Internationale Fachtagung „Theologie: biographisch – kontextuell – intersektional“

vom 20.-21. Oktober 2022 in Münster
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Wie sich ein Netz aus Buslinien in die Stadtkarte von Münster einschreibt, sich Wege an unterschiedlichen Stellen treffen und überschneiden, so prägen sich Kategorien sozialer Differenz in menschliche Biographien, in die Kontexte, in denen diese Biographien gelebt werden, und nicht zuletzt in die Theologie ein. Feministische Theologie und Theologische Genderforschung haben in den vergangenen Jahrzehnten vor allem dazu beigetragen, die Kategorie Gender bei theologischen Fragen stärker zu berücksichtigen. Sie erkennen aber immer mehr, dass Genderfragen Diskriminierungserfahrungen und Machtstrukturen nicht vollständig erfassen können. Dazu ist das komplexe Netzwerk sozialer Differenz in der vielfältigen Verwobenheit sozialer Kategorien wie race, class, gender, (dis)ability, religion und viele mehr in den Blick zu nehmen.

Die Arbeitsstelle für Theologische Genderforschung der Katholisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster lädt ein, genau dies zu versuchen. Internationale Expert*innen Theologischer Genderforschung mit unterschiedlichen biographischen Hintergründen und aus verschiedenen theologischen Disziplinen nehmen exemplarisch Kreuzungen des Netzes in den Blick. Sie reflektieren, inwieweit Kategorien sozialer Differenz in intersektionaler Verschränkung ihre Biographie und Theologie prägen. In interaktiven Formaten soll auf dieser Grundlage gemeinsam folgenden Fragen nachgegangen werden: Wie kann der Anspruch einer gendersensiblen Theologie auch unter Berücksichtigung von Intersektionalität eingelöst werden? Wie kann eine intersektionale Perspektive Theologische Genderforschung ergänzen und bereichern? Das heißt: Wozu und wie sollte Theologie allgemein, aber auch Theologische Genderforschung im Besonderen einen Intersektionalitätsansatz adaptieren?

Tagungssprache: Englisch (Kleingruppen auch auf Deutsch möglich)

Flyer

Abschlussbericht - Tagung Theologie intersektional

  • Kleiner Tagungsbericht

    Kategorien sozialer Differenz prägen sich in menschliche Biographien, in die Kontexte, in denen diese Biographien gelebt werden, und nicht zuletzt in die Theologie ein. Bei ihrer internationalen Konferenz „Theology: Biographical – Contextual – Intersectional“ am 20./21.10.22 in der Akademie Franz-Hitze-Haus in Münster ging die Arbeitsstelle für Theologische Genderforschung unter der Leitung von Prof. Judith Könemann und Prof. Marianne Heimbach-Steins zusammen mit fast fünfzig Teilnehmenden der Bedeutung von Biographie, Kontextualität und Intersektionalität für die Theologie nach. Dabei wurde die Tagung unter die Leitfragen gestellt: Wie kann der Anspruch einer gendersensiblen Theologie auch unter Berücksichtigung von Intersektionalität eingelöst werden? Wie kann eine intersektionale Perspektive Theologische Genderforschung ergänzen und bereichern? Das heißt: Wozu und wie sollte Theologie allgemein, aber auch Theologische Genderforschung im Besonderen einen Intersektionalitätsansatz adaptieren?

    Zwei Anliegen prägten die Tagung, die auch die beiden Tagungstage strukturierten: das Hören verschiedenster Perspektiven aus unterschiedlichsten kulturellen, nationalen u.a. Kontexten und das gemeinsame prozessuale Erarbeiten von verbindenden Themen, Analyseinstrumenten und Grundfragen.

    Panel-Diskussion
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    Der erste Tag war ganz dem Hören auf die Beiträge der internationalen Expert*innen gewidmet:

    Dr. Jadranka Rebeka Anić und Prof. Tina Beattie zeichneten nach, wie die Geschichte und Gegenwart des kroatischen Kontextes bzw. die Erfahrungen des Umzugs von Afrika nach England die eigenen und die gesellschaftlichen Perspektiven auf Genderfragen und Theologie prägen. Prof. Dina El Omari und Dr. Ma. Maricel S. Ibita bezogen ihre Reflexionen auf den Umgang mit Koran und Bibel. Während El Omari den Besonderheiten eines islamischen Feminismus nachging, zeichnete Ibita nach, welchen Kriterien eine gesellschaftlich engagierte Exegese folgen sollte. Prof. Judith Gruber fragte auf einer Metaebene danach, wie die eigene Geschichte und die Geschichte des Christentums erzählt werden und wie Fragen von Macht und Privilegien darin bedeutsam sind. Dr. Ini Dorcas Dah berichtete von ihren Erfahrungen zwischen sozialem Engagement für junge Frauen in Burkina Faso und dem Einsatz für Geschlechtergerechtigkeit in ihrer theologischen Forschung. Prof. Adriaan van Klinken zeigte auf, wie Kategorien wie Sexualität und race überraschende Konstellationen von In- und Exklusionen erzeugen können. Der Tag endete mit Stadtführungen, um sich auch die Stadt Münster als Kontext der Tagung zu vergegenwärtigen.

    Vortrag Dr. Ini Dorcas Dah
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    Am zweiten Tagungstag erarbeiteten die Tagungsteilnehmenden angeleitet durch die Tagungsbeobachterinnen, Carolin Hohmann, Dr. Aurica Jax und Prof. Marie-Theres Wacker, einige verbindende Themen und Grundlinien, so z.B.

    • die Erfahrung, dass sich gerade in den ganz persönlichen biographischen Erzählungen das Politische der eigenen Biographie und Theologie zeigt;
    • die Bedeutung des Körpers als Ort von Aushandlungsprozessen zwischen Heterogenitätskategorien;  
    • und die Erschließungskraft von Geschichten, die jedoch hoch individuell und z.T. fast inkommunikabel bleiben und sich nur noch als petite histoires erzählen lassen.

    Die Tagung stand ganz im Zeichen des Austausches – über Disziplinen- und Sektionsgrenzen hinweg, zwischen Kolleg*innen verschiedenster konfessioneller und kultureller Hintergründe sowie unter Einschluss interreligiöser Fragen. Zudem nahmen die Förderung und Vernetzung des wissenschaftlichen Nachwuchses einen Schwerpunkt ein. So konnten neben erfahrenen Wissenschaftler*innen auch Promovierende ihre Qualifikationsprojekte bei einer Posterpräsentation vorstellen und das Austausch- und Diskussionsforum bot Gelegenheit, sich weitergehend zu vernetzen.

    Die Erkenntnisse der Tagung werden in der Arbeitsstelle für Theologische Genderforschung weiterverfolgt. Dies ist nicht zuletzt dadurch möglich, dass sowohl Dr. Maricel Ibita als auch Dr. Ini Dorcas Dah als Fellows einige Zeit über die Tagung hinaus an der Arbeitsstelle und der Fakultät forschen und sich in den weitergehenden fachlichen Austausch zur Thematik einbringen. Zudem ist eine Publikation mit den Beiträgen der Tagung und weiteren Auseinandersetzungen mit der Thematik in der Reihe „Münsterische Beiträge zur Theologie“ geplant.

Die Referent*innen der Tagung

Dr. Jadranka Rebeka Anić
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Dr. Jadranka Rebeka Anić

Jadranka Rebeka Anić arbeitet als wissenschaftliche Beraterin am Institute of Social Sciences Ivo Pilar – Regional Centre Split. Sie unterrichtete Religion und Gender im Rahmen des Master-Studiengangs Religionswissenschaften an der Universität Sarajevo. Als Gastprofessorin unterrichtete sie Kurse an der Fakultät für Soziologie der Universität Zadar, an der Theologischen Fakultät Matija Vlačić Ilirik und an der Katholischen Theologischen Fakultät der Universität Split. Ihre Interessensgebiete umfassen u.a. feministische Theologie, Anti-Gender-Bewegung und Obdachlosigkeit. Sie hat eine Reihe von Beiträgen und Büchern veröffentlicht, darunter das Buch Wie ist Gender zu verstehen? Die Geschichte der Diskussionen und unterschiedlichen Auffassungen in der Kirche (2011).

Dr. Ini Dorcas Dah
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Dr. Ini Dorcas Dah

Ini Dorcas Dah (PhD) ist Laienpredigerin der Evangelisch-protestantischen Kirche von Burkina Faso. Sie ist die Gründerin und Präsidentin der Association Evangélique Sowtaa (Association Evangélique pour la Joie et le Développement de la Femme, Burkina Faso). Sie ist zudem assoziierte Professorin (Visiteur) am Institut Pastoral Hébron (IPH) in Bouaflé, Côte d'Ivoire, und Research Fellow am Akrofi-Christaller Institute of Theology, Mission and Culture (ACI) in Akropong-Akuapem, Ghana, wo sie auch promoviert hat. Sie hat Women Do More Work Than Men: Birifor Women as Change Agents in the Mission and Expansion of the Church in West Africa [Burkina Faso, Côte d’Ivoire and Ghana] (2017 and 2018) und Artikel zu Frauen in der christlichen Mission und Theologie, zu Bedürfnissen von Menschen und zur Umwelt sowie zu Spiritualität und Hoffnung in Afrika veröffentlicht. Ihre Forschungsinteressen sind christliche Geschichte, Evangelium und Kultur, Gender Studies sowie ganzheitliche Mission und Entwicklung.

Prof. Dr. Tina Beattie
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Prof. Dr. Tina Beattie

Tina Beattie verließ im Jahr 2020 ihre Stelle als Professorin für Catholic Studies an der University of Roehampton, um sich auf ihre unabhängige Forschung und schriftstellerische Tätigkeiten zu konzentrieren. Ihre Forschungsinteressen umfassen u.a. Sakramententheologie und Kunst, psychoanalytische und Gender-Theorien sowie sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte von Frauen. Ihr Buch Theology After Postmodernity: Divining the Void – a Lacanian Reading of Thomas Aquinas (2013) thematisiert Fragen nach Begehren, Gender und Verkörperung. Zurzeit arbeitet sie an einem Buch zu Sprache, Gender und Begehren im Verhältnis zur Ökotheologie. Zudem hat sie zwei Romane veröffentlicht, The Good Priest (2019) und Between Two Rivers (2022).  

Prof. Dr. Dina El Omari
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Prof. Dr. Dina El Omari

Dina El Omari ist Professorin für interkulturelle Religionspädagogik am Zentrum für Islamische Theologie in Münster. Zudem leitet sie seit Oktober 2019 das Projekt „Die Ambiguität der islamisch-emanzipatorischen Diskurse in Geschichte und Gegenwart“ am Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der WWU Münster. Sie hat im Mai 2021 ihr Habilitationsverfahren abgeschlossen und zwar mit der Habilitationsschrift „Das koranische Menschenpaar in Schöpfung und Eschatologie - Versuch einer historisch-literaturwissenschaftlichen Kommentierung“, die im Winter 2021 im Herder Verlag erschienen ist. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Islamischer Feminismus, Gender, interreligiöses und interkulturelles Lernen, Feministische Koranexegese, Koran und Exegese.

Prof. Dr. Judith Gruber
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Prof. Dr. Judith Gruber

Judith Gruber ist Professorin für Systematische Theologie und Direktorin des Centre for Liberation Theologies an der KU Leuven in Belgien. Sie promovierte in Systematischer Theologie an der Universität Salzburg in Österreich. 2012-2017 war sie Assistenz-Professorin für Systematische Theologie an der Loyola University in New Orleans. Ihre Forschung verortet sich an der Kreuzung von Theologie und kritischen Kulturwissenschaften, mit einem besonderen Fokus auf interkultureller und postkolonialer Theologie. Einschlägige Publikationen umfassen z.B. Intercultural Theology. Exploring World Christianity after the Cultural Turn (2017). Zudem ist besonders auf ihren kürzlich erschienen Beitrag „White Innocence/White Supremacy. Exploring the Theo-political Intersections of Race and Salvation“ (JRAT 7/2, 2022, S. 515-538) hinzuweisen.

Prof. Dr. Marianne Heimbach-Steins
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Prof. Dr. Marianne Heimbach-Steins

Marianne Heimbach-Steins ist Professorin für Christliche Sozialwissenschaften und Direktorin des gleichnamigen Instituts an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Zudem ist sie zusammen mit Prof. Dr. Judith Könemann Leiterin der Arbeitsstelle für Theologische Genderforschung. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen bei Grundlagen einer kontextuellen christlichen Sozialethik, Politischer Ethik, insbesondere Menschenrechtsethik, Ethik der internationalen Migration sowie der sozialethischen Frauen- und Geschlechterforschung. In diesem Zusammenhang leitet sie am Institut für Christliche Sozialwissenschaften zurzeit u.a. die Projekte „Zukunftsfähige Altenpflege“, „Genderfragen im Horizont rechts-populistischer Anti-Gender-Diskurse“ sowie „Geschlecht, Anerkennung und Recht“. 

Dr. Ma. Maricel S. Ibita
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Dr. Ma. Maricel S. Ibita

Maricel S. Ibita ist außerordentliche Professorin an der Ateneo de Manila University, Philippinen. Ihre Dissertation von 2015 an der KU Leuven, Micha 6:1-8: Rereading the Metaphors for YHWH, Israel and Non-Human Creation und ihr Artikel „The Great Flood in Genesis 6–9: An Ecological Reading of the J and P Traditions“ (BTB 50/2, 2020, S. 68-76), zeigen ihre Arbeit zu narrativen, Gedichts- und Metaphernstudien; zu feministischen, Befreiungs-, sozialwissenschaftlichen und Nachhaltigkeitshermeneutik sowie zu jüdisch-christlichen Quellen. Als Förderin des „Global Minds  project“ 2018 wird sie zusammen mit ihrer Zwillingsschwester #ChooseToChallenge: COVID-19, Community Research and the Canaanite Woman, veröffentlichen, d.h. ihre Präsentation auf der 10. Ecclesia of Women in Asia-Konferenz am 25.02.2022. Diese hat das Thema: Toward Life-Giving Communities in a Time of Pandemic: Asian Feminist Theological Perspectives.

Prof. Dr. Judith Könemann
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Prof. Dr. Judith Könemann

Judith Könemann ist Professorin für Religionspädagogik, Bildungs- und Genderforschung am Institut für Religionspädagogik und Pastoraltheologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Zudem ist sie zusammen mit Prof. Dr. Marianne Heimbach-Steins Leiterin der Arbeitsstelle für Theologische Genderforschung. Ihre Forschungsschwerpunkte sind u.a. die bildungstheoretische Grundlegung religiöser Bildung, Intersektionalität und Bildung unter besonderer Berücksichtigung der Kategorie Gender und der Bildungsgerechtigkeit, interkulturelle und interreligiöse Bildung sowie ethisches Lernen. Aktuelle Publikationen zu Fragen von Gender und interreligiösem Dialog umfassen z.B. Gender (Studies) in der Theologie. Begründungen und Perspektiven (2021) zusammen mit Marianne Heimbach-Steins und Verena Suchhart-Kroll sowie Wandel als Thema religiöser Selbstdeutung. Perspektiven aus Judentum, Christentum und Islam (2021) zusammen mit Michael Seewald.

Dr. Damaris Parsitau
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Dr. Damaris Parsitau

Damaris Parsitau ist Dozentin für Religion und Gender Studies an der Egerton Universität in Kenia und derzeitige Präsidentin der “African Association for the Study of Religion in Africa and the African Diaspora” (AASR). Zudem ist sie Professorin am „Desmond Tutu Centre for Religion and Social Justice“ an der University of Western Cape (Südafrika) und am Institut für Gender Studien (IGS) der Universität von Südafrika (UNISA). Damaris Parsitau war darüber hinaus wissenschaftliche Mitarbeiterin und Gastprofessorin an der Harvard's Divinity School (HDS) im Rahmen des „Women Studies in Religion Programme“ (WSRP). Sie ist des Weiteren „Echidna Global Scholar“ Alumna der Brookings Institutions, Washington DC. Zudem war sie sieben Jahre lang Direktorin des Institute of Women, Gender and Development Studies (IWGDS) an der Egerton University. Damaris Parsitau hat über 70 Artikel, Buchkapitel und andere Beiträge veröffentlicht und ist Mitautorin von zwei in Kürze erscheinenden Büchern. Neben ihrer akademischen Arbeit setzt sie sich für soziale Gerechtigkeit und die Gleichstellung der Geschlechter ein, ist Pädagogin, Mentorin und Gründerin der „Let Maasai Girl Learn“-Stiftung in Kenia.

Prof. Dr. Adriaan van Klinken
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Prof. Dr. Adriaan van Klinken

Adriaan van Klinken (PhD, Universität Utrecht, 2011) ist Professor für Religion und African Studies an der University of Leeds (Vereinigtes Königreich) und außerordentlicher Professor am „Desmond Tutu Centre for Religion and Social Justice“ an der University of Western Cape (Südafrika). Seine Forschung konzentriert sich auf Religion, Geschlecht und Sexualität im zeitgenössischen afrikanischen Kontext.

Seine neuesten Bücher sind Kenyan, Christian, Queer: Religion, LGBT Activism, and Arts of Resistance in Africa (2019); zusammen mit Ezra Chitando: Reimagining Christianity and Sexual Diversity in Africa (2021); und mit Johanna Stiebert, Sebyala Brian, und Fredrick Hudson: Sacred Queer Stories: Ugandan LGBTQ+ Refugee Lives and the Bible (2021). Adriaan van Klinken also was co-producer of the documentary film Kenyan, Christian, Queer (2020). Adriaan van Klinken war zudem Koproduzent des Dokumentarfilms Kenyan, Christian, Queer (2020).