Vita
Tim Neu hat Geschichte, Philosophie und Erziehungswissenschaft an den Universitäten Bonn und Münster studiert. Nach Beschäftigungen im Sonderforschungsbereich 496 „Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme vom Mittelalter bis zur Französischen Revolution“ und am Historischen Seminar der Universität Münster wurde er 2011 im Fach Neuere und Neueste Geschichte promoviert. Nach einer Tätigkeit als Postdoc an der Universität Göttingen und Forschungsaufenthalten an den Deutschen Historischen Instituten in London und Washington wurde er 2017 auf eine Juniorprofessur für Europäische Expansion von 1700 bis 1850 an die Universität Bochum berufen. Seit 2020 lehrt und forscht er als Assistenzprofessor am Institut für Geschichte der Universität Wien.
Forschungsprojekt
The Paymaster Multiple. Frühneuzeitliche Amtsträger zwischen Rechtsvielfalt und ständischer Praxis
Imperiale Expansion und Distanzherrschaft beruhten in der Frühen Neuzeit immer auch auf militärischer Präsenz, die ihrerseits einen fiskal-militärischen Apparat erforderte. Dessen Stärke verdankte sich weniger ‚moderner‘ Bürokratisierung als vielmehr der Verflechtung öffentlicher Verwaltung mit privaten Dienstnehmern – die frühneuzeitlichen Gemeinwesen waren contractor states.
Damit ging eine ausgeprägte Rechtsvielfalt einher: Im britischen Kontext galten etwa Militärrecht, ziviles Verwaltungsrecht und europäisches Handelsgewohnheitsrecht nebeneinander. Das Projekt nutzt das Konzept der „Multiplizität“ (A. Mol), um zu zeigen, wie Amtsträger mit dieser Vielfalt umgingen. Phänomene sind nicht nur konstruiert, sondern auch „multipel“, bestehen also aus Varianten, die dennoch ein einheitliches Ganzes bilden.
Die These lautet, dass Dynamiken rechtlicher Einheit und Vielfalt eng mit der ständischen Lebensführung der Amtsträger zusammenhingen. Rechtsvielfalt wurde durch Kompromissformen ständisch überbrückt und integriert, etwa im Begriff des public service. Zugleich bot dieser Kompromisscharakter Ansatzpunkte für Skandalisierungen und für rechtliche Vereinheitlichungsbestrebungen.
Das Projekt entwickelt erstens eine Typologie solcher Kompromisspraktiken. Zweitens untersucht es die Skandalisierung ständischer Amtspraxis und deren politische Folgen. Drittens soll das Multiplizitätskonzept erprobt und in die geschichtswissenschaftliche Methodendiskussion eingeführt werden.
Einschlägige Veröffentlichungen
Neu, Tim, „Military Money Men: The Toils of Entanglement and the Business Model of Harley & Drummond, Remittance Contractors“, in: Officers, Entrepreneurs, Career Migrants, and Diplomats. Military Entrepreneurs in the Early Modern World, hrsg. von Philippe Rogger und André Holenstein, Leiden/Boston 2024 (= History of Warfare 145), S. 397–425.
Neu, Tim, „Inszenierte, vielfältige und vielzeitige Gefüge - Bausteine einer Theorie der Verfassungsgeschichte“, in: Theorie der Verfassungsgeschichte. Geschichtswissenschaft - Philosophie - Rechtsdogmatik, hrsg. von Ino Augsberg und Michael W. Müller, Tübingen 2023 (= Recht - Wissenschaft - Theorie 17), S. 53–77.
Neu, Tim, „Glocal Credit. Die britische Finanzlogistik als fraktales Phänomen am Beispiel des Siebenjährigen Krieges“, in: Der Siebenjährige Krieg 1756-1763. Mikro- und Makroperspektiven, hrsg. von Marian Füssel, Berlin/Boston 2021 (= Schriften des Historischen Kollegs; Kolloquien 105), S. 75–93.
Neu, Tim, „Geld gebrauchen. Frühneuzeitliche Finanz-, Kredit- und Geldgeschichte in praxeologischer Perspektive“, in: Historische Anthropologie, 27 (2019), H. 1, S. 75–103.
Neu, Tim, „‚nicht in Meinung das (...) etwas neuwes eingeführt werde‘. Heuchelei und Verfassungswandel im frühen 17. Jahrhundert“, in: Praktiken der Frühen Neuzeit. Akteure, Handlungen, Artefakte, hrsg. von Arndt Brendecke, Köln/Weimar/Wien 2015 (= Frühneuzeit-Impulse 3), S. 619–629.
Neu, Tim, Die Erschaffung der landständischen Verfassung. Kreativität, Heuchelei und Repräsentation in Hessen (1509-1655), Köln/Weimar/Wien 2013 (= Symbolische Kommunikation in der Vormoderne / Studies presented to the International Commission for the History of Representative and Parliamentary Institutions 93).