ist. Uns soll’s egal sein. Nach ein paar Minuten sind wir am Flughafen und stehen in der kurzen Schlange am SAS Service Center. Die Dame liest uns die Reisebedingungen vor und wir kommen alle überein, dass wir seit dem 28.5. genügend Tage in Quarantäne waren. Nachdem wir ihr auch sagen, dass wir hier sind, um bereits heute den Coronatest machen zu wollen ist sie zufrieden und meint, dass unserem Flug nichts im Wege stände. Das sind doch die besten Nachrichten, die wir uns so erhofft hatten. Ich frage sie noch, wo ich am Flughafen das Testcenter finden würde. Sehr freundlich aber etwas irritiert zeigt sie quer über die Abflughalle, wo ein wirklich riesiges Schild „Covid-19-Test Station“ hängt. Wer Augen hat und lesen kann, ist deutlich im Vorteil. Ich kann nur über mich selbst lachen, dass ich das Schild bisher übersehen habe. Einchecken können wir leider erst morgen. Also nichts wie hin zum Testcenter. Dort will man wissen, ob wir einen PCR Test wollen oder einen Antigen-Schnelltest. Die Frage verunsichert mich und wir gehen besser nochmal zu SAS und fragen nach, was sie genau sehen wollen. Einen Covidtest ist die Antwort. SAS unterscheidet nicht zwischen den Testverfahren. Beim Flug von Frankfurt hat der Antigentest gereicht und so beschließen wir, diese Variante zu wählen. Der Antigen-Schnelltest mit Ergebnis in 15 Minuten kostet uns 1195 Kronen, der PCR Test mit Ergebnis in 0,5-3 Stunden würde uns 2500 Kronen kosten. Der Test wird von der Firma „DrDropin“ durchgeführt. Die Beprobungstiefe wird von Nico und mir als „mittel“ eingestuft – irgendwo zwischen den Tests in Münster und dem PCR Test. Nach besagten 15 Minuten erhalten wir das negative Ergebnis. Wir haben es jetzt schwarz auf weiß, dass wir fit sind zu fliegen. Und da der Test um 13:53 Uhr durchgeführt wurde, wird er morgen bei Abflug weniger als 24 Stunden zurück liegen und somit den SAS Anforderungen entsprechen. Als letzte Aufgabe steht noch die Umbuchung meines Sitzplatzes an. Beim Warten auf unsere Testergebnisse habe ich nämlich zufälliger Weise festgestellt, dass ich einen Gangplatz gebucht habe. Das ist natürlich ungeschickt, vor allem wenn das Wetter morgen schön ist und man eventuell ein paar schöne Ausblicke auf die spitzen Berge Spitzbergens und seine Gletscher bekommen kann und die entsprechenden Fotos machen kann. Die Umbuchung dauert 5 Minuten, dann können wir wieder mit dem Shuttle zum Hotel zurück fahren. Allerdings scheitert dieser Plan grandios. Wir sitzen in der Sonne und warten ewig auf den Bus. Genau an der Stelle, an der wir auch ausstiegen. Kein Bus weit und breit. Nach einer Stunde noch immer kein Bus weit und breit. Nach 90 Minuten erfahren wir auf Nachfrage, dass der Shuttlebus im unteren Stockwerk abfährt. Wir haben natürlich in der oberen Etage gewartet. Unten angekommen, können wir dem Bus nur noch hinterherschauen. Sehr ärgerlich! Wir haben ihn buchstäblich um einen Wimpernschlag verpasst. Aber angesichts der Dinge, die heute sonst noch hätten schief laufen können, die aber tatsächlich funktioniert haben, können wir mit diesem winzigen Problem gut leben. Um nicht noch mehr Zeit zu vertrödeln, nehmen wir schließlich ein Taxi.

Wir haben heute unser negatives PCR Ergebnis bekommen, durften unsere Quarantäne beenden, haben den Coronatest für morgen bestanden, haben von zwei unabhängigen Seiten bestätigt bekommen, dass wir morgen nach Longyearbyen fliegen dürfen und haben uns bereits dafür um 7:00 Uhr morgens ein Taxi zum Flughafen reserviert. Was für ein Tag. Halleluhjah! Es hätte wirklich nicht besser laufen können! Wir sind mit uns und der Welt zufrieden.

Außer vielleicht mit den langen Wartezeiten! Denn gefühlt haben wir heute mehr oder weniger den ganzen Tag mit Warten verbracht. Entweder in der Schlange im Hotel, oder in der Schlange bei SAS, oder am Testzentrum oder an der Bushaltestelle. Wobei man aber ehrlicher Weise sagen muss, dass die SAS Schlange sehr überschaubar war. Kein Wunder, der Flughafen ist ja auch quasi menschenleer. Ich habe einen Flughafen noch nie so leer gesehen. Zu Dokumentationszwecken mache ich einige Aufnahmen von diesem Ausnahmezustand. Ich erinnere mich noch gut an die Autofreien Sonntage in den 70er Jahren, als man auf den Autobahnen spazieren gehen konnte, weil man als Antwort auf die, durch den Jom-Kippur Krieg ausgelöste Ölkrise, Treibstoff sparen musste. Das ist einfach total ungewöhnlich und wenn man es in den damaligen Bildern nicht selbst sehen würde, man könnte es sich nicht vorstellen. Diejenigen, die damals nicht dabei waren, werden mich vielleicht nur ungläubig anschauen. Spazieren gehen oder Radfahren auf der Autobahn? Ja genau, so war das an vier Sonntagen im November und Dezember 1973. So ähnlich fühlt es sich auch jetzt am Flughafen in Oslo an. Wirklich sehr bizarr!

Da wir uns heute den ganzen Tag gesehen haben, lassen Nico und ich die Affenfelsenzeit um 16:00 Uhr ausfallen. Ich nutze den Restnachmittag, um meine Hose zu waschen, den Blog zu schreiben und die Fotos von meinem Handy zu kopieren. Gestern habe ich es geschafft, mein Handy über Bluetooth mit meinem Tablett zu verbinden, so dass die Übertragung nun viel einfacher funktioniert. Ich habe Feuer gemacht! „Speaking of…“, ich muss auch noch mein Bett machen. In der Hektik des Tages habe ich es heute doch glatt völlig vergessen. Und packen muss ich ja auch noch. Da ist er wieder, der Schäfer-Moment: “Mann, Mann, Mann, ist das ein Stress hier“.

Eine Seitennotiz! Die erste nicht ganz ernst gemeinte Beschwerde über den Blog ist eingegangen. Eine gewisse Frau W. aus M. hat mich über die inkorrekte Verwendung des Dativs bzw. Akkusativs an einer Stelle im gestrigen Text aufgeklärt. Ich vermute, dass sie Recht hat wenn man sich auf Hochdeutsch bezieht. Im Bayerischen ist der Satz aber völlig korrekt formuliert. Um den Spruch der Baden-Württemberger hier kurz auszuleihen: “Wir können alles. Außer Hochdeutsch“. Dieser 1999 eingeführte Spruch ist übrigens einer der bekanntesten und beliebtesten Werbesprüche für ein Bundesland. Nico formuliert es anders: “Wir bemühten uns redlich“. Es ist tatsächlich sehr interessant zu sehen, wie sich regionale Unterschiede im Gebrauch der Sprache widerspiegeln. Auch Nico hat beim Korrekturlesen des Blogs festgestellt, dass ich manchmal in meinen bayerischen Dialekt verfalle. Glab I ned!

So, nun nähert sich unsere Zeit in Oslo also dem Ende. Ich denke, das ist auch gut so, denn heute gibt es zum zweiten Mal gedünsteten Lachs mit Kartoffel, Gemüse und einem Kokos-Schoko-Brownie. Wir sind offensichtlich am Ende des Essenszyklus angekommen. Insgesamt war die Quarantäne weit weniger langweilig als gedacht und das Hotel hat uns das Leben doch sehr angenehm gemacht. Vollpension, eine ewig sprudelnde und nie versiegende Kaffeequelle, schöne Zimmer und freundliches Personal. Chapeau und danke!

Bevor es ans Packen unserer 7 Sachen geht, treffen wir uns ein letztes Mal auf den Affenfelsen. Allerdings nur kurz, weil es noch jede Menge Dinge zu erledigen gibt. Zunächst sind da die Fertigstellung des Blogs, dann das Sortieren aller Dokumente, und schließlich das Verstauen aller technischen Ausrüstung. Jetzt, da alle bürokratischen Hürden genommen sind, wächst die Vorfreude auf Spitzbergen dramatisch an. Endlich geht es wirklich los! Nach einem Jahr Pause, kann ich es kaum erwarten! Gepaart ist die Vorfreude allerdings auch mit einem Schuss Unsicherheit, was uns dort dieses Jahr erwarten wird. Wie wird die Schneelage sein? Wie wird das Wetter sein? Wann können wir unseren Schießkurs absolvieren? Wie schnell und gut werden wir mit unseren Arbeiten vorankommen? Wie wird sich die Eisbärsituation darstellen? Wie wird die neue Hütte sein? Wird mit dem Motorboot alles glatt gehen? Alles Fragen, die mir durch den Kopf huschen. Die Antworten darauf werden die nächsten zwei Wochen bringen. Am 22.6. werde ich schlauer sein! Als letzte Amtshandlung werde ich heute noch den AWI Stationleader über unseren Status informieren.

Photos

Planetenlampen im Hotel. Oder Asteroidenlampen?
Planetenlampen im Hotel. Oder Asteroidenlampen?
© KOP 132 SPLAM
  • Der zutiefst traurige Anblick einer verwaisten Espressomaschine
    © KOP 132 SPLAM
  • Das Testzentrum. Auch dieses Schild kann man übersehen...
    © KOP 132 SPLAM
  • Die Preisliste des Testzentrums
    © KOP 132 SPLAM
  • Die Abflughalle in Oslo um ca. 14:00 Uhr: Corona lässt grüßen!
    © KOP 132 SPLAM
  • Munnbind nicht vergessen
    © KOP 132 SPLAM
  • Der Tower des Flughafen in Oslo
    © KOP 132 SPLAM
  • Zufahrt zum Flughafen. Auch hier, gähnende Leere
    © KOP 132 SPLAM
  • Der Zettel, der uns die Freiheit zurück brachte
    © KOP 132 SPLAM

4.6.2021

6:39 Uhr. Noch keine Antwort von Bettina Haupt und/oder Greg Tran, den Verantwortlichen AWI Personen in Ny Alesund. Zu früh! Was hätten sie auch erreichen sollen seit wir ihnen die notwendigen Infos für die Waffengenehmigung gestern Abend nach 22:00 Uhr geschickt haben? Mich hat das Thema in der Nacht wohl beschäftigt, denn ich wurde mehrfach wach und fühle mich heute nicht ganz taufrisch. Das Hotel hat uns auch noch keine Nachricht zukommen lassen, wann wir unseren Coronatest heute machen können. Erst nach dem Erhalt des Testergebnisses können wir uns um unseren Flug nach Longyearbyen kümmern und herausfinden, ob wir wirklich alle Einreisebedingungen für Spitzbergen erfüllen. Wir haben also gerade drei ungelöste Probleme an der Backe, die wir idealer Weise möglichst schnell erledigt bekommen sollten. Von langweiliger Quarantäne kann somit keine Rede mehr sein – ganz im Gegenteil!

Wenigstens das Wetter ist schon mal gut und der Kaffee sprudelt noch immer. Ich nehme den strahlend blauen und absolut wolkenfreien Himmel als gutes Omen. Unser Zentralstern ist natürlich auch schon da. Sonnenaufgang in Oslo war heute schon um 4:03 Uhr und der Sonnenuntergang wird um 22:29 Uhr sein. Diese Zahlen lassen vermuten, dass es nur für kurze Zeit tatsächlich dunkel ist. Als ich letzte Nacht um 2:49 Uhr wach wurde, konnte ich den neuen Tag jedenfalls bereits erahnen.

Am Kaffeestand muss man heute Morgen bereits eine schwierige und schwerwiegende Entscheidung treffen. Entweder man wählt „A little cup of happiness“ oder entscheidet sich für „A better cup of coffee”. Ist also fast wie im 1980 erschienen Blues Brothers Film von John Landis, als „die Band“ in Bob‘s Country Bunker spielen soll und Jake und Elwood erklärt bekommen, dass es dort sowohl Country- als auch Westernmusik gibt. Rawhide! Nach langem Überlegen und sorgfältiger Abwägung aller Pros und Cons entscheide ich mich für die bessere Tasse Kaffee. Nach dem ersten Schluck steht aber sofort fest, dass die Tasse Happiness um ein Vielfaches besser schmeckt. Ist wahrscheinlich wie mit Wein. Hat er ein französisches Schloss auf einem teuer aussehenden Etikett und steht dann noch drauf, dass er was ganz Besonderes ist, schmeckt er manchen Leuten gleich viel besser. Man nennt das Psychologie bzw. Verkaufsstrategie, auf die ich natürlich nie reinfallen würde. Darum schmeckt der Kaffee heute nicht so gut wie sonst. Tatsache! Basta! Eben fällt mir auf, dass mein Textkorrekturprogram das Wort Kaffee nicht zu kennen scheint und Kaffe nicht mit Kaffee korrigiert. Wie kann denn so etwas passieren? Zuerst kennt es Demse nicht und nun nicht einmal Kaffee? Frühstück: Same old, same old! Aber heute mal wieder mit Orangensaft. Und tatsächlich. Da ist er, der sagenumwobene Bierschinken von dem ich nur durch Munkeln erfahren habe, dass es ihn geben soll! Trollartig! Dass norwegischer Kalkunrull deutschem Bierschinken entspricht, da muss man erst einmal darauf kommen. Die transparente Verpackung macht es aber sogar mir möglich. Nico hat mir ja schon von diesem Bierschinken zugeraunt, aber jetzt liegt er in seiner ganzen Pracht tatsächlich auf meinem Brot. Rund statt rechteckig schaut er schon einmal ganz anders aus als der Kochschinken. Und dann erst der Geschmack! Völlig…….gleich!

Frisch geduscht und in frischen Klamotten stehe ich für den Coronatest bereit. Nur dass wir noch keine Nachricht vom Hotel haben. Ich wette, dass der Termin schließlich mit meinem heutigen Zoom-Meeting um 11:00 Uhr kollidieren wird, falls Murphy gerade in Oslo ist.

Soeben erhalte ich eine E-Mail vom AWI Stationleader. Ich öffne die E-Mail mit etwas Herzklopfen. Schnell wird aber klar, dass sie gute Nachrichten enthält. Die Verhandlungen mit dem Sysselmannen waren erfolgreich und es wird eine Übergangsperiode geben, in der auf Spitzbergen nach den alten Waffengesetzen verfahren wird. Für uns heißt das, dass wir vorerst keine Genehmigung brauchen, um uns Waffen vom AWI ausleihen zu können/dürfen. Das sind wirklich fantastische Nachrichten und eine große Erleichterung! Eines unserer Probleme können wir somit ad acta legen. Haken dahinter und weiter geht es! Unklar ist noch, wie lange die Übergangsperiode sein wird, aber meine Hoffnung ist, dass sie den Zeitraum unserer Feldarbeit übersteigt. Für nächstes Jahr werden wir aber dieses Problem definitiv angehen müssen und bereits im Vorfeld der Expedition die entsprechenden Unterlagen (Führungszeugnis?) an den Sysselmannen schicken müssen. Nur eine weitere bürokratische Schwelle, die genommen werden muss! Andreas und Ernst haben es gestern in unserem E-Mail Austausch sehr treffend auf den Punkt gebracht. Innerhalb von 10 Jahren Feldarbeit haben sich die Regeln so stark verändert, dass wir uns anfangs Gewehre ohne jede Dokumentation bei Ingenieur Paullsen ausleihen konnten. Irgendwann ist dann ein Schießkurs beim AWI in Bremerhaven dazugekommen. Dann ein zusätzlicher Kurs bei Kings Bay. Dann wurde der AWI Kurs nicht mehr durchgeführt und nur mehr jener von Kings Bay war ausschlaggebend. Und nun kommen also weitere Restriktionen dazu. Waffen sind nun mal Waffen und verstehen kann ich das Ansinnen des norwegischen Staates durchaus. Allerdings würde ich hoffen, dass die Umsetzung in Spitzbergen auch so geregelt wird, dass Wissenschaft überhaupt noch möglich ist. Mal schauen, was wir in Ny Alesund in ein paar Tagen darüber erfahren werden und was die Zukunft bringt.

Frohen Mutes mache ich mich wieder an das Lesen von Manuskripten, während ich gleichzeitig meinen E-Mail Ordner im Auge behalte. Da soll noch einer sagen, dass Männer nicht multitasking-fähig sind. Aber erstens kommt natürlich alles anders und zweitens als man denkt. Murphy ist in Oslo. Die Hotelrezeption ruft an und teilt mir mit, dass ich jetzt zum Testcenter kommen kann. Also noch schnell mein Meeting verschieben, den Zettel mit den Kontaktinfos ausfüllen und schon bin ich auf dem Weg. Vor dem Testcenter gibt es bereits eine lange Schlange von 15-20 Leuten in die ich mich einreihe. Nico kommt wenig später und stellt sich drei Plätze hinter mir an. Während wir so warten haben wir eine gute Gelegenheit das Hotelpersonal beim Packen der Frühstückstüten zu beobachten. Sie haben ein cleveres System und ruck zuck ist eine Tüte gepackt. Nico schätzt ab, dass sie bereits 196 Tüten gepackt haben. Mir zeigt der Blick den Grund, warum ich so selten Orangensaft abkriege. In einem großen Stapel mit Apfelsaftkartons sehe ich lediglich 4 Orangensaftkartons. Ist also fast wie ein Sechser im Lotto, wenn man einen in seiner Tüte findet.

Nach ca. 20 Minuten steht man vor zwei Krankenschwestern, die alle Daten in einen Computer eingeben und einem erklären, wie es weiter geht. Man bekommt das Testergebnis auf einer Webseite und man braucht wieder einen Code, um Zugang zu bekommen. Dieser kommt aufs Handy und muss dann zusammen mit der Testnummer eingegeben werden. Nächste Station ist der eigentliche Test. Dieses Mal wird ein PCR Test gemacht. Eigentlich sind es zwei Tests. Zuerst kommt der Nasentest, der wieder das Kleinhirn zu kitzeln scheint. Wie schon am Flughafen wird extrem tief beprobt und ich habe das Gefühl, dass ich das Stäbchen im Rachen spüren kann. Anschließend wird mit einem anderen Teststäbchen der Rachenraum getestet. Dann ist die Prozedur überstanden. Aber noch nach Stunden bilde ich mir ein, das Stäbchen zu riechen bzw. zu schmecken. Sehr eigenartig. Bis ich im Hotelzimmer bin, habe ich schon eine SMS auf meinem Handy in der mir mitgeteilt wird, dass dies nur ein Verbindungstest sei und dass das eigentliche Testergebnis später kommen wird. Problem 2 ist somit auch gelöst, vorausgesetzt, der Test ist negativ. Ich kann mich somit nun meinem Zoom-Meeting widmen, das sehr angenehm verläuft. Mittlerweile wird auch schon das Mittagessen geliefert, das heute aus einem Fischauflauf, Salat und Semmel besteht. Der gesamte Vormittag ist wie im Fluge vergangen.

Um 13:00 Uhr treffe ich mich mit Nico, um unsere nächsten Schritte zu planen. Zunächst müssen wir unser Hotel bis Sonntag verlängern, da die von der norwegischen Regierung gemachte Reservierung eine Abreise am Samstag vorgesehen hat. Klar geht das Hotel davon aus, dass jede normale Person nach dem negativen Testergebnis das Hotel so schnell wie möglich verlassen will und die Dame an der Rezeption schaut uns dann auch etwas verwirrt an, als wir nach einem freien Zimmer fragen. Wir sind ja nicht normal. Unser Flug geht erst am Sonntag, so dass wir noch „freiwillig“ einen Tag dranhängen dürfen. Für 50 Euro gibt es nochmal ein Bett und Vollpension für einen Tag. Um tatsächlich fliegen zu können brauchen wir aber noch die offizielle Freigabe, die wir hoffentlich morgen erhalten, und einen weiteren Coronatest. Der heutige PCR Test ist ja bis Sonntag nicht mehr gültig, so dass wir morgen zum Flughafen fahren wollen, um dort einen Antigen-Schnelltest machen zu lassen. Wie auch bei uns in Deutschland dürfen die Tests nicht älter als 24 Stunden sein.

Der Rest des Nachmittags verläuft in geordneten Bahnen. Sprich, Nico und ich sitzen in unseren Zimmern bis zum nächsten Termin auf den Affenfelsen, zu dem ich mich doch glatt verspäte, weil ich an den unterschiedlichsten Dingen gearbeitet habe. Besonders erwähnenswert finde ich heute unser Abendessen. Der Koch hat sich richtig ins Zeug gelegt und einen wirklich hervorragenden Rinderschmorbraten gezaubert. Als Beilagen zum butterweichen Fleisch gibt es eine überraschend würzige Sauce, Kartoffeln und gelbe Rüben. Möhren oder Karotten kommen einem Bayern ebenso wenig über die Lippen wie Frikadellen, Buletten oder Brötchen. Geschweige denn, dass er es schreiben würde. Eine Zimtschnecke rundet das Menü ab. Zu meinem täglichen Kontakt zur Familie kommt diesen Abend noch ein Gespräch mit einem Lions-Freund, der gerade das verlängerte Wochenende mit seiner Frau in einem Golfressort verbringt. Die Inzidenzzahlen in Deutschland erlauben dies seit langer Zeit zum ersten Mal wieder und es ist schön zu sehen, dass sich das Leben langsam aber sicher wieder normalisiert. Auch in einer E-Mail des Rektors und des Kanzlers der WWU klingt es nach Frühling nach einem langen und bitteren Winter. Hoffentlich bleibt es dabei und hoffentlich werden wir nicht durch neue Coronamutanten wieder in eine neue Eiszeit versetzt. Ich drücke uns die Daumen! Die 7-Tages Inzidenz für Norwegen ist heute aktuell 39,6; in Deutschland liegt sie laut RKI bundesweit bei 30, wobei es Bundesländer-spezifisch Unterschiede zwischen 12 und 37 gibt. Das ist immer noch höher als die Zahlen von letztem Sommer, als wir unseren Spitzbergentrip absagen mussten.

Insgesamt war heute ein guter Tag, konnten wir doch zwei größere Baustellen abschließen. So kann es weitergehen!

Photos

Eine schwierige Entscheidung
Eine schwierige Entscheidung
© KOP 132 SPLAM
  • Das Frühstück wird verpackt
    © KOP 132 SPLAM
  • Viel grün, wenig orange: Der Grund warum ich selten Orangensaft zum Frühstück bekomme ist jetzt klar.
    © KOP 132 SPLAM
  • Es ist erstaunlich, was alles auf dem Parkplatz wächst: Lupinen
    © KOP 132 SPLAM
  • Großaufnahme der Lupinen
    © KOP 132 SPLAM
  • Leuchtend gelbe Blumen auf der Wiese am Hotel
    © KOP 132 SPLAM
  • Ein wunderbarer Rinderschmorbraten mit Beilagen
    © KOP 132 SPLAM

3.6.2021

Meine Tochter hatte mich nach meiner Ankunft in Oslo gefragt, ob das Bett im Hotel weich sei. Ich würde sagen, es ist für mich genau richtig und ich schlafe bestens. Trotzdem werde ich ohne Wecker jeden Tag spätestens um kurz nach sechs wach. Heute gehen meine ersten mühsam zusammengedachten Gedanken an meine Kurzen und wie es ihnen wohl letzte Nacht im Zelt ergangen sein mag? War es zu kalt? Hat es geregnet? War die Iso-Matte zu hart? Jetzt, um diese frühe Zeit anzurufen wäre vermutlich keine gute Idee. Naja, wird schon alles gepasst haben und ich hoffe, sie hatten Spaß!

Wie auch in den letzten Tagen erwartet uns ein schöner, sonniger Tag. Lediglich ein paar Schäfchenwolken sind über den Morgenhimmel verstreut und eine deutlich schmalere Mondsichel als gestern grüßt mich durch das Fenster. Heute verläuft der Terminator durch den Ostteil des Imbrium-Beckens. Die Bäume vor meinem Fenster stehen wie angewurzelt da und die Blätter bewegen sich auch nicht. Meine langjährige wissenschaftliche Ausbildung und Erfahrung sowie mein scharfer Beobachtungssinn sagen mir, dass es heute windstill ist. Bahnbrechende und Nobelpreis-verdächtige Erkenntnis! Ich darf also vielleicht auf etwas wärmere Temperaturen hoffen. Der 11:00 Uhr Freigang wird ein unabhängiger Test meiner gewagten Hypothese werden.

„Der Kaffee ist fertig. Klingt des ned unheimlich schee?“ Diese Zeile aus dem 1980 veröffentlichten Lied von Peter Cornelius trifft Gott sei Dank auch heute zu. Beim Umlegen des Auslasses am Kaffeepott sprudelt das schwarze Gold heiß in meinen Becher. Ich weiß nicht, wann das Hotel den Kaffee morgens liefert, aber er schmeckt immer frisch und gut. Und auch während des Tages, gibt es temperatur- und geschmacksmäßig nichts auszusetzen. Mengenmäßig lebt man hier sowieso mehr oder weniger sorgenfrei. Nur zweimal ist es bisher vorgekommen, dass der Kaffee ausging. Aber selbst dann wurde innerhalb kürzester Zeit für Nachschub gesorgt. Da ich ja auch im Büro meine 3-5 doppelten Espressi brauche, um durch den Tag zu kommen, ist eine ausreichende und ununterbrochene Kaffeeversorgung lebenswichtig. Mehr oder weniger, denn ein Kaffeejunkie bin ich noch nicht. Im Notfall kann ich auch ohne! Für Ny Alesund muss ich mir auch keine Sorgen machen - in der Kantine steht immer ein großer Kaffeepott, an dem man sich bedienen kann. Schwieriger wird es natürlich im Gelände. Aber wer sich durch die Blogs der letzten Jahre gekämpft hat, weiß natürlich, dass ich vorbereitet bin und mit meiner kleinen Espressomaschine ins Gelände gehe. Ralf hat mir sogar eine richtig schicke neue Maschine nach seinem letzten Besuch in Spitzbergen 2018 geschenkt. Wahnsinn wie die Zeit vergeht, Ralf. Es wird höchste Zeit, dass Du wieder mitkommst. Für dieses Jahr habe ich mich aber für meine alte, kleinere Version „La Mokina“ entschieden, da ich ja weiß, dass Nico keinen Kaffee trinkt. Jedes Gramm Gewicht im Rucksack zählt! Außerdem hat das Ding jetzt schon so manchen Trip nach Spitzbergen mitgemacht, wurde von mir zig Kilometer im Rucksack durch die Gegend geschleppt und funktioniert immer und überall wo es einen Herd, einen Gasofen, einen Benzinbrenner, ein Lagerfeuer oder eine andere Hitzequelle gibt. Wie oft ich mir an dem achtseitigen Gehäuse wohl schon die Finger verbrannt habe? Kurz, ich hänge an meiner kleinen Begleiterin! Die meisten werden mich jetzt vielleicht für verrückt halten, aber löslicher Kaffee ist auch nicht leichter zu schleppen oder zu kochen, schmeckt aber um Klassen schlechter und ist einfach nicht mein Ding. Und wenn es schon eine Espressomaschine auf der internationalen Raumstation ISS gibt, warum soll ich dann im Gelände darauf verzichten? Macht doch keinen Sinn! Der italienischen ESA Astronautin Samantha Cristoforetti, die ich auch im Rahmen des Geologie/Planetologie-Trainings PANGAEA mit ausbilden durfte, gebührt die Ehre am 3.5.2015 den ersten Espresso im Weltraum getrunken zu haben.

Heute wird in NRW Fronleichnam gefeiert, also das Fest der Gegenwart Christi in der Eucharistie. In einigen Bundesländern ist das ein gesetzlicher Feiertag und für uns wirkt er sich insofern aus, dass wir heute mit viel weniger E-Mails bombardiert werden als sonst. Wie angenehm! Nachdem ich gestern auch bereits meine Vorlesung über die Bühne gebracht habe, kann ich mich heute voll und ganz auf das Lesen von Manuskripten konzentrieren. Eine kurze Unterbrechung wird unser Aufenthalt auf den Affenfelsen darstellen sowie ein Zoom-Meeting mit einigen chinesischen Kollegen. So ist zumindest der Plan! Vielleicht bleibt mir ja auch Zeit, einige technische Geräte zu testen bzw. mich wieder mit deren Gebrauch vertraut zu machen. In zwei Jahren vergisst man viel und ich möchte verhindern, dass wir im Gelände stehen und dann anfangen müssen nachzudenken, wie unsere Geräte funktionieren. Die Zeit haben wir schlicht nicht!

Der Gedanke an Frühstück schießt mir jäh in den Kopf, macht sich dort über Gebühr breit und verdrängt sofort alle anderen Überlegungen zu den Instrumenten. Klare Priorisierung. Platz 1: Zweiten Kaffee holen, Platz 2: Frühstück ins Zimmer holen, Platz 3: Essen, Platz 4: Noch etwas Essen, Platz 5: Mehr Essen, Platz 6: Müll rausstellen. Die Salamiverpackung lässt sich im Gegensatz zur Verpackung des gestrigen Kochschinkens leicht öffnen und der Inhalt wird entsprechend schnell der Verdauung zugeführt. Sache von Sekunden! Ja, und ich genieße auch. Aber eben im Schnelldurchgang! Heute gibt es zur Abwechslung mal ein Himbeerbrot. Dazu streiche ich zuerst etwas streichfähige „Butter“ auf das Brot und anschließend verteile ich die Marmelade schön gleichmäßig darauf. Das Auge isst ja auch mit. Leider übersehe ich dabei, dass mein Brot in der Mitte ein kleines Loch hat. Einige werden jetzt schon zu grinsen beginnen. Jedenfalls tropft mir die rote Pampe durch das Brot und verursacht ein ca. 1 cm großes, rotes und strahlenförmiges Muster. Glücklicherweise landet alles auf meiner Serviette und nicht auf meinem Schreibtisch. Was ist das jetzt? Murphy, dass es getropft hat oder eine Art Anti-Murphy, dass es auf der Serviette gelandet ist?

Dumm darf man sein – man muss sich nur zu helfen wissen! Dieser in Bayern sehr geläufige Spruch ist auch in Norwegen gültig. Ich habe nämlich mein Stöpselproblem gelöst! Tom Hanks in seiner Rolle als Gestrandeter auf einer einsamen Insel hat es etwas anders ausgedrückt: „Ich habe Feuer gemacht!“ Gut, ich tanze jetzt nicht in Ekstase um mein Waschbecken herum. Stattdessen verstopfe ich den Abfluss mit einem T-Shirt. Wenn ich dann den Wasserhahn genau soweit aufdrehe, um die Abflussmenge auszugleichen, kann ich ein perfektes Laugenbad für meine Großwäsche herstellen. Genial! Der große Vorteil gegenüber dem Waschen in der Dusche ist, dass ich die Klamotten zumindest für einige Zeit einweichen und dann besser waschen kann, weil die Seife dort bleibt, wo ich sie haben will und nicht immer fortgespült wird. Ich habe Feuer gemacht!

Das Meeting mit meinen chinesischen Kollegen ist für mittags angesetzt und kollidiert somit mit unserem Freigang und dem Mittagessen. Sehr schlechtes Timing, aber aufgrund der großen Zeitdifferenz und anderen Verpflichtungen nicht anders machbar. Glücklicherweise sind wir schnell mit allen Diskussionspunkten fertig, so dass ich mich in aller Ruhe dem gegrillten Hähnchenschenkel mit Reis und dem berühmt-berüchtigten Salat widmen kann. Nico hat mir vorhin noch erzählt, dass seine Mutter den Blog auch liest. Sie war Grundschullehrerin für Deutsch und ich frage mich, wie der Blog wohl von ihr benotet werden würde. Da Nico mein „Geschwurbel“ immer Korrektur liest, sitzen wir beide im gleichen Boot, wenn es zu Rechtschreib- und Kommafehlern kommt.

Nach dem Mittagessen mache ich mich erneut ans Lesen eines Manuskriptes über das Moscoviense-Becken auf der Mondrückseite. Der Sessel in meinem Zimmer kommt mir dazu sehr gelegen. Zurücklegen, Füße aufs Bett, so lässt es sich bei geöffnetem Fenster gut arbeiten. Der Fortschritt ist aber eher langsam. Dran bleiben, sage ich mir! Zur Belohnung für die ersten paar Seiten gibt es den Joghurt, der vom Frühstück übrig blieb. Ein Stück Kuchen zum Kaffee wäre mir lieber…

Ein kurzer Zwischenstopp im Badezimmer bringt zwei Erkenntnisse. Erstens, meine Wäsche ist fast schon trocken. Das ist gut. Zweitens, ich stelle fest, dass mein Vollbart dieses Jahr reichlich grauer erscheint, als ich ihn von meinem letzten Trip nach Spitzbergen in Erinnerung habe. Die zwei Jahre gingen also nicht spurlos vorbei und langsam aber sicher scheine ich mich der Silberrückenfraktion anzunähern. Das ist nicht gut. Aber besser als die Alternative. Ich verdränge die Gedanken und lese lieber im Manuskript weiter, bis mein nächstes ESA Meeting beginnt. Ähnlich wie mein früheres Meeting heute, sind wir relativ schnell fertig, so dass noch genügend Zeit für ein Sonnenbad auf den Felsen bleibt. Heute fliegen aus irgendeinem Grund wieder mehr Flugzeuge von hier ab und Nico und ich machen jede Menge Fotos von den startenden Maschinen. Und heute habe ich auch meine richtige Kamera mitgebracht, um ein Foto eines weißen Fahrrades zu machen, dass an einer roten Scheune unterhalb des Fensters im ersten Stock hängt. Der Grund bzw. Sinn erschließt sich mir nicht. Ein ewiges Mysterium.

Somit geht der Nachmittag zu Ende und Nico und ich bereiten uns seelisch und moralisch auf das Abendessen vor. Serviert wird heute Kabeljaufilet in einer wässrigen Tomatensauce, Kartoffeln und ein buntes Gemüse, das aus Brokkoli, Blumenkohl, Rosenkohl und Erbsen besteht. Die Qualität des Fischs ist hervorragend; schönes festes Fleisch und guter Geschmack. Die Sauce ist mir aber viel zu labberig und fad. Aber was soll‘s, zuhause schmeckt einem ja auch nicht immer alles. Das Double Chocolate Cookie macht dafür wieder einiges wett. Auf der Verpackung steht „That’s what I call a real cookie”. In diesem Cookie hat „Aunt Mabel“ nur die besten Zutaten verbacken, unter anderem auch „Real Belgian Chocolate“, um einen „Original American Taste“ zu erreichen. Das Cookie ist frei von Palmöl und hat einen „Same Great Taste“. Den gleichen Geschmack wie was, geht mir durch den Sinn. Auch die Antwort auf diese Frage wird vermutlich ein ewiges Mysterium bleiben. Natürlich ist das Cookie in eine durchsichtige Plastikfolie verpackt, die mit brauner Schrift bedruckt ist. Ihr ahnt es schon. Zum Lesen der Zutaten muss man den Keks erst essen weil braune 8-Punkt Schrift vor braunem Cookie sich nun mal mehr als schlecht lesen lässt. Der gesunde Zucker steht an erster Stelle der Zutatenliste. Pro 100 g besteht das Cookie aus 59,4 g Kohlehydrate und 16.7 g Fett. Egal, habe ich mir nachmittags ein Stück Kuchen zum Kaffee gewünscht, bekomme ich abends zumindest ein Cookie. Kaffee gibt es ja sowieso immer, so dass die Welt letztlich wieder in Ordnung ist.

Nach dem Essen erfahre ich noch Neuigkeiten aus der Heimat. Ja, den Kindern ist es letzte Nacht im Zelt gut gegangen. Nein, es war Ihnen nicht zu kalt. Nein, es hat nicht geregnet. Nein, die Iso-Matte war auch nicht zu hart. Und ja, sie hatten Spaß. Ein voller Erfolg also. Auch mein Kumpel aus München ruft heute an und wir ratschen eine Weile über dies und das. Die wichtigste Nachricht: In Bayern darf man wieder in den Biergarten! So hat die göttliche Vorsehung doch noch ein Einsehen und ich könnte beruhigt ins Bett gehen.

Am Abend erreicht mich aber noch eine beunruhigende Nachricht. Wie es der Teufel haben will, haben sich die Waffengesetzte in Norwegen zum 1.6. geändert. Laut neuer Gesetzeslage braucht man nun eine Genehmigung des Sysselmannen, dem Gouverneur, zu Ausleihen einer Waffe. Das kann also gravierende Auswirkungen auf unsere Feldarbeit haben, sollten wir uns keine Waffen mehr vom AWI ausleihen können weil uns die Genehmigung fehlt. Ohne Waffe ist unsere Feldarbeit schlichtweg unmöglich und das AWI hat nicht genügend Personal vor Ort, um uns einen Bewacher abzustellen. Das AWI-Team hat mir in einer E-Mail versichert, dass es bereits an einer Lösung arbeitet. In einer weiteren E-Mail teilt uns Greg mit, dass er die Genehmigung für uns beantragen wird und wir ihm dazu unsere persönlichen Infos schicken sollen. Foto vom Reisepass, Schießzertifikat, Sozialversicherungsnummer und andere Dinge schicke ich ihm umgehend zu. Ich hoffe inständig, dass wir die Genehmigung des Gouverneurs über das AWI bekommen, unseren Schießkurs absolvieren können und dann ins Gelände dürfen. Alles andere käme einer Katastrophe gleich! In Spitzbergen hat jeder eine Waffe, die auch notwendig ist, um sich außerhalb von Ortschaften überhaupt bewegen zu können. Dementsprechend herrscht derzeit einige Unsicherheit darüber, wie die neuen Gesetze umgesetzt werden. Was in anderen Teilen Norwegens vielleicht durchaus Sinn macht, funktioniert so in Spitzbergen nicht. Wie gesagt, ich hoffe auf eine gute Lösung und werde morgen versuchen mit dem AWI Stationleader in Ny Alesund zu telefonieren. Dieses Jahr kommen doch einige Schwierigkeiten zusammen; auch aus Richtungen, an die ich bisher nicht in meinen kühnsten Träumen gedacht habe.

 

Photos

Bauschutt hinter dem Hotel
Bauschutt hinter dem Hotel
© KOP 132 SPLAM
  • Kunst am Bau: Rote Röhren in blauer Tonne
    © KOP 132 SPLAM
  • Meine heißgeliebte Espressomaschine - Treue Begleiterin auf vielen Touren
    © KOP 132 SPLAM
  • Großwaschtag
    © KOP 132 SPLAM
  • Harry beim Lesen von Manuskripten
    © KOP 132 SPLAM
  • Holzzaun zur Einfassung des Hotelparkplatzes
    © KOP 132 SPLAM
  • Das Fahrrad im ersten Stock!
    © KOP 132 SPLAM
  • Startende SAS Maschine über unserem Hotel.
    © KOP 132 SPLAM

2.6.2021

Fly me to the Moon! Um 6:18 Uhr steht der blasse Halbmond mittig in meiner Schießscharte und grüßt mich. Gestern muss ich ihn wohl in den Wolken übersehen haben. Wir haben abnehmenden Mond und die Westseite ist sichtbar. Auf den Fotos kann ich Mare Humorum, den Oceanus Procellarum, das Imbrium-Becken und die Krater Kopernikus und Kepler erkennen. Der Terminator verläuft in etwa am Ostrand des Imbrium-Beckems und östlich des Nubium-Beckens. Der andere Himmelskörper, der mir auffällt, auf dem ich allerdings weniger gut zuhause bin, ist die Sonne. Blauer Himmel, Sonne pur und schon jetzt halbwegs warm. Es ist so ein Tag, an dem man die Kühle des Morgens auf der Haut spürt aber man gleichzeitig die Hitze des Tages bereits erahnen kann. Diese lange Schönwetterperiode wird sich hoffentlich nicht rächen, wenn wir in Spitzbergen sind. Es ist ja durchaus angenehm hier während unserer zwei Stunden in der Sonne zu sitzen. Bei weitem lieber wäre es mir aber, wenn wir auf Spitzbergen so gutes Wetter hätten. Die Webcam auf dem Zeppelinfjellet in Ny Alesund zeigt dichte, relativ tiefe Wolken, keine Sonne und windstille Verhältnisse. Die gute Nachricht ist, dass die braunen Flecken langsam zu wachsen scheinen und der Schnee zu tauen beginnt. Bei der Geschwindigkeit mit der das Schmelzen von statten geht, hege ich aber meine Zweifel, dass wir dort schneefreie Bedingungen haben werden. Der Blick in Richtung Kronebreen Gletscher ist schlichtweg atemberaubend und in Ny Alesund kann man sehr schön das „Blaue Haus“ erkennen, unsere AWIPEV Anlaufstation vor Ort. Und natürlich ist auch die Kantine zu sehen – nur um den geräucherten Lachs sehen zu können, fehlt es an Bildauflösung. Aber ich weiß ja, dass er da ist und auf uns wartet! Die Webcam wird übrigens von Kings Bay AS betrieben und deren Bilder sind sowohl über deren Webseite, als auch über die Ny Alesund Webseite des AWIPEV zugänglich.

Gestern Abend hat mich noch eine E-Mail von Ernst erreicht. Er wünscht uns viel Glück für die Reise und kommentiert auch die Schneelage in Ny Alesund. Natürlich ist ihm auch klar, dass uns der Schnee die Suppe versalzen kann. Er erwartet aber, dass wir die Steinkreise sehr sehr sehr vorsichtig freilegen und dann alle üblichen Messungen machen. Keine Daten zu gewinnen ist für ihn schlichtweg inakzeptabel. So, jetzt haben wir glasklare Anweisungen und können uns daran ausrichten. Schließlich wollen wir ja nicht als Looser nach Hause kommen. Wie sagt man so schön: „Sie bemühten sich redlich“. Und dann bedauert es Ernst als passionierter Berg und Skitourgeher natürlich, dass er die „Winterlandschaft“ des Kongsfjorden nicht selbst erleben kann. Ich kann ihn nur zu gut verstehen! Wer einen Funken Sinn für grandiose Landschaften hat, dem geht bei den Bildern vom Zeppelinfjellet das Herz auf. Vor allem wenn einem die Gegend dort seit vielen Jahren fast schon zur zweiten Heimat wurde. Das SPLAM-Team bzw. ich feiern dieses Jahr Jubiläum. Seit 2010 sind wir mit zwei Ausnahmen, 2015 und 2020, jedes Jahr hierhergekommen. Es ist also meine zehnte Feldsaison in Ny Alesund. Bei Ankunft dort erwarte ich selbstverständlich einen roten Teppich und den goldenen Polarforscherorden. Okay, die Quarantänehalluzinationen setzen also doch noch ein. Es ist jetzt 7:22 Uhr und ich wechsle besser das Thema bzw. hole mir meinen zweiten Becher Happiness. Auch muss ich mich noch mental auf das Frühstück vorbereiten. Das Frühstück gibt es heute erst nachdem ich um 8:30 Uhr an der Rezeption angerufen habe. Man ist dort offenbar in bester Laune, denn man schlägt mir spaßeshalber vor, beim Nachbarn zu klopfen und ihm sein Frühstück wegzunehmen. Nachdem wir beide über diese grandiose Idee herzlich gelacht haben, verspricht er mir aber, dass er gleich jemanden schicken wird. Ein zweiter Anruf war schließlich notwendig, um mein Frühstück zu bekommen. Der Nachbar wollte also sein Frühstück doch nicht ohne Gegenwehr herausrücken! Auf meine Frage ob er eventuell vergessen hat jemanden mit meinem Frühstück zu beauftragen sagt der Mann an der Rezeption, dass er nie etwas vergisst. Vermutlich hat er sogar Recht, denn es stellt sich heraus, dass er nicht der Gleiche ist, mit dem ich beim ersten Mal gesprochen habe. Wieder müssen wir beide lachen. Jetzt habe ich mein Frühstück und habe zusätzlich noch zwei gute Lacher aus der Situation mitnehmen können. Was will man mehr? Statt Salami gibt es heute wieder „2 Skiver Kokt Skinke“. Neu ist die Verpackung, die sich nur sehr widerspenstig öffnen lässt. Nach einigen fehlgeschlagenen Versuchen reißt mir der Geduldsfaden. Ein beherzter Einsatz meines Multifunktionstools löst das Problem mit einem grausamen Stich mitten in den Kochschinken. Sau tot, Hallali, oder so!

Ein besonderer Tag, denn heute kommen meine gewaschenen Klamotten zum Einsatz. Riechen tun sie ganz frisch, aber ein Weichspüler ist offensichtloch nicht im Shampoo bzw. Duschgel enthalten – mein T-Shirt ist steif wie ein Brett und ähnelt beim Tragen einem 80er Schleifpapier. Das ist nur etwas für gaaaaaaanz harte Männer! Nico hat seine eigene Großwäsche begonnen. Natürlich ist er viel besser darauf vorbereitet als ich. Erstens hat sein Waschbecken einen Stöpsel, der es ihm ermöglicht die Wäsche einzuweichen bzw. über Nacht in der Lauge zu lassen. Bei mir fehlt dieser leider, so dass ich nur einen Schnellwaschgang bei meiner Duschwaschmaschine habe. Zweitens hat er tatsächlich eine Tube Waschmittel mitgebracht! Meines Wissens kommt diese aber nicht zum Einsatz, da natürlich auch er den wichtigen wissenschaftlichen Fragen nachgehen will, die sich auch mir schon gestellt haben.

Wohl genährt und frisch gekleidet mache ich mich an die Arbeit an den Manuskripten, bevor ich um 10:00 Uhr mein erstes Zoom-Meeting habe und mich um 11:00 Uhr mit Nico treffe. Und was lerne ich beim Verlassen des Hotels? Von wegen Hitze des Tages! Über Nacht hat es deutlich abgekühlt und es weht ein frischer Wind, der fast schon kalt ist. Der Bauch und das Gesicht, die zur Sonnenseite gewandt sind, werden schön warm aber der Allerwerteste bleibt kalt. Ich habe eine Gänsehaut und Nico fragt sich, wie ich die Temperaturen in Spitzbergen überleben will. Ich brauche Bewegung! Und so erkunden wir die Ansammlung von Bauschutt und anderen Ablagerungen am Ende des Hotelparkplatzes. Ich mache einige interessante Fotos. Nach ein paar Tagen am gleichen Fleck werden auch unwichtige Nebensächlichkeiten wie in der Ecke abgeladener Bauschutt interessant. Insgeheim frage ich mich aber ob man wirklich bis Oslo fliegen muss, um Bauschutt zu fotografieren? Und auch die Hotelfassade muss daran glauben. Einige Stilelemente haben durchaus ihren Reiz und sind ein Foto wert. Besonders die Freitreppen und die Anordnung der hohen und schmalen Fenster in der komplett mit Aluminium verkleideten Fassade haben es mir angetan. Ich werde gerade noch mit dem Fotografieren fertig bevor wir zum Essen eilen müssen. Ist das ein Stress und eine Hetzte hier! Schäfer, der Polizist aus der Serie „Mord mit Aussicht“, gespielt von Bjarne Mädel, würde dazu nur „Mann, Mann, Mann“ sagen. Geben tut es übrigens Chili con Carne mit Kartoffeln, den gleichen Salat wie immer und eine Semmel. Noch ein Wort zum Salat! Er kommt immer in einer kleinen ovalen, durchsichtigen Plastikschale mit Deckel und besteht immer aus etwas geschnittenem grünen Salat und einigen Stückchen Tomaten und Gurken. Da das Dressing immer fehlt, ist er eher eine fade Angelegenheit. Aber ich esse immer brav meine Vitamine! Dem aufmerksamen Leser ist jetzt vielleicht die häufige Anwendung von „immer“ aufgefallen, die zum Ausdruck bringen soll, wie abwechslungsreich und kreativ der Salatgang gestaltet werden kann.

SAS weist uns per E-Mail um 13:49 Uhr darauf hin, dass wir für die Einhaltung der Einreiseregeln nach Svalbard selbst verantwortlich sind. Das ist jetzt nicht wirklich neu. Je nachdem wie die Quarantänetage genau gezählt werden, könnte es sein, dass wir nicht die vollen 10 Tage erreichen, die zur Einreise nach Svalbard notwendig sind. Bisher haben wir alle Anordnungen aufs i-Tüpfelchen befolgt und haben uns exakt an den Plan des norwegischen Polarinstituts gehalten. Auch haben wir von zwei unterschiedlichen Personen die Auskunft, dass wir nach unserem Coronatest am Freitag frei reisen können. Dennoch beschließen wir am Samstag zum Flughafen zu fahren, um alle Unklarheiten ein für alle Mal aus dem Weg zu räumen. Eventuell müssen wir umbuchen, was allerdings einen längeren Rattenschwanz an anderen Umbuchungen und Stornierungen nach sich ziehen würde. Wenn irgend möglich, wollen wir das natürlich vermeiden. Also, Daumen drücken!

Den frühen Nachmittag habe ich für die Vorbereitung meiner Vorlesung reserviert, die ich von 15:00 bis 16:30 Uhr halten soll. Pünktlich, 30 Minuten vor Vorlesungsbeginn, geht das Internet in die Knie. All die Tage hat es gut und sicher funktioniert und ausgerechnet jetzt macht es die Grätsche. Das gibt es doch nicht! Hiesinger ist jetzt ernsthaft sauer und nervös! Ich male mir bereits aus, dass mir keiner glauben wird, dass „Internetprobleme“ zum Ausfall der Klausur geführt haben, speziell wenn sie wissen, dass ich in Oslo sitze. AAARRRGGGHHHHH!!!! Doch kurz vor Vorlesungsbeginn ist das Internet wieder da und alles wieder in Butter. Dadurch, dass ich nur mein Tablett hier habe, kann ich nur meine Präsentation sehen aber nicht die Teilnehmer. Ich empfinde es als sehr irritierend 90 Minuten mit meinem Bildschirm zu sprechen, ohne irgendwelches Feedback zu bekommen. Als Konsequenz der Vorlesung muss auch unser Freigang um 30 Minuten verschoben werden. Aber pünktlich um 17:00 Uhr sitzen wir auf unseren Felsen. Mit Entsetzen müssen wir feststellen, dass ganz offensichtlich gemeine Eindringlinge in unserer Abwesenheit auf unseren Steinen gesessen haben. Mir fällt sofort auf, dass das Muster im Kies anders ist! Skandalös! Entspannt Euch, war nur ein Witz! Wir sind noch nicht völlig schrullig geworden! Und es ist okay für uns, wenn auch andere auf unseren Steinen sitzen. Ehrlich!

Mahlzeit! Ja genau, es ist schon wieder Essenszeit. Als ich meinen Alufressnapf öffne, finde ich eine große Hähnchenbrust mit Reis und einem asiatisch anmutenden Gemüse. Die Sauce ist scharf und würzig und ich würde sie ebenfalls als asiatisch beschreiben wollen. Apfelkuchen zum Nachtisch. Während ich esse, unterhalte ich mich mit meinem Basislager in Münster. Die Kinder dürfen heute im Zelt schlafen und haben keine Zeit für mich. Fernsehen ist wichtiger! Dafür berichtet mir Carolyn umso ausführlicher von ihren Abenteuern des Tages. Zoom ist schon eine feine Sache und tausend Mal besser als einfach nur zu telefonieren. Auch mit meiner Mutter unterhalte ich mich, bevor es ans Schreiben des Blogs geht. Heute bin ich spät dran. Ist aber auch egal, weil ja Morgen in NRW eh Feiertag ist und deshalb der Blog erst am Freitag online gehen wird. Ich zitiere nochmals Schäfer: „Mann, Mann, Mann, ist das ein Stress hier“.

Photos

Dramatische Wolkenstimmung kurz vor dem Schlafengehen Bei den Bildern  zeppCam2 und zeppPan-04 sollte als Copyright Inhaber Kings Bay AS statt KOP 132 genannt werden.
Dramatische Wolkenstimmung kurz vor dem Schlafengehen Bei den Bildern zeppCam2 und zeppPan-04 sollte als Copyright Inhaber Kings Bay AS statt KOP 132 genannt werden.
© KOP 132 SPLAM
  • Die Aluminium-Fassade unseres Hotels. Sehr space-ig!
    © KOP 132 SPLAM
  • Rohre auf dem Hotelparkplatz
    © KOP 132 SPLAM
  • Der Löwenzahn ist in voller Blüte
    © KOP 132 SPLAM
  • Eine Aussentreppe des Hotels, die als Notausgang fungiert
    © KOP 132 SPLAM
  • Nico kann es nicht lassen. Selbst beim Frühstücken denkt er an Kraterstratigraphie!
    © KOP 132 SPLAM
  • Der Mond am Morgen. Links das Originalbild, rechts nach der Bildbearbeitung.
    © KOP 132 SPLAM
  • Der Blick vom Zeppelinfjellet auf Ny Alesund
    © KOP 132 SPLAM
  • Blick vom Zeppelinfjellet in Richtung Kronebreen Gletscher. Deutlich sichtbar sind auch die Spitzen der Tre Kroner Berge, gewissermaßen das Wahrzeichen von Ny Alesund
    © KOP 132 SPLAM

1.6.2021

Um kurz nach 5:00 Uhr erblicke ich das Licht – nicht der Welt – aber immerhin des neuen Tages. Wie gestern schon vermutet ist der Himmel heute mit grauen Wolken verhangen. Also erst noch einmal umdrehen und etwas mehr „Augenpflege“ betreiben. Aber schließlich zieht es mich doch aus dem Bett und um 7:07 Uhr sitze ich in meinem „Büro“. Meine erste Amtshandlung ist jedoch, wie jeden Tag, dass ich mein Bett mache. Der Bettenbau ist laut US Admiral McRaven ein wichtiger erster Schritt im Tagesablauf eines Soldaten und damit auch Menschen. Sobald das Bett gemacht ist, hat man bereits eine erste Aufgabe erfolgreich erledigt, sagte er 2014 in einer Rede vor Studenten der University of Texas at Austin anlässlich deren Abschluss des Studiums. Damit fühlt man sich bereits früh morgens besser und man ist motivierter nach diesem kleinen Erfolgserlebnis weitere größere Dinge anzupacken. Am Ende des Tages hat man dann eine ganze Reihe von Dingen erledigt. Und falls nicht und der Tag wirklich eher schlecht war, so kommt man zumindest zu einem ordentlich gemachten Bett nach Hause in das man sich gerne legt, um für den nächsten Tag gut ausgeruht zu sein. Die Rede ist wirklich ein Paradebeispiel für Motivationstraining und ich kann nur empfehlen, sie einmal anzusehen. Insgesamt bekommt man 10 Lebensweisheiten mit auf den Weg, die sehr einfach, logisch und auch nützlich sind. Anschauen! Einer meiner Lionsfreunde hat sich gewundert, dass mein Zimmer so ordentlich sei. Gut, ich muss zugeben, dass das Bild, das er gesehen hat, unmittelbar nach meiner Ankunft im Hotel aufgenommen wurde. Andererseits hat sich tatsächlich nicht viel geändert. Das liegt auch daran, weil ich jeden Tag mein Bett mache. Mit Sicherheit nicht so akkurat wie beim Militär, aber immerhin. Mission accomplished! Und auch der Rest des Zimmers ist nach wie vor ordentlich. Lebt man auf beengtem Raum, sind Disziplin und Routine sehr wichtig. Auch mental. Ich stehe also wie jeden Tag früh auf und versuche meine Arbeit erledigt zu bekommen und mich nicht in die geistige Hängematte fallen zu lassen. Nur weil man 10 Tage in Quarantäne in einem Hotelzimmer sitzt, hört das Leben ja nicht auf. Die Anforderungen bleiben die gleichen, nur dass man sie unter erschwerten Bedingungen erfüllen muss. Erstens habe ich natürlich nicht meine zwei großen 30 Zoll Bildschirme hier, die ich aus meinem Büro gewohnt bin und die mir die Arbeit z.B. an Manuskripten sehr erleichtern. Zweitens gibt es hier natürlich zusätzliche Aufgaben wie Blog schreiben, Bilder editieren, mit Nico in der Sonne sitzen usw., die alle sehr zeitaufwändig sind. Weder Nico noch ich langweilen uns und unsere Tage sind fast zu kurz, um alles erledigt zu bekommen. Jedenfalls komme ich mit den mitgebrachten Arbeiten viel langsamer voran, als ich mir das ausgemalt habe.

Ich höre Rascheln vor meiner Türe. Es ist kurz vor 8:00Uhr und ich habe die Hoffnung, dass das Frühstück geliefert wird. Immerhin bin ich schon bei meinem zweiten Becher Kaffee und habe schon wieder Hunger – ob Ihr es glaubt oder nicht! Wenn man so alleine in seinem Zimmer sitzt, hat das Essen kein wirkliches soziales Element. Dennoch ist es wichtig für die Struktur des Tages und eine gern gesehene Abwechslung. Allerdings „schaufelt“ man das Essen in sich rein und da ich sowieso relativ schnell esse, bin ich meist nach ein paar Minuten damit fertig. Schade eigentlich – vielleicht sollte ich mir mehr Zeit dafür nehmen? Eventuell sogar versuchen zu genießen? Aber die Zeit habe ich ja gar nicht. Denn die E-Mails prasseln herein und die Zoom-Meetings werden auch nicht weniger. Und jetzt will sich auch noch mein Computer ausschalten, weil er „important updates“ Installieren will. Mal schauen, wie lange das wieder dauern wird? Ich mache inzwischen ein paar Fotos vom Hotelflur mit den Essenstischen und natürlich auch „meinem“ Essenstisch. Das Frühstück bietet keine Überraschungen. Ich bin heute mutig und entscheide mich für die Hardcore-Variante. In Tomatensauce eingelegte Makrelen kommen heute aus Brot. Da muss das zweite Brot fast logischerweise mit Salami und Käse belegt werden. Ein Himbeermarmeladenbrot wäre dann doch ein zu krasser Gegensatz. Ernst würde die Makrelen sicher lieben und schätzen! Auch bzw. gerade zum Frühstück! Schaut Euch mal die Blogs der letzten Jahre an, dann wisst Ihr, von was ich spreche. Wie gestern bei den Kjøttboller wird mir erneut bewusst, dass wesentliche Mitglieder des SPLAM Teams dieses Jahr einfach fehlen.

Der Blick auf die Uhr verrät mir, dass es kurz vor Affenfelsenzeit ist, also 11:00 Uhr. Danach noch schnell essen, bevor ich einen guten Teil des Nachmittags in einem ESA Meeting verbringen werde. Manuskripte sollte ich auch noch lesen – gerade ist ein neues in meiner Mailbox gelandet – und die Vorlesung muss auch noch fertig gemacht werden. Das Programm für den Tag steht!

Der Himmel ist mittlerweile mit Cirrocumulus-Wolken bedeckt – das ist zumindest meine laienhafte Interpretation. Laut Wikipedia hat diese Wolkenart ein körniges, gerippeltes Aussehen, wobei aber auch linsenförmige, scharf begrenzte Wolkenformen auftreten können. Diese Wolkenart kann durch Umbildung von Cirrus-Wolken entstehen, wenn feuchte warme Luft in große Höhen transportiert wird, wo es zur Bildung von Eiskristallen kommt. Die Sonne hat bei der geringen Bewölkung leichtes Spiel und es ist wie schon in den vergangenen Tagen herrlich warm. Mein kleines Hotelfenster bleibt den ganzen Tag geöffnet und lässt schöne milde Luft ins Zimmer. Ab und zu hört man tatsächlich ein Flugzeug oder ein vorbei fahrendes Motorrad. Ansonsten herrscht die gleiche komisch ruhige Stimmung der letzten Tage. Das ESA Meeting verläuft gut und ich habe noch Zeit meine Emails abzuarbeiten bevor ich mich, wie gewohnt, um 16:00 Uhr mit Nico treffe. Nico und ich verbringen unseren Nachmittags-Freigang wieder auf unseren Granitfindlingen und ratschen. Wir haben in den Tagen seit unserer Ankunft einen festen Rhythmus entwickelt, das heißt, wir sehen uns um 11:00 Uhr morgens und um 16:00 Uhr nachmittags. Der Mensch ist eben doch ein Gewohnheitstier. Das zeigt sich auch daran, dass wir uns schon fast automatisch immer wieder auf die gleichen zwei Steine setzen, ohne groß darüber nachzudenken.

Voilà, das Abendessen wird serviert, wenn auch deutlich später als sonst. Immerhin ist es schon 18:45 Uhr und die Gefahr des Verhungerns ist seit 18:00 Uhr von Minute zu Minute exponentiell gewachsen. Abendessen ist ein sicheres Zeichen, dass sich der Tag langsam dem Ende zuneigt. Vielleicht ist es Zeit für ein kurzes Résumé. Tag 5 unseres Abenteuers ist fast vorüber und wir haben noch immer keinen Lagerkoller. Wir sind ja solche Helden! Und morgen ist auch schon Bergfest, d.h. dass die meiste Zeit in Quarantäne dann hinter uns liegt. Das Licht unserer Abreise am Ende des Quarantänetunnels wird also immer heller und die paar Tage bis zu unserem Flug nach Longyearbyen werden wir jetzt auch noch auf einer Pobacke absitzen können. Es geht aufwärts! Obwohl es ja eigentlich nie abwärts ging! Tatsächlich sind Nico und ich guter Laune und die Stimmung könnte nicht besser sein. Nach 5 Tagen Quarantäne kann ich sagen, dass es sicher eine interessante Erfahrung ist, aber nichts was mich aus dem Gleichgewicht bringen würde. Ich glaube die relative Isolation während des letzten Corona-Jahres, während dem ich nur sehr wenig Kontakt zu Nicht-Familienmitgliedern hatte, war ein gutes Training. Für einen „Eremiten“ bedeutet eine Quarantäne keinen wesentlichen Unterschied im Lebenswandel. Always look on the bright side of life!

Fast hätte ich durch das Résumé das Wichtigste vergessen. Heute Abend gab es ein Gulasch mit Kartoffelpüree und Gemüse; als Nachtisch einen Kokos-Schoko-Brownie. Um 18:52 Uhr war ich damit fertig. Wollte ich mir nicht mehr Zeit nehmen und genießen? Nun, dazu ist es jetzt zu spät. Mache ich Morgen! Ehrlich!

Photos

© KOP 132 SPLAM
  • © KOP 132 SPLAM
  • © KOP 132 SPLAM
  • © KOP 132 SPLAM
  • © KOP 132 SPLAM

31.5.2021

7:16 Uhr. Leichte Cirrus-Wolken am Himmel kündigen einen Wetterwechsel an. Laut Wetterbericht soll es „erhebliche Bewölkung“ geben. Nur gut, dass es nicht regnen soll, denn die Zeit im Freien ist so eine Art Tageshighlight, das wir ungern missen möchten. Und auch für die Quarantänekinder täte es mir leid. Im Gegensatz zu den vergangenen Tagen muss unsere Zeit im Freien allerdings mit mehreren Zoom-Meetings koordiniert werden, die heute anliegen. Wie so oft, lässt mich das Büro noch nicht los.

Frühstück wurde heute schon überpünktlich geliefert, denn als ich um 10 vor 8 meinen Kaffee hole, steht es bereits vor der Tür. Das ist ja fast wie Weihnachten. Es kommt völlig unerwartet und man ist gespannt, was heute in die Tüte gepackt wurde. Die große und leider auch einzige Überraschung ist der Orangen-Saft! Ansonsten ist es eher wie wenn man an Weihnachten Socken geschenkt bekommt. Okay aber nicht sonderlich kreativ. Aber ich werde das Beste daraus machen und mich heute mal an den „Original Kaviar“ wagen. Abwechslung und Abenteuer müssen sein! Oh nein, gerade sehe ich, dass der Kaviar ausgerechnet heute fehlt! Nur gut, dass ich noch zwei Tuben von den letzten Tagen gebunkert habe. Und wenn ich schon mal dabei bin, wird heute auch der „Skinke Ost“ probiert. Alles muss auf eine Scheibe Brot, da ich sonst kein Marmeladenbrot machen kann. Als ich die Tuben ausgedrückt habe, ist das Ergebnis nicht unähnlich mit jenem das jeder kennt wenn er sein Auto schon mal zwei Wochen unter einem Baum geparkt hat. Nur farblich ist es natürlich anders. Zum geschmacklichen Vergleich kann ich nichts sagen; da muss ich mangels Erfahrung passen. Der Kaviar erstrahlt jedenfalls im schönsten Beta-Karotin rosa-orange und der Schmelzkäse in weiß-cremefarben. Die etwas rosa erscheinenden Komponenten darin sollen offensichtlich den Eindruck von Schinken erwecken. Allerdings glaube ich, dass bei diesem Produkt die Lebensmittelindustrie eher kreativ wurde und der Schmelzkäse vermutlich nur minimalste Mengen an Schinken enthält - wenn überhaupt. Geschmacklich ist der Kaviar klar fischig und sehr salzig, der Schmelzkäse dagegen eher fad. Vielleicht hätte ich mit dem Schmelzkäse anfangen sollen? Wie bei Wein, da fängt man ja auch nicht mit schwerem Rotwein an, um anschließend einen Chablis zu trinken. Als unerfahrener Kaviar- und Schmelzkäseesser macht man halt so seine Fehler. Lektion gelernt! Ah, es sind schon wahrlich schwerwiegende und weltbewegende Probleme, die ich hier diskutiere. Ich glaube ich hole mir erst einmal einen zweiten Kaffee.

Duschen wird heute zu einem hochwissenschaftlichen Experiment erweitert. Ich gehe der fundamental wichtigen Frage nach, ob man besser mit Shampoo oder besser mit Duschgel Klamotten waschen kann? Eine eindeutige Antwort lässt sich mit der doch sehr eingeschränkten Probenzahl nicht finden. Statistisch gesehen ist mein Experiment also ein Flop und nicht aussagefähig. Jedenfalls riecht alles mehr oder weniger gleich, als ich damit fertig bin. Die zweite hochkomplexe Frage ist natürlich, wie lange dauert es bis wieder alles trocken und für das nächste Tragen bereit ist? Die Schlaumeier unter Euch werden sicher fragen, warum ich meine Klamotten nicht einfach in die Hotelwäsche gebe? Das ist natürlich eine gute und auch berechtigte Frage. Aber Experimente sind nun mal das Salz in der Suppe eines gelangweilten Wissenschaftlers, der dadurch auch noch Unsummen an Geld einsparen kann. Oder es sich zumindest einredet. Spaß beiseite, bevor wir hier am Sonntag abreisen werden wir sicher den Wäscheservice des Hotels bemühen.

Ähnlich wie Socken zu Weihnachten war auch das gestrige Fernsehprogramm. „The Magnificent Seven“ und „The Italian Job“. Beides ohne Frage gute Filme, aber eben auch Filme, die man schon 2-27 Mal gesehen hat. Der Überraschungseffekt hielt sich also in Grenzen. Aber lesen wollte ich gestern auch nicht. Ich denke, ich hebe mir mein Buch besser für fernsehlose Zeiten in Spitzbergen auf. Dieses Jahr habe ich eine kleine und sehr eng bedruckte Taschenbuchausgabe von Henry Millers Roman „Wendekreis des Krebses“ mitgebracht, das ich bisher nie gelesen habe. Sehr saftige Sprache aber nicht unbedingt mein Stil. Zu Ende werde ich es trotzdem lesen. Alleine schon weil ich halbfertige Sachen und speziell halbfertig gelesene Bücher, nicht leiden kann. Auch wenn es Bücher gibt, die man getrost nach dem ersten Satz beiseitelegen kann, weil einem anschließend nichts mehr mitreißt. „Moby Dick“ war so ein Buch für mich. "Call me Ishmael." Grandioser erster Satz! Leider füllte Melville die restlichen Seiten mit mir endlos erscheinenden Beschreibungen von Walfang und Tran, die so gar nicht nach meinem Geschmack waren, als ich das Buch vor Jahren las. Schnee von gestern.

 

Viel wichtiger ist, dass heute in Münster unser neuesMob Mikroskop-Spektrometer geliefert wurde. Hurra! Endlich! Jetzt wäre ich wirklich zu gerne in Münster, um zumindest die Kisten zu sehen. Denn ausgepackt und in Betrieb genommen wird es erst Ende Juni, wenn der Techniker der Firma dafür zur Verfügung steht. Es ist also heute doch schon Weihnachten. Das Sahnehäubchen obendrauf ist, dass der Blog samt Bildern nun online ist.

Auf meinem Affenfelsen erreicht mich ein Anruf der norwegischen Coronabehörden. Nachdem ich versichert habe, dass ich derjenige auch bin, der angerufen wurde und auch ein gewisses Geburtsdatum habe, soll ich einige Fragen beantworten. Wo ich herkomme, warum ich reise, wo ich mich gerade befinde sind so einige der gestellten Fragen. Dann will man von mir wissen, ob ich die Coronaregeln kenne. Schließlich werde ich unterwiesen was ich machen muss, sollte ich Coronasymptome bekommen. Auf meine Frage, ob es für Spitzbergen besondere Bestimmungen gäbe, kontaktiert mein Anrufer sofort seinen Vorgesetzten. Innerhalb von ein bis zwei Minuten haben wir die Antwort, dass Spitzbergen ja zu Norwegen gehöre und es deshalb keine Sonderregelungen gäbe. Es bleibt also dabei, dass wir uns nach Aufhebung der Quarantäne frei bewegen dürfen. Jetzt sind auch meine letzten Zweifel ausgeräumt. Das ganze Gespräch verlief sehr freundlich und korrekt und ich war schlichtweg begeistert, wie schnell man hier eine eindeutige Antwort auf seine Fragen erhält. Das ist sowas von erfrischend gegenüber dem „wenn, aber, vielleicht, kann ich nicht entscheiden“ in Deutschland. Ich sage meinem Anrufer auch, dass ich die Organisation der Coronaregelungen in Norwegen für sehr gut halte. Er freut sich sehr darüber und will es an seinen Chef weitergeben. Zum Schluss sagt man mir noch ich solle auf die Eisbären in Spitzbergen aufpassen und das schöne Wetter in Oslo genießen. So kann eine Behörde also auch kommunizieren. Wahnsinn, warum gibt es das nicht auch bei uns?

Zum Hot Topics Seminar komme ich etwas verspätet. Mea culpa. Aber die Sonnenstunde ausnutzen ist wirklich wichtig. Da sich Seminar und Essen überschneiden, stelle ich das Essen zum Ausgleich hinten an. Heute gibt es ein indisch angehauchtes Gericht, das ich am ehesten als Tikka Masalla beschreiben würde. Sehr gut aber eben nur mehr lauwarm, als ich um 13:30 schließlich zum Essen komme. Anschließend haben Nico und ich noch ein Zoom Meeting und dann mache ich mich an die Beantwortung meiner eingegangenen E-Mails. Das ruhige Wochenende ist vorbei und die Nachrichten kommen schneller rein, als ich sie beantworten kann. C’est la vie!

Während des ganzen Tages habe ich keine einzige Flugbewegung registriert. Es scheint also gestern eine gewisse Ausnahmesituation gewesen zu sein, als am Nachmittag doch relativ viele Flugzeuge Oslo verließen. Vielleicht hat sich aber auch nur der Wind gedreht, so dass wir von den Flügen nichts mehr mitbekommen.

Kurze Zwischenmeldung um16:15 Uhr: Meine gewaschene Wäsche ist fast trocken und sollte spätestens Morgen wieder einsatzbereit sein. Geht also viel schneller als gedacht.

Der späte Nachmittag wird auf den Affenfelsen verbracht. Zufälligerweise berichtet mir Nico von einer E-Mail, die ich ihm geschickt hätte. Nur, dass ich ihm gar keine geschickt habe! Wir gehen der Sache nach und stellen fest, dass jemand in meinem Namen Spam-Mails verschickt. Ohne Anrede, auf Englisch und nur bei genauem Hinsehen stellt man fest, dass die E-Mailaddresse nichts mit mir zu tun haben kann. Zur Sicherheit informieren wir unseren Systemadministrator, der dann auch prompt eine Warnmail an alle Institutsmitglieder verschickt. Ich bin ernsthaft sauer aber machen kann ich letztlich nichts. Also konzentriere ich mich schnell wieder auf die positiven Dinge. In der späten Nachmittagssonne ist es herrlich warm und es weht kein Lüftchen. Nico nennt es eine „Demse“ – ein Wort, das ich noch nie gehört habe und dem auch das automatische Korrekturprogramm meiner Textverarbeitung völlig hilflos gegenüber steht. Im Wörterbuch wird dazu ausgeführt, dass mit diesem ostmitteldeutschen Wort stickige, feuchte, heiße, schwüle Luft beschrieben wird. Kein Wunder, dass ich das als Bayer nicht kenne, komme ich doch aus einem völlig anderen Sprachraum. Da ich aber nun weiß was gemeint ist, kann ich Nico zustimmen. Alles ist bleiern ruhig und läuft wie in Zeitlupe ab. „Die unerträgliche Langsamkeit des Seins“, um Milan Kundera zu paraphrasieren. Den anderen Gästen ergeht es offensichtlich ebenso. Sie liegen auf der Wiese und dösen oder lesen und eine Gruppe hat einen kleinen Tisch und Campingstühle aufgestellt, um ein Picknick zu machen. Jetzt kurz vor 18:00 Uhr gehen wir auf unsere Zimmer zurück. Zum einen gibt es gleich Abendessen gibt und zum anderen möchte ich heute zumindest noch ein Manuskript fertig korrigieren.

Andreas wird es jetzt vielleicht doppelt ärgern, dass er nicht hier sein kann. Denn zum Abendessen gibt es heute Kjøttboller, die seit dem Erfolg eines gewissen Möbelhauses weltbekannte schwedische Spezialität. Aber vielleicht ist ja zwischen schwedischen und norwegischen Kjøttboller ein ebenso großer Unterschied wie zwischen Frikadellen bzw. Buletten und einem ordentlichen bayerischen Fleischpflanzl. Ich kann nur sagen, da liegen Welten dazwischen! Jetzt bin ich ja kein Kjøttboller Aficionado und bin sicher ein völliger Ignorant der regionalen Unterschiede, aber mir schmecken sie heute sehr gut. Als Beilage gibt es Salzkartoffeln, Gemüse und einen Schoko Muffin, wobei ich mir vorstellen könnte, dass dieser eher als Nachspeise gedacht war. Tut mir leid Andreas, dass Du die Kjøttboller verpasst hast! Das Leben ist manchmal grausam!

Photos

© KOP 132 SPLAM
  • © KOP 132 SPLAM
  • © KOP 132 SPLAM
  • © KOP 132 SPLAM
  • © KOP 132 SPLAM

30.5.2021

Tag 3! Der Blick durch meine Schießscharte um 5:44 Uhr zeigt erneut einen schönen Tag mit blauem Himmel und Sonne. Groundhog Day – Und ewig grüßt das Murmeltier, falls sich noch jemand an diesen Film aus den 80er Jahren erinnert. Die wesentliche Änderung gegenüber gestern ist jedoch, dass das Frühstück um 7:52 Uhr, meiner Aufstehzeit, noch nicht geliefert ist. Beim Holen meiner ersten Tasse Happiness fällt mir auf, dass vor den anderen Türen Papiertüten liegen. Ich wurde also offensichtlich bei der Lieferung übersehen. Meine erste Amtshandlung wird es daher heute sein, mir ein Frühstück zu erjagen. Was für ein Abenteuer bereits am frühen Morgen! Man ist ja fast schon froh um etwas Abwechslung. Meine Jagd ist erfolgreich, denn die freundliche Dame an der Rezeption sagt mir am Telefon, dass sie das Restaurant verständigen wird. Wau! Gerade klopft es an der Türe. Dies läuft hier alles in Echtzeit ab. Während ich also die letzten zwei Zeilen getippt habe, kam bereits jemand vorbei, um mein Frühstück zu liefern. Klasse Service und auch sehr freundlich persönlich übergeben! Generell fällt mir auf, dass alle Gäste und das Hotelpersonal sehr ruhig und rücksichtsvoll miteinander umgehen. Ich habe bisher kein einziges lautes Wort oder erhitzte Diskussionen um ein fehlendes Handtuch oder sonstige Kleinigkeiten gehört. Alles verläuft sehr entspannt und gelassen. Man könnte ja meinen, dass die Leute nach einigen Tagen einen Lagerkoller bekommen und aggressiv werden. Aber das ist eben gerade nicht der Fall. Viele sehr unterschiedliche Menschen mit völlig unterschiedlichen kulturellen, religiösen, ethnischen, politischen und sonst welchen Prägungen leben hier in einer Art Blase problemlos zusammen. Uns alle vereint, dass wir möglichst ohne Probleme und möglichst schnell durch diese Quarantäne kommen wollen. Durchaus eine interessante und angenehme Erfahrung. Besonders bewundernswert finde ich, wie Kinder mit dieser Quarantänefunktion umgehen. Im Hotel sind sicher ein Dutzend Kinder unter 10 Jahren, die wir natürlich nur im Freien sehen. Da wird dann ganz normal herumgetollt, sich kleine Hügel hinuntergekullert, oder Fangen gespielt. Als ob nichts wäre. Im Asterix auf Korsika steht dazu sinngemäß: Alles völlig banal. Nicht mal einen Bericht nach Rom wert. Schön so! Für die Kinder freut es mich besonders, dass das Wetter derzeit so schön ist.

Das Frühstück ist heute komplett anders. Statt Kochschinken gibt es Salami auf deren Verpackung „saftig, smakfull“ steht. Statt Erdbeerjoghurt gibt es Melonen/Passionsfrucht-Joghurt. Das Besteck fehlt! Wie gestern bei Nico. Dies scheint ein wiederkehrendes Problem zu sein. Nur gut, dass ich das ungebrauchte Messer vom Abendessen aufgehoben habe. Für den Joghurt kommt die Gabel von gestern Mittag zu Einsatz. Man ist ja auf fast alles vorbereitet. Da kommt dann der Sammler-Aspekt der „Jäger und Sammler“ Entwicklungsstufe zum Tragen, der ein Überleben sichert.

Also doch nicht 100% Groundhog Day. Mal schauen, was der Tag noch bringen wird. Bisher weiß ich nur, dass ich um 10:00 Uhr mit der Familie zoomen werde. Und dass mein Masterplan vorsieht an einigen Veröffentlichungen und der Vorbereitung der Vorlesung am Mittwoch in Braunschweig zu arbeiten. Ich hatte den Termin dieser Art Ringvorlesung bereits vor längerer Zeit ausgemacht, lange bevor es klar wurde, dass wir früher aus Münster abreisen müssen, um in Quarantäne zu gehen. Mit den virtuellen Möglichkeiten ist es ja im Prinzip egal von wo aus man seine Vorlesung macht. Nervös macht mich lediglich, dass ich meinen üblichen Laptop nicht mitgenommen habe, sondern alles von meinem Rough Tablet erledigen muss. Dazu muss ich versuchen alle Movies zum Laufen zu bekommen und die „ganze“ Mondgeologie in eine Doppelstunde zu bringen. In der „Einführung in die Planetologie“, die ich in Münster lese, brauche ich dazu im Regelfall 4 Doppelstunden. Auch das unterschiedliche Vorwissen der Studierenden in Braunschweig muss ich berücksichtigen, da es sich dort überwiegend um Ingenieure handelt und nicht um Geowissenschaftler. Es bleibt also noch viel Arbeit, um am Mittwoch eine vernünftige Vorlesung abliefern zu können. Bevor ich aber damit loslege, gibt es jetzt erst einmal Frühstück. Tablet zur Seite geschoben und schon verwandelt sich mein Schreibtisch in einen Frühstückstisch. Eine simple aber geniale Erfindung!

Gerade komme ich mit den neusten Neuigkeiten von den Affenfelsen zurück. Es ist ja auch Mittagszeit und ich will ja keineswegs das Essen verpassen. Nico musste gestern Abend tatsächlich in ein anderes Zimmer umziehen. Jetzt funktioniert zwar seine Türe. Dafür hat er keinen Schreibtisch mehr. Ein winziges Tischchen wird durch einen großen Spiegel ergänzt. Nicht ideal, aber zumindest kommt er wieder in sein Zimmer. Er arbeitet gerade an einer Simulation zur Verteilung der Auswurfmassen des Tycho-Kraters auf dem Mond. So ist es recht! Schon wirklich erstaunlich, was heute so alles möglich ist. Während Nicos Computer brummt, wird bei mir das Essen geliefert. Sauheiß und ich verbrenne mir fast die Finger an der Aluschale als ich es in mein Zimmer hole. Es gibt Nudeln und Hähnchenfleisch in einer würzigen Paprika-Rahmsauce, dazu Salat und eine Semmel. Das Besteck ist dieses Mal aus Plastik. Durch unsere Gespräche und den Blog haben Nico und ich herausgefunden, dass wir nicht immer das gleiche Essen bekommen. So hat es bei ihm gestern Abend eine Lasagne und eine Zimtschnecke gegeben, während ich Kabeljau und Brownie abbekommen habe. Den Masterplan, der vermutlich dahinter steckt, haben wir noch nicht ganz begriffen. Ich schicke noch eine E-Mail an den AWIPEV Stationleader mit unserem letzten Reisestatus. So wissen sie wenigstens was bei uns gerade Stand der Dinge ist und dass wir tatsächlich mehr oder weniger auf dem Weg nach Spitzbergen sind. Auch Ernst und Andreas werden mit den letzten Infos versorgt und aus meinem Lions Club treffen viele aufmunternde Kommentare ein, die mich sehr freuen.

Nach dem Essen arbeite ich für einige Zeit an meiner Vorlesung und fange an ein Manuskript über die Rheologie von Lavaströmen auf einem Vulkan auf dem Mars, Alba Patera, zu lesen und zu kommentieren. Die Arbeit geht gut voran und es wird schneller 16:00 Uhr als gedacht. Warum ist das wichtig? Es ist wichtig weil ich mich dann mit Nico in der Hotellobby treffe. Dort sitzt auch ein Vertreter der norwegischen Behörden und steht für Fragen zur Verfügung. Wir sind natürlich neugierig wie es weiter geht und reden mit der Person. Da wir am Freitag angekommen sind, können wir kommenden Freitag unseren zweiten Test direkt hier im Hotel machen lassen. Mit dem Testergebnis sollen wir uns dann nochmal bei ihm melden. Sollte der Test negativ sein, wird unsere Quarantäne aufgehoben und wir dürfen dann ohne weitere Einschränkungen innerhalb Norwegens reisen. Da der kommende Freitag der 4.6. sein wird und wir unseren Flug nach Longyearbyen  für den 6.6. gebucht haben, sollten wir ausreichend Zeit zur Verfügung haben, um alle Formalien und Testergebnisse erledigt zu bekommen. Für den Test werden wir vom Hotel informiert werden, wann genau wir zum Testzentrum kommen sollen. Es ist also alles sehr gut, einfach und transparent organisiert. Bei einem Minimum an Bürokratie. Respekt! Mit diesen guten Nachrichten nehmen wir unsere Affenfelsen wieder ein, um den sozialen Austausch zu pflegen. Man könnte auch sagen zum Quatschen. Während wir so da sitzen fällt uns auf, dass heute Nachmittag deutlich mehr Flugverkehr herrscht. Innerhalb einer Stunde starten gleich mehrere Flugzeuge. Mindestens 10, um genau zu sein.

Nico macht noch ein paar Bilder, die die kleinen Grüppchen vor dem Hotel zeigen. Dann ist es auch schon wieder kurz vor „Mahlzeit“. Eine bitterherbe Enttäuschung hält das Leben dann doch noch für uns bereit. Das Hotel darf keine alkoholischen Getränke verkaufen! Und da fällt auch Bier darunter, obwohl dies ja zumindest in Bayern als Grundnahrungsmittel zählt. Skandal im Scandic, wie Nico sagen würde! Unsere letzte Hoffnung ist der Pizza-Lieferservice, dessen Flyer überall in der Hotellobby herumliegen. Ich befürchte allerdings, dass dies vermutlich nur mit der Bestellung einer Pizza funktionieren wird und auch dann nur zu exorbitanten Preisen. „Der Markt fliegt mit den Preisen“ für die Eingeweihten unter Euch.

Gedünsteter Lachs mit Kartoffeln und Blumenkohl/Brokkoli/Bohnen. Dazu eine Schoko-Mousse mit Himbeersauce. Nur gut, dass die Quarantäne zeitlich begrenzt ist, sonst würde ich vermutlich in ein paar Monaten nicht mehr durch die Türe passen. Irgendwie erinnert mich das Ganze an meine Zeit bei der Bundeswehr wo ich 24-Stunden Bereitschaften und wenig zu tun hatte. Der typische Tagesablauf sah damals in etwa so aus: Frühstück, Nato-Pause, Mittagessen, Nato-Pause, Abendessen, Nachtverpflegung. Das ganze bei relativ wenig Bewegung. Und dann wundert man sich, dass man vierteljährlich mehr über die Kampfbahn rollt als läuft. Aber nun erst einmal Computer weg und Essen her! Jetzt fehlt eigentlich nur ein gut gekühlter Weißwein… Beim Gemüse und den Kartoffeln hat der Meister der salzlosen Küche seine Finger im Spiel gehabt aber der Lachs ist sehr fein. Und da ich ja eh weniger essen wollte, ergreife ich die Chance und lasse das Grünzeug weg.

So, jetzt wird es langsam aber sicher Zeit mit meiner Familie zu zoomen und anschließend werde ich mich dem norwegischen Fernsehen hingeben. Anders als bei uns laufen hier alle Filme im Original mit Untertiteln. So ist es ein Leichtes, die Filme zu verstehen. Und Bruce Willis klingt wie Bruce Willis und nicht wie derjenige, der die Vorteile einer Baumarktkette preist.

Photos

© KOP 132 SPLAM
  • © KOP 132 SPLAM
  • © KOP 132 SPLAM
  • © KOP 132 SPLAM

29.5.2021

Meine innere Uhr weckt mich heute und meine Armbanduhr zeigt mir an, dass es 6:30 Uhr ist als ich aufwache. An ein Aufstehen ist aber noch nicht zu denken. Schließlich ist heute Samstag. Wer steht an einem Samstag schon freiwillig um diese Zeit auf, speziell wenn man sowieso in seinem Zimmer bleiben muss und man nichts wirklich geplant hat. Es besteht also keine Eile! Um kurz vor acht ist es dann aber soweit. Der Blick aus meiner Schießscharte zeigt einen strahlend blauen Himmel und Sonne. Der Blick vor die Zimmertür zeigt, dass das Frühstück bereits geliefert wurde. Also schnell die Maske aufsetzen und möglichst schnell Kaffee holen. Ah, herrlich heiß und auch halbwegs stark! Was steht auf dem Becher? A little cup of happiness! Genau was ich jetzt brauche! Zwar kein doppelter Espresso, aber immerhin. Kaffee hat ja in der skandinavischen Kultur einen sehr hohen Stellenwert und das zeigt sich auch hier. Keine Plörre, sondern anständiger guter Kaffee. Okay, auch über den Umwelteffekt des Pappbechers kann ich unter den gegebenen Bedingungen hinwegsehen. Zweifellos werden während meines Aufenthalts von diesem Getränk noch einige Liter in mir verschwinden. Kaffee gibt es nämlich immer und unbegrenzt auf dem Flur. Das Frühstück wird in einer Papiertüte geliefert und ist eine wilde Mischung. Ich packe mal aus: 2 extra verpackte Scheiben Brot, ein extra verpacktes Besteck mit Salz, Pfeffer und Serviette, eine nicht mehr ganz taufrische dafür aber sehr kalte Orange, 2 extra verpackte Scheiben Kochschinken, ein Beutel Mayonnaise, ein Ei, ein kleiner Becher Erdbeerjoghurt, 0,25 Liter Apfelsaft im Pappkarton, zwei extra verpackte Scheiben Käse, ein Butterpäckchen, eine Portion Himbeermarmelade, eine Portion Leberwurst, eine Portion eingelegter Makrelen, eine Tube (!) „Original Kaviar“ und eine Tube Schinkenkäse (Skinke Ost). Da ist also für jeden etwas dabei und durchaus auch in Mengen, von denen man satt werden und bis zum Mittagessen überleben kann. Allerdings wäre es interessant zu wissen, um wieviel sich der Verpackungsmüll vergrößert hat, seit man Corona-bedingt auf diese Art des Frühstückens zurückgreifen muss. Corona hat also nicht nur Effekte auf unsere Gesundheit und Sozialstruktur, sondern auch direkt auf die Umwelt. An solche Effekte habe ich bisher nie gedacht. Man hört ja sonst nur von den CO2 Einsparungen durch den verringerten Verkehr, aber das ist halt nur die eine Seite der Medaille. Ich hoffe, jemand wird eine Studie über die Ökobilanz der Coronakrise machen! Immerhin ist das Besteck aus Holz! Da fühlt man sich doch gleich viel besser. Nur dass der Löffel beim ersten Mal an der Zunge klebt weil sich das trockene Holz daran festsaugt. Aber was solls? Zweite Tasse Kaffee! Dann räume ich den Schreibtisch auf, um Essen zu können. Momentan liegen tausend Kabel herum, die ich gestern Abend alle aus ihren Boxen nehmen musste, um das Ladekabel fürs Handy zu finden. Es war schließlich bei der GoPro-Kamera. Wo auch sonst? Ein Teller wird übrigens nicht mit dem Frühstück geliefert und so fühlt es sich fast wie campen im Hotelzimmer an. Improvisation ist jetzt alles! Ich streiche meine Brote auf deren Verpackungsmaterial und versuche dabei nicht allzu viel Leberwurst bzw. Marmelade auf dem Tisch zu verteilen. Nico hat mir gerade eine SMS geschickt – auch er vermisst einen Teller. Sehr witzig, dass wir quasi zeitgleich den gleichen Gedanken hatten. Bei ihm fehlen aber auch Besteck und Brot. Bevor ich in die Dusche springe, zoome ich noch kurz mit meinen Lieben. Die Laune wird durch die schöne heiße Dusche weiter gesteigert und so schreiten Nico und ich gegen 11:00Uhr voller Tatendrang ins Freie. Viele andere Gäste hatten offensichtlich die gleiche Idee und so finden sich im Rasen rund um das Hotel viele kleine Grüppchen, die ihre zwei Stunden Sonne genießen. Ist schon ein witziges Bild wie man es sonst nicht von Airport Hotels kennt. Besonders witzig sind auch zwei vermutlich russische Gäste, die bereits um diese Zeit kaum mehr gerade laufen können und sich wild gestikulierend „unterhalten“, einen ausgegangenen Klimmstengel im Mund. Breit wie eine Natter lang! Das russische Nationalgetränk funktioniert offensichtlich auch in Norwegen. Nach kurzem Spaziergang enden wir wieder bei unseren zwei Affenfelsen von gestern. Wir machen es uns bequem und sitzen für eine gute Stunde in der schönen warmen Sonne. Nico erzählt mir dabei, dass auch sein Coronatest negative war. Ein herrlicher Tag! Upps, schon wieder Zeit zum Essen – echter Stress hier! Passend zur Verpackung gibt es ein asiatisch-indisches Reisgericht mit Hühnchen, das sehr gut schmeckt und auch heiß ist. Alles bestens.

 

Um nochmal den Ball von gestern aufzunehmen. Ich trage heute ein neongelbes T-Shirt zu dem die rosa Armbanduhr ganz hervorragend passt obwohl einige völlig ignorante Leute vermutlich argumentieren würden, dass die Gefahr von Augenkrebs besteht. Und auch die Kombination von Badeschlappen und Trekking Hose hat durchaus ihre Reize. Immerhin trage ich aber keine weißen Socken, so dass mich niemand auf dem ersten Blick als Deutscher identifizieren kann.

Tag 2 unserer Quarantäne verläuft soweit sehr ruhig und beschaulich. Nico hat mittags ein Nickerchen gemacht, ich habe ein paar Emails bearbeitet und nachmittags sind wir lange auf unseren Affenfelsen gesessen, haben über tausend Dinge geredet und uns dabei fast einen Sonnenbrand geholt. Als unsere Köpfe trotz unserer üppigen Haartracht langsam aber sicher rot wurden, haben wir die Notbremse gezogen und sind wieder auf unsere Zimmer gegangen. Die Leute liegen teilweise mit nacktem Oberkörper auf der Wiese und erfreuen sich des warmen Wetters von sicher mehr als 20 °C. Da erscheinen mir all die dicken Fleece-Jacken und Pullover in meinem Hotelzimmer völlig deplatziert. Aber spätestens in ein paar Tagen werde ich wieder froh darum sein. Laut Bildern der Ny Alesund Webcam liegt dort noch viel Schnee und ich mache mir ernsthafte Sorgen, dass er nicht rechtzeitig bis zu unserer Ankunft wegtaut. Dadurch, dass wir dieses Jahr viel früher nach Spitzbergen gehen und das Frühjahr generell eher kühl war, haben wir dieses potentielle Problem zum ersten Mal. Sollte dort noch zu viel Schnee liegen, wären unsere Beobachtungen vor allem an den Steinkreisen gefährdet oder zumindest nur eingeschränkt möglich. Andererseits haben wir vielleicht die Möglichkeit, die Auswirkungen des ersten Auftauens auf die Steinkreise beobachten zu können. Das wäre natürlich super und würde unsere Beobachtungen aus den Vorjahren deutlich erweitern. Wir hoffen also auf das Beste und machen uns jetzt noch nicht verrückt. Wir haben ja auch noch einige Zeit und laut Wettervorhersage sollen die Temperaturen in Ny Alesund in den nächsten Tagen über Null liegen. Manjana!

Diese Quarantäne ist eine total entschleunigende Erfahrung, speziell an einem so verschlafenen Wochenende wie diesem. Da war selbst die Ankunft einer größeren Gruppe neuer Gäste an der Rezeption – immerhin 5 Personen - durchaus bemerkenswert. Ich denke, dass das Leben am Montag wieder mehr Fahrt aufnehmen wird, wenn ich wieder in x Zoom Meetings sein werde. Aber jetzt genieße ich erst einmal die ruhige Zeit! Im wahrsten Sinne, denn trotz der Nähe zum Flughafen hören wir nur sehr selten irgendwelchen Fluglärm. Der Flughafen in Oslo ist also wirklich mehr oder weniger geschlossen und unsere heutigen Beobachtungen bestätigen somit unseren gestrigen ersten Eindruck von einem Geisterflughafen. In Frankfurt war, relativ gesprochen, auch sehr wenig Betrieb aber dennoch waren die Einschränkungen viel weniger deutlich zu spüren als in Oslo. Man wartet förmlich darauf irgendwelche Gebüschballen über die Startbahn wehen zu sehen, wie es das in jedem zweit- bis drittklassigem Western zu sehen gibt, wenn der Regisseur eine gewisse Trostlosigkeit eines Ortes vermitteln will. Ein äußerst effektives Stilelement und hier sind wir nicht weit davon entfernt. Auch die großflächigen Parkplätze rund um das Hotel sind nach mehr als einem Jahr Corona mit hohem Gras und Löwenzahn überwuchert. Ich vermute, dass viele dieser Parkplätz zu normalen Zeiten für Langzeitparker vorgesehen sind. Da aber ja niemand in den Urlaub fliegen kann, liegen sie jetzt ungenutzt brach. Der Löwenzahn steht jedenfalls um diese Jahreszeit in voller Blüte und schaut sehr hübsch aus.

Nach unserem Sonnenbad ist dann für Nico doch noch Stress angesagt. Seine Zimmertüre lässt sich nicht mehr mit der Karte öffnen. Ein Angestellter musste ihm nach mehreren vergeblichen Versuchen mit neuen Karten die Tür mit einem Sicherheitsschlüssel aufschließen. Vermutlich bekommt er ein neues Zimmer. Nachdem er heute bereits mehrere Probleme gehabt hat, ist Nico „not amused.“ Jedenfalls schreibt er mir in einer Email: „Man, Man, Man, kein Brot, kein Besteck und ins Zimmer kommt man auch nicht mehr... Skandal im Scandic.“ So gibt es also doch noch etwas Weltbewegendes zu berichten, das ich den Bloglesern nicht vorenthalten möchte. Das Abendessen bestand heute aus einem großen Stück Kabeljau, Reis und Erbsen, gefolgt von einem Kokos-Schoko Brownie. Jetzt bin ich Papp satt. Zweimal am Tag warm essen ist einfach zu viel für mich. Ich werde Morgen kürzer treten – vielleicht!

Nach so einem harten Tag wäre jetzt ein Bier nicht schlecht. Bis jetzt haben wir allerdings noch nicht herausgefunden, wie und wo wir in diesem Hotel an Bier kommen können. Das wird unsere Aufgabe für morgen sein. Irgendwo muss es eine Quelle geben, denn von unseren Affenfelsen konnten wir beobachten, wie zwei Gäste eine Büchse nach der anderen aus ihren Taschen hervorzauberten und genüsslich in der warmen Sonne des Nachmittags tranken. Das geht so nicht weiter! Ich kann ja nicht jeden Tag 5-6 Becher Happiness in mich reinschütten, sondern muss auch auf meine B-Vitamine und meine Elektrolyte achten.

Photos

© KOP 132 SPLAM
  • © KOP 132 SPLAM
  • © KOP 132 SPLAM
  • © KOP 132 SPLAM
  • © KOP 132 SPLAM
  • © KOP 132 SPLAM

28.5.2021

Das Abenteuer hat begonnen! Eigentlich hat es ja schon vor Wochen begonnen und deshalb ist es vielleicht wert, ein paar Zeilen über die Vorbereitungen unserer diesjährigen Spitzbergen-Exkursion zu schreiben. Unser ursprünglicher glorreicher Plan war, dass wir in unserer üblichen Stammbesatzung, der neben mir auch Andreas Johnsson und Ernst Hauber angehören, nach Spitzbergen reisen. Der vierte in unserer Runde, Jan Raack, hatte uns bereits sehr früh absagen müssen und so ist dieses Mal Nico Schmedemann neu im Team. Nachdem wir dieses Jahr Corona-bedingt keinen Gast mitnehmen wollten, war unser Team kleiner geplant als in den Vorjahren. Aber was wäre so ein Trip in Coronazeiten ohne zusätzliche Komplikationen und Überraschungen? Zum einen ist da natürlich die Reise an sich. Norwegen gestattet derzeit nur Personen die Einreise, die aus wichtigem Grund dorthin reisen müssen. Touristen wird momentan die Einreise verweigert und alle Einreisenden brauchen eine Bestätigung des Arbeitgebers, die den dienstlichen Grund der Reise belegt. In unserem Fall haben wir Bestätigungen der WWU Münster, dem Alfred-Wegener Institut und dem Norsk Polarinstitutt. Dreifach hilft besser – hoffen wir! Kaum hatten wir alle Dokumente, ergab sich bei Andreas ein Coronafall in der Schulklasse seines Kindes. Auch ist die Grenze zwischen Schweden und Norwegen in Coronazeiten relativ undurchlässig. Ernst hatte mit anderen Dingen Probleme, z.B. eine Dienstreisegenehmigung zu bekommen. Lange Rede kurzer Sinn, unser Viererteam ist dieses Jahr auf Nico und mich geschrumpft – deutlich kleiner als geplant. Speziell Andreas und Ernst sind sehr enttäuscht und auch für Nico und mich bedeutet dies Probleme. Ganz abgesehen davon, dass wir unsere Kumpels vermissen und es vermutlich weniger lustig werden wird, müssen wir auch versuchen, zu zweit die Arbeit von vier Leuten zu erledigen. Mal schauen, ob uns das gelingen wird! Und natürlich mussten wir alle Reservierungen bei Kings Bay AS kurzfristig ändern bzw. stornieren. Eine weitere Komplikation besteht darin, dass alle nach Norwegen einreisenden Personen in Oslo für 10 Tage in Quarantäne müssen. Auch muss man sich 72 Stunden vor Einreise auf einer Webseite der norwegischen Regierung registrieren lassen. Dabei kann man auch angeben, wo man seine Quarantäne verbringen will. Nico und ich entscheiden uns für ein Hotel, das durch den norwegischen Staat bereitgestellt wird. Selbstverständlich fallen dafür Kosten an, die die Reisenden selbst tragen müssen. Die Kosten sollen bei ca. 60 Euro pro Tag und Person liegen, inklusive Verpflegung, sind also moderat. Ob man das Hotel z.B. für einen Spaziergang verlassen kann oder ob wir tatsächlich die ganze Zeit im Zimmer verbringen müssen, werden wir in Oslo erfahren. Und auch ob wir überhaupt einreisen dürfen hängt letztlich vom Beamten bei der Einreise ab – trotz aller Dokumente hat er die letzte Entscheidung zu treffen! Es bleibt also spannend! Wir haben jedenfalls alles nach bestem Wissen und Gewissen vorbereitet und sind guter Dinge.

Gestern haben Nico und ich noch unsere notwendigen Antigen-Schnelltests machen lassen. Beide Tests fielen negativ aus, so dass wir uns heute Morgen um 5:00 Uhr getroffen haben, um gemeinsam nach Frankfurt zu fahren. Fliegen ist definitiv anders in Coronazeiten! Bei einem Abflug aus Münster hätte die Reise fast 11Stunden gedauert. Bei einem „Abflug“ aus Düsseldorf hätte uns die Lufthansa in den Zug nach Frankfurt gesetzt. Beides waren für uns keine Optionen. Aufgrund des geringen Flugaufkommens war es völlig unproblematisch unsere Flüge zu buchen obwohl wir erst viel später gebucht haben als sonst. Und auch das Parkhaus direkt am Lufthansaterminal hat mehr als 50% Rabatt gewährt. Also haben wir unser Gepäck im meinen Pathfinder geladen und sind damit nach Frankfurt gedüst. Apropos Gepäck. Irgendwie sind meine Rucksäcke dieses Jahr viel leichter! Ich hoffe, ich habe nichts Wesentliches vergessen. Das kann allerdings gut sein, da ich gestern beim Packen mehrmals unterbrochen wurde. In spätestens ein paar Tagen werde ich es wissen. Generell muss ich sagen, dass mir der Abschied von meiner Familie gestern Abend viel schwerer gefallen ist, als in den Vorjahren. Zum einen bin ich über ein Jahr nicht mehr getrennt von meiner Familie gewesen und zum anderen ist die Dauer dieses Jahr Quarantäne-bedingt natürlich auch viel länger. Und auch die Kinder spürten, dass etwas anders ist und hatten verstärkten Kuschelbedarf. Jedenfalls freue ich mich schon jetzt darauf, alle meine Lieben bei meiner Rückkehr wieder in den Arm nehmen zu können. Carolyn war natürlich nicht sonderlich begeistert, dass ich für so lange unterwegs sein werde. Schließlich ist sie jetzt für die nächsten Wochen auf sich allein gestellt, um Arbeit, Kinderbetreuung, Haushalt, Garten und andere Dinge geregelt zu bekommen. Aber sie ist eben auch Wissenschaftlerin und versteht, dass es wirklich sehr schlecht wäre eine zweijährige Lücke in unseren Daten zu haben. So habe ich von ihr zähneknirschend die Starterlaubnis bekommen und dafür liebe ich sie umso mehr! Nico geht es mit seiner Freundin ähnlich. Unsere Expedition hat also einen nicht unerheblichen Impakt auf unsere Familien. Wir sind uns dessen bewusst und machen mit Sicherheit keinen „Urlaubstrip“ aus Jux und Tollerei.

Bis auf viele LKW und Baustellen verlief die Anreise zum Frankfurter Flughafen unproblematisch. Allerdings war es schon ein sehr komisches Gefühl nach einem Jahr Maskentragen, mit einem Nichtfamilienmitglied ohne Maske im Auto zu sitzen. Aber spätestens in Ny Alesund in den Hütten ließe sich das Maskentragen eh nicht mehr umsetzen. Und die Tests waren ja negativ…

Gegen 8:30 Uhr waren wir am Flughafen. Wer den Frankfurter Flughafen in seinen besten Zeiten kennt, wird ihn jetzt nicht wiedererkennen. Wenige Leute in den Hallen, die meisten Geschäfte geschlossen, keine Schlangen beim Einchecken, an der Sicherheitskontrolle kommt man sofort dran. Positiv fällt mir auf, dass das Personal mehr Zeit hat, weniger gestresst ist und insgesamt viel freundlicher ist. Geht doch! Bereits beim Einchecken werden wir nach unseren Coronatests gefragt und vor der Sicherheitskontrolle müssen wir ihn nochmals vorweisen, zusammen mit unserer Arbeitgeberbescheinigung. Allerdings macht sich die zusätzliche Zeit auch bei der Sicherheitskontrolle bemerkbar, die deutlich umfangreicher und genauer ausfällt. Jedenfalls bin ich noch nie so gründlich abgetastet worden, obwohl ich vorher durch den Scanner ging. Da wundert es natürlich auch nicht, dass unsere elektronischen Geräte, Powerbanks, Kabel, Festplatten, Computer, etc. auf großes Interesse stießen. Aber wir haben ja jede Menge Zeit und nehmen die Kontrolle gelassen hin. Die Senatorlounge ist sehr ruhig, jeder zweite Platz ist blockiert und es gibt keine Speisen und Getränke. Man kann sich allerdings Sandwiches und Kaffee/Tee/Wasser mitnehmen und außerhalb der Lounge verzehren.

Aufgeregt wie wir sind, kommen wir ca. 30 Minuten vor unserer Boarding Time am Gate A22 an, um noch unseren Kaffee trinken und unsere Sandwiches essen zu können. Wie so oft in Frankfurt erfahren wir kurz vor dem Einsteigen, dass sich das Gate geändert hat – neues Gate ist nun A18. Manche Dinge ändern sich also doch nicht! Fast schon schön, in die alte Vertrautheit zurückfallen zu können! Der Bus bringt uns zu einer Außenposition und Abstände können dabei nicht immer gewahrt werden. Pünktlich um 13:05 Uhr geht es los Richtung Oslo. Nach über einem Jahr Flugabstinenz ist es fast schon spannend! Bei den Sitzen in der Economy-Klasse hat sich Nichts geändert; sie sind nach wie vor nur mäßig bequem und obwohl ich müde bin, kann ich nicht wirklich schlafen. Nichts geändert hat sich auch an der Tatsache, dass trotz bester Flugbedingungen ohne Turbulenzen, man von Leuten angerempelt wird, die auf dem Weg zur Toilette sind. Fast habe ich es vermisst. Neu ist hingegen, dass Lufthansa jetzt für Essen und Getränke bezahlt werden will. Bei 3 Euro für einen Becher Kaffee machen sie mit mir kein Geschäft. Ich finde das schon eher unverschämt und ich befürchte, dass dieses Geschäftsgebaren auch nach Corona Bestand haben wird. Sollte es keine Coronagründe geben, muss man sich fragen, wo denn der Unterschied zu Billigfluglinien mittlerweile ist! Aber die Zeit vergeht buchstäblich wie im Fluge und eigentlich will ich mich auch gar nicht ärgern, speziell bei dem tollen Ausblick auf die unter uns vorbeiziehende Landschaft. Schon erklärt der Flugkapitän, dass wir die Reiseflughöhe verlassen haben und uns im Anflug auf Oslo befinden. Wegen Corona sollen einzelne Reihen zum Aussteigen aufgerufen werden, beginnend mit den vorderen Reihen. Der Rest möge bitte sitzen bleiben, bis die Reihe dran ist, in der man sitzt. Macht ja auch Sinn, um ein Gedränge im Gang möglichst zu vermeiden. Soweit die Theorie. Die Praxis schaut natürlich anders aus! Noch ehe der Flugbegleiter mit seiner Begrüßung fertig ist gehen die Anschnallzeichen aus. Rund um mich herum – ich sitze in Reihe 20 – springen die Leute wie von der Tarantel gestochen auf und fangen an ihr Handgepäck aus den Fächern zu holen. Der Stewart kommt und bittet die Leute sich wieder zu setzen. Das funktioniert genau für 10 Sekunden bis der Gang erneut voll mit Leuten ist. Es ist schon erstaunlich wie schwierig es manchmal sein kann, simpelste Anweisungen zu befolgen. Auch musste der Flugbegleiter mindestens zwei Leute ermahnen, ihre Masken nicht auf Halbmast zu tragen.

So, und jetzt wird es wirklich spannend! Haben wir alle Dokumente, um nach Norwegen einreisen zu können? In der gegenwärtigen Situation ändern sich die Coronaregeln fast täglich und schneller als man darauf reagieren kann. Nach einer längeren Wartezeit bin ich endlich am Schalter. Ich gebe der Polizistin meinen Pass, den Coronatest und die drei Bestätigungen. Einmal kurz die Maske zeigen und schon bin ich durch. Wunderbar – ein wichtiger Schritt ist getan! Bei Nico dauert es länger weil er offensichtlich einen etwas penibleren Beamten abbekommen hat, der genau wissen will, warum die Reise unbedingt nötig ist. Untersuchung von Steinkreisen, ununterbrochene Messreihe, Langzeituntersuchung sind alles Begriffe und Aussagen, die nur wenig Sinn im Kopf des Beamten ergeben. Auch will er wissen, warum wir nicht in Longyearbyen in Quarantäne gehen? Das wiederum verwirrt uns, da wir bisher noch nie von solch einer Option gehört haben. Und auch jetzt, viele Stunden später als Nico und ich im Hotel sitzen, sind wir uns noch immer unsicher. Sinn macht es jedenfalls nicht. Aber nach dem Sinn gewisser Coronaregeln zu fragen habe ich schon lange aufgegeben. Jedenfalls ist dann auch Nico irgendwann mit den Einreiseformalitäten fertig und wir können weiter. Nächste Station ist die Gepäckausgabe zu der wir gruppenweise im Entenmarsch geführt werden. Eine Aufsichtsperson vorweg, eine Zweite bildet die Nachhut. Der Osloer Flughafen ist mehr oder weniger komplett leer und verwaist. Ab und zu sieht man vereinzelte Reisende. In den Geschäften sind selbst die Regale ausgeräumt und wo sonst reges Treiben herrscht, findet sich nun gähnende Leere. Wirklich bizarr! Die gute Nachricht ist, dass unser Gepäck vollständig angekommen ist. Nachdem wir einen Zettel mit Namen und Kontaktinfos ausgefüllt haben, können wir uns für den obligatorischen Coronatest registrieren, der dann unmittelbar im Anschluss gemacht wird. Und das ist ein wirklicher Coronatest. Erst linker Rachenraum, dann rechter Rachenraum und zum Schluss die Nase. Obwohl, das ist eigentlich falsch, denn das Stäbchen wird soweit eingeführt, dass es am Zäpfchen kitzelt! Der Tester lässt noch einen flotten Spruch los, nach dem Motto: „Jetzt noch dreimal links und zweimal rechts drehen.“ Dann ist man erlöst. Und kann plötzlich völlig frei durchatmen. Zumindest mit einem Nasenloch! Das war mit weitem Abstand der intensivste Test, denn ich bisher erlebt habe. Eine Wiederholung brauche ich nicht unbedingt. Anschließend werden wir einzeln aufgerufen und in Gruppen eingeteilt, um mit einem Bus zum Quarantänehotel gebracht zu werden. Auch dabei gibt es wieder eine längere Wartezeit. Aber schließlich kommen wir am Scandic Hotel in unmittelbarer Flughafennähe an. Alles in allem sind seit der Landung nun mehr als 3 Stunden vergangen. Das ist zwar viel vergeudet Zeit, aber es ist andererseits erträglich, da wir ja sowieso keinen Anschlussflug erreichen müssen. Wir bleiben entspannt! Und das Personal am Flughafen war durch die Bank freundlich und hilfsbereit. Alles gut!

Das Scandic Hotel ist ein modernes und sauberes Hotel, das uns für die nächsten Tage aufnehmen wird. Knapp über 400 Euro kostet uns der Spaß. Vollverpflegung inklusive. Es gibt feste Essenszeiten (Frühstück 8:00-10:00 Uhr, Mittagessen 12:00-14:00 Uhr und Abendessen 18:00-20:00 Uhr) und alle Gerichte werden auf einem kleinen Tisch vor dem Hotelzimmer abgestellt. Der „Zimmerservice“ klopft kurz an die Türe. Man soll dann 30 Sekunden warten bevor man die Türe öffnet, um sein Essen zu empfangen. Fast wie im Papillon-Film mit Steve McQueen. Nur dass ich nicht Steve McQueen bin und das Essen um Klassen besser ist als es im Film ausschaut. Das Essen kommt übrigens in Alubehältern wie man sie z.B. vom Take-Out bei indischen Restaurants kennt. Mit Plastikbesteck! Ist man fertig mit dem Essen, stellt man seinen Müll wieder auf das kleine Tischchen, von wo er dann innerhalb einer Stunde abgeholt wird. Der Abfalleimer eines jeden Zimmers steht auch auf dem Flur, denn die Zimmer werden während des Aufenthalts nicht geputzt. Eigentlich für Scandic kein schlechter Deal – das Hotel ist ausgebucht und die Personalkosten werden auf einem Minimum gehalten. Zudem bleiben die Gäste für 10 Tage, so dass das Hotel viel weniger Wechsel bewerkstelligen muss. So erklärt sich vielleicht auch der günstige Preis. Eine win-win Situation für alle. Das Essen bestand heute Abend aus einer Art Tafelspitz mit Kartoffeln und einem undefinierten Gemüse, dazu ein Brownie Cookie und eine Flasche Wasser. Mir hat es geschmeckt und ich habe keinen Grund zum Klagen. Das Zimmer ist relativ klein und überschaubar, hell und typisch skandinavisch eingerichtet. Kein Firlefanz und klare Linien dominieren. Der Ausblick aus meinem Schießscharten-artigem Fenster im dritten Stock ist fantastisch. Ein großes Flachdach mit gewölbten Lichthauben und am Horizont eine Baumreihe. Ich denke, für den Preis ist aber alles sehr gut. Selbst das Internet funktioniert schnell und zuverlässig und ich konnte mit meiner Familie zoomen, um die neuesten Neuigkeiten von den Kindern zu erfahren. Trotzdem befürchte ich, dass die nächsten Tage kein Zuckerschlecken sein werden. Momentan kann ich es mir nur schwer vorstellen, die nächsten Tage hier weggeschlossen zu sein. Es ist schon eine ganz besondere Erfahrung und ich kann jetzt vielleicht erahnen, wie sich jemand fühlt, der für längere Zeit ins Gefängnis muss. Papillon lässt grüßen! Und dabei sind es für mich ja nur ein paar Tage und nicht lebenslänglich! Und immerhin darf man das Zimmer täglich für zwei Stunden verlassen. Nachvorheriger Eintragung in eine Liste natürlich. Kontakte sind zu vermeiden. So steht es zumindest in den dreiseitigen Verhaltensregeln, die im Hotelzimmer ausliegen. Nico und ich haben dann auch ganz brav mit 2 Meter Abstand in der Abendsonne auf zwei Granitfindlingen gesessen und geratscht. In Oslo ist das Wetter heute angenehm warm. Sonne, blauer Himmel, klare Luft und 20 °C. Es gibt Schlimmeres!

Wir sind also gut in Norwegen angekommen und insgesamt verlief die Reise fast problemlos, wenn auch deutlich länger als zu normalen Zeiten. Trotzdem muss ich sagen, dass ich als Tourist die Bürokratie und die vielen Formalien nur ungern auf mich nehmen würde. Das Reisen ist derzeit nicht unbedingt ein Vergnügen. Ganz zu schweigen von der 10-tägigen Quarantäne, die einen Urlaub fast ad absurdum führt. Aber wir sind ja im Auftrag des wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns unterwegs und scheuen dabei keine Mühen und Kosten. Was tut man nicht alles für die Wissenschaft!

Falls jemand an einer völlig nutzlosen und überflüssigen Information interessiert ist: Auch dieses Jahr reise ich mit einer speziellen Armbanduhr. War es 2017 die leere Batterie meiner Uhr, die mich die Uhr meiner Tochter mitnehmen ließ, ist es dieses Jahr das Armband, das an den Löchern einzureißen beginnt. Die einzige Uhr, die funktionsfähig zuhause auffindbar war, ist meine rosafarbene Segeluhr. Vorteil dieser Uhr sind deren Wasserdichtigkeit und die extragroßen digitalen Zahlen, die es einem alten Sack wie mir erleichtern herauszufinden, wie spät es ist. Immerhin sind sie so groß, dass ich sie selbst ohne Brille problemlos ablesen kann. Hallelujah!

So, auf meiner schicken Uhr ist es jetzt kurz vor 23:00Uhr und es ist noch immer nicht dunkel. Ganz anders als in Münster und ein Vorgeschmack auf die Mitternachtssonne, die uns in Spitzbergen erwarten wird. Der Himmel ist in ein fahles Hellblau getaucht und die vereinzelten Wolken erstrahlen in den rosigsten Pfirsichfarben. Wirklich hübsch! Trotzdem fallen mir jetzt langsam aber sicher die Augen zu. Gerade als ich am Einschlafen bin, piept mein Handy. Es ist eine SMS mit einem Link zum Ergebnis des Coronatests vom Flughafen: Negativ! Obwohl das Ergebnis nicht wirklich überraschend ist, freut es mich doch eine weitere Hürde auf dem Weg nach Spitzbergen genommen zu haben.

 

Photos

© KOP 132 SPLAM
  • © KOP 132 SPLAM
  • © KOP 132 SPLAM
  • © KOP 132 SPLAM
  • © KOP 132 SPLAM
  • © KOP 132 SPLAM
  • © KOP 132 SPLAM
  • © KOP 132 SPLAM
  • © KOP 132 SPLAM
  • © KOP 132 SPLAM
  • © KOP 132 SPLAM
  • © KOP 132 SPLAM