Expert*innen-Workshop zu „Leistungsmix in der häuslichen Versorgung und Pflege. Gelingensbedingungen und Zukunftsperspektiven“

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Beim Workshop „Leistungsmix in der häuslichen Versorgung und Pflege. Gelingensbedingungen und Zukunftsperspektiven“ am 20. Juni 2022 an der Katholischen Akademie in Berlin diskutierten Vertreter*innen aus Politik, Wissenschaft und Praxis auf Grundlage eines Policy Papers des ICS und des NBI.

Anknüpfend an die pflegepolitischen Ziele der neuen Bundesregierung fokussierte der Workshop die häusliche Versorgung in Pflege-Mix-Settings und deren kommunale Koordination. Als Schlüsselbegriff erwies sich die „doppelte Personenzentrierung“, die durch das Policy Paper eingebracht und durch die Impulse von Dr. Jonas Hagedorn und Dr. Eva Hänselmann auf die Fragestellungen der Panels hin entfaltet wurde. Die Orientierung der Pflegepolitik am Wohl der Pflegebedürftigen und der Pflegepersonen führte zu wichtigen Ergänzungen der bisherigen Diskussion.

Im ersten Panel setzte Dr. Jonas Hagedorn einen Eingangsimpuls zum Leistungsmix in der häuslichen Versorgung und Pflege unter der Maßgabe der doppelten Personenzentrierung. Anschließend diskutierten Prof. Dr. habil Thomas Klie (Forschungs- und Innovationsverbund der Evangelischen Hochschule Freiburg), Birgit Mickley (QualiGes), Roland Rosenow (Diakonie Deutschand) und Andrea Weskamm (Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe – Bundesverband e.V.) moderiert von Prof. Bernhard Emunds (NBI) welche Leistungen in der individuellen Versorgungssituation nötig sind, und wie sie optimalerweise zusammenkommen müssen. Prof. Klie verwies auf die Notwendigkeit, die Realisierung eines gelingenden Pflege-Mix als eine Kulturentwicklungsaufgabe zu begreifen. Frau Mickley stellte das derzeit unbefriedigende Care- und Case-Management der Pflegestützpunkte, aber auch die ungehobenen, gesetzlich vorgesehenen Potenziale dar. Herr Rosenow beschäftigte sich mit dem Begriff der Personenzentrierung und zeigte auf, dass dieser über den Bedürfnisbegriff für die Praxis der Pflegeorganisation und -gesetzgebung greifbar gemacht werden kann. Frau Weskamm stellte das neue Berufsbild und mögliche Einsatzfelder der Community Health Nurse als Teil einer pflegerischen Primärversorgung dar.

Das zweite Panel eröffnete Dr. Eva Hänselmann mit einem kurzen Impuls zu innovativen Infrastrukturen des kommunalen „Pflege-Mix“. Auch hier wurde der rote Faden der doppelten Personenzentrierung weiter gestrickt und gefragt, wie diese strukturell umgesetzt werden kann. Die anschließende Diskussion mit Hildegund Ernst (BMFSFJ), Susanne Jungkunz (Stadt Oldenburg) und Dr. Lena Marie Wirth (Universität Osnabrück) befasste sich mit Quartiers- und Pflegekompetenzzentren, innovative Wohnformen, aber auch digitalen Infrastrukturen für die zukünftige Versorgung älterer hilfebedürftiger Menschen und die Unterstützung ihrer pflegenden Angehörigen. Die Panellistinnen stellten die in ihren Organisationen und Projekten erfolgten Strategien vor und wiesen aber auch auf Problemstellungen hin. Frau Jungkunz als Vertreterin Stadt Oldenburg beklagte die ungenügenden Refinanzierungsketten, die eine Umsetzung der pflegerischen Strukturverantwortung auf kommunaler Ebene behindern. Frau Dr. Wirth stellte die Abgrenzungs- und Kooperationsproblematik zwischen Pflegestützpunkten und Pflegekompetenzzentren dar, und wies auch auf die wichtige Rolle des „digitalen Ökosystems“ in der Verbindung von Fallbegleitung und regionalem Lernen hin. Durch die aufmerksame Moderation von Prof. Marianne Heimbach-Steins traten wichtige Querverbindungen zwischen Aktivitäten von Bund und Kommune, von Bundesverbänden und lokalen Netzwerken zutage.

In der pflegepolitischen Abschlussrunde diskutierten Karolin Molter (DRK), Dr. Albert Kern (BMG) und Heinrich Stockschlaeder (wir pflegen! e.V.) zu politischen Perspektiven und Strategien. Hier ging es insbesondere darum, wie eine gute – doppelt personenzentrierte – häusliche Versorgung durch übergeordnete Strukturen ermöglicht und abgesichert werden kann. Wichtige Stichworte waren die Finanzierbarkeit konzeptioneller Vorschläge, ausreichende Unterstützungsstrukturen für pflegende Angehörige, aber auch die Notwendigkeit der Entwicklung innovativer Versorgungs- und Wohnformen. Dazu ist ein Abbau der rigiden Grenzen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung wichtig sowie eine Flexibilisierung der Kassenlogik. Es wurde klar, dass Aspekte der Geschlechter- und intergenerationellen Gerechtigkeit sowie das Bemühen um gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land in die zukünftige Organisation von Pflegearbeit mit einfließen müssen, um den Anspruch des Gesetzgebers in reale politische und pflegerische Praxis umzusetzen, dass die pflegerische Versorgung der Bevölkerung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist (§ 8 (1) SGB XI).

Die Erträge aus den Diskussionen fließen in eine Überarbeitung des Policy Papers ein, das dann als gemeinsames Arbeitspapier des ICS und des NBI veröffentlicht wird. Dort sind die entwickelten Vorschläge und Ideen dann en Detail zugänglich.