
Massimo Faggioli zeichnet ernüchterndes Bild des US-Katholizismus
Mit mehr als 100 Besucher:innen war der Hörsaal KTh I vollbesetzt, als Prof. Dr. Massimo Faggioli über den Katholizismus in den USA sprach. In seinem Gastvortrag am vergangenen Dienstag zeichnete der renommierte katholische Theologe ein vielschichtiges und oft auch ernüchterndes Bild der Entwicklung von den 1980er Jahren zu Donald Trump.
Massimo Faggioli, 1970 in Italien geboren, ist seit 2016 Professor für Historische Theologie an der Villanova University (Pennsylvania, USA). Er gilt als weltweit führender Experte für die Geschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils – und als einer der wichtigsten öffentlichen Intellektuellen des Katholizismus in den USA. „The New Catholic Moment in the USA. From the 1980s to Donald Trump“ lautete der Titel des Vortrags, den die Katholisch-Theologische Fakultät organisiert hatte.

Auch in Münster beleuchtete Massimo Faggioli den finanzstarken und einflussreichen US-Rechtskatholizismus kritisch, dessen prominentester Vertreter der 2019 konvertierte US-Vizepräsident J. D. Vance ist. Die Wahl von Donald Trump und J.D. Vance markiere den besorgniserregenden Aufstieg einer neuen (rechts-)katholischen Dominanz in den USA.
Nach dem Vortrag folgte eine intensive Diskussion mit dem Publikum. Prof. Dr. Marianne Heimbach-Steins und Prof Dr. Christian Bauer hatten den Gastvortrag an der der Katholisch-Theologischen Fakultät initiiert. Sie schildern ihre Eindrücke des Abends:
Prof. Dr. Marianne Heimbach-Steins, Institut für Christliche Sozialwissenschaften:
„Massimo Faggioli präsentierte nachdenklich und sehr klar ein aufschlussreiches Bild des US-amerikanischen Katholizismus der letzten Jahrzehnte.
Für mich war es sehr hilfreich, dass er das aktuelle Erscheinungsbild des Katholizismus in den USA in einen größeren Zusammenhang eingeordnet hat: Die machtvolle, religiös zunehmend traditionalistische Strömung, die heute sowohl in der Obersten Richterschaft wie im politischen Spitzenpersonal erheblichen Einfluss ausübt, wurde durchschaubar als Ergebnis jahrzehntelanger Entwicklungen seit dem Pontifikat Johannes Pauls II.: Die Leitfiguren der Trump-Regierung wie der Tech-Elite seien geschult an der ‚politischen Theologie‘ im Sinne von Carl Schmitt. Religiöse Vertreter und Theologen dieser Richtung orientierten sich am Thomismus, erwarteten vom neuen Pontifikat und der Namenswahl Leos XIV. weniger die Orientierung an der mit Leo XIII. initiierten Katholischen Soziallehre als die Renaissance eines demokratie- und moderneskeptischen theologischen Denkens, das um die Wende zum 20. Jahrhundert den katholischen Antimodernismus geprägt habe.
Massimo Faggioli hat uns eindrücklich deutlich gemacht, dass es nicht genügt, die Entwicklungen im US-amerikanischen Katholizismus als regionales Phänomen in einem anderen Teil der Weltkirche zu beobachten. Die Macht, die vom Katholizismus in den USA ausgeht und durch nahezu unbegrenzte finanzielle Ressourcen gestützt wird, darf weder in ihrem innerkirchlichen noch in ihrem politischen Einfluss unterschätzt werden.
Ich bin dankbar für die ebenso nachdenkliche wie ernüchternde Analyse, die Massimo Faggioli uns vorgestellt hat – und für die intensive Diskussion, die wir anschließend führen konnten.
Als Katholisch-Theologische Fakultät sind wir zur theologischen Auseinandersetzung, zu klarer Positionierung – nicht zuletzt in der Münsteraner Tradition einer kritischen politischen Theologie – herausgefordert.“
Prof. Dr. Christian Bauer, Institut für Religionspädagogik und Pastoraltheologie:
„Mich hat die große Resonanz auf den Vortrag beeindruckt. So voll und so divers gefüllt habe ich den Münsteraner Hörsaal 1 noch nie erlebt. Massimo Faggioli, mit dem ich seit 2017 in einem interkontinentalen Kommentarprojekt zum Zweiten Vatikanischen Konzil zusammenarbeite, ist ein fulminanter, auch unterhaltsamer Redner von großem historischem Kenntnisreichtum und analytischer Klarsicht (auch wenn man nicht jeder einzelnen seiner Aussagen zustimmen muss).
Ausgehend von Richard John Neuhaus' Buch „The Catholic Moment: The Paradox of the Church in the Postmodern World" von 1987, entrollte er ein beeindruckendes „big picture“ des US-Katholizismus bis hin zu dessen neuer politischer Dominanz unter Donald Trump, die sich in Gestalt des reaktionär-katholischen US-Vizepräsidenten JD Vance idealtypisch personalisiert. Das einst von katholizismuskritischen europäischen Protestant:innen gegründete Land scheint als Ganzes - zumindest in religionspolitischer Hinsicht - zum (Rechts-)Katholischen hin konvertiert zu sein.
Diese neue „kulturelle Hegemonie" (Antonio Gramsci) der finanziell ressourcenstarken und schlagkräftig organisierten US-Rechtskatholik:innen droht über kurz oder lang auch die innerkirchlichen Machtverhältnisse im globalen Katholizismus zu verändern. Denn ‚Politische Theologie' heißt in den USA längst wieder ‚Carl Schmitt‘ und nicht mehr ‚Johann Baptist Metz‘ - und es gibt dort Massimo Faggioli zufolge kaum noch einen nennenswerten Vatican-II-Mainstream im Sinne eines Middle-of-the-road-Catholicism (wie ihn möglicherweise Papst Leo XIV. wieder neu verkörpern könnte).
Fundamentalismus ist in den USA nicht mehr nur die Sache der Protestant:innen. Auch der dortige Katholizismus ist heute von einem Trump-freundlichen Neotraditionalismus à la Bischof Robert Barron dominiert, der längst auch strategisch nach Europa ausgreift. Rechte Katholik:innen haben offenkundig einen Plan. Und sie haben Geld. Was aber ist der Plan der Anderen, der konziliar-offenen Katholik:innen – auch hier in Europa? Wie ließe sich gerade hier Theologie als kritische Ressource für Kirche und Gesellschaft reaktivieren? Und wo gäbe es dafür vielleicht sogar finanzielle Quellen?
Bereits 2002 hat Philipp Jenkins in seinem Buch „The Next Christendom“ darauf hingewiesen, dass die europäische Art einer kritischen, aber gegenwartsfähigen christlichen Zeitgenossenschaft eine globale Minorität darstellt. Angesichts des nicht nur in den USA erstarkenden Rechtskatholizismus fragt es sich, welche theologischen Gegenkräfte sich weltweit, aber auch in Europa finden und bündeln lassen.
Theologische Expertise in Bezug auf autoritäre und identitäre, misogyne und homophobe Katholizismen und ihre Verbindungen zur extremen Rechten gibt es längst. Was es bräuchte, wäre ein kraftvolles internationales Netzwerk führender kritisch-katholischer Theologischer Fakultäten, das dem grassierenden Rechtspopulismus im religionspolitischen Diskurs etwas Anderes entgegensetzen könnte. Die Münsteraner Tradition der Politischen Theologie von Johann B. Metz verpflichtet!“

Der Gastvortrag von Massimo Faggioli ist hier auf Youtube anzusehen.