Wie viel Christentum steckt in Europa?

Europa ist in unterschiedlich geprägten Diskursen ein fester Begriff, dessen Bestimmungsmerkmale jedoch vielfältig ausfallen können: geographisch, politisch, kulturell. In vielen Definitionsversuchen wird auch auf das „christliche Abendland“ verwiesen. Wie steht es heute um das Verhältnis von Europäischer Union und Christentum?
Dieser Fragestellung widmeten sich 15 Studierende unter der Leitung von Prof. Dr. Thomas Schüller, PD Dr. Thomas Neumann und Dr. Michael Pfister aus einer historischen sowie rechtlichen Perspektive im Rahmen des Seminars mit Exkursion „Religion und Europa – Europäisches Religionsrecht?“
Unsere Exkursion begann am Dienstag, dem 24.06.2025. Das erste Ziel der Reise war Brüssel. Am Nachmittag empfing uns dort Frau Frederike Ladenburger, Referentin für Ethik, Forschung und Gesundheit, in der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft (COMECE). Sie erläuterte uns die Aufgaben ihrer Organisation, die sich nach Artikel 17 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU (AEUV) als Dialogpartner mit den EU-Institutionen versteht. Die COMECE nimmt auf Basis der katholischen Soziallehre Stellung zu den aktuellen politischen Entwicklungen der EU und erarbeitet Stellungnahmen u.a. zur Migration, zum Klimaschutz oder zur Künstlichen Intelligenz. Mit Frau Ladenburger diskutierten wir über verschiedene aktuelle Debatten auf EU-Ebene, unter anderem das (Grund-)Recht auf Schwangerschaftsabbruch.
Gegen Abend empfing uns der stellvertretende Generaldirektor des juristischen Dienstes der EU-Kommission, Herr. Prof. Dr. Clemens Ladenburger. Die Kommission besitzt das alleinige Initiativrecht für Gesetzesvorschläge und überwacht die Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung von EU-Recht. Der juristische Dienst unterstützt in allen rechtlichen Fragen, berät und prüft Gesetzesvorhaben und vertritt die Kommission vor dem EuGH. Mit Herrn Ladenburger führten wir ein sehr lehrreiches Gespräch über die europäische Integration und die Präsenz der Kirche in Gesellschaft und Staat. Bemerkenswert erschien uns die ambivalente Haltung der Bischofskonferenzen in den unterschiedlichen EU-Ländern. Während sich einige dezidiert pro-europäisch positionieren, sind in der jüngsten Vergangenheit in gewissen Staaten zunehmend antieuropäische Tendenzen wahrnehmbar. Das Gespräch regte uns außerdem zur kritischen Reflexion an: Wir erfuhren, dass die EU der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) noch nicht beigetreten ist, obwohl alle Unionsstaaten diese ratifiziert haben. Gegen 20 Uhr endete das Programm und die Teilnehmer:innen konnten den Abend in Brüssel verbringen. Dort wurden die Diskussionen bei Pommes und Belgischem Bier weiter vertieft.
Den Mittwoch begannen wir mit einem Stadtrundgang durch die historische Altstadt von Brüssel, bevor uns der österreichische EVP-Abgeordnete Herr Lukas Mandl empfing. Er berichtete von seiner Tätigkeit als Parlamentarier und verwies dabei ausdrücklich auf seine christliche Grundüberzeugung, die ihn motivierte, sich in der Politik zu engagieren. Durch seine engen Verbindungen zu einigen Staaten des Balkans eröffnete uns Herr Mandl seine Perspektive auch auf das islamische Erbe Europas. Im Anschluss konnten wir das EU-Parlament besichtigen.
Am Nachmittag machten wir uns auf den Weg zu unserem zweiten Ziel der Exkursion: Luxemburg. Unterwegs hielten wir an der Benediktinerabtei Chevetogne. Dort empfing uns Pater Philippe. Er erklärte uns, die besondere ökumenische Ausrichtung des Konvents, der sich seit der Gründung vor 100 Jahren für die Vermittlung zwischen der lateinischen und griechischen Christenheit einsetzt. Ihrer Grundüberzeugung folgend, dem Dialogpartner auf Augenhöhe zu begegnen, besitzt die Abtei zwei Kirchen, in denen der lateinische und byzantinische Ritus abwechselnd gefeiert wird. Pater Philippe vermittelte uns seine Vorstellung einer in Vielfalt geeinten Christenheit, die große Ähnlichkeiten zu dem Gedanken der europäischen Integration aufweist. Gegen Abend kamen wir in Luxemburg an, das wir bei einem abendlichen Stadtrundgang erkundeten.
Am Donnerstag fuhren wir in das Europamuseum in Schengen, das sich dem gleichnamigen Abkommen widmet. Gegen Mittag machten wir uns auf den Weg nach Straßburg. Einen Zwischenhalt legten wir in Scy-Chazelles nahe Metz am Grab Robert Schumans (†1963) ein. Durch seinen Einsatz für die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) gilt er als ein Vorkämpfer eines in Frieden und Zusammenarbeit vereinten Europas. Den Abend verbrachten wir in Straßburg mit einem Stadtrundgang.
Den letzten Tag unserer Exkursion verbrachten wir im Mémorial de l’Alsace-Moselle. Das Museum widmet sich der deutsch-französischen Geschichte des Elsass seit dem Krieg von 1870. Wir lernten dort interaktiv die wechselvolle Vergangenheit der Region und ihrer Einwohner kennen, die zwischen den Konflikten der Nationen gefangen waren. Der Hass und die Versöhnungsbereitschaft demonstrierten eindrücklich, dass ein respektvolles Zusammenleben in kultureller Vielfalt hart erarbeitet werden musste. Auch wenn uns jungen Europäer:innen der Frieden oft allzu selbstverständlich erscheint, mahnte die Ausstellung eindrücklich, dass wir für diese Errungenschaften entschieden einstehen müssen.
Gegen Mittag machten wir uns auf den Rückweg nach Münster. Insgesamt war die Exkursion auf den Spuren Europas sehr lehrreich und offerierte uns viele exklusive Einblicke. Wir haben die Europäische Union und die Europäische Idee in vielen Facetten kennenlernen dürfen, die über den historisch-rechtlichen Ansatzpunkt des Seminares weit hinausging. Vielen Dank an Prof. Dr. Thomas Schüller, PD Dr. Thomas Neumann und Dr. Michael Pfister für die Organisation dieser Fahrt!
von Paul Klostermann
Fotos
